Der Beitrag untersucht das Fossil-Fuel-Divestment in Deutschland und fragt nach dort entwickelten Frames der beteiligten Akteur/innen aus Aktivist/innen, NGOs und Finanzwelt. Bekräftigt durch die Pariser Klimakonferenz 2015 nahm die globale Mobilisierung an Fahrt auf. Städte, Versicherungen, Pensionsfonds und andere öffentliche und private Institutionen sind aufgefordert, ihre Vermögen aus Unternehmen, involviert in Extraktion, Verarbeitung und Vertrieb fossiler Energien, abzuziehen. Der Beitrag skizziert die gegenwärtige Fossil-Fuel-Divestment-Bewegung, ihre Entwicklung in Deutschland und ihren Entstehungskontext. Unter Rückgriff auf den bewegungsanalytischen Framing-Ansatz und auf Basis qualitativer Interviews und Fokusgruppen analysieren wir die kollektiven Deutungsrahmen (frames) der Bewegung und der involvierten Finanzakteur/innen, überwiegend aus dem Nachhaltigkeitssegment. Divestment generiert eine geteilte Problemwahrnehmung über multiple Akteursgruppen hinweg, die die fossilen Geschäftsmodelle, ihre Finanzierung und die Rolle von Investor/innen für die Klimakrise ins Zentrum der Kritik rückt. Investor/innen werden zugleich als ‚Teil der Lösung‘ gerahmt, wobei sich Deutungskämpfe über das ‚wie‘ abzeichnen. Die Analyse zeigt Ansätze neuer Konfrontationslinien und Allianzbildungen zwischen Klimabewegung und Finanzmarkt und damit verbundene Widersprüche auf. Im zweiten Teil arbeiten wir heraus, wie die Protagonist/innen aktiv Beziehungen zwischen ökologischem (De-)Investment und Stabilisierung von Finanzpraktiken herstellen. Die Bewegung übersetzt die globale Erwärmung als Risiko- und Stabilitätsproblem in die Finanzsphäre und prägt die Wahrnehmung klimabezogener Risiken mit.
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Das diesem Beitrag zugrundeliegende Forschungsprojekt ‚Doppelte Dividende? Beitrag des nachhaltigen Investierens zur Stabilisierung des Finanzmarkts‘ wurde von April 2015 bis September 2018 im Rahmen der Förderinitiative ‚Finanzsystem und Gesellschaft‘ mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01UF1504 gefördert und unter Leitung von Prof. Dr. Stefanie Hiß an der Friedrich-Schiller-Universität Jena durchgeführt. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen und dem Autor. Unser besonderer Dank gilt allen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern, ohne die diese Studie nicht möglich gewesen wäre.
New York City fasste im Laufe des Jahres 2018 einen sogenannten Divestment-Beschluss, und tat es damit Städten wie Kopenhagen, Paris, Sydney und in Deutschland Berlin oder Münster gleich.
https://kommunales-divestment.de/divestment/international sowie https://gofossilfree.org/divestment/commitments/; beide zuletzt abgerufen: 20.08.2019. Das heißt, die Vermögensverwaltungen erlegen sich Regelungen auf, bis zu einem festgelegten Zeitpunkt innerhalb der nächsten Jahre Vermögen, die in der Kohle-, Öl- oder Gasindustrie veranlagt sind, teilweise (z. B. Kohle-Divestment) oder vollständig zu veräußern, anderweitig zu investieren und für die Zukunft auszuschließen.
Das Motto „Changing finance, financing change“ der UNEP Finance Initiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen verdeutlicht dies (https://www.unepfi.org, letzter Zugriff: 21.08.2019).
Historisch betrachtet waren die ersten Divestment-Bewegungen der 1970er und 1980er Jahre gegen den Vietnamkrieg und das südafrikanische Apartheid-Regime auch frühe Varianten und Vorläuferinnen nachhaltigen Investierens und Treiberinnen erster nachhaltiger Fonds am Markt; vgl. Hiß (2011); Hiß et al. (2018); Sparkes (2002).
Wir sind somit nicht vornehmlich an einer Untersuchung der Fossil-Free-Kampagne und des rein aktivistischen Zweigs der Bewegung aus Aktivist/innen, NGOs und Initiativen interessiert, sondern beziehen bewusst beteiligte und involvierte Finanzorganisationen mit ein, weil wir so auch die insbesondere innerhalb des Felds nachhaltigen Investierens angesiedelte Beteiligung an dieser Bewegung und das Verhältnis der heterogenen Akteur/innen erfassen.
Kleinere aktuelle Kampagnen betreffen die Gefängnisindustrie, die von überwiegend afro-amerikanischen Studierenden ins Leben gerufen wurde (https://prisondivest.com/) sowie nach einer Welle an Amokläufen in den USA einen Aufruf zum Divestment aus Waffenproduktion und -vertrieb (http://www.campaign2unload.org/about-us/). Jeweils zuletzt abgerufen: 21.08.2019.
“The total CO2 potential of the earth’s proven reserves comes to 2795 GtCO2. 65 % of this is from coal, with oil providing 22 % and gas 13 %. This means that governments are currently indicating their countries contain reserves equivalent to nearly 5 times the carbon budget for the next 40 years. Consequently only one-fifth of the reserves could be burnt unabated by 2050 if we are to reduce the likelihood of exceeding 2 °C warming to 20 %.” (Carbon Tracker Initiative 2011, S. 6).
Die Taskforce gibt Empfehlungen zur freiwilligen Offenlegung von Klimarisiken für betroffene Unternehmen aller Sektoren zur Information ihrer Kapitalgeber, Versicherer und anderer Stakeholder (https://www.fsb-tcfd.org/, zuletzt abgerufen am 21.08.2019).
Im gleichen Jahr gab es eine zunächst wenig erfolgreiche Petition zur Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zum Stopp geplanter und zukünftiger Investitionen in Kohleprojekte. 2019 verabschiedete die staatliche Förderbank schließlich eine solche Richtlinie, die neben Kohlekraftwerken auch Kohleexploration und -bergbau von ihrer Finanzierung ausschließt (KfW 2019). Vor diesen gebündelten Kampagnen war der Kampf gegen insbesondere die Kohlefinanzierung schon länger ein Fokus bestimmter deutscher Umwelt-NGOs (vgl. z. B. urgewald e. V., BankTrack, Brot für die Welt). Zum Überblick über Non-Profit-Akteur/innen im Feld Klimaschutz/Nachhaltigkeit und Finanzen siehe den Beitrag von Hiß über die Landschaft des nachhaltigen Finanzmarkts in diesem Band.
Diese Selbstverpflichtungen sind dabei nicht einheitlich und werden, von 350.org öffentlich gelistet, grob in „partial“ oder „coal only“/„coal and tar sands“ (teilweiser Divestment-Beschluss), „full“ (vollständiger Divestment-Beschluss) und „fossil-free“ (vollzogenes/bereits bestehendes vollständiges Divestment) unterteilt (https://gofossilfree.org/divestment/commitments/, am 30.03.2020). Beispielsweise bezog sich der Divestment-Beschluss der Allianz von 2015 auf einen Mindestprozentanteil von Kohle-Unternehmen, die über 30 Prozent des Umsatzes oder der Energieerzeugung mit Kohle generieren. Sie justierte 2018 unter anderem ihr Versicherungsgeschäft mit Kohleunternehmen nach.
Barth (2010, S. 181) vergleicht eine sich gegenwärtig überlagernde Finanz- und Klimakrise mit der in den 1970er Jahren sich überschneidenden Krise des Fordismus mit der ökologischen Krise, die den Beginn staatlicher Umweltpolitik markierte (vgl. auch Newell und Paterson 2010).
Folgende Ausführungen überschneiden sich mit dem Abschnitt „Frame-Analyse sozialer Bewegungen“ im Methodenbeitrag von Woschnack, Fessler, Griese und Hiß in diesem Buch, fallen hier aber insbesondere in der Anwendung auf die folgende Untersuchung detaillierter aus. Dort skizzieren wir darüber hinausgehend konzeptuelle Grundlagen von Frames und erläutern sie in Abgrenzung zu Deutungsmustern und Narrativen. Zur separaten Lesbarkeit beider Artikel haben wir uns dennoch für diese Überlappung entschieden.
Das heißt „die systematische Verknüpfung von gegenseitig ideologisch anschlussfähigen, aber bisher nicht verbundenen Deutungsrahmen, die Hervorhebung und Verstärkung ausgewählter Inhalte, die Ausdehnung eines Interpretationsrahmens und die Austilgung oder Umdeutung von widersprüchlichen Deutungsmustern“ (Kern 2008, S. 147).
Gemeint sind hiermit Uneinigkeiten innerhalb einer Bewegung etwa hinsichtlich der Diagnosen und Prognosen, während sich Deutungskonflikte mit Gegenbewegungen als oppositionelles counterframing ausdrücken (Benford und Snow 2000, S. 626).
Meyer und Höllerer (2010) analysieren, wie verschiedene Frames, die jeweils mit unterschiedlichen und hybriden institutionelle Logiken assoziiert waren, um die Deutungshoheit über Shareholder Value bei seiner Übertragung nach Österreich wetteiferten. Frames und ihre Schlüsselbegriffe können verschiedene institutionelle Logiken überbrücken oder kombinieren (Jones und Livne-Tarandach 2008), was ihnen erlaubt, unterschiedliche Interessen und Gruppen anzuziehen und zu mobilisieren. Dies knüpft einerseits an die Idee der Frame-Alignment-Prozesse an, die auf Mechanismen der Kongruenz zwischen den Bewegungsframes mit jenen der adressierten Gruppen abzielt. Zugleich sensibilisiert das Konzept dementsprechend dafür, den Beitrag verschiedener konkurrierender Gruppen zur Legitimierung und Delegitimierung von institutionellem Wandel zu ergründen (Thornton et al. 2012, S. 155). Frames betonen dabei die sprachlich-rhetorische und politische Dimension innerhalb von Institutionen und artikulieren und explizieren institutionelle Logiken. Im Vergleich zu Theorien sind sie konkreter, aber fragmentarischer und weniger systematisch. Während Theorien die Kohärenz von Logiken erhöhen und deren Aufnahme in institutionelle Praktiken beschleunigen, begünstigen Frames die Identifikation und Mobilisierung der (heterogenen) Akteure (Thornton et al. 2012, S. 152 ff.). Siehe dazu auch den Beitrag von Woschnack, Fessler, Griese und Hiß in diesem Band.
Diese Form des Leitfadeninterviews soll die Rekonstruktion sozialer Deutungsmuster durch die Herausarbeitung von typischen Deutungs- und Handlungsregeln ermöglichen (Ullrich 1999a, S. 429). Sie eignet sich daher auch für die Frame-Analyse, da Frames wesentliche Gemeinsamkeiten mit dem im deutschsprachigen Raum angesiedelten Deutungsmuster-Konzept – wie es von Ullrich verwendet wird – aufweisen (siehe dazu auch den Beitrag von Woschnack, Fessler, Griese und Hiß in diesem Band). Vgl. dazu auch Schiller-Merkens (2013).
Die Interviewpartnerin D hat eine Doppelrolle als NGO-Vertreterin und Aktivistin inne. Die beiden Kategorien lassen sich auch bei anderen Interviewpartner/innen nicht immer eindeutig trennen.
Interviewte verweisen vor diesem Hintergrund auf ihre Frustration gegenüber direktem Einfluss auf das politische Handeln der bisherigen Klimabewegung (Politik, S26; Kirchenbank, A131, A82; Versorgungswerk, J37).
Zur besseren Lesbarkeit bezeichnen wir die Interviewpartner/innen bzw. Diskutant/innen aus der Initiative für das Fossil-Fuel-Divestment eines Versorgungswerks mit „Versorgungswerk“. Damit sind keine Repräsentant/innen des Versorgungswerks selbst gemeint.
Forderungen der Bewegungen gehen darüber teilweise hinaus – sie wünschen sich eine (nachhaltige) Transformation der Wirtschaft und sympathisieren mit Ideen der Postwachstumsökonomie. Demgegenüber sehen andere Stränge der Bewegung eine (ökologische) Innovation der Finanzmarktinstrumente als Lösung.
Am untersuchten Material fiel auf, dass in der Divestment-Bewegung stark über die entwickelten Problemdiagnosen und Lösungsperspektiven mobilisiert wird, auch was die Handlungsaktivierung betrifft. Hingegen ist ein davon abzugrenzendes, eigenständiges motivationales Framing bei den untersuchten Akteur/innen weniger ausgeprägt. Unser Eindruck ist, dass diagnostisch-prognostische Rahmungen stärker ausgebaut werden, um Deutungs- und Legitimationsgrundlagen für die sehr unterschiedlichen Akteurswelten zu schaffen. Wie am geringeren Umfang der Darstellung deutlich wird, konzentrierten wir uns in der Analyse daher stärker auf diese beiden Rahmungsebenen.
Beer (2016) macht hier ähnliche Beobachtungen für deinvestierende US-Universitäten: Marktimperative, wie der Wachstumsimperativ von Vermögen, werden nicht vollständig zurückgewiesen, sondern als Rechtfertigung für Divestment genutzt und betonen die Rationalität von fossilen „stranded assets“. Beer wertet dies als Ermöglichung einer ökologischen Modernisierung; wir sehen zwar eine Abwandlung der Marktlogik, aber sie gibt den Ton an für die Gestaltung der öko-sozialen Nachhaltigkeit, die berücksichtigt wird. Suckert (2015) identifiziert Kompromissfiguren von Eco-Entrepreneuren aus Perspektive der Économie des conventions; unterschiedliche Hybridisierungsfiguren zeigen uns auch diese Richtungen im Fossil-Fuel-Divestment-Framing an.
Curbach (2009) zeigt in ihrer Untersuchung von CSR auf, wie es als Trägerkonzept für die Verhandlung und Konstruktion von gesellschaftlicher Verantwortung globaler Unternehmen fungiert. Sie diagnostiziert eine CSR-Bewegung (aus heterogenen Akteur/innen von Zivilgesellschaft und Unternehmenswelt), die v. a. ein Deutungsmuster ‚freiwilliger Verantwortung‘ als gesellschaftlicher Beitrag von Unternehmen zu einer nachhaltigeren Entwicklung vorantreibt. Diese sei aus einer Bewegungs- und Gegenbewegungs-Dynamik entstanden: die ursprüngliche Corporate-Irresponsibility-Bewegung, vorwiegend aus zivilgesellschaftlichen Akteur/innen wie NGOs, war/ist mit einem (das bisherige Deutungsmuster ‚increasing profits‘) herausfordernden Deutungsmuster im „Konfliktsystem“ mit den Unternehmen. Die sich daraus entwickelnde CSR-Bewegung, in der sich auch Unternehmen und marktnahe NGOs engagieren, entwickelte ein neues, aber weniger konfrontatives Deutungsmuster (‚freiwilliger Verantwortung‘) und befindet sich in einem „Allianzsystem“ mit den Unternehmen. Bei Divestment sehen wir bereits die parallele Herausbildung eines Konflikt- und Allianzsystems: anschließend an das Protestmittel (divestment) von Initiativen von Studierenden und Bürger/innen bildeten sich bspw. schnell ‚divest-invest-Initiativen‘ von Investor/innen. Der Think Tank Carbon Tracker Initiative als eine frühe Quelle ökonomischer Divestment-Argumentation besteht etwa aus Finanz- und Klimaexpert/innen mit dem Ziel Investoren Klimarisiken und -opportunitäten aufzuzeigen.
Newell und Paterson (2010) beschreiben einen „Klima-Kapitalismus“ als realistische aber unzureichende Lösung – man könnte sagen Hybrid – der nahen Zukunft aus mehr Klimaschutz(-politik) und kapitalistischem Wachstumsimperativ. Zur wachsenden Beschäftigung mit einer Kommodifizierung von Klimawandel, zu öko-marxistischen Antworten darauf und zur Frage, unter welchen Bedingungen und Einbußen ein dekarbonisierter Kapitalismus vorstellbar ist, siehe Newell und Paterson (2011).
Gunningham (2017, S. 379 f.) verweist auf die Rolle der Bewegung, die aktuelle Klimaforschung für ein breiteres Publikum zu übersetzen und zugleich mit der Sprache des Finanzmarkts institutionelle Investoren anzusprechen. Er geht v. a. auf die Anfänge und Initialakteure dieses Reframings ein, verfolgt aber nicht weiter dessen Aufnahme und Koproduktion durch den finanziellen Arm der Bewegung.
BlackRock (2016) beurteilt die Divestment-Bewegung als einen „sozialen Kanal“, über den der Klimawandel seine Marktrisiken und -opportunitäten hervorbringt: „climate change presents market risks and opportunities through (…) changing consumer preferences and pressure groups advocating divestment of fossil fuel assets.“ (S. 2).
Nachhaltiges Investment wurde mittlerweile zum wachsenden Absatzmarkt. Vgl. Arjaliès (2010) zur Wandlung einer ursprünglichen SRI-Bewegung in Frankreich zum Marktsegment. Nach Soederberg (2009) repräsentieren SRI-Strategien Versuche, den Markt zu politisieren, indem sie Unternehmensmacht angreifen, tragen aber auf einem tieferen Level zu einer Vermarktlichung sozialer Gerechtigkeit bei.
Besedovsky (2018) zieht aus der Diagnose einer Finanzialisierung oder Kolonisierung von Nachhaltigkeit durch finanzmarktliche Rationalitäten u. a. die Konsequenz, dass das Problem nachhaltiger Entwicklung und seiner Bearbeitung ent-politisiert wird. Wir betonen für den Fall des Fossil-Fuel-Divestment die paradoxe Wirkung dieser Bewegung nachhaltiger Finanzen.
Die Frames spiegeln – wie in der ersten Analyse – nicht die individuellen Meinungen und Positionen wider, sondern dienen als legitimitätsstiftende und mobilisierende Bezugsrahmen, die von den unterschiedlichen Akteur/innen herangezogen und teils kombiniert werden. In einer hier beispielhaft zitierten Aussage drückt sich ein solches Interpretationsschema besonders gut aus, das heißt aber nicht, dass die ganze Aussage oder Person dieser Interpretationsart zuzuordnen ist. Auch wenn überbrückende Framings im Feld wirksam sind und Gemeinsamkeiten mobilisieren, verweisen die Unterschiede zwischen ihnen auf die Differenzen und Deutungskämpfe, die auch bezüglich der Stabilitätswirkungen existieren.
Vgl. auch Langenohl (2007, S. 56 f.): Kurzfristige Anlagestrategien legen im Gegensatz zu langfristigen nicht die Maxime des Fundamentalzusammenhangs Finanzmarkt und Realwirtschaft zugrunde.
Die soziale Frage eines radikalen dekarbonisierenden Kapitalabzugs und ökologischen Strukturwandels läuft implizit durch solche Überlegungen mit, wird aber nicht explizit adressiert oder öffentlich verhandelt. Auf diesen Aspekt der Bewegung gehen wir im Fazit näher ein.
Im Unterschied dazu sehen orthodoxere Ausprägungen marktlogischer Argumente, wie sie im Mainstream (noch) weit verbreitet sind, in einem Ausschluss auf Basis „selektiver“ ökologischer Kriterien vor allem destabilisierende Effekte. Einschränkungen von Investitionsoptionen seien bspw. prinzipiell riskant, fossile Energien lieferten noch einige Jahrzehnte stabile Renditen („Kuh melken solange es geht“).
Indem die Klimafrage als ökonomische Machtfrage gerahmt wird, enthält Divestment an dieser Stelle implizit eine kapitalmachtkritische Komponente, wodurch Verbindungen zu kapitalismuskritischen Aktivist/innen und Bewegungen entstehen, vgl. z. B. Klein (2015, S. 424–433); oder Solidaritätsbekundungen mit Aktionen von ‚Ende Gelände‘. Die Kritik verbleibt allerdings vorrangig auf der Verhaltensebene, weshalb sich die ‚gute‘ (klimafreundliche) Finanzmacht auch zum Protestinstrument und ökonomischen Hebel für den Klimaschutz wenden lässt.
Beim Divestment und den Proponent/innen klimabezogener Finanzpraktiken mischt sich ein aktivistisches wachstumskritisches Lager mit dem pragmatischen Lager grünen Wachstums. Die zivilgesellschaftliche Initiative problematisiert zwar Unternehmensmacht vor dem Hintergrund von Neoliberalisierung und entgrenzten Marktkräften, die die ökologische Krise anheizen; andererseits sucht sie die Machtmittel der neoliberalen Ordnung für die ökologischen Ziele zu nutzen, ohne sie im Kern zu hinterfragen (vgl. zu Thesen eines dynamischen, die ökologische Kritik in sich aufnehmenden Kapitalismus und wie sich Akteure der Kritik verändern Barth (2010). Vgl. zur neoliberalen Vermarktlichung sozialer Gerechtigkeit und deren Protestformen Soederberg (2009, 2010).
Mit dem Slogan „Wir sind das Investitionsrisiko“ setzten die Klimaaktivist/innen von ‚Ende Gelände‘ in einer ihrer Kampagnen zivilen Ungehorsams im Lausitzer Braunkohlerevier 2016 – während des Verkaufsprozesses durch Vattenfall – ihre Körper selbst ein, um ökonomische Wertverluste und Risiko für die nächsten Investor/innen zu realisieren.