4.1 Auf die Beratungsbeziehung kommt es an: Die Gestaltung der Working-Alliance als Schlüsselfaktor
In Übereinstimmung mit der Literatur (Grawe
1998; Grawe et al.
1994; Dörrich
2017) kann die Beratungsbeziehung ausgehend von den inhaltsanalytischen Ergebnissen als Schlüsselfaktor im Handling des Individuation vs. Abhängigkeit-Konflikts in der Praxis erfahrener Coaches betrachtet werden. Erfahrene Praktiker/innen benennen die Gestaltung der Beratungsbeziehung, die gemeinsame Reflexion der Beziehungserfahrung und die Gestaltung des Kontakts entlang der Beziehungsthemen von Nähe und Distanz als besonders relevant und hilfreich. Eine gute Zusammenarbeit von Coach und Coachee gilt unabhängig vom theoretischen Hintergrund als Voraussetzung für erfolgreiches Coaching. Die Beratungsbeziehung wird als das Medium verstanden, in dem Coaching stattfindet. Stober und Grant (
2009, S. 230) formulieren dazu: „(…) regardless of the preferred theoretical background, the foundation of effective coaching is the successful formation of a collaborative relationship“. Etablierte Wirkfaktorenmodelle sehen die Beratungsbeziehung als basalen Faktor (vgl. Stober und Grant
2009; Greif et al.
2012; Ely et al.
2010). Empirische Studien zur Working-Alliance im Coaching zeigten, dass die Qualität der Arbeitsbeziehung stärker über „
experienced helpfulness“ entscheidet als andere Prozessfaktoren (vgl. De Haan et al.
2011).
Die explizite Bezugnahme auf die Beratungsbeziehung, wie z. B. das Thematisieren der Beziehungsdynamik, die Verständigung über Erfahrung und Kontakt in der Beratungsbeziehung gemeinsam mit Coachees sind jedoch auch Gegenstand theoretischer Diskussionen (vgl. Helbing
2014). Wenn es Coaches als hilfreich erscheint, Beratungskontakt und -beziehung explizit zum Thema zu machen, falls der innerpsychische Konflikt Individuation vs. Abhängigkeit beim Coachee vorliegt, könnte das auf ein Spezifikum seines Handlings im Coaching hinweisen, nämlich, dass es besonders bedeutsam ist Ergebnisse der Analyse von Gegenübertragungen zur Verfügung zu stellen, wenn der Konflikt aktiviert ist.
Was ist nun das Spezifische in der Gestaltung der Beratungsbeziehung mit Coachees mit dem aktivierten Grundkonflikt Individuation vs. Abhängigkeit? Die Analyse des empirischen Materials ergab ein Codierungsmuster, das zeigt,
dass und
wie erfahrene Coaches den aktiven Umgang mit Kontaktmustern von Coachees im aktiven und im passiven Modus als hilfreiches Instrument beschreiben. Auf Basis der empirischen Daten konnte ihr Beziehungsverhalten in einer Taxonomie geordnet werden. Sie beschreibt, wie erfahrene Coaches die Nähe- und Distanzregulation im Beratungskontakt in Relation zum Kontaktmuster des aktiven und des passiven Modus gestalten. Sie verfolgen Beziehungsstrategien, beantworten das Coachee-Kontaktmuster „responsiv“ oder „kontrastierend-komplementär“, nehmen es auf oder durchbrechen es (vgl. Tab.
1).
Tab. 1
Vier-Felder Matrix: Taxonomie des Beziehungsverhaltens der Coaches zum Individuation vs. Abhängigkeit-Konflikt im Coaching. (Eigene Darstellung)
Kontrastierend-komplementär: Coachee-Muster durchbrechen | 2 | 14 |
Responsiv: Coachee-Muster aufnehmen/beachten | 11 | 1 |
Im Coaching mit Coachees im aktiven Modus wird ein Beziehungsverhalten als hilfreich beschrieben, das die ausgeprägten Distanzbedürfnisse des Coachee einfühlend berücksichtigt. Dagegen wird im Coaching mit Coachees im passiven Modus als hilfreich berichtet, ausgeprägte gezeigte Nähe- und Bindungsbedürfnisse des Coachee als Gegenüber zurückzuweisen. Im Coaching mit Coachees mit aktiviertem Individuation vs. Abhängigkeit-Konflikt sollen auf diese Weise Nähe und Distanz in der Waage gehalten werden. Erfahrene Coaches nehmen an, dass das Ausbalancieren des Kontakts zu positiven Ergebnissen im Coaching führt.
Im Hinblick auf den aktiven Modus (Distanzbedürfnisse) zeigte sich das im Material z. B. konkret an Aussagen wie: „Und da weiß ich, dass sagen wir mal unsere (…) Arbeitsbeziehung, glaube ich, deswegen Bestand hat (…), weil ich mich auch ihm gegenüber distanziert genug verhalten habe. Also ich bin ihm nicht nachgelaufen. (…). Und ich habe ihm seinen Platz gelassen. Ohne (…) zu insistieren. Es geht also darum, zu schauen, womit rücke ich ihm zu nah auf die Pelle. (…) Also zu sehen, wichtig ist, dass er die nötige Distanz spürt“ (Interviewpartnerin 10).
Bezogen auf die Beziehungsgestaltung mit Coachees im passiven Modus beschrieben Coaches folgendes Vorgehen: „Also den Abstand suchen, (…) den Abstand. Also das ist ja immer wichtig, den Abstand zu halten. Ist überhaupt das Allerwichtigste in Beratung. Aber bei den beziehungsorientierten Menschen ist es auch anstrengender, den Abstand zu halten. Und desto nötiger“ (Interviewpartnerin 1).
Dieses Teilergebnis verdeutlicht, dass erfahrene Coaches der Regulation von Nähe und Distanz eine zentrale Bedeutung zuschreiben. Das Beziehungsverhalten wird bewusst als Instrument eingesetzt, um passgenau Veränderung zu unterstützen. Das Vorgehen setzt eine aufmerksame Beobachtung von Bindungs- und Autonomiebedürfnissen der Coachees im Beratungskontakt voraus.
Je nachdem, wie typische Verhaltensweisen und Neigungen des Coachee es aus Sicht des Coachs erforderlich machen, gestalten sie die Beziehung zum Coachee eher einfühlend-unterstützend oder eher konfrontierend-herausfordernd. Ausgehend von den Berichten scheint förderlich, die Beziehung zu Coachees im aktiven Modus einfühlend-unterstützend zu gestalten, sodass diese sich in ihrem Distanzbedürfnis als vom Gegenüber wahrgenommen erleben können. Coaches berichteten z. B. wie sie sich am Distanzwunsch angepasst, im Kontakt mit Bedacht zurückhaltend verhielten, oder ein eher kühles, wenig emotionales Mikroklima im Kontakt aufrechterhielten.
In Beziehung zu Coachees im passiven Modus scheint Coaches ein konfrontierend-herausforderndes Verhalten entwicklungsförderlich. Coaches drücken Dissens und Widerspruch direkt aus, sie muten Spannungen zu, sie konfrontieren Angepasstheit des Coachee, sie weisen privat-informelle Beziehungswünsche des Coachee offen zurück oder sie sorgen für längere zeitliche Distanz zwischen Beratungskontakten. Dass es für ein Coaching mit Coachees im passiven Modus als hilfreich berichtet wird, Spannung in der Beziehung zu generieren, um Distanz herzustellen, zeigte sich im Material an Äußerungen wie z. B.: „(…) hilfreich ist, dass ich eine eigene und konträre Position einnehme, sodass vom Coachee ausgehalten werden muss, wir sind nicht einer Meinung (…), und erlebt wird, dass auch dann etwas Sinnvolles dabei herauskommt“ (Interviewpartner 12). Wie intensivierte Nähebedürfnisse des Coachee im passiven Modus im Beratungskontakt zurückgewiesen und konfrontiert werden, zeigte sich an Äußerungen wie: „Die Leute versprechen sich privaten Kontakt. Irgendwann muss man dann Stellung beziehen und muss sagen: ‚Wissen Sie, ich bin am hilfreichsten für Sie, wenn ich diesen Abstand haben kann. Wenn Sie mich jetzt nicht auf Ihre Grillparty einladen, (…) sondern wenn wir diese Situation hier gestalten (…), dass wir das spezielle Setting, das wir hier haben, bewahren‘“ (Interviewpartnerin 13). Oder wie: „(…) ich hab’ das offen gemacht und ihm gesagt: ‚Wir sind hier in einer professionellen Beziehung, da gebe ich keine privaten Statements ab, wir sind hier nicht – auch nicht demnächst – irgendwie miteinander befreundet‘“ (Interviewpartnerin 4).
Im Hinblick auf das Coaching von Coachees im aktiven Modusstreben geben Coaches als zentral an, „Rapport“ sowie die Bereitschaft, sich auf Coaching einzulassen (commitment) zu stärken. Als wichtig erscheint es, dafür gerade am Beginn von Prozessen, Distanzwünsche des Coachee zu berücksichtigen. Dies zeigte sich im Material an Äußerungen wie: „(…) er hat für das erste Coaching einen Hotelraum gewählt in dem wir (…) nicht völlig allein waren, so dass es halböffentlich war, was für das Kennenlernen dazu führte, dass ich auf Distanz bleiben musste und es auch nicht zu emotional werden konnte. Erst später konnte sich das ändern. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er das so inszeniert hat“ (Interviewpartner 3). Oder wie: „Wenn ich in den ersten Stunden merke, dass jemand immer wieder aus dem Kontakt rauszugehen versucht, wenn das für ihn zu dicht oder zu persönlich wird – auch wenn ich weiß, Coaching funktioniert so nicht, ohne Kontakt, dann thematisiere ich das aber bei diesem Typus grundsätzlich nicht, ich konfrontiere da nicht“ (Interviewpartnerin 2).
In den subjektiven Theorien erfahrener Expert/innen wird damit den sogenannten „Bindungs- und Beziehungsaspekten der Working-Alliance“ (Bordin
1979) eine besondere Bedeutung für das Gelingen von Coachingprozessen zugeschrieben. Für Coaching mit Coachees im aktiven Modus zeigte sich das z. B. im Material bei Antworten auf die Frage, was das wichtigste Hilfreiche für diese Coachings sei an Äußerungen wie: „(…) über das Coaching exemplarisch eine Erfahrung von Nähe aufbauen (…). Also von Nähe heißt an der Stelle bereit zu sein, (…) Emotionen mitzuteilen, seine Geschichte mitzuteilen“ (Interviewpartner 3).
4.2 Auf die Arbeit an persönlichen Entwicklungsfeldern kommt es an: Veränderung im Coaching bei Coachees mit dem „Individuation vs. Abhängigkeit-Konflikt“
Coachingspezifische Interventionen wurden für beide Konfliktlösungsmodi, also für den aktiven Modus (Individuations-Pol) und den passiven Modus (Abhängigkeits-Pol) inhaltsanalytisch kategorisiert. Hier wurde einerseits eine Veränderung und Entwicklung der Coachees angeregt. Interventionen fokussierten die innere Haltung, die Wahrnehmung und darauf, Verhalten zu flexibilisieren. Andererseits wurde bei fehlender Passung von Person und Rolle/Funktion eine Veränderung des beruflichen Umfelds angestoßen und damit Veränderung im Außen angeregt. Erfahrene Coaches wählten beide Vorgehensweisen, doch blieb unklar, nach welchen Kriterien sie die Richtung der Intervention entschieden. Das sollte künftige Forschung untersuchen.
Im Hinblick auf die Forschungsfrage zeigte es sich für beide Lösungsmodi als hilfreich, einen Interventionsfokus auf der Ebene der Person zu setzen und die Bearbeitung persönlicher Themen explizit mit zu kontraktieren oder sie nachträglich in den Kontrakt aufzunehmen.
Für beide Konfliktlösungsmodi wurde ein Querschnittsthema identifiziert: Erfahrene Coaches gaben der Reflexion der „Passung von Person und Rolle/Funktion“ hohe Priorität, sie unterstützten Coachees im aktiven wie im passiven Modus darin, die Stimmigkeit von Zielen und Aufgaben, beruflichen Positionen oder professionellen Rollen im Hinblick auf diesen Anteil der Persönlichkeit – die als existenziell erlebten Autonomie- und Distanz- bzw. Nähebedürfnisse – zu überprüfen, ihre Bedürfnisse zu respektieren und im Coaching selbst-kongruente Ziele und Selbstakzeptanz zu entwickeln. Als hilfreich wurde berichtet, Coachees anzuregen, sich selbst intensiver wahrzunehmen (awareness) und zu verstehen. Im Material zeigte sich das an Beispielen wie „Im Coaching sollen die Leute verstehen – aha, also ich bin so, und andere sind da ganz anders“ (Interviewpartnerin 1).
Wenn Coachees aufgrund des innerpsychischen Konflikts sogenannte dysfunktionale Führungsbeziehungen zu Mitarbeiter/innen entwickelt haben, wurde als hilfreich beschrieben, das Phänomen explizit zu konfrontieren. Dazu fanden sich für Coachees im aktiven Lösungsmodus Beispiele wie: „Dann sag ich auch schon mal, also wenn Sie diese Dinge nicht aus der Hand geben können, weil Sie von ihren Mitarbeitern nicht abhängig sein wollen, dann machen Sie ihren Job als Führungskraft nicht“ (Interviewpartner 12). Hilfreich fanden Expert/innen, Coaching in den Dienst der Entwicklung von Selbstreflexion und -kongruenz zu stellen und mit Coachees Laufbahnentscheidungen zu überprüfen. Für Coachees mit Aktivierung im passiven Modus gab es dazu Beispiele wie: „Wir sind dann dahin gekommen, dass sie (…) ihre Fachkarriere wieder aufnimmt und die Führungsposition aufgibt (…), weil sie es als so tief schwierig erlebt hat, mit Konflikten umzugehen“ (Interviewpartner 11). Für Coachees mit Aktivierung im aktiven Modus beschrieben die Coaches etwa: „Wenn einer Autonomie
so stark braucht und in Organisationen aber sehr viel in Kontakt sein, sich abstimmen muss, dann ist es einfach nicht das richtige ökologische Umfeld. Da berät man Menschen besser aus Organisationen hinaus“ (Interviewpartner 7). Tab.
2 zeigt beratungspraktische Implikationen der qualitativen Ergebnisse.
Tab. 2
Handling des Individuation vs. Abhängigkeit-Konflikts im Coaching – Beratungspraktische Implikationen inhaltsanalytischer Befunde. (Eigene Darstellung)
Selbstreflexion: Innerpsychischer Konflikt als Quelle äußerer Konflikte – Bewusstmachung des eigenen Modus: am Verständnis inter-personeller Dynamik arbeiten, Kontaktverhalten des Coachee in Arbeitsbeziehungen reflektieren, Perspektivwechsel anregen („Wie wirke ich auf andere?“) – autobiografische Selbsterkundungen anregen – Einsicht fördern, dass Individuation/Abhängigkeit bzw. Nähe-Distanz-Bedürfnisse im Arbeitskontext nur relativ eingeschränkt gelebt werden können – verstehen, dass dysfunktionale Führungs- und Arbeitsbeziehungen mit dem jeweiligen Lösungsmodus (aktiv: Individuations-Pol; passiv: Abhängigkeits-Pol) zusammenhängen. kritische Auseinandersetzung mit zu großer Nähe und freundschaftlich-intimen Beziehungen mit Teammitgliedern (passiver Modus) bzw. mit zu großer Distanziertheit (aktiver Modus) im Coaching | Einsicht, Bewusstheit, Selbstreflexion Benecke und Möller ( 2013); Grant et al. ( 2002); Greif und Rauen ( 2018); Bachkirova ( 2011) |
Selbstakzeptanz und -verantwortung bzgl. eigener Bedürfnisse – Bedürfnisse von Autonomie/Bindung bzw. Nähe/Distanz in Beziehungen als wichtig anerkennen, im Coaching daran arbeiten, wie diese Bedürfnisse außerhalb des Arbeitskontexts gelebt werden können; Lebensbereiche kultivieren, in denen diese gelebt werden können; dazu innere und äussere Ressourcen aktivieren; Laufbahnentscheidung prüfen – Coachees im passiven Modus: Unterstützen, Privatheit und Nicht-Privatheit von Beziehungen in Freundschaft und in Arbeitsbeziehungen zu trennen – Coachees im aktiven Modus: Lebensbereiche, in denen Bedürfnisse nach Eigenständigkeit/Unabhängigkeit gelebt werden können, identifizieren, anregen diese zu kultivieren | Selbstakzeptanz, Selbstaktualisierung, Selbstempathie, Selbstverantwortung |
Stärken der Fähigkeit zur Affektregulation und Fähigkeit zum Umgang mit als unangenehm erlebten Emotionen stärken – Coachees im passsiven Modus: Angst vor Einsamkeit, Ärger, Distanz – Coachees im aktiven Modus: Angst vor Kontakt, Nähe | Umgang mit Emotionen, Affektwahrnehmung und -regulation Arbeitskreis OPD ( 2006); Greif et al. ( 2012); Bennett ( 2003); Benecke und Möller ( 2013) |
Flexibilisieren des Coachee-Verhaltens – Entwicklung von Strategien, um neues Verhalten in Beziehungen und der Gestaltung von Kontakt zu anderen im Arbeitskontext zu erproben: Flexibilisierung in Richtung des jeweils gegenüberliegenden Modus – Coachees im passiven Modus: sich für die eigenen Bedürfnisse in Beziehungen zu anderen mehr einsetzen, mehr Eigenständigkeit wagen, mehr Aggressivität zulassen, Konfliktbereitschaft entwickeln, autonome Entscheidungen treffen, von der Bestätigung anderer unabhängiger werden – Coachees im aktiven Modus: sich mehr für Gestaltung von Kontakt in Arbeitsbeziehungen einsetzen, Abhängigkeit von anderen akzeptieren, Projekte, Zuständigkeiten, Entscheidungen aus der Hand geben können | Integration, Mittlerer Modus Arbeitskreis OPD ( 2006); Polster ( 2002); Perls et al. ( 1951) |
Coachee-Fähigkeiten in Kontaktgestaltung und Interaktion fördern – Wahrnehmen von Nähe‑/Distanzbedürfnissen anderer (Mitarbeiter/innen, Teammitgliedern, Kund/innen) – Ausbalancieren von Nähe und Distanz in Arbeitsbeziehungen – Coachees im passiven Modus: Stärken von Konflikttoleranz, konfrontativer sein – Coachees im aktiven Modus: Fähigkeit, Interesse für Mitarbeitende zu entwickeln, Fördern von Empathie für andere, „sich für Kontakt interessieren lernen“ | Kontakt, Interesse für andere, Empathie |
Passung von Person und Rolle reflektieren – Kongruente Ziele entwickeln – Differenzieren: „Wenn ich so bindungs-/autonomieorientiert bin, welche Position/Aufgabe passt zu mir bzw. passt nicht zu mir?“ – Veränderungen im Außen anstreben: Kontext/Umfeld wechseln | Kongruenzerfahrungen Selbstkongruenz |
Gestaltung von Kontakt in der Arbeitsbeziehung (vgl. ausführlichere Beschreibung in 4.1) – Coachees im passiven Modus: kontrastierend-komplementär, d. h. Coachee-Kontakt-Muster durchbrechen (z. B. durch distanzierteres und konfrontatives Beziehungsverhalten) – Coachees im aktiven Modus: responsiv, d. h. Coachee-Kontakt-Muster: aufnehmen/beachten (z. B. durch mehr Zurückhaltung und Distanzierung) | Coach-Coachee-Beziehung (vgl. 4.1) |
Unterstützung bei Krisen/Labilisierung – Stärken der Ich-Instanz – Stabilisierende Interventionen – Containment/Holding | Krise – Phasen von Labilisierung |
Das Vorgehen erfahrener Coaches entspricht theoretisch postulierten, durch die Psychotherapie-Forschung teilweise empirisch validierten Annahmen dazu, wie positive Veränderung und Entwicklung von Klient/innen unterstützt werden kann, ist aber für arbeitsweltliche Beratung, insbesondere für Coaching, so nicht ohne Weiteres erwartbar. Folgt man den Erfahrungswerten erfahrener Coaches (von denen jedoch eine Mehrheit einen psychotherapeutischen Hintergrund hat, vgl. Limitationen der Studie in 5.1) scheint eher hilfreich zu sein, wenn die Ebene der Person (Motivation, Werte, Bedürfnisse, Persönlichkeit) bei diesen Coachees fokussiert wird. Die Ebene der Interventionen, die sich auf Arbeit, Aufgaben, Rolle, Zuständigkeiten richtet, scheint im Coaching mit Blick auf den innerpsychischen Konflikt Individuation vs. Abhängigkeit in der Praxis weniger im Vordergrund zu sein.
Diese Ergebnisse der Analyse von Best Practices erfahrener Coaches haben beratungspraktische und -theoretische Implikationen. Sie verweisen darauf, dass bei innerpsychischen Konflikten im Coaching in der Praxis fließendere Übergänge zwischen den Beratungsformaten Coaching, Beratung und psychotherapeutischen Arbeitsweisen bestehen könnten, und – vorausgesetzt Coaches verfügen über psychotherapeutische Kompetenzen – dass es im Coaching sinnvoll sein kann, den Konflikt „therapeutisch“ anzusprechen. Das wird besonders deutlich in Aussagen zum Umgang mit Krisen und mit Phasen psychischer Labilisierung von Coachees mit dem aktivierten Grundkonflikt Individuation vs. Abhängigkeit. Die Bewertung zur Verallgemeinerbarkeit des Ergebnisses müsste jedoch verzerrende Effekte, die sich aus der Besonderheit des Samples ergeben, berücksichtigen (s. oben).