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1999 | Buch

Deutsche Rechtsgeschichte

Land und Stadt — Bürger und Bauer im Alten Europa

verfasst von: Professor Dr. Karl S. Bader, Professor Dr. Gerhard Dilcher

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

Buchreihe : Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft

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Über dieses Buch

Die Autoren legen eine Darstellung der Rechtsgeschichte vom Ende des weströmischen Reiches bis zum Umbruch um 1800 vor, die sich in Gliederung und Perspektive von der älteren, ausgesprochen oder unausgesprochen auf den Staat bezogenen Rechtsgeschichte löst. Bezugspunkt der Rechtsentwicklung ist vielmehr der genossenschaftliche Lebenszusammenhang, der sich seit dem Hochmittelalter in der ländlichen und der städtischen Gemeinde oder Kommune verdichtet und rechtlich ausformt. Die Entwicklung der traditionalen Rechtsformen wie auch das Eindringen des gelehrten Rechtsdenkens werden so von ihren Wirkungskreisen her gesehen. Das Buch bringt für Wissenschaftler wie interessierte Studenten der Rechts- und Geschichtswissenschaften sowie der weiteren einschlägigen Disziplinen synthetische Darstellungen wie problemorientierte Erörterungen des Forschungsstandes. Dieser wird zudem in ausführlichen, wissenschaftsgeschichtlich angelegten Literaturübersichten zu den Hauptkapiteln dokumentiert.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Die Rechtsgeschichte der ländlichen Siedlung

Frontmatter
A. Einleitung. Rechtsgeschichte der ländlichen Siedlung: Zur allgemeinen Problematik
Zusammenfassung
Das Recht unserer mitteleuropäischen Welt ist in einer ländlich-bäuerlichen Umgebung entstanden. Gegenüber städtischen Formen zeigt und bewahrt es eine stärker ausgeprägte Ursprünglichkeit. Alle Völker Europas, die sich durch gemeinsame sprachliche Merkmale der indogermanischen Völkerfamilie zuordnen lassen, sind von ersten erhellbaren Anfängen her Bauernvölker. Im Vorderen Orient ist diese bäuerliche Ursprünglichkeit des Rechts weniger deutlich erkennbar; dort sind frühe städtische oder doch stadtähnliche Siedlungskerne vorhanden, von denen aus das benachbarte Land kultiviert und bewirtschaftet wurde. Auch in der griechisch-lateinischen Frühzeit kommen städtische Formen der Polis früher und deutlicher zum Vorschein als in den Räumen nordwestlich, nördlich und östlich der Alpen. Das germanisch-deutsche, nordgermanisch und frühslavische Recht jedoch ist und bleibt auf lange Zeit hin bäuerliches Recht, allerdings mit im einzelnen stark abwechselnden Grundmustern.
Karl S. Bader, Gerhard Dilcher
B. Landnahme und ländliche Siedlung
Zusammenfassung
Die Siedlungsvorgänge der germanischen Frühzeit pflegt man mit einem Begriff zu umrei ß en, der seinerseits kritischer Würdigung und Differenzierung bedarf. Das Wort Landnahme ist aus der nordeuropäischen, insbesondere der dänischen Sprache älterer, aber relativ spät aufgezeichneter Rechtsquellen entnommen1 und schlie ß lich zu einem Terminus der deutschen Rechtsgeschichte geworden; als ein literarisches Produkt kommt er in unseren mitteleuropäischen Quellen selbst nicht vor, kann aber wegen seiner Anschaulichkeit als Kunstwort beibehalten werden. Anschaulichkeit bedeutet allerdings noch nicht Eindeutigkeit. Wir können drei Begriffsarten unterscheiden, die — jede für sich — für die Rechtsgeschichte auf verschiedener sachlicher und zeitlicher Ebene bedeutsam sind2.
Karl S. Bader, Gerhard Dilcher
C. Das Zeitalter des frühen Siedlungsausbaus (Lockerung der Kollektivsiedlung)
Zusammenfassung
Wir haben die Landnahme, verstanden als kontinuierlicher, langfristiger und vielgestaltiger Vorgang bäuerlicher Seßhaftwerdung, bereits weit über ihre Anfänge hinaus verfolgt und zahlreiche Erscheinungen auch einer Sekundärepoche schon in unsere Betrachtungen einbezogen. Jetzt, im zweiten Abschnitt, handelt es sich darum, Formen und Triebkräfte des Siedlungsausbaus kennenzulernen. Es ist fast überflüssig zu betonen, da ß damit gegenüber dem ersten Abschnitt keine festen zeitlichen Grenzen gezogen werden können und da ß die Übergänge flie ß end sind. Im Sprachgebrauch der allgemeinen Geschichte geht es jetzt um das eigentliche Frühmittelalter, in dem der herkömmlichen rechtsgeschichtlichen Periodisierung um die fränkische Zeit, eine Begriffsbildung, zu der noch einiges zu sagen sein wird. Der Unterschied zum folgenden Abschnitt ergibt sich bereits aus unserer Terminologie: hier wird vom Siedlungsausbau gesprochen, im nächsten kommt dann der hoch- und spätmittelalterliche Landesausbau — Land ein sich erst in dieser Stufe verdichtender Begriff — zur Darstellung.1
Karl S. Bader, Gerhard Dilcher
D. Die ländliche Siedlung im Zeitalter des hoch- und spätmittelalterlichen Landesausbaus
Zusammenfassung
Nach einem wegen Quellenarmut der „urkundenarmen Epoche“ (10.—12. Jahrhundert) und sonstigen Behinderungen unseres Wissens nur schwer durchschaubarem Stillstand — vermutlich nur ein scheinbarer und jedenfalls nicht in allen Reichsteilen gleichartiger Stillstand — werden neue Formen des Siedlungsausbaus seit der Wende vom 12. auf das 13. Jahrhundert wieder deutlicher sichtbar. Warum die Reformbemühungen der karolingischen Epoche im 10. und beginnenden 11. Jahrhundert nicht fortgesetzt wurden, entzieht sich im einzelnen unserer Kenntnis. Gewi ß sind dafür nicht allein die „staatlichen“, d.h. die Zerfallserscheinungen der Königsmacht verantwortlich zu machen; denn auch au ß erhalb des engeren Machtbereiches des deutschen Königtums (und des unter den Ottonen wiederbelebten Kaisertums) begegnen wir durchaus gleichartigen Erscheinungen. Was uns berichtet wird, stammt überwiegend aus dem grundherrlichen Bereich, der den Zerfall in eine östliche und westliche Reichshälfte — bei weitgehender Verselbständigung der letzteren — nicht nur gut überstanden, sondern sogar zum eigenen Vorteil ausgenutzt hat: Die Wirkungen der Immunität werden jetzt erst recht sichtbar. Vorübergehend auftauchende Zwischengebilde wie Stammesherzogtümer, die aber allmählich zum Lehnsherzogtum werden1, schaffen wenig Abhilfe. Sie waren, wie das Königtum der Zeit selbst, auf rivalisierende Adelsgruppen angewiesen, deren charakteristisches Merkmal der Wechsel ist. Aber all das wirkte nicht tief in die inneren Verhältnisse hinein: „Volk“ und „Stamm“ wurden in der Sprache der Quellen als die Gemeinschaft bzw.
Karl S. Bader, Gerhard Dilcher
E. Das Recht der ländlichen Siedlung in der Zeit zwischen Reichs- und Kirchenreform und dem Westfälischen Frieden
Zusammenfassung
Bei Erörterung bäuerlicher Verhältnisse und des Rechtszustandes ländlicher Siedlungen zu Beginn der Neuzeit ist der ( „ deutsche“) Bauernkrieg von jeher als deutliches und unüberhörbares Signal empfunden worden. Die Bewegung setzte, scheinbar schlagartig, im territorialstaatlich noch ungefestigten deutschen Südwesten, zwischen Hochrhein und Schwarzwald, 1524 ein. Die unmittelbaren Anlässe wirken auf den späten Betrachter als eher geringfügig: Überforderung fronpflichtiger Bauern in der Erntezeit soll bäuerliche Gemeinschaften in der Landgrafschaft Stühlingen-Lupfen in Harnisch gebracht haben; eine Sammlerlaune der Landgräfin soll Dienstverweigerungen ausgelöst und in einigen Gemeinden rundum das gro ß e Schwarzwaldkloster St.Blasien — übrigens auch später ein unruhiger Raum — die Bauern zu ernstlichen Ausschreitungen geführt haben.
Karl S. Bader, Gerhard Dilcher
F. Ländliches Recht und ländliche Verbände im Zeitalter von Rationalismus und Aufklärung: Agrartheorien und tatsächliche Verhältnisse bis zum Untergang des Alten Reiches
Zusammenfassung
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts klingen die Nachwirkungen der gro ß en Bauernunruhen ab, teilweise verlagern sie sich in Randgebiete des Reiches. Humanismus und Reformation standen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der „bäuerlichen Empörung“ ablehnend oder doch, wie etwa ein Ulrich Zasius, überraschend gleichgültig gegenüber. Die jüngere Generation, der deutsche Späthumanismus, beginnt dann aber doch, ihren gelehrten Standeshochmut abzubauen. Auch Juristen wenden sich, nunmehr weniger beschwert durch Abneigung gegen das „rohe„, ungebildete Bauernvolk, ländlichen Rechtsfragen zu.
Karl S. Bader, Gerhard Dilcher

Die Rechtsgeschichte der Stadt

Frontmatter
A. Einleitung: Die Stadt in der deutschen und europäischen Rechtsgeschichte
Zusammenfassung
Die Völker Mittel- und Nordeuropas treten aus einer langen, bäuerlich-ländlich geprägten Vorgeschichte mit der Zeit der Wanderungen und Reichsgründungen, die wir als Beginn des Mittelalters zu bezeichnen pflegen, in das hellere Licht der Geschichte. Sie bringen dabei Ordnungsvorstellungen ihrer Lebenswelt, die wir als Recht erfassen können, mit und entwickeln sie weiter. Diese ländliche Rechtsschicht besitzt bis weit in die Neuzeit für die Gesamtheit der Rechtswelt Mittel- und Nordeuropas eine starke Prägekraft. Sie reicht weit hinein in das europäische Verfassungsrecht, ist doch der Adel aus dieser ländlichen Rechtswelt hervorgegangen. Es sei hier nur an Lehnrecht und Grundherrschaft erinnert.
Karl S. Bader, Gerhard Dilcher
B. Stadtformen des frühen und hohen Mittelalters
Zusammenfassung
Die Stadt, auch die der europäischen Tradition, ist im Orient geboren. Als ‘okzidentale Stadt’ im Sinne Max Webers, deren Verfassung auf einer Bürgergemeinde beruht1, entstand sie dagegen zuerst in Griechenland. Über das süditalische Gro ß griechenland beeinflu ß te sie das aufsteigende Rom2. Die Urbanität, die Ämterverfassung und der Bürgerbegriff Roms wurden das Muster für die Verfassung und Verwaltung des Römischen Reiches. Damit kam die urbane Baugestalt, die städtische Lebensform, Verfassung und Recht der römischmediterranen Stadtkultur nach Mitteleuropa, nach Gallien und Germanien bis zum Limes wie auch nach Britannien. Jenseits des Limes befand sich nach wie vor die schon von Tacitus3 beschriebene städtelose Welt einer kriegerischen Bauernkultur. Sie kannte allerdings seit frühgeschichtlicher Zeit den befestigten Herrensitz wie auch die, meist auf einer Höhe gelegene Fluchtburg.4 Letztere haben aber größ ere Verbreitung im keltischen als im germanisch-deutschen Raum. Die u. a. von Cäsar anläß lich des Gallischen Krieges erwähnten oppida waren als Fluchtburg politisches Zentrum eines Stammesverbandes (civitas),5 nicht Stadt im eigentlichen Sinne.
Karl S. Bader, Gerhard Dilcher
C. Die Entstehung der kommunalen Stadt
Zusammenfassung
Der vorausgehende Abschnitt hat gezeigt, wie vom Ende des Römischen Reiches bis ins 11. Jahrhundert sich in wechselndem Niedergang und Aufstieg nichtagrarische Siedlungen mit baulich präurbanem oder urbanem Charakter, sowie zentralörtlichen Funktionen kultureller, administrativer und wirtschaftlicher Art gebildet haben; rechtlich und auch terminologisch sind sie aber weder für die damalige Zeit noch im historischen Rückblick auf einen Begriff zu bringen. Es folgt nun eine Phase dynamischer Veränderungen, in Bezug auf Zahl, Größ e und urbane Gestalt, Bevölkerung, Rechtsstellung im Herrschaftssystem und innerer Verfassung, die man wohl die ‘städtische Revolution’ Europas nennen kann. Sie beginnt in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, und zwar fast gleichzeitig in den Landschaften des „Städtegürtels“ von Flandern über Seine, Mosel und Rhein bis in die Lombardei und Toskana, und endet, mit leichten Phasenverschiebungen innerhalb dieser Landschaften, um 1200, in Deutschland spätestens 1250.1 Das Ergebnis ist das, was Max Weber als den Idealtypus der okzidentalen Stadt, der Stadt des westlichen Kulturkreises, beschrieben hat: Die Bürgergemeinde, die Kommune, die unter eigenen Magistraten weitgehende Selbstherrschaft (Autokephalie) und Selbstbestimmung (Autonomie) einschlie ßlich eigener Gerichtsbarkeit und eigener Rechtssetzung ausübt.2 So groß die Vielfalt städtischer Formen im einzelnen ist, so wenig läß t sich, hebt man sich auf eine etwas abstraktere Betrachtungsebene, dieses Ergebnis und damit die Einheitlichkeit des neuen, kommunalen Stadttypus bezweifeln.
Karl S. Bader, Gerhard Dilcher
D. Die kommunale Stadt des Mittelalters
Zusammenfassung
Die mittelalterlichen Städte Europas entwickeln sich nicht als unabhängige Republiken, sondern im Verband der groß en monarchisch-aristokratisch verfaß ten Reiche.1 Erst langsam, im 14. oder 15. Jahrhundert, gewinnen neben Venedig Städte in Oberitalien, teilweise später in der Schweiz, den Charakter von Stadtstaaten. Das Verschwinden der Reichsgewalt in diesen Regionen ist dafür Voraussetzung. Gegenläufig dazu werden schon seit dem 13. Jahrhundert die ursprünglich starken Kommunen Ostfrankreichs dem aufsteigenden Herrschaftsanspruch des französischen Königtums unterworfen. Die Städte im deutschen Reich haben in besonders starkem Maß e unterschiedliche verfassungsmäß ige Stellungen; das beruht auf dessen vielschichtiger Herrschaftsstruktur und auf den verschiedenartigen rechtlichen Ursprüngen der Städte im deutschen Raum. Jedenfalls sind die Städte in Deutschland nie frei von fremder Herrschaft — auch die späteren, sogenannten Freien Reichsstädte nicht. Letztere haben allerdings eine sehr weitgehende Autonomie (Selbstsetzungsgewalt im normativen Bereich) und Autokephalie (Selbstherrschaft oder Selbstregierung) unter Kaiser und Reich.2 Der Gegenpol dazu ist das, von möglicherweise rechtlich unfreien Bürger bewohnte, Städtlein einer adligen Kleinherrschaft. Beide Formen existieren bis ans Ende des Reiches. Eine Mittelstellung hat die Landstadt mit ihrer ständischen Einbindung in den Territorialstaat. — Diese Herrschaftsverhältnisse sind hier vor allem in ihrer Bedeutung für das innere Rechtsleben der Städte und ihrer Bürger zu betrachten.
Karl S. Bader, Gerhard Dilcher
E. Die Stadt zwischen Mittelalter und Moderne
Zusammenfassung
Das Mittelalter wird — mit Recht — als die Zeit der Entstehung und der Blüte des europäischen und besonders des deutschen Städtewesens angesehen. Dagegen konnte die Geschichtsschreibung lange Zeit den Niedergang der Städte vom 16. bis 18. Jahrhundert nur in schwärzesten Farben malen. „Verstaubt, verknöchert, erstarrt, überlebt, erschlafft, dahinsiechend, in geschichtslosem Dämmer versunken“ sind Adjektive, die vor allem für die Reichsstädte gebraucht wurden; sie seien „taube Schalen ohne frischen Kern“ gewesen.1 Ein in letzter Zeit gebrauchtes Bild dieser Art ist das eines „Städtetales“,2 bezogen auf die Feststel- lung, wie sehr sich die Zahl der Neugründungen gegenüber den Jahrhunderten zuvor verringert habe.
Karl S. Bader, Gerhard Dilcher
Backmatter
Metadaten
Titel
Deutsche Rechtsgeschichte
verfasst von
Professor Dr. Karl S. Bader
Professor Dr. Gerhard Dilcher
Copyright-Jahr
1999
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-642-58639-2
Print ISBN
978-3-642-63677-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-642-58639-2