Im Spannungsfeld zwischen vielfältigen nationalen akademischen Traditionen und der globalen Hegemonie der USA in Wissenschaft und Forschung bemüht sich die Europäische Union um die Etablierung einer integrierten und eigendynamischen „European Research Area“. Die von politischer Seite geforderte „Europäisierung des Hochschulraums“ erscheint zunächst als eine vertikale Setzung der Rahmenprogramme der EU. Mit der Genese des „European Research Council“ (ERC) kommt es jedoch zur Etablierung einer europäischen akademischen Eigenlogik, die an innerakademische Strategien der Legitimierung von Exzellenz durch wissenschaftliche Autonomie anknüpft. Der vom ERC adressierte Wettbewerb schließt an die meritokratischen Begründungen wissenschaftlichen Erfolgs sowohl der Governance-nahen als auch der idealistisch-kritischen Elite an, die den ERC legitimierend aufgreifen und sich damit an der Konstruktion einer europäischen Konsekrationsinstanz beteiligen. So trägt das akademische Feld aktiv zu einer europäischen Ordnung bei, deren symbolische und materielle Integration über Elitenwettbewerb, das Öffnen nationaler Standortlogiken und durch den Primat des Ökonomischen gekennzeichnet ist.
Das Berliner Journal für Soziologie veröffentlicht Beiträge zu allgemeinen Themen und Forschungsbereichen der Soziologie sowie Schwerpunkthefte zu Klassikern der Soziologie und zu aktuellen Problemfeldern des soziologischen Diskurses.
Das Argument bedient sich einer feldanalytischen Sichtweise auf das akademische Feld. Es geht hier jedoch nicht wie bei einer umfassenden Feldanalyse (vgl. Schmidt-Wellenburg und Bernhard 2012a, 2012b) um eine empirische Rekonstruktion des europäischen Wissenschaftsfeldes, sondern um die Thematisierung von wissenschaftspolitischen und wissenschaftssoziologischen Perspektiven als Feldeffekte (vgl. Bourdieu 1975, S. 21), die mit dem Instrumentarium der Habitus-Feld-Theorie im Hinblick auf die akademische Legitimierung eines europäischen Bezugsrahmens interpretiert werden.
Statt von einem „achten Rahmenprogramm“ zu sprechen, wird der Name „Horizon 2020“ bevorzugt, da nach dem letzten Forschungsrahmenprogramm (7. FRP) sowohl Teile des früheren „Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP)“ als auch das „Europäische Innovations- und Technologieinstitut (EIT)“ integriert wurden. Indem Forschungs- und Innovationsförderung zusammengezogen werden, soll „wettbewerbsfähige Forschung […] besser in Wachstum und Arbeitsplätze übertragen werden“ (BMBF 2014, S. 3): „Europa soll zur ‚Innovationsunion‘ werden“ (ebd., S. 2).
Sowohl das verhältnismäßig marginale Förderinstrument „Proof of Concept“ als auch die in einer Pilotphase befindlichen „Synergy Grants“ werden im Folgenden vernachlässigt.
Wir stützen uns auf eine Onlinerecherche aus dem Jahr 2014, basierend auf den Homepages des ERC und der Mitglieder des Scientific Councils sowie Wikipedia-Artikeln.
Seither hat sich die Ablehnungsquote auf einem Niveau von knapp unter 90 % eingependelt, wofür verschiedene Effekte der Selbst- und Vorselektion ursächlich sind (Neufeld et al. 2013).
Auf keinen Fall sollte der Eindruck entstehen, es gäbe in den bislang vor allem nationalen akademischen Feldern eine horizontale Integration im Sinne einer egalitären Sozialintegration, wie es von Verteidigern der nationalen Konsekrationsinstanzen gerne suggeriert wird. Dennoch gibt es in den nationalen Feldern noch, wenn auch im unterschiedlichen Maße, eine Grundfinanzierung der Wissenschaft jenseits der Drittmittelwettbewerbe.
„Portability means that the Principal Investigator [i. e. Grantee, Anm. d. Verf.] may request to transfer the entire grant or part of it to a new beneficiary, under specific conditions included in the ERC Model Grant Agreement“ (ERC 2015, S. 9).
Entsprechend der meritokratischen Rhetorik der Exzellenz müsste man mit Blick auf die ungleiche Verteilung der Grants nach Ländern eigentlich konstatieren, dass es in Bulgarien, Polen, der Slowakei und in Slowenien fast keine und in Rumänien, Litauen, Luxemburg und Malta keine exzellente Wissenschaft gäbe bzw. anderswo wesentlich exzellentere. Wenn das Verteilungsproblem angesprochen wird, dann jedoch eher in Hinblick auf die Bewerbungs-, statt auf die Ablehnungsquoten. Aus der Perspektive der Chancengerechtigkeit kann von Verlierern im eigentlichen Sinne nicht mehr gesprochen werden (vgl. Mortelmans 2013).