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2005 | Buch

Die Entscheidungsgesellschaft

Komplexität und Rationalität der Moderne

herausgegeben von: Uwe Schimank

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Studientexte zur Soziologie

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Vorwort
Zusammenfassung
Dieses Buch hat eine sehr lange Geschichte. Entscheidungstheoretische Fragen haben mich schon während meines Studiums in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts beschäftigt. Nach meiner Promotion wurde ich Mitarbeiter in einem von Manfred Glagow geleiteten Forschungsprojekt über „Handlungsbedingungen und Handlungsspielräume der deutschen Entwicklungspolitik“; zugleich habe ich mit ihm Lehrveranstaltungen im Bereich „Planungs- und Entscheidungstheorie“ an der Fakultät für Soziologie der Bielefelder Universität durchgeführt. Aus diesen Veranstaltungen in den Jahren 1982/83 stammen die ersten Notizen zu diesem Buch.
Uwe Schimank
Einleitung
Zusammenfassung
Dieses Buch nimmt eine doppelte Zumutung in den Blick, mit der jede Handelnde in der modernen Gesellschaft konfrontiert ist. Sie soll erstens immer mehr ihrer Handlungen, und vor allem die wichtigen, in Form von Entscheidungen konzipieren und ausführen; und obwohl immer mehr der Situationen, in denen sie so zu entscheiden hat, immer komplexer geworden sind, soll sie möglichst rational entscheiden. Dieser Zumutung rationalen Entschei-dens unter Bedingungen hoher Komplexität ist ein Akteur zunächst einmal durch andere ausgesetzt, die ihn beobachten und gegebenenfalls auch sanktionieren können. Darüber hinaus handelt es sich aber auch um eine Selbstzumutung. Der Akteur selbst hat durch Erziehung und andere Formen der Sozialisation in starkem Maße verinnerlicht, dass rationales Entscheiden angesagt ist.
Uwe Schimank
1. Entscheidungshandeln
Zusammenfassung
Macht man die Entscheidungsgesellschaft zum Untersuchungsgegenstand, gehört an den Anfang eine Klärung dessen, was eigentlich eine Entscheidung ist. Soviel ist bereits klar: Entscheidungen sind eine besondere Form des Handelns. Worin diese Besonderheit liegt, wird im ersten Abschnitt dieses Kapitels durch einen Vergleich von Entscheidungen mit anderen Formen des Handelns -traditionalem, routineförmigem und emotionalem Handeln — herausgearbeitet. Entscheidungshandeln reflektiert die eigene Kontin-genz. Das wiederum erlaubt und legt eine Orientierung von Entscheidungshandeln an Rationalität nahe, wie im zweiten Abschnitt erläutert wird. Aus diesem Rationalitätsstreben des Entscheidungshandelns ergibt sich allerdings, wie der dritte Abschnitt klarmacht, dass es eine aufwendige und entsprechend seltene Form des Handelns ist. Kein Akteur vermag mehr als nur einen kleinen Teil seines tagtäglichen Handelns entscheidungsförmig zu vollziehen.
Uwe Schimank
2. Rationales Entscheiden als Auftrag der Moderne
Zusammenfassung
Entscheidungshandeln ist, wie ich im vorherigen Kapitel erläutert habe, eine besondere Form des Handelns. Es ist ein Alternativen bedenkendes und sich gegenüber Alternativen begründendes Handeln. Dass Entscheidungshandeln viel aufwendiger ist als die anderen Formen des Handelns, erklärt, warum Akteure meistens nicht entscheidungsförmig handeln.
Uwe Schimank
3. Die Komplexität von Entscheidungssituationen
Zusammenfassung
Im Spannungsverhältnis von Komplexität und Rationalität drückt sich die Problematik des Entscheidens in der modernen Gesellschaft aus. Trotz steigender Komplexität ist bei zunehmenden Entscheidungszumutungen immer noch ein gewisses Maß an Rationalität zu realisieren: Das ist das Problem, dem sich Akteure heute ausgesetzt sehen.
Uwe Schimank
4. Perfekte und begrenzte Rationalität
Zusammenfassung
In der Entscheidungsgesellschaft werden immer mehr Handlungssituationen entscheidungsförmig bewältigt; und dies wird mit hohen Rationalitätsansprüchen verknüpft. Dem steht eine hohe soziale, sachliche und zeitliche Komplexität der Entscheidungssituationen gegenüber, die tendenziell auch noch immer weiter zunimmt. Die Kluft zwischen Komplexität und Rationalitätsanspruch des Entscheidens zeigt sich sowohl in der Qual vor als auch in der Qual nach der Wahl. Je größer die Entscheidungskomplexität ist, desto größer ist erstens die Unsicherheit des Akteurs, wie er sich entscheiden soll; und desto größer ist zweitens sein Risiko, eine Fehlentscheidung zu treffen, die er dann zu verantworten hat.
Uwe Schimank
5. Inkrementalismus: Begrenzte Rationalität auf mittlerem Niveau
Zusammenfassung
Wie ist der Komplexität von Entscheidungssituationen, die perfekte Rationalität unmöglich macht, dennoch ein gewisses Maß — natürlich: möglichst viel — an Rationalität abzutrotzen? Auf diese Frage nach einer Strategie begrenzt rationalen Entscheidens gab Charles Lindblom (1959) mit dem Konzept des Inkrementalismus die bis heute am meisten beachtete Antwort. Er schaute sich empirisch an, wie reale Entscheidungen — ihm bot die Politik das meiste Anschauungsmaterial — ablaufen, und destillierte daraus bestimmte, von ihm auch präskriptiv verfochtene Strategiekomponenten. Der Inkrementalismus ist ein Bündel solcher nicht zwangsläufig, aber doch oftmals miteinander kombinierten und auch zueinander passenden Komponenten.1 Lindblom charakterisiert den Inkrementalismus schon im Titel seines programmatischen Beitrags als „Science of muddling through“. „Sich-durchwursteln“als „Wissenschaft“! Das klingt gerade in seiner Bescheidenheit unverhohlen spöttisch gegenüber den grandiosen Ansprüchen der normativpräskriptiven Entscheidungstheorie, die aber eben regelmäßig bei der praktischen Umsetzung auf ganzer Linie scheitert.
Uwe Schimank
6. Mehr als Inkrementalismus: Rationalitätssteigerungen durch Planung
Zusammenfassung
Die im letzten Kapitel dargestellte Theorie inkrementalistischen Entscheidens wird oft, ganz explizit etwa von Charles Lindblom selbst, mit einem normativ-präskriptivem Anspruch präsentiert. Es geht nicht bloß darum, der herkömmlichen normativ-präskriptiven Entscheidungstheorie mit ihren überzogenen Rationalitätsansprüchen die empirische Wirklichkeit des Entscheidens unter Bedingungen hoher Komplexität entgegenzustellen. Über diesen Aufweis der Wirklichkeitsfremdheit hinaus, der ja erst einmal nur destruktiv ist, nämlich Illusionen zerstört, bieten Lindblom und weitere Verfechter des Inkrementalismus konstruktiv andere, „machbare“ Empfehlungen rationalen Entscheidens an. Diese Empfehlungen stellen auch nicht bloß eine unzusammenhängende Auflistung dar, sondern ergeben insgesamt — wie deutlich geworden ist — ein klar konturiertes Muster inkrementalistischen Entscheidens.
Uwe Schimank
7. Weniger als Inkrementalismus: Im Spiel bleiben
Zusammenfassung
Was tun Akteure, die in Situationen sehr hoher Komplexität rationale Entscheidungen treffen müssen? Solche Situationen zeichnen sich in der Sachdimension dadurch aus, dass sie für die Betreffende weitgehend oder gar völlig undurchschaubar sind. Oftmals muss sie auch davon ausgehen, dass ihr Entscheiden — egal, was sie tut — nur in sehr geringem Maße auf das ablaufende Geschehen einwirkt. Auch in der Sozialdimension ist ihr Entscheiden marginal. Über viel mehr als flüchtige Beobachtungen der je anderen verfugt der Akteur nicht. Weder vermag er einen nennenswerten gezielten Einfluss auf sie auszuüben, noch finden Verhandlungen statt. Er kann sich lediglich dem Handeln der anderen, wie er es registriert und antizipiert, anpassen. In der Zeitdimension schließlich unterliegt er immer wieder sehr hoher Zeitknappheit, muss aus dem Stand blitzschnell reagieren.
Uwe Schimank
8. Das Oszillieren der Entscheidungsgesellschaft: Der Akteur zwischen Erwartungssicherheit und dem Neuen
Zusammenfassung
Was bedeutet es für einen Akteur, in einer Entscheidungsgesellschaft zu existieren? Dies ist die Frage, um die es in vorliegender Studie letztlich geht. Individuelle wie korporative Akteure stehen in der Moderne vor der Aufgabe, in immer mehr Situationen — vor allem in den als wichtig genommenen — entscheidungsförmig anstatt traditional, routineförmig oder emotional zu handeln. Dies konfrontiert die Akteure damit, trotz der Komplexität ihrer Entscheidungssituationen Rationalitätsansprüchen gerecht zu werden, die an sie gerichtet werden und die sie auch selbst an sich richten. Welche Praktiken begrenzter Rationalität geeignet sind, um den Ansprüchen zu genügen, hängt davon ab, wie hoch — auf hohem Niveau — die Entscheidungskomplexität ist. Auf einem sehr hohen Komplexitätsniveau muss der Akteur sich damit begnügen, wenigstens im Spiel zu bleiben, um zukünftige Chancen rationaleren Entscheidens zu wahren. Ein mittleres Komplexitätsniveau ermöglicht demgegenüber Inkrementalismus; und ist die Komplexität — nochmals: auf hohem Niveau — etwas geringer, wird auch Planung als anspruchsvollstes Bündel von Praktiken begrenzter Rationalität möglich.
Uwe Schimank
Backmatter
Metadaten
Titel
Die Entscheidungsgesellschaft
herausgegeben von
Uwe Schimank
Copyright-Jahr
2005
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-80606-2
Print ISBN
978-3-531-14332-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-80606-2