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2014 | Buch

Die großen Schwellenländer

Ursachen und Folgen ihres Aufstiegs in der Weltwirtschaft

herausgegeben von: Andreas Nölke, Christian May, Simone Claar

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

Buchreihe : Globale Politische Ökonomie

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Über dieses Buch

Das Werk bietet einen grundlegenden Einstieg in Charakter, Dynamik und Ambivalenzen der aufsteigenden Schwellenländer Brasilien, Indien und China.​

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Ursachen und Folgen des Aufstiegs der großen Schwellenländer in der Weltwirtschaft: Perspektiven der Politikwissenschaft
Zusammenfassung
Der Aufstieg von großen „Schwellenländern“ wie Brasilien, Indien oder China gehört seit mehr als zehn Jahren zu den bestimmenden Themen der politikwissenschaftlichen Diskussion über Politik und Wirtschaft im globalen Raum. Die „Rising Powers“ weisen sehr hohe Wachstumsraten auf und werden, so sich dieser Trend fortsetzt, binnen einer Generation die Länder der Triade (Westeuropa, Japan und die USA) hinsichtlich ihres wirtschaftlichen Gewichts überholen. Wenn die anderen großen Schwellenländer Mexiko, Südafrika, die Türkei, Südkorea und Indonesien miteinbezogen werden, passiert dies sogar noch früher. Erwartet wird zugleich, dass diese Verschiebung nicht nur auf den wirtschaftlichen Bereich beschränkt bleibt, sondern auch weitreichende politische Konsequenzen haben wird. Große Schwellenländer sind inzwischen nicht nur in globalen Institutionen wie der G20 oder dem Internationalen Währungsfonds prominent vertreten; sie bilden zudem eigenständige Organisationsformen (z. B. im Rahmen der jährlichen BRICS-Summits oder der sicherheitspolitischen Shanghai Cooperation Organisation) und artikulieren gemeinsame Positionen im Rahmen der WTO sowie den Klima- und Biodiversitätskonferenzen.
Andreas Nölke, Christian May, Simone Claar

Formen und Ursachen des Aufstiegs der großen Schwellenländer

Frontmatter
Wirtschaftliche, politische und soziale Auswirkungen des Aufstiegs neuer Mittelschichten
Zusammenfassung
In der letzten Dekade ist das Einkommen von etwa einer Milliarde Menschen so stark gewachsen, dass vom „Wachstum einer globalen Mittelschicht“ gesprochen wird. Im Folgenden werden drei Fragen beantwortet: In welcher Hinsicht können die neuen Mittelschichten tatsächlich als Mittelschichten im klassischen Sinne verstanden werden? Welche wirtschaftlichen, politischen und sozialen Auswirkungen sind mit diesen Einkommenszuwächsen verbunden? Entsprechen sie den Modernisierungsprozessen westlicher Gesellschaften? Ergebnis der Analyse ist, dass (a) die Einkommen der neuen Mittelschichten gegenwärtig und in den nächsten Jahrzehnten erheblich unter denen der reichen Länder liegen werden und (b) die Verteilung politischer und wirtschaftlicher Macht in den meisten Schwellenländern nicht so gestaltet ist wie in Europa oder Nordamerika zu Beginn des letzten Jahrhunderts.
Alejandro Guarin, Mark Furness, Imme Scholz, Silke Weinlich
Brasilien, Indien und China. Unterschiedliche Transformationspfade in der Krise
Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht die unterschiedlichen ökonomischen Transformationsstrategien in drei großen Schwellenländern, Brasilien, Indien und China im Kontext der bislang zwei Phasen der Weltwirtschaftskrise seit 2008/09. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Krisenbearbeitungsstrategien und die damit verbundenen gesellschaftlichen Transformationen der drei Länder sich stark voneinander unterschieden. In Brasilien wurde die Krise als Chance genutzt, um eine Revitalisierung der entwicklungsstaatlichen Strategie voranzutreiben. In China leitete die Krise einen komplexen Strukturwandel ein, dessen Ausgang bisher noch ungewiss und zwischen Befürwortern einer weiteren Außenöffnung und Liberalisierung und Vertretern einer tiefergehenden sozial-korporatistischen Reorientierung umkämpft ist. Die indische Regierung setzte in der Krise dagegen auf die Verstetigung und Absicherung der graduellen Neoliberalisierung. Eine heterodoxe Wirtschaftspolitik wurde lediglich zwischenzeitlich zu Stabilisierungszwecken eingesetzt. Die These einer Konvergenz der B(R)IC(S)-Entwicklungsmodelle erscheint aufgrund dieser Tendenzen als fraglich.
Stefan Schmalz, Matthias Ebenau
Spielarten des inkorporierten Kapitalismus
Zusammenfassung
Auch wenn der moderne Kapitalismus als das universale ökonomische Interaktionsmuster in einer globalisierten Welt gelten kann, so steht er doch für eine asymmetrische Entwicklung. Welche Spielarten des Kapitalismus sich dabei auch und gerade im globalen Süden herausbilden, ist die zentrale Frage dieses Beitrags. Entlang überwiegend makroökonomischer Faktoren untersuchen die Autoren mit einer Cluster- und Varianzanalyse die strukturellen Muster des globalen Kapitalismus. Dabei lassen sich die von Hall und Soskice formulierten liberalen und koordinierten Typen ebenso nachweisen wie eine südosteuropäische Spielart. Ein neuer Befund ist die Existenz eines quer zu Nord und Süd liegenden Finanzmarkt-Clusters. Für den globalen Süden können sowohl transregionale als auch regionale Gruppen gebildet werden, die sich in Performanz und institutioneller Ausgestaltung unterscheiden. Während die Rentenökonomie eine konsistente Gruppe bilden, kann die These einer BRIC-Variante des Kapitalismus eindeutig widerlegt werden. Gemeinsam ist den Clustern des globalen Südens die Rolle des Staates als (zentraler) kapitalistischer Akteur, der die Ökonomie inkorporiert und kontrolliert.
Daniel Buhr, Rolf Frankenberger
Die Kultur des Kapitalismus in Brasilien, Indien und China
Zusammenfassung
Die Gleichsetzung von „Kapitalismus“ und „Marktwirtschaft“ ist für große Schwellenländer wie Brasilien, Indien oder China problematisch, da für die Koordination der Ökonomie nicht alleine das Marktprinzip gültig ist. Auf theoretischen Überlegungen Polanyis und empirischen Studien über die Rolle persönlicher Loyalität in diesen Ländern zurückgreifend, stellt der Beitrag die spezifische Funktion der Reziprozität als zentrales Merkmal der wirtschaftlichen Steuerung heraus. Aufgrund des starken Einflusses von Reziprozität auf die Wirtschaftsordnung kann daher von einer spezifischen „Kultur des Kapitalismus“ in großen Schwellenländern gesprochen werden, die zur Erklärung dessen Aufstiegs beitragen kann.
Christian May
Dezentralisierung und Demokratisierung als Katalysatoren des Wirtschaftsaufschwungs in Indonesien
Zusammenfassung
In den letzten Jahren hat sich Indonesien mit einem bemerkenswerten ökonomischen Aufschwung vom Entwicklungs- zum Schwellenland gewandelt. Die Ursachen dieses Wirtschaftswunders sind vielfältig. Der Autor belegt, dass die nach dem Zusammenbruch des autoritären Regimes im Jahr 1998 eingeleiteten Demokratisierungsund Dezentralisierungsprozesse die Hauptauslöser des enormen wirtschaftlichen Wachstums waren. Diese Analyse widerspricht damit dem ostasiatischen Entwicklungsmodell, in dem ökonomisches Wachstum vor allem durch entwicklungslenkende Staaten mit autoritärem und zentralistischem System erreicht wurde. Das Fallbeispiel Indonesien zeigt, dass das klassisch-liberale Entwicklungsmodell auch weiterhin Bedeutung zur Erklärung von positiver Wirtschaftsentwicklung in Entwicklungsländern hat.
Patrick Ziegenhain
Strukturelle Dilemmata des langen Wirtschaftsaufschwungs in China
Zusammenfassung
Das chinesische Wirtschaftswachstum stellt mittlerweile jeden anderen langen Aufschwung der neueren Geschichte in den Schatten. Der Beitrag stellt wesentliche Ursachen dieses „Wirtschaftswunders“ vor, etwa die Vorteile günstiger weltwirtschaftlicher Umstände, einer nachholenden Entwicklung und von effizienten staatlichen Steuerungskapazitäten. Dabei zeigt sich, dass genau diejenigen Merkmale, die als Quellen des wirtschaftlichem Erfolgs gelten – wie die Exportorientierung, eine angebotsorientierte, Lohn- und Verteilungsfragen kaum berücksichtigende Politik sowie die streng nach ökonomischem Wachstum strebenden lokalen Entwicklungsstaaten –, zu strukturellen Dilemmata der Wirtschaftsentwicklung führen.
Tobias ten Brink

Wirtschaftspolitische Strategien der großen Schwellenländer

Frontmatter
Die industriepolitische Transformation der ostasiatischen Entwicklungsstaaten
Zusammenfassung
Gegenstand des Beitrags ist die institutionelle Transformation industriepolitischer Strategien in Ostasien. Auf den Erfahrungen der japanischen Wirtschaftsentwicklung aufbauend haben ostasiatische Schwellenländer wie Südkorea, Taiwan und Singapur ein historisch einmaliges Wirtschaftswachstum generiert. Kontrovers diskutiert wird allerdings die Frage, welche Rolle dabei die industriepolitische Steuerung wirtschaftlicher Entwicklung, gespielt hat – und inwiefern entsprechende Erfolge auch für die Zukunft zu erwarten sind. Im Kern dieser Auseinandersetzung steht das institutionalistische Konzept des Entwicklungsstaates, das die Beziehungen zwischen staatlichen Apparaten und Privatsektor als Grundlage industriepolitischer Gestaltungsfähigkeit betrachtet, wobei Spätindustrialisierung und aufholendes Wirtschaftswachstum mit einer institutionellen Transformation der staatlichen Steuerungskapazität einhergehen. Vor diesem Hintergrund wird im vorliegenden Text die These aufgestellt, dass sich die ostasiatischen Entwicklungsstaaten im Übergang zum neuen Typ des „Unternehmerstaates“ befinden, der die Generierung von Innovationen in den Mittelpunkt industriepolitischer Strategien stellt. Diese Transformation vollzieht auf der Grundlage der Neugestaltung industriepolitischer Strategien von der adaptiven Technologieassimilation zur kreativen Technologiegenerierung.
Alexander Ebner
Innovationssysteme in Brasilien und Mexiko im Vergleich
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag untersucht anhand der Debatte um Innovation in Mexiko und Brasilien, wie der Innovationsdiskurs, der auf dem westlich geprägten Konzept der nationalen Innovationssysteme basiert, von Schwellenländern aufgegriffen und in eigener Weise gedeutet wird. Beide Länder verfügen über ein etabliertes Geflecht an Institutionen im Bereich der Innovationspolitik und investieren in Forschung und Entwicklung. Ein wichtiges Element im Rahmen einer Entwicklungsstrategie sind funktionale Innovationssysteme. Durch den Vergleich von Institutionen, Policies und politischen Auseinandersetzungen in Brasilien und Mexiko stellt sich heraus, dass in beiden Ländern bedeutende, traditionsreiche Wissenschaftssysteme bestehen. Deren Leistung schlägt sich aber kaum in der Innovationsfähigkeit der Unternehmen nieder. Ein Unterschied zeigt sich in den Rahmenbedingungen: Während im Fall Mexikos sich das Korsett des North American Free Trade Agreements (NAFTA) besonders einengend auswirkt, hat sich Brasilien in den letzten Dekaden größere Handlungsspielräume erarbeitet, die sich auch positiv auf die Innovationsbedingungen auswirken.
Patricia Graf, Thomas Stehnken
Rohstoffe und Entwicklungsstrategien in Lateinamerika
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, welche Auswirkungen Reprimarisierung und der Umgang mit ihr auf die Verfolgung von Entwicklungsstrategien haben. Überdies wird analysiert, inwieweit Strategien regionaler Integration und Kooperation vor dem Hintergrund subregionaler Asymmetrien mit der Rohstoffexportorientierung in Zusammenhang stehen bzw. andere Entwicklungsstrategien begünstigen können. Als theoretische Basis dient die Regulationstheorie, die mit politökonomische Theorien nachholder Industrialisierung sowie zur Rolle des Geldes/Finanzialisierung und der geopolitischen Dimensionen der Rohstoffe ergänzt wird. Darauf aufbauend werden Brasilien, Venezuela und Chile als Fallbeispiele dargestellt, die unterschiedliche Strategien der Reprimarisierung verfolgen: (1) Brasilien setzt auf Agrobusiness als Teil einer Strategie der entwicklungsstaatlichen Industrialisierung, (2) Venezuela hingegen auf Erdölexporte mit partieller Sozialisierung der Erdölrente. Beide Staaten suchen nach politischen Lösungsansätzen jenseits des Neoliberalismus. (3) Chile wird dazu kontrastierend als stärker wirtschaftsliberal orientiertes Land mit traditionell dominantem Kupfersektor gewählt. Es wird argumentiert, dass trotz Reprimarisierung der Exportstruktur wesentliche Unterschiede in den Entwicklungsstrategien auszumachen sind. Diese sind vor dem Hintergrund nationaler politökonomischer Prozesse sowie im Kontext regionaler Interaktionsmuster zu verstehen.
Johannes Jäger, Bernhard Leubolt
Handelspolitik als Entwicklungsmotor in Südafrika
Zusammenfassung
Seit dem Ende der Apartheid ist Südafrika auf der Suche nach einem Entwicklungsmodell zur Überwindung der gravierenden sozio-ökonomischen Herausforderungen. Nach einer langen Phase der Neoliberalisierung in den 1990er Jahren erlebte die Diskussion zur Mitte der 2000er eine Reorientierung zum Entwicklungsstaat. Neben den akademischen Debatten entwickelte die Regierung auch einen Industrieentwicklungsplan, in dem die Handelspolitik als Säule der Industriepolitik als auch die Rolle des Staates gestärkt wurde. Daher befasst sich dieser Beitrag mit den praktischen und politischen Problemen der Umsetzung einer entwicklungsstaatlich ausgerichteten Handels- und Industriepolitik in Südafrika. Dabei wird skizziert, inwiefern sich Charakteristika des asiatischen Entwicklungsstaates, wie z. B. politische Rahmenbedingen, elitäre Staatsbürokratie, staatliche Intervention sowie Staats- Unternehmens-(Gewerkschafts-) Beziehungen sich in der Industrie- und Handelspolitik wiederfinden.
Simone Claar
Chinas Staatsfonds-Strategie. Klassenfraktionen und globale politische Ökonomie
Zusammenfassung
Die Wirtschafts- und Finanzkrise führt zu einer fundamentalen Transformation der heutigen globalen Ordnung. Chinas wirtschaftlicher und politischer Aufstieg ist dabei nicht von unwesentlicher Bedeutung. Chinas Einfluss in der Global Governance (z. B. innerhalb der G20), in der Energiesicherung, sowie in Finanz- und Handelsfragen ist gestiegen. Insbesondere drängt sich die Frage auf, welche Auswirkungen die chinesischen Finanzreserven sowie deren Verwendung haben. Bisher wurde der größte Anteil davon in US-Staatsanleihen investiert und hält somit den Massenkonsum in den USA am Laufen. Aufgrund der Bedeutsamkeit des chinesischen Finanzsektors stellt sich zunehmend die Frage, inwieweit von einem einheitlichen chinesischen „Sovereign Wealth Fund“ gesprochen werden kann. Und wie spiegelt sich das in der chinesischen Politik wider? Welchen Einfluss hat die Staatsfonds-Strategie auf die globalen Kräfteverhältnisse? Dieser Beitrag bringt die verschiedenen Aspekte zu den chinesischen Staatsfonds zusammen und analysiert deren Strategie im Kontext der widersprüchlichen Dynamiken der chinesischen Klassen aus einer globalen Perspektive.
Henk Overbeek
Die finanzialisierte Akkumulationsstrategie der Türkei und ihre Risiken
Zusammenfassung
Das durch hohe Wachstumsraten gekennzeichnete ökonomische Entwicklungsmodell der Türkei bildet die materielle Grundlage für ihren regionalen Führungsanspruch. Der Verlauf der globalen ökonomischen Krise scheint diesen Anspruch zu bestätigen: die Türkei überwand die Krise wider Erwarten ohne Finanzhilfen internationaler Organisationen. Der Beitrag zeigt die ökonomischen Grundlagen des Wachstumsmodells auf und lenkt den Blick auf seine sozialen Voraussetzungen und Risiken. So ist die Anfälligkeit gegenüber dem Abzug von internationalem Finanzkapital keineswegs überwunden. Die Aufrechterhaltung der Attraktivität für kurzfristiges internationales Anlagekapital bedingt eine Beschleunigung der inländischen Kapitalakkumulation. Eindeutige Gewinnerin dieses Modells ist die expandierende Bourgeoisie, während die Mittelklassen durch einen kreditfinanzierten Konsumboom partizipieren. Die Kehrseite ist eine zunehmende Verschuldung von Privathaushalten und -unternehmen. Im Falle einer Finanzkrise droht eine Pleitewelle. Die Informalisierung und Fragmentierung von Arbeitsverhältnissen sowie ‚Akkumulation durch Enteignung‘ prägen dagegen die Reproduktionsverhältnisse der unteren Schichten der Lohnabhängigen.
Errol Babacan

Die großen Schwellenländer in den Süd-Süd-Beziehungen

Frontmatter
Die politische Ökonomie regionaler Macht. Die Türkei unter der AKP
Zusammenfassung
Im letzten Jahrzehnt konnte die Türkei zu einer neuen Regionalmacht im Nahen Osten aufsteigen. Während dieser Prozess bislang hauptsächlich auf die neue wirtschaftspolitische Ausrichtung unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan und die ideelle Einbettung des Außenministers Ahmet Davutoğlu zurückgeführt wird, verweist dieser Beitrag auf sich verstärkende Wechselwirkungen zwischen innen- und regionalpolitischen Faktoren und Konfliktstrukturen. Die Türkei wirkte in den letzten Jahren als besondere Regionalmacht, da sie wichtige Vermittlerpositionen im regionalen Kräftefeld einnahm und weil die Regierung die externen, ideell aufgeladenen Zuschreibungen innenpolitisch als Machtressource im Wettstreit mit dem kemalistischen Militär nutzen konnte. Mit den arabischen Umbrüchen ab 2011 stehen türkische Eliten nun vor der für sie neuen Herausforderung, diese Macht in einem veränderten regionalen Umfeld anzuwenden.
Roy Karadag, André Bank
Chinas Engagement in Afrika im Bereich der Rohstoffförderung und Textilindustrie
Zusammenfassung
Das steigende Engagement chinesischer Akteure in Afrika führt nicht nur zu einer wachsenden Bedeutung der chinesisch-afrikanischen Wirtschafts- und Entwicklungsbeziehungen, sondern auch zu der Frage, ob sich innerhalb dieser Beziehungen eigenständige entwicklungs- und wirtschaftspolitische Konzeptionen herausbilden. Wenn ja, gelingt es chinesischen Akteuren diese in afrikanischen Staaten in Form eines gegenhegemonialen Beijing Consensus als Alternative zu den Leitbildern des Washington Consensus zu platzieren? Anhand von Kooperationen im Rohstoff- und Textilsektor zeigt der Artikel, dass sich in den chinesisch-afrikanischen Beziehungen zwar spezifische Merkmale eines „Beijing Consensus“ wiederfinden lassen – insbesondere die politische Nichteinmischung und nationale Souveränität sowie eine gewisse ordnungspolitische Vielfalt. Dessen Umsetzung erfolgt jedoch nur bruchstückhaft, den Interessenlagen und Einbindung in (globale) marktorientierte Verwertungsstrukturen folgend sowie oftmals ohne die zivilgesellschaftliche Zustimmung, die für eine nachhaltige Verschiebung der bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse notwendig wäre. Dennoch erlangen afrikanische Staaten durch die Diversifizierung ihrer Entwicklungs- und Wirtschaftsbeziehungen erweiterte Handlungsspielräume und Entwicklungsperspektiven.
Nina Ulbrich
Brasilien, Indien, China und Südafrika in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Auswirkungen auf das traditionelle Geberregime
Zusammenfassung
Die Entwicklungszusammenarbeit der wichtigsten Schwellenländer, der BICS-Staaten (Brasilien, Indien, China und Südafrika) erfährt steigende Aufmerksamkeit. Weniger erforscht sind jedoch zwei Fragen, mit denen sich der vorliegende Artikel auseinandersetzt: (1) Was unterscheidet aufstrebende von traditionellen Geberländern und (2) welche Auswirkungen können diese Unterschiede auf das traditionelle Geberregime haben? Der vorliegende Artikel argumentiert, dass der Einfluss neuer Geber eine Verstetigung des traditionellen Geberregimes bewirkt. Das hat zur Konsequenz, dass (1) die Norm der Konditionalität von traditionellen Geberländern verstärkt umgesetzt wird, was eine Abgrenzung gegenüber neuen Geberländern bewirkt und dass sich (2) der Druck auf die traditionellen Geber erhöht, triangulare Kooperationen einzugehen, um einen gewissen Einfluss auf Empfängerländer sowie neue Geberländer zu wahren. Durch die Verstetigung des traditionellen Regimes grenzen sich die Entwicklungspolitiken beider Gebergruppen weiter ab. Ein intensiver Austausch zwischen beiden Gebergruppen in internationalen Institutionen ist notwendig, um negative Konsequenzen dieser Diversifizierung für Empfängerländer zu vermeiden.
Milena Elsinger
Aufstrebende Schwellenmächte in den Vereinten Nationen
Zusammenfassung
Der ökonomische Aufstieg von China, Indien, Südafrika und Brasilien macht diese Länder zu wichtigen Gebern in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Verwandeln die großen Schwellenländer ihre neue Position in gestiegenen Einfluss im Entwicklungsregime der Vereinten Nationen (VN), und wenn nein, warum nicht? Eine Analyse der a) Finanzbeiträge zum VN-Entwicklungssystem, b) der Süd-Süd- Kooperation innerhalb der VN und c) der Haltung der vier Länder in Bezug auf das Development Cooperation Forum zeigt, dass die Staaten weitestgehend auf ihren traditionellen Status als Empfängerländer in VN-Entwicklungssystem beharren und gegenüber einem als dominant bezeichneten Lager der Industrieländer ihren Status als Entwicklungsländer verteidigen. Diese Zurückhaltung kann dadurch erklärt werden, dass ein verändertes Verhalten materielle und politische Kosten verursacht, die den potentiellen Nutzen übersteigen würden. Aber auch der gemeinsame Erfahrungshorizont als Entwicklungsland und die jahrzehntelange Abgrenzung von traditionellen Geberländern machen es schwierig, eine neue Rolle zu finden.
Silke Weinlich, Thomas Fues

Implikationen des Aufstiegs der großen Schwellenländer für die globale politische Ökonomie

Frontmatter
Die Macht des Südens in der globalen Klimapolitik
Zusammenfassung
Die Macht des Südens in der Klimapolitik wird meist als historisch gering eingeschätzt. Die gängigen Darstellungen interpretieren den Süden daher historisch als Opfer und beurteilen den zu beobachtenden Aufstieg einzelner mächtig werdender Staaten wie China oder Indien als strukturell negativ, da diese eine Vetospielerposition einnehmen würden. Eine differenzierte Analyse anhand von drei Dimensionen von Macht (instrumentell, strukturell sowie diskursiv) zeigt jedoch, dass sowohl der Süden insgesamt wie auch einzelne südliche Staaten in der Lage sind, die globale Klimapolitik instrumentell zu beeinflussen, strukturell zu verändern und in Ansätzen diskursiv zu dominieren. Mehrere aktuelle Beispiele aus den internationalen Verhandlungen wie auch Entwicklungen innerhalb der BASIC-Gruppe (Brasilien, Südafrika, Indien und China) zeigen, dass der Süden nicht nur an Macht gewonnen hat, sondern diese in einzelnen Bereichen auch progressiv im Sinne eines verbesserten Klimaschutzes einzusetzen weiß. Der Beitrag beurteilt damit den Aufstieg des Südens in der globalen Klimapolitik als ein überwiegend positives Phänomen.
Markus Lederer
Aufstrebende Mächte in der internationalen Energie-Governance
Zusammenfassung
Dieser Beitrag betrachtet die Energiepolitik der vier „Emerging Powers“ China, Indien, Brasilien und Südafrika in der internationalen Energiepolitik. Ein kurzer Überblick internationaler Energiebeziehungen befasst sich mit Fragmentierung und institutionellem Wandel auf diesem Politikfeld. Darauf folgen vier Länderkapitel, welche jeweils auf die Binnenstruktur energie-politischen Regierens eingehen, dann die Aktivitäten in der Energieaußenpolitik schildern, Problematiken und Entwicklungstendenzen erläutern und die normative Rahmung der Energiepolitik benennen. Abschließend bilanzieren wir, wie die vier Staaten in der internationalen Energiepolitik repräsentiert sind und stellen fest, dass sich die Verschiebung globaler Kräfteverhältnisse hin zu einer multipolaren Weltordnung in der Energiepolitik bisher ambivalent äußert: in der Koexistenz von Institutionen, die eher die OECD-Welt abbilden; aber auch – und dafür steht IRENA, die International Renewable Energy Agency – in der Schaffung einer neuen Institution, welche hohe Attraktivität gerade für Staaten des globalen Südens aufweist.
Michèle Knodt, Franziska Müller, Nadine Piefer
Schwellenländer als neue Akteure globaler Normsetzung am Beispiel des Patentschutzes auf Medikamente
Zusammenfassung
Geistige Eigentumsrechte gehören zu den umkämpftesten Feldern der internationalen Politik. Mit dem TRIPS-Abkommen der WTO wurde ein bestimmtes Konzept von Patenten und entsprechenden Aushandlungsprozessen weltweit durchgesetzt, was als Indiz für die Schwäche der Länder des Südens und die Dominanz der Industrieländer gesehen werden kann. Seit 2007 hat sich jedoch durch das Vorgehen der thailändischen und brasilianischen Gesundheitsministerien die Praxis von Zwangslizensierungen etabliert, die es erlaubt, den Patentschutz auf Medikamente aufzuweichen. Der konflikthafte Aushandlungsprozess, durch den Zwangslizensierungen etabliert wurden, deutet einerseits auf geänderte globale Kräfteverhältnisse hin, in denen Schwellenländer eine neue Rolle spielen. Andererseits fällt jedoch auf, dass die involvierten Akteure weniger nationalstaatliche Regierungen sind, als vielmehr transnational organisierte und agierende Interessengruppen. Zudem werden globale Interessenkonflikte weniger in klassischen internationalen Foren als vielmehr an Orten wie des thailändischen Gesundheitsministeriums oder informellen Treffen von Ministerialbürokraten ausgetragen. Der Beitrag argumentiert daher, dass die Durchsetzung von Zwangslizensierungen nicht durch klassische Theorien der Internationalen Beziehungen erfasst werden kann, sondern ein Beispiel für die Internationalisierung und Transnationalisierung des Staates darstellt.
Wolfram Schaffar
Die BRIC(S) in der globalen politischen Ökonomie: Weltordnungspolitische Perspektiven der Europäischen Union
Zusammenfassung
Der Aufstieg der BRIC(S)-Staaten geht mit deren wachsender internationaler Kooperationsbereitschaft einher. Da die Versuche der EU, die multilaterale, interregionale und bilaterale Kooperation – letztere vor allem durch den Aufbau „strategischer Partnerschaften“ – zu stärken, bislang vielfach unbefriedigend geblieben sind, scheint sie nun zunehmend bemüht, gleichsam im Spannungsfeld von multilateraler Einbindung und „soft balancing“, ihr Gestaltungsrepertoire zu erweitern. In den Bereichen der wirtschafts-, handels- und finanzpolitischen, vielleicht sogar umweltpolitischen Kooperation, gibt es in diesem Sinne durchaus einige Kooperationspotenziale. Etwas schwieriger stellen sich hingegen die Beziehungen in der internationalen Energiepolitik dar, die zunehmend konfliktiv aufgeladen und „versicherheitlicht“ wird. Insgesamt zeigt sich, dass die Beziehungen der EU zu den BRIC(S)-Staaten vornehmlich durch bilaterale Machtbeziehungen gekennzeichnet sind, die ihrerseits nur partiell durch rechtlich-multilaterale oder normbasiert-interregionale Kooperationsformen flankiert werden. Entsprechend hat sich die EU in der Vergangenheit schwer getan, ihren rechts- und normbasierten Gestaltungsansatz gegenüber den BRICS-Staaten geltend zu machen.
Hans-Jürgen Bieling
Hegemoniale Rivalität. Brasilien, China und die USA in Lateinamerika
Zusammenfassung
Die zumeist ökonomische Bedeutungszunahme der südlichen Schwellenländer wird oft als Machtverlust der Vereinigten Staaten interpretiert. Der vorliegende Beitrag setzt sich kritisch mit dieser Annahme auseinander, indem er Aktivitäten und Machtpotenziale Chinas, Brasiliens sowie der USA in Lateinamerika vergleicht. Als „traditioneller Hinterhof “ US-amerikanischer Außenpolitik sowie Zielgebiet zunehmender Bemühungen sowohl Chinas als auch Brasiliens eignet sich die Region daher, um Form und Ausmaß einer gegebenenfalls aufkeimenden hegemonialen Rivalität zu untersuchen. Analytisch wird vorgeschlagen, die Aktivitäten der relevanten Akteure in den vier Bereichen militärischer, ökonomischer und institutioneller Macht sowie „soft power“ zu untersuchen. In der Summe ist dabei festzuhalten, dass aufzeigbare Machtveränderungen – jenseits einer selektiven Präsentation bzw. einer deterministischen, automatisch politische Folgen unterstellenden, Interpretation ökonomischer Trends – je nach untersuchtem Politikfeld deutlich variieren.
Alexander Brand, Susan McEwan-Fial, Wolfgang Muno, Andrea Ribeiro-Hoffmann
Brasilien, Indien, China und die Institutionen der globalen Wirtschaftsregulierung
Zusammenfassung
Vielfach wird angenommen, dass der Aufstieg der großen Schwellenländer auch die Spielregeln der globalen Wirtschaftsordnung verändern wird, die bisher maßgeblich von den Ländern der Triade (USA, EU und Japan) geprägt wurde. Tatsächlich gibt es Anhaltspunkte für entsprechende Konflikte, angeregt etwa durch die Rolle Brasiliens und Indiens in der WTO. Andererseits existieren auch erhebliche Zweifel an der revolutionären Rolle dieser Staaten, etwa wenn China als „Status Quo“-Macht in der globalen Finanzmarktregulierung dargestellt oder das wachsende Interesse von indischen Multis an einem wirksamen Schutz intellektueller Eigentumsrechte hervorgehoben wird. Das Puzzle dieses Beitrags liegt also im Kontrast zwischen der Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung auf Seiten einzelner Vertreter von Schwellenländern einerseits und der dann doch recht konventionellen Eingliederung der entsprechenden Regierungen in bestehende ordnungspolitische Muster andererseits. Erklärt wird die Beobachtung damit, dass das sich in den großen Schwellenländern herausbildende Wirtschaftsmodell kompatibel mit der aktuellen institutionellen Struktur der Weltwirtschaftsordnung ist (insbesondere angesichts deren in vielen Bereichen wenig durchgreifenden Implementation) und die dissidente Rhetorik vor allem zur innenpolitischen Legitimitierung dieses hochgradig ungleichen Wirtschaftsmodells dient.
Andreas Nölke
Backmatter
Metadaten
Titel
Die großen Schwellenländer
herausgegeben von
Andreas Nölke
Christian May
Simone Claar
Copyright-Jahr
2014
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Electronic ISBN
978-3-658-02537-3
Print ISBN
978-3-658-02536-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-02537-3