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2016 | OriginalPaper | Buchkapitel

5. Die „Broker“: Entstehung und Struktur eines sozialen Feldes von Vermittlern von transnationalem Humankapital

verfasst von : Jürgen Gerhards, Silke Hans, Sören Carlson

Erschienen in: Klassenlage und transnationales Humankapital

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Wir konzentrieren uns in diesem Kapitel auf eine Analyse von Institutionen und Organisationen, die sich auf die Vermittlung von transnationalem Humankapital spezialisiert haben. Wir beschreiben zunächst, wie Internationalisierungs- und Vermarktlichungstendenzen das Bildungsangebot in Bezug auf den Erwerb transnationaler Kompetenzen verändert haben. Anschließend gehen wir ausführlicher auf das Feld derjenigen Organisationen ein, die die Vermittlung von Schülern ins Ausland professionell organisieren. Dazu greifen wir auf Pierre Bourdieus Konzept des sozialen Feldes zurück. Nach einer Rekonstruktion der historischen Entstehung und Expansion dieses Anbieterfeldes beschreiben wir seine derzeitige Binnenstruktur, die drei verschiedene Feldsegmente aufweist - das „Basissegment“, das „Wahlsegment“ und das „Premiumsegment“. Diese Segmente unterscheiden sich im Preisniveau, dem Betreuungsangebot, in der Rechtsform sowie in ihrer entsprechenden Ausprägung der feldspezifischen Illusio und stehen dadurch in einem Homologieverhältnis zur Klassenlage der nachfragenden Klientel.

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Fußnoten
1
Monika Jungbauer-Gans und Kollegen (2012) können zeigen, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen einem Privatschulbesuch und den erreichten PISA-Kompetenzen gibt. Dieser Effekt geht allerdings v. a. auf den höheren Anteil von Akademikerkindern in Privatschulen zurück und steht in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Qualität des Bildungsangebots von Privatschulen (vgl. auch OECD 2013; Weiß 2013).
 
2
Internatsvermittlungen, die sich auf Deutschland, Österreich und die deutschsprachige Schweiz spezialisiert haben, bleiben unberücksichtigt, da es hier in der Regel nicht zu einem Sprachwechsel in der Zeit des Internatsaufenthalts kommen dürfte.
 
3
Dabei lassen wir die übrigen im Feld agierenden Akteure außen vor. Dies betrifft zum einen die verschiedenen Partnerorganisationen und Kooperationspartner im Ausland und zum anderen die Dachverbände, zu denen sich manche Organisationen zusammengeschlossen haben. Hier sind beispielsweise der Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustauschorganisationen (AJA), dem sechs gemeinnützige Austauschorganisationen angehören, und der Deutsche Fachverband High School e. V. (DFH), bei dem dreizehn privatwirtschaftliche Anbieter Mitglied sind, zu nennen. Ebenfalls nicht analysiert werden die Anbieter von Jugend- bzw. Bildungsmessen, bei denen die Organisationen für ihre Programme und Dienstleistungen werben, die Beratungsstellen, an die sich Eltern wenden können, und die Vielzahl an Betreibern von Internetforen und Online-Informationsplattformen.
 
4
Beispiele für bereits in der Zwischenkriegszeit gegründete Organisationen sind AFS Interkulturelle Begegnungen e. V. (AFS) und Experiment e. V. AFS ging aus dem 1914 gegründeten American Field Service hervor, einer Vereinigung amerikanischer Freiwilliger, die im Ersten Weltkrieg Sanitätstransporte durchgeführt hatten; Experiment wurde 1932 von dem Amerikaner Donald B. Watt gegründet (Experiment 2015). Beide Organisationen sahen aber zu dieser Zeit nur kürzere Auslandsaufenthalte vor; zudem richteten sich ihre Programme eher an Studierende bzw. Gruppen als an einzelne Schüler (Weichbrodt 2014b, S. 80).
 
5
In diesen historischen Kontext fällt auch die Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) im Jahr 1963, das eine vergleichbare Zielsetzung verfolgt. Allerdings bietet das DFJW für Schüler nur Gruppenbegegnungen oder individuelle Austausche von maximal einem halben Jahr an (DFJW 2015a, b), sodass es nicht unter die hier im Fokus stehenden Organisationen mit individuellen Langzeitprogrammen fällt.
 
6
Während AFS und Experiment ursprünglich in den USA entstanden und erst in der Nachkriegszeit eigenständige Organisationen in Deutschland gründeten, geht YFU auf eine Gründung nach Deutschland zurückgekehrter Teilnehmer von Jugendaustauschprogrammen der Hohen Kommission in Deutschland und der US-Bundesregierung zurück (AFS 2015a; Experiment 2015; YFU 2015a, b).
 
7
Michael Weichbrodt (2014b) geht aufgrund seiner Umfrage von ca. 60 Anbietern von Schüleraustauschprogrammen im Jahr 2010 aus, in unserer eigenen Erhebung konnten wir für 2014 78 solcher Anbieter identifizieren. Dabei beziehen wir uns nur auf die heute noch tätigen Organisationen. Inwieweit einzelne Organisationen im Zeitverlauf möglicherweise mit anderen fusionierten, das Geschäftsmodell wechselten oder ganz ihre Tätigkeit einstellen mussten, war nicht vollständig rekonstruierbar, sodass ein gewisser Bias bei den zugrunde liegenden Daten möglich ist. Nach Einschätzung eines Interviewten dürften solche Veränderungen über die Zeit aber höchstens zehn Fälle betreffen.
 
8
Wie es zu dieser Veränderung gekommen ist, warum also Experiment und der Rotary Jugenddienst nicht mehr zu den größten Anbietern gehören, während EF und iSt so stark expandierten, ist auf Basis unseres Datenmaterials und der von den Organisationen auf ihren Homepages bereitgestellten Informationen nicht gut zu beantworten. Ein Grund könnte sein, dass Experiment und der Rotary Jugenddienst als gemeinnützige Anbieter generell weniger wachstumsorientiert sein dürften und stärker auf die Unterstützung durch Ehemalige und ehrenamtlich Tätige angewiesen sind als die privatwirtschaftlichen Unternehmen.
 
9
Unabhängig von diesen Differenzen sind alle Organisationen, nicht nur die privatwirtschaftlichen, bemüht, die Illusio der positiven Wirkung von Auslandsaufenthalten, insbesondere auf den individuellen Kompetenzerwerb, zu bekräftigen. Ein wesentliches Mittel hierzu stellen Erlebnisberichte ehemaliger Teilnehmer, eigens durchgeführte Umfragen oder der Verweis auf entsprechende wissenschaftliche Studien dar, mit deren Hilfe eben dieser Glaube belegt werden soll und durch die sich die Organisationen legitimieren. Auch organisationsintern kommt diese Illusio durchaus zum Tragen: Wie in den Interviews mit Mitarbeitern deutlich wurde, haben viele von ihnen die „lebensverändernde“ Wirkung eines Auslandsaufenthalts selbst erlebt und somit inkorporiert. Direkte und/oder indirekte Auslandserfahrungen, das heißt ein selbst erlebtes oder aber ein über das eigene Kind mitvollzogenes Auslandsschul- bzw. Studienjahr oder anderweitige Auslandserfahrungen, sind zwar kein offizielles Selektionskriterium bei der Auswahl von Mitarbeitern, werden aber von den Organisationen gleichwohl sehr gerne gesehen.
 
10
Dies wurde sowohl in den Interviews mit Mitarbeitern von Internatsvermittlungen als auch bei der teilnehmenden Beobachtung eines Beratungsgesprächs zwischen Eltern und Organisationsmitarbeitern deutlich. Den Jugendlichen wird beispielsweise im Beratungsgespräch relativ ausführlich geschildert, was sie in dem Internat erwartet, welcher Tagesablauf dort normalerweise besteht und was es für gemeinsame Aktivitäten außerhalb des Unterrichts gibt. Diese Darstellungen sind keineswegs unrealistisch und es wird auch auf Dinge verwiesen, die für die Jugendlichen zunächst gewöhnungsbedürftig sein könnten (z. B. ein strengeres Reglement in den Internaten), insgesamt werden aber vor allem die Chancen und das Bereichernde dieser Erlebnisse herausgehoben.
 
11
Die einzige Möglichkeit, eine finanzielle Förderung für einen Internatsaufenthalt zu erhalten, wäre über die ausländischen Internate selbst, die unter bestimmten Bedingungen (Teil-)Stipendien vergeben. Den von uns interviewten Mitarbeitern von Internatsvermittlungen zufolge sind die entsprechenden Kriterien aber sehr speziell, sodass die Wahrscheinlichkeit für deutsche Schüler, über die Schule eine finanzielle Förderung zu erhalten, äußerst gering sei; diese Möglichkeit werde daher im Beratungsgespräch in der Regel gar nicht erst kommuniziert.
 
12
Nach Aussage der von uns interviewten Mitarbeiter vertrauen die ausländischen Internate weitgehend den Einschätzungen der Internatsvermittlungen bezüglich der schulischen Leistungen und der Persönlichkeit eines Bewerbers. Dadurch sei es im Einzelfall auch möglich, sich bei den Internaten zugunsten eines Bewerbers auszusprechen, wenn dieser im Beratungsgespräch durch sein persönliches Auftreten einen besseren Eindruck gemacht habe, als es aufgrund der Bewerbungsunterlagen, die auch Angaben zu den bisherigen Schulleistungen enthalten, zu erwarten war. Auch hieran zeigt sich der im Vergleich zu den Schüleraustauschorganisationen geringere Stellenwert von Schulnoten für den Vermittlungsprozess.
 
13
Viele Organisationen bieten darüber hinaus noch eine Reihe weiterer Dienstleistungen an, die zusätzlich gebucht werden können – z. B. die Teilnahme an einem Sprachkurs vor Beginn des Schulunterrichts im Ausland, die Teilnahme an organisierten Wochenendtrips und Reisen im Gastland, die Möglichkeit, den Auslandsaufenthalt zu verlängern und dort einen Schulabschluss zu erwerben etc. Diese wurden von uns bei der Zuordnung der Schüleraustauschorganisationen zu den beiden Segmenten nicht berücksichtigt.
 
14
Einzige Ausnahme hiervon ist das von manchen Organisationen angebotene sogenannte „Direct Placement“: Wenn Familien im Zielland bereits eine mögliche Gastfamilie kennen, die bereit ist, das Kind aufzunehmen, kann der Programmpreis etwas reduziert werden. Allerdings scheint dieser Preisnachlass im Vergleich zum Gesamtpreis eher gering auszufallen – soweit vonseiten der betreffenden Organisationen hierzu überhaupt konkrete Angaben auf ihren Homepages gemacht werden, wird ein Betrag zwischen € 150 und 250 genannt.
 
15
Manche Organisationsmitarbeiter bewerten solche Messen mittlerweile allerdings durchaus kritisch, da sie „inflationär“ vorkämen, die Teilnahme recht kostenintensiv sei und man dort nicht so individuell beraten könne, wie man es an sich gern täte. Allerdings scheint die Teilnahme an solchen Messen – sofern sie finanziell wie personell machbar ist – für diese Anbieter ein gewisses „Muss“ darzustellen, da dort die „gesamten Konkurrenzorganisationen“ vertreten seien, wie es ein Organisationsmitarbeiter (O6: 6) ausdrückt.
 
16
Manche Organisationen verfügen über eigene Stipendienmittel, indem über die Programmpreise eine organisationsinterne Umverteilung erfolgt; andere kooperieren mit Sponsoren, Unternehmen, Stiftungen oder externen Stipendienprogrammen, beispielsweise dem „Parlamentarischen Patenschafts-Programm“ (PPP) des Deutschen Bundestages, oder sie verweisen auf externe Fördermöglichkeiten, z. B. das sogenannte Schüler-BAföG.
 
Metadaten
Titel
Die „Broker“: Entstehung und Struktur eines sozialen Feldes von Vermittlern von transnationalem Humankapital
verfasst von
Jürgen Gerhards
Silke Hans
Sören Carlson
Copyright-Jahr
2016
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-12539-4_5