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Open Access 2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

9. Der Mensch in Interaktion mit autonomen Planungs- und Steuerungssystemen für Cyber-Physische Produktionssysteme

verfasst von : Susanne Wolf, Christiane Dollinger, Andreas Hees, Gunther Reinhart

Erschienen in: Zukunft der Arbeit – Eine praxisnahe Betrachtung

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Zunehmende Variantenvielfalt und der Wunsch der Kunden nach individuelleren Produkten verlangt nach Produktionskonzepten, die ein hohes Maß an Flexibilität und Autonomie bieten. Dies führt zu signifikanten Veränderungen in der Arbeit der Produktionsmitarbeiter. Beispielsweise werden für einen Meister und einen Produktionsplaner komplexe Aufgaben dadurch zunehmen, wohingegen monotone Tätigkeiten, wie beispielsweise die tägliche Feinplanung von Aufträgen, entfallen werden. Neben der Beschreibung weiterer Veränderungen in den beteiligten Mitarbeiterrollen werden in diesem Beitrag Forschungsansätze vorgestellt, die eine Interaktion zwischen Menschen und autonomen Produktionsplanungs- und -steuerungssystemen ermöglichen und fördern. Hierzu gehört neben der frühzeitigen Ableitung von Qualifikationsmaßnahmen für Mitarbeiter und der mitarbeiterindividuellen Anpassung von Assistenzsystemen auch ein Ansatz zum Umgang und zur Nutzung großer Datenmengen.
Zukünftige Veränderungen des Marktes führen dazu, dass Unternehmen neue Strategien zum Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit verfolgen müssen. Ziel ist es, den Kunden und die vollständige Erfüllung seines Wunsches noch stärker in den Mittelpunkt zu stellen (Westkämper 2006). Der Trend geht von kundenindividuellen Produkten über zu kundeninnovierten Produkten. Der Kunde wird dabei als Designer bzw. Entwickler in den Produktentstehungsprozess eingebunden und in die Lage versetzt, operativ sein individuelles Produkt zu gestalten und nicht nur aus vorkonfigurierten Möglichkeiten auszuwählen. Kundeninnovierte Produkte weisen eine höhere Varianz auf als kundenindividuelle Produktkonstruktionen, sollten jedoch hinsichtlich Qualität, Lieferzeit und Herstellkosten mit Serienprodukten vergleichbar sein (Teschemacher et al. 2014).
Die Herstellung dieser kundeninnovierten Produkte fordert neuartige Produktionskonzepte und verfahren, die einen außergewöhnlichen Grad an Flexibilität in Bezug auf Material, Geometrie und Technologie bieten und dafür laut Pfeiffer & Schmidt (2006) ein hohes Maß an Autonomie aufweisen müssen (Pfeifer und Schmitt 2006). Diese wird im Zuge von Industrie 4.0 und der damit verbundenen Digitalisierung geschaffen. Durch die Verknüpfung digitaler Strukturen mit physischen Objekten, wie z. B. Fertigungsanlagen oder Produkten, entstehen sogenannte Cyber-Physische Systeme. Diese Systeme tragen dazu bei, dass Informationen in Echtzeit und ortsunabhängig übermittelt und verarbeitet werden. Dies bedeutet, dass Prozesse über weite Distanzen hinweg gesteuert und ihr Fortschritt permanent kontrolliert werden können. Dadurch ergeben sich zum einen neue Möglichkeiten für die Produktionsplanung und -steuerung und zum anderen Veränderungen für die Arbeit des Menschen in der Fabrik. Die Ressource Mensch wird allerdings trotz zunehmender Automatisierung und Digitalisierung fester Bestandteil produzierender Unternehmen bleiben (Spath et al. 2013). Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass sich ein neues Rollenprofil und Aufgabenspektrum für manuelle Tätigkeiten ergeben wird. Dies erfordert Kompetenzen und Qualifikationen, die in heutigen Anforderungsprofilen noch nicht erfasst sind und erst entwickelt werden müssen. Steigende Datenmengen, komplexere Produkte sowie eine dauerhafte Erreichbarkeit haben nicht nur Einfluss auf das Tätigkeitsspektrum eines Mitarbeiters, sondern auch auf seine kognitive Beanspruchung (Langhoff und Schmelzer 2015). Damit die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter nicht durch diese zunehmenden kognitiven und physischen Lasten beeinträchtigt wird, müssen Unternehmen frühzeitig eingreifen. Als präventive Maßnahmen zur Lastreduktion können beispielsweise Assistenzsysteme eingesetzt sowie innerbetriebliche Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen angestoßen werden. Die Herausforderung liegt vor allem darin, dass diese steigenden Anforderungen von einer Belegschaft höheren Durchschnittsalters geleistet werden müssen. Laut einer Studie des statistischen Bundesamtes sind im Zeitraum zwischen 2017 und 2024 etwa 40 % der Erwerbspersonen den 50- bis unter 65-Jährigen zuzuordnen (Plötzsch und Rößger 2015). Zudem wird die Gesamtbevölkerung im erwerbsfähigen Alter (zwischen 20 und 64 Jahren) deutlich abnehmen. Es wird davon ausgegangen, dass dieser Anteil von 49,2 Millionen (Stand 2013) auf etwa 38 Millionen (prognostizierter Stand 2016) schrumpfen wird (Plötzsch und Rößger 2015). Diese demografische Entwicklung und die Reduzierung der Produktlebenszyklen bestärkt die Notwendigkeit für die frühzeitige Durchführung von Qualifikationsmaßnahmen sowie für den Einsatz von Assistenzsystemen, damit das zur Verfügung stehende Personal langfristig Leistung erbringen kann.
Dieser Beitrag hat zum Ziel, Auswirkungen auf die Arbeit von Produktionsmitarbeitern aufzuzeigen, welche an der Herstellung von kundeninnovierten Produkten beteiligt sind (Kap.​ 1). Dies erfolgt am Beispiel eines Use-Cases aus dem Forschungsprojekt InnoCyFer (Integrierte Gestaltung und Herstellung kundeninnovierter Produkte in Cyber-Physischen Fertigungssystemen). Des Weiteren werden konkrete Lösungsansätze vorgestellt, wie Unternehmen mit diesen Veränderungen umgehen können (Kap.​ 2).

9.1 Analyse der Umgebung für autonome Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme am Beispiel des Forschungsprojekts InnoCyFer

Das Forschungsprojekt InnoCyFer verfolgt das Ziel, die integrierte Gestaltung und Herstellung kundeninnovierter Produkte zu ermöglichen. Dies geschieht durch die Entwicklung einer Open-Innovation-Plattform, welche die Einbindung des Kreativitäts- und Innovationspotenzials der Kunden in den Produktentstehungsprozess ermöglicht (Holle et al. 2014). Einer der Forschungsinhalte ist die Planung und Steuerung für eine autonome, auf Cyber-Physischen Systemen basierende Fertigung und Montage. Da herkömmliche Steuerungsmethoden mit der hohen Variantenvielfalt und den sich daraus ergebenden Entscheidungsmöglichkeiten an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen, wird die Produktionsplanung und -steuerung über einen sogenannten bionischen Scheduler mit dem physischen Produktionssystem gekoppelt (Vernim et al. 2014). Dieser basiert auf einem Ameisenalgorithmus und ermöglicht die autonome Durchführung der Maschinenbelegung der eingehenden Aufträge. Um ihn in bestehende PPS-Systeme zu integrieren, müssen die Schnittstellen zum bionischen Scheduler so gestaltet sein, dass sowohl das umgebende System als auch die Anwender die etablierten Prinzipien der Produktionsplanung verwenden können. Beispielsweise muss der bionische Scheduler die durch einen Produktionsplaner aufgebrachte Priorisierung der Aufträge in die entsprechende Pheromonkonzentration und -halbwertszeit überführen (Vernim et al. 2014). Abb. 9.1 zeigt den Ablauf sowie die beteiligten Komponenten in diesem Planungs- und Steuerungssystem. Der bionische Scheduler interagiert mit der Termin- und Kapazitätsplanung und wird dadurch zu einem Element der Produktionsplanung und -steuerung. Der Produktionsplaner wird über die Planungsvorschläge oder Steuerungsentscheidungen informiert und kann bei Bedarf die gewünschte Möglichkeit auswählen oder bewerten. Dadurch kann er steuernd eingreifen und zu jeder Zeit Produktionsentscheidungen durch eine transparente Aufbereitung nachvollziehen. Eine Prüfung und Freigabe der vom autonomen System vorgeschlagenen Entscheidung wird zudem berücksichtigt.
Dieses Konzept bietet durch die Eingriffsmöglichkeit des Nutzers einen grundlegenden Vorteil vor allem in unerwarteten Situationen. Für die beteiligten Mitarbeiter, in diesem Fall Produktionsplaner oder Meister, ergeben sich jedoch durch die Interaktion mit einem autonomen Planungs- und Steuerungssystem Veränderungen hinsichtlich ihrer Arbeitsweise, welche im Folgenden konkreter betrachtet werden.

9.1.1 Auswirkungen des Einsatzes autonomer PPS-Systeme auf die Arbeit von Produktionsmitarbeitern

Eine zunehmende Digitalisierung und Autonomisierung im produktionstechnischen Umfeld führt zu einer Veränderung von Produktionsprozessen sowie deren Planung und Steuerung. Der Mensch wird weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Fertigung und Montage bleiben, jedoch in einer veränderten Rolle. Folgend werden die wichtigsten Auswirkungen des Einsatzes von autonomen PPS-Systemen auf die Rolle von Produktionsmitarbeitern beschrieben. Die einzelnen Auswirkungsdimensionen wurden auf Basis von zuvor im Rahmen des Projektes InnoCyFer ermittelten Ergebnissen abgeleitet. Bei der Auswertung wurden die Expertenmeinungen der beteiligten Industriepartner eingeholt (vgl. Abb. 9.2).
Bedingt durch eine zunehmende Variantenvielfalt und kundeninnovierte Produkte werden für einen Meister, den Produktionsplaner und den IT-Spezialisten komplexe Aufgaben zunehmen, die nach einer erhöhten Problemlösungskompetenz verlangen. Aufgrund dieser steigenden Komplexität wird besonders für die drei oben genannten Rollen der Bedarf an Lernbereitschaft wachsen, um mit technologischen Veränderungen mitzuhalten. Lernen kann hierbei informell über Assistenzsysteme erfolgen. Mitarbeiter bekommen während der Tätigkeitsausführung Informationen und Hilfestellungen bereitgestellt, wodurch sie sich neues Wissen aneignen. Zudem wird auch formelles Lernen in Form von Schulungen und Weiterbildungsmaßnahmen vom Unternehmen angeboten, wobei z. B. neue Technologien, Verfahren oder Best Practices gelehrt werden.
Monotone Aufgaben des Tagesgeschäfts, also zum Beispiel die täglich durchzuführende Einplanung von Aufträgen, werden für den Meister und den Produktionsplaner reduziert, da sie vom autonomen System übernommen werden. Dadurch nimmt allerdings auch das Maß an Selbstbestimmung ab.
Für alle in Abb. 9.2 Genannten gilt, dass sie aufgrund der in InnoCyFer erzielten Ergebnisse vermehrt interdisziplinär arbeiten werden, da besonders mit der IT eine enge Zusammenarbeit notwendig wird. Dies gilt nicht nur für die Zeit während der Implementierung, in der von der Produktion und dem IT-Spezialisten gemeinsam die Randbedingungen für den Algorithmus definiert werden. Auch während des Betriebs sind ein regelmäßiger Austausch und die Zusammenarbeit über die Abteilungsgrenzen hinweg nötig, wenn Fehler oder Probleme behoben werden müssen oder sich Randbedingungen so deutlich ändern, dass sie für das reibungslose Funktionieren des Systems angepasst werden müssen. Um diese Zusammenarbeit zu erleichtern, ist es für alle Beteiligten hilfreich, wenn sie über ein gewisses Maß an IT-Kenntnissen verfügen, um gezielter Bedarfe und Hindernisse an die jeweils andere Partei kommunizieren zu können.
Hinsichtlich des Bedarfs an Mitarbeitern insgesamt wird vermutet, dass es nur zu einer leichten Verschiebung im Bereich der Meister und IT-Spezialisten kommt. Aufgrund der Komplexität der digitalen Werkzeuge und des Planungsalgorithmus wird es während der Einführung und der Anfangsphase der Nutzung einen erhöhten Bedarf an IT-Spezialisten (IT-Support) geben. Diese Nachfrage kann jedoch auch von extern gedeckt werden, wodurch sich der Bedarf innerhalb des Unternehmens nicht signifikant ändern wird. Die Führungsebene in der Werkstatt, also die Meister, kann reduziert werden, da einige Tätigkeiten, beispielsweise die Feinplanung der von der PPS vorgegebenen Auftragsfolge, zukünftig ebenfalls vom autonomen PPS-System übernommen wird.

9.2 Handlungsempfehlungen für den Einsatz autonomer PPS-Systeme

Häufig scheitert die Einführung neuer, komplexer Systeme, beispielsweise die Implementierung eines autonomen PPS-Systems, nicht an der technischen Umsetzbarkeit, sondern daran, dass die Mitarbeiter nicht ausreichend in den Entwicklungsprozess mit einbezogen werden und dadurch wichtige mitarbeiterseitige Anforderungen nicht berücksichtigt werden (Weidner et al. 2014).
Das in InnoCyFer zu entwickelnde PPS-System setzt einen Schwerpunkt auf die Interaktion mit dem Produktionsplaner sowie weiteren an der Produktion beteiligten Mitarbeitern. Bei der Gestaltung der Interaktion wird besonderer Wert auf einen humanzentrierten und transparenten Ansatz gelegt. Obwohl der bionische Scheduler den Großteil der Planungs- und Steuerungsentscheidungen autonom trifft, ist er in unvorhergesehenen Situationen dennoch auf den Produktionsplaner als Entscheidungsträger angewiesen, beispielsweise wenn es zu einem Zielkonflikt zwischen den im Algorithmus hinterlegten Logikregeln und einer spontan eintretenden Situation in der Produktion kommt, die lediglich kurzfristig nach geänderten Randbedingungen verlangt. Durch das manuelle Eingreifen und Entscheiden des Produktionsplaners kann ein zeitaufwändiges Anpassen der im Algorithmus hinterlegten Regeln bzw. Randbedingungen vermieden werden. Das hat zur Folge, dass der Planer zwar einerseits einen gewissen Umfang an Entscheidungsmacht verliert, seine Rolle aber andererseits nicht an Wichtigkeit verliert, da die Entscheidungen, die er nach wie vor treffen muss, umso wichtiger für das Funktionieren des Gesamtsystems sind. Der Mensch spielt also weiterhin eine zentrale Rolle im autonomen PPS-System. Damit er diese erfolgreich bestreiten kann, müssen jedoch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden.
Diese sind unter anderem
  • die Definition der Zuständigkeiten von Planer und autonomem System,
  • das Sicherstellen der richtigen Kompetenzen und Fähigkeiten des Planers in einem Rollenprofil,
  • die transparente und intuitive Darstellung der für Planungsentscheidungen relevanten Daten sowie
  • die Gewährleistung der Nachvollziehbarkeit der vom bionischen Scheduler getroffenen Entscheidungen.
Bevor ein autonomes System eingeführt werden kann, müssen die Zuständigkeiten der Aufgaben und die Entscheidungsgewalt der Beteiligten, Mensch und System, sorgfältig geklärt werden. Für den Produktionsplaner ändern sich durch den Einsatz eines autonomen Systems die Anforderungen, die in Zukunft an seine Tätigkeit gestellt werden. An die Stelle der operativen Ausführung von Planungs- und Steuerungsaufgaben, treten vermehrt Kontroll- und Überwachungsaufgaben. Er muss in der Lage sein, komplexe, unerwartet auftretende Situationen schnell zu erfassen und darauf zu reagieren. Mehr als bisher braucht er grundlegende Kenntnisse über informationstechnische Zusammenhänge und ein Verständnis für IT-Systeme, um nachvollziehen zu können, wie sie arbeiten. Dadurch wird maßgeblich die Akzeptanz solcher Systeme erhöht. Diese Kompetenzen und die sich daraus ergebenden Tätigkeiten müssen in das Rollenprofil des Planers aufgenommen werden. Ein Abgleich mit seinen bereits ausgeprägten Kompetenzen zeigt den Handlungsbedarf für die Fortbildung des Produktionsplaners auf.
Der bionische Scheduler verarbeitet eine Vielzahl von Daten in sehr kurzer Zeit. Der menschliche Planer kann mit dieser Datenmenge und der Geschwindigkeit nicht mithalten und sie nicht verarbeiten. Damit er trotzdem noch in der Lage ist, das System zu überwachen und im Bedarfsfall einzugreifen, muss er Zugriff auf die für ihn relevanten Daten erhalten. Diese müssen bestenfalls in einer einfach und intuitiv nachvollziehbaren Form dargestellt werden, damit er schnell und jederzeit die aktuelle Situation erfassen kann. Hierbei kommt es vor allem auf die Menge und Relevanz der dargestellten Informationen an. Einerseits müssen alle für eine mögliche Entscheidung notwendigen Daten angezeigt werden, andererseits erschwert eine zu große Anzahl die Verständlichkeit und Übersichtlichkeit (VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik 2009). Gleichzeitig beeinflusst die Art der Darstellung die Nutzbarkeit der gezeigten Informationen. Vorstellbar ist die Berücksichtigung von individuellen Ansprüchen des Planers, aber auch der individuellen Situation und Verfassung, in der sich der Mitarbeiter befindet. Hierunter sind nicht nur Aspekte der formellen Darstellung, also zum Beispiel Schriftgröße, -farbe etc. zu verstehen, sondern auch kognitive Fähigkeiten (Schumm et al. 2014). Handelt es sich um einen zahlenaffinen Menschen, ist für ihn die Darstellung roher Zahlen vermutlich schneller und einfacher zu erfassen als die Darstellung in einer farbigen Grafik.
Forschungsansätze, wie diese Voraussetzungen in Zukunft geschaffen werden können, werden im Folgenden genauer beschrieben.

9.3 Lösungsansätze für eine erfolgreiche Interaktion des Menschen mit autonomen Systemen

Der Bedarf an Maßnahmen, die den Menschen bei seiner Interaktion mit autonomen Systemen befähigen und unterstützen, wurde im vorherigen Kapitel erläutert. Im Folgenden werden drei Lösungsansätze vorgestellt, die im Rahmen des Forschungsprojektes InnoCyFer identifiziert wurden. Sie zeigen auf, wie es Unternehmen gelingt, frühzeitig Qualifikationsmaßnahmen abzuleiten und mitarbeiterindividuelle Assistenzsysteme einzusetzen. Des Weiteren wird der Handlungsbedarf im Bereich der Datenaufbereitung und Weiterverarbeitung diskutiert.

Frühzeitige Ableitung von Qualifikationsmaßnahmen

Wie im vorhergehenden Kapitel erwähnt, dürfen organisatorische und die Mitarbeiter betreffende Aspekte bei der Einführung von autonomen Systemen nicht unterschätzt werden. Neben einer guten Gestaltung dieser Systeme, ist für die Mitarbeiter in erster Linie wichtig, dass sie über die notwendigen Kompetenzen und Qualifikationen verfügen, um mit diesen Systemen arbeiten zu können. Um eventuellen Handlungsbedarf im Bereich der Mitarbeiterweiterbildung zu identifizieren, müssen Anforderungen an die Mitarbeiterkompetenzen frühzeitig aufgezeigt werden. Qualifizierungsmaßnahmen bedürfen einer gewissen Vorlaufzeit, bis sie umgesetzt werden können, weswegen es umso wichtiger ist, einen Abgleich zwischen benötigten und bereits vorhandenen Kompetenzen im Verlauf des Planungs- und Entwicklungsprozesses für autonome Systeme aufzunehmen.
Damit dies erfolgreich geschehen kann, wird zurzeit an einem Ansatz gearbeitet, welcher es Unternehmen ermöglicht, in Abhängigkeit eines zukünftig angestrebten Ausprägungsgrades an Systemautonomie bzw. Systemdigitalisierung zu entscheiden, welche Mitarbeiterprofile mit welchen dazugehörigen Kompetenzausprägungen in der Produktion benötigt werden. Unternehmen können damit nicht nur gezielt festlegen, welchen Ausprägungsgrad an Autonomie und Digitalisierung sie mit einem neuen System erreichen möchten, sondern zugleich ableiten, welche Veränderungen im Bereich der Mitarbeiterqualifikation getroffen werden müssen. Zeiteffizient parallel zur Planung und Entwicklung des technischen Systems wird so gewährleistet, dass rechtzeitig zu dessen Einführung Mitarbeiter mit den richtigen Kompetenzen vorhanden sind, um dieses System auch zu bedienen.

Mitarbeiterindividuelle Anpassung von Assistenzsystemen

Der Einsatz von Assistenzsystemen im produktionstechnischen Umfeld wird in Zukunft zum Wettbewerbsfaktor. Mitarbeiter werden im Zuge der Digitalisierung durch eine zunehmende Informationsflut sowie ortsunabhängige Erreichbarkeit stark kognitiv belastet. Über einen längeren Zeitraum betrachtet führt diese permanente Überanstrengung zu einer Leistungsminderung, die häufig mit bleibenden gesundheitlichen Schäden verbunden ist. Gerade unter dem Gesichtspunkt des demografischen Wandels und des Rückgangs der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter spielen kognitiv entlastende Systeme eine zentrale Rolle. Die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter muss präventiv geschützt werden. Jedoch haben Mitarbeiter unterschiedliche Fertigkeiten und Kompetenzen sowie ein individuelles Lernverhalten, was bei der Konzeptionierung von Assistenzsystemen beachtet werden muss. Mitarbeiter sollen mithilfe von Unterstützungssystemen die für sie persönlich und für den spezifischen Anwendungsfall relevanten Informationen erhalten. Ein Produktionsplaner, der seit über 20 Jahren im Unternehmen ist, hat bereits Erfahrungswissen gesammelt, welches er bei Problemlösungsaufgaben mit einfließen lässt. Ihn würden zu viele Informationen in seiner Entscheidungsfreiheit einengen und die Qualität seiner Entscheidung beeinflussen. Dies würde eher zu Demotivation und Akzeptanzproblemen führen. Ist ein Mitarbeiter dagegen erst kurz im Unternehmen und verfügt über geringes Erfahrungswissen, benötigt er, um nicht überbelastet zu werden, eine detaillierte Hilfestellung im Umgang mit akut auftretenden Störfällen.
Aus diesem Grund wird an einem Ansatz gearbeitet, der mitarbeiterindividuelle Fertigkeiten und Kompetenzen berücksichtigt und in die Planung von Montagelinien mit aufnimmt.

Datenaufbereitung und Weiterverarbeitung

Durch Cyber-Physische Produktionssysteme (CPPS) stehen eine Vielzahl an Daten aus der Produktion zur Verfügung, welche ohne Konzepte für eine gewinnbringende Nutzung jedoch nicht effektiv sind. Grundsätzlich stellen diese Daten eine vielversprechende Möglichkeit dar, die zunehmende Komplexität sowohl in der Prozessausführung als auch in der Produktionsplanung und -steuerung zu beherrschen. Hierfür müssen die Daten in die übergeordneten IT-Systeme übertragen und in Planungs- und Steuerungsmethoden nutzbar gemacht werden. Die Menge an durch den Menschen zu verarbeitenden Informationen in CPPS ist ohne eine große Zahl unterstützender Planungs- und Informationssysteme kaum beherrschbar. Zumeist wird nicht situationsbasiert, sondern auf Basis von Vergangenheitsdaten gearbeitet, die durch Produktionsmaschinen und eine ineffiziente Betriebsdatenerfassung bereitgestellt werden. Ein CPPS-basiertes Produktionsumfeld bietet hier das Potenzial, Zustandsinformationen aus einem Sensornetzwerk über intelligente Sensoren zu erheben und im Rahmen der Ableitung von Produktionsentscheidungen zu nutzen. Nahezu zeitgleich können die bereitgestellten Daten nutzerspezifisch aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden. Durch Schaffung von formalisierten Zugängen zu diesen Informationen können z. B. intelligente Services eingesetzt werden, welche die Vorausberechnung von Produktionsabläufen in einer virtuellen Produktion übernehmen. Weiterhin sind die systemübergreifende Nutzung von Informationsquellen, die Wissensextraktion mittels zielgerichteter Massendatenverarbeitung zur Nutzung von Erfahrungswissen sowie komplexe Assistenz- und Steuerungssysteme zu ermöglichen.

9.4 Zusammenfassung und Fazit

Durch die Entwicklung und Implementierung von autonomen Produktionsplanungs- und -steuerungssystemen werden sich die Aufgaben und Rollen der im Umfeld der Produktion tätigen Mitarbeiter deutlich verändern. Einerseits werden die Mitarbeiter durch zunehmend selbstständige Systeme in gewissen Tätigkeitsbereichen entlastet, andererseits bringt die Zusammenarbeit mit diesen Systemen auch ein erhebliches Maß an kognitiver Belastung mit sich. Durch gezielte Maßnahmen zur Werkerunterstützung oder zur Qualifizierung im Umgang mit autonomen Systemen kann diese jedoch reduziert und unter Kontrolle gebracht werden. Ein Produktivitätsverlust bei den Produktionsmitarbeitern wird hierdurch ebenfalls vermieden. Entscheidend bei der Einführung solch neuartiger Systeme ist, dass die Unternehmen sich frühzeitig nicht nur mit den resultierenden technischen Anforderungen und Änderungen beschäftigen, sondern auch ihre Mitarbeiter mit deren Qualifikationsprofilen auf den Einsatz vorbereiten.
Das Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb) der Technischen Universität München und die Fraunhofer-Einrichtung für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV danken dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie dem Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt für die Förderung und Betreuung im Rahmen des Forschungsprojektes InnoCyFer (Förderkennzeichen: 01MA13009A). Zudem gilt unser Dank den unterstützenden Industrieunternehmen.
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Literatur
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Titel
Der Mensch in Interaktion mit autonomen Planungs- und Steuerungssystemen für Cyber-Physische Produktionssysteme
verfasst von
Susanne Wolf
Christiane Dollinger
Andreas Hees
Gunther Reinhart
Copyright-Jahr
2018
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-49266-6_9

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