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Open Access 2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

2. Die Haltung der Politik zu Digitalthemen mit Wirtschaftsbezug

Ergebnisse einer Befragung von Kandidierenden anlässlich der Schweizer Wahlen 2019

verfasst von : Daniel Schwarz, Jan Fivaz, Alessia Neuroni

Erschienen in: Digital Business

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Der Handlungsrahmen von Digital Business hängt wesentlich von den Haltungen der politischen Entscheidungsträger ab. Im Vorfeld der Schweizer Wahlen 2019 wurden sämtliche Kandidierende zu ihrer Einstellung gegenüber verschiedensten Aspekten der Digitalisierung befragt. Der Beitrag wertet gezielt digitalpolitische Fragen mit Wirtschaftsbezug aus. Auf diese Weise wird ein Bild des in der Schweizer Politik vorherrschenden Bewusstseins und der Einstellungen gegenüber den Herausforderungen der Digitalisierung in der Wirtschaft gezeichnet. Es wird aufgezeigt, dass bei Themen wie der Verstärkung von Umschulungsangeboten oder der Verankerung internationaler Leitlinien für den Einsatz von künstlicher Intelligenz unter den Parteien breiter Konsens besteht. Hingegen herrschen bei Fragen des Arbeitnehmerschutzes oder bei sozialpolitischen Forderungen wie derjenigen eines bedingungslosen Grundeinkommens Konfliktmuster vor, die aus der Alltagspolitik bekannt sind. Für eine politisch erfolgreiche Bewältigung der digitalen Transformation wird es letztlich entscheidend sein, dass die Sensibilisierung für das Thema in Politik und Öffentlichkeit weiter vorangetrieben wird.

2.1 Einleitung

Der Handlungsrahmen von Digital Business hängt wesentlich von den Haltungen der politischen Entscheidungsträger ab. Für die digitale Transformation der Wirtschaft macht es einen großen Unterschied, ob die Politik die Digitalisierung im Allgemeinen und diejenige des Wirtschaftslebens im Besonderen optimistisch als Chance begreift oder einen überwiegend skeptischen Blick auf die Veränderungsprozesse wirft. Das vorherrschende politische Klima bezüglich der Digitalisierungspolitik entscheidet darüber, wie hoch die administrativen Hürden für die erfolgreiche Umsetzung von Geschäftsmodellen in der digitalen Welt sind. In föderalen Staaten wie der Schweiz gilt dies selbstredend für die Ebene des Bundes ebenso wie für die Kantone und Gemeinden.
Im Vorfeld der Schweizer Wahlen vom Oktober 2019 haben wir im Rahmen des Projekts „Digitalisierungsmonitor 2019“ sämtliche Kandidierende, die sich für einen Sitz in einer der beiden Parlamentskammern beworben haben, zu ihren Einstellungen gegenüber unterschiedlichen Facetten der Digitalisierung befragt (vgl. Schwarz und Fivaz 2020). Anhand dieser Daten lassen sich aufschlussreiche Erkenntnisse über die digitalpolitische Grundstimmung innerhalb der parteipolitisch engagierten Elite, welche die aktuellen und zukünftigen Entscheidungstragenden umfasst, hinsichtlich des fortschreitenden Digitalisierungsprozesses in verschiedensten Bereichen der Politik, Gesellschaft und Wirtschaft gewinnen.
Dieser Beitrag nimmt eine Auswertung der allgemeinen Werthaltungen sowie von Fragen, die einen unmittelbaren Wirtschaftsbezug aufweisen, vor und zeichnet auf diese Weise ein Bild des in der Schweizer Politik vorherrschenden Bewusstseins und der Einstellungen gegenüber den Herausforderungen der Digitalisierung.

2.2 Das Digitalisierungsmonitorprojekt

Künstliche Intelligenz, Big Data und Automatisierung sind nur einige der Ausprägungen der Digitalisierung, die gerade dabei sind, die Strukturen unserer Wirtschaft grundlegend zu verändern. Alle Beteiligten – die Bürger, die Wirtschaft und die Wissenschaft – erwarten von der Politik zukunftsweisende Entscheide bezüglich des Wegs, den die Schweiz in den nächsten Jahren angesichts dieser Herausforderung einschlagen soll. Vor diesem Hintergrund lancierte das Institut Public Sector Transformation (IPST) der Berner Fachhochschule BFH in Kooperation mit den Universitäten Zürich und Genf sowie mit der Online-Wahlhilfe „smartvote“ und dem ICT- und Online-Branchenverband Swico im Vorfeld der Schweizer Wahlen 2019 das Projekt „Digitalisierungsmonitor 2019“. Dieses hatte sich zum Ziel gesetzt, zum einen die Digitalisierung als Wahlkampfthema stärker auf der Agenda der Kandidierenden zu positionieren und zum anderen nicht nur die Kandidierenden, sondern auch die Wähler vermehrt für die Thematik zu sensibilisieren. Dazu wurde eine Umfrage bezüglich der Positionen zu wesentlichen Dimensionen der Digitalisierung unter sämtlichen Kandidierenden durchgeführt.
Der Fragebogen umfasste insgesamt 20 Fragen, die aus einem kollaborativen Prozess der fünf Projektpartner und ihrer Netzwerke hervorgegangen waren. Der Digitalisierungsmonitor war als Zusatzumfrage zum normalen, thematisch breit gefächerten Fragebogen der Online-Wahlhilfe „smartvote“ konzipiert. Sämtliche 4736 Kandidierende hatten über ihr „smartvote“-Benutzerkonto direkten Zugang zum Fragebogen. Die Umfrage war vom Juni bis Ende November 2019 zur Beantwortung online aufgeschaltet.1
Die Fragen des Digitalisierungsmonitors wurden von 1046 Kandidierenden vollständig beantwortet.2 Dies entspricht einer Teilnahmequote von 22,1 Prozent. Im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Umfragen sowie den zahlreichen Umfragen von Interessenverbänden und Medien, die vor Wahlen regelmäßig durchgeführt werden, erweist sich die Beteiligung am Digitalisierungsmonitor als eher überdurchschnittlich und kann aus dieser Perspektive als zufriedenstellend betrachtet werden.
Die Tab. 2.1 stellt die Beteiligung an der Umfrage insgesamt sowie aufgeschlüsselt nach Partei, Geschlecht, Altersgruppe und Sprachregion dar. Im Vergleich zur Gesamtbeteiligung am Digitalisierungsmonitor haben sich vor allem Kandidierende der Grünliberalen (GLP) und der Grünen überdurchschnittlich beteiligt, während die Teilnahme der Kandidierenden der Schweizerischen Volkspartei (SVP) unterdurchschnittlich ausfiel.3 Hinsichtlich des Geschlechts haben sich an der Befragung Kandidatinnen weniger oft beteiligt. Bezüglich des Alters zeigt sich eine unterdurchschnittliche Teilnahme der über 65-Jährigen. Nach Sprachregion sind es die italienischsprachigen Kandidierenden, welche deutlich weniger oft den Fragebogen beantwortet haben als die Kandidierenden aus der deutsch- und französischsprachigen Schweiz. Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich sämtliche Beobachtungen bezüglich der gruppenspezifischen Beteiligungsunterschiede mit den Erfahrungen aus der breiter angelegten „smartvote“-Umfrage decken (vgl. Fivaz et al. 2020).
Tab. 2.1
Beteiligung nach Partei, Geschlecht, Alter und Sprache
 
Kandidierende insgesamt
Teilnehmende Digitalisierungsmonitorinsgesamt (in % aller Kandidierenden)
Total
4736
1046 (22,1)
Partei
  
CVP
722
161 (22,3)
FDP
541
114 (21,1)
GLP
478
158 (33,1)
Grüne
461
132 (28,6)
SP
611
135 (22,1)
SVP
581
94 (16,2)
Übrige
1342
252 (18,8)
Geschlecht
  
Weiblich
1893
337 (17,8)
Männlich
2843
709 (24,9)
Alter
  
18–34 Jahre
1941
429 (22,1)
35–64 Jahre
2394
560 (23,4)
65+ Jahre
398
56 (14,1)
Sprache
  
Deutsch
3618
805 (22,2)
Französisch
961
223 (23,2)
Italienisch
157
18 (11,5)
Da alle am Digitalisierungsmonitor teilnehmenden Kandidierenden auch den „smartvote“-Fragebogen ausgefüllt haben, konnten die Antworten dieser Gruppe mit den Antworten der rund viermal größeren Gruppe aus der „smartvote“-Befragung verglichen werden. Der Vergleich der Antwortmuster der beiden Gruppen zeigt innerhalb der Parteien weitgehend vergleichbare Antwortmuster. Die tiefere Antwortquote beim Digitalisierungsmonitor hat somit kaum zu systematischen Verzerrungen geführt, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass die Daten des Digitalisierungsmonitors auf die sechs Parteien bezogen ein verlässliches und aussagekräftiges Bild wiedergeben (Fivaz et al. 2020). Dennoch lässt sich aus der Tatsache, dass sich „nur“ ein knappes Viertel der Kandidierenden am Digitalisierungsmonitor beteiligt hat, eine erste Erkenntnis ableiten, dass das Thema der Digitalisierung in den Augen vieler Kandidierender offenbar eine weniger zentrale Bedeutung einnimmt, als eigentlich zu erwarten wäre.

2.3 Die Positionierung gegenüber Digitalthemen

Dieser Abschnitt widmet sich den Resultaten der Befragung mit Blick auf die Einschätzungen und Meinungen der Kandidierenden zu wirtschaftlichen Aspekten der Digitalisierung. Einleitend werden zunächst Fragen zu allgemeinen Einschätzungen über die Auswirkungen der Digitalisierung ausgewertet. Danach folgen spezifischere Themen, welche die Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft betreffen. Es sind dies Fragen zur Digitalisierung in der Arbeitswelt, zu Reformen des Steuersystems, zu Aspekten der künstlichen Intelligenz (KI) sowie zum Schutz der Privatsphäre.

2.3.1 Allgemeine Einschätzungen zur Digitalisierung

Die große Mehrheit unter den Kandidierenden aller Parteien ist in ihrer beruflichen Tätigkeit (oder im Rahmen ihrer Ausbildung) stark von der Digitalisierung betroffen. Auf die Frage „Wie stark prägen das Internet sowie digitale Anwendungen und Dienstleistungen Ihren Alltag in Beruf oder Ausbildung?“ geben zwischen 86 Prozent bei den Grünen und 96 Prozent bei den FDP-Kandidierenden an, dass ihr Alltag davon stark geprägt ist (vgl. Abb. 2.1).
Die starke Betroffenheit durch digitale Anwendungen geht mit einer insgesamt recht positiven Einschätzung der gesamthaften Auswirkungen der Digitalisierung einher. Zwar sind nur bei der FDP mit 70 Prozent und der GLP mit 55 Prozent eine Mehrheit der Kandidierenden davon überzeugt, dass die bisherige digitale Entwicklung „deutlich“ positive Auswirkungen gebracht hat. Doch finden sich auch in den anderen Parteien jeweils deutliche Mehrheiten, die in der Digitalisierung zumindest „eher“ positive Auswirkungen erkennen können. Gesamthaft betrachtet zeigen sich somit in allen Parteien Mehrheiten zwischen 88 (SVP und Grüne) und 100 Prozent (FDP), welche die Auswirkungen der Digitalisierung insgesamt positiv beurteilen (vgl. Abb. 2.2).
Etwas größere Unterschiede zwischen den Parteien zeigen sich, wenn nicht mehr nur allgemein nach den Auswirkungen gefragt, sondern ein konkreter Bezug hergestellt wird. So wurden den Kandidierenden die nachfolgend aufgelisteten sieben Aussagen über mögliche Auswirkungen der Digitalisierung im Wirtschaftsleben vorgelegt, die sie zustimmend oder ablehnend beurteilen konnten:
1.
Digitalisierung sichert unseren zukünftigen Wohlstand.
 
2.
Digitalisierung schafft mehr neue Arbeitsplätze als vernichtet werden.
 
3.
Digitalisierung führt zu mehr Ungleichheit.
 
4.
Digitalisierung fördert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
 
5.
Digitalisierung verringert den Arbeitnehmerschutz.
 
6.
Digitalisierung erhöht die Qualität der Arbeit.
 
7.
Digitalisierung weckt bei mir die Befürchtung, dass ich selbst oder nahestehende Personen den Job verlieren.
 
Die Auswertung der Antworten zeigt, dass vor allem die Aussagen 2 (Schaffung von Arbeitsplätzen), 3 (Verstärkung der Ungleichheit) und 5 (Verringerung des Arbeitnehmerschutzes) zwischen den Parteien kontrovers beurteilt werden (vgl. Abb. 2.3). Bei diesen Fragen zeigt sich das in der Schweizer Politik generell dominierende Links-rechts-Muster. Am deutlichsten tritt dies bei der Aussage über die Verringerung des Arbeitnehmerschutzes hervor, der die Kandidierenden der Grünen und der SP zu 68 resp. 77 Prozent eher oder ganz zustimmen, während sich in den anderen Parteien, welche das Spektrum vom politischen Zentrum bis zum rechtsbürgerlichen Lager abdecken, nur eine Minderheit der Aussage anschließen kann. Nach demselben Muster, aber etwas weniger polarisiert, werden die Aussagen bezüglich der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Verstärkung der Ungleichheit beurteilt. Die Kandidierenden der Grünen nehmen hierzu mehrheitlich digitalisierungsskeptische Positionen ein, während die SP-Kandidierenden in beiden Fragen relativ gespalten erscheinen. Die anderen Parteien aus dem Mitte- bzw. dem bürgerlichen Lager sehen in diesen beiden Bereichen mehrheitlich keine überwiegenden negativen Auswirkungen der Digitalisierung.
Hervorzuheben gilt es aber auch, dass bei der Beurteilung von vier der insgesamt sieben Aussagen zwischen den Parteien mehrheitlich Konsens besteht (vgl. Abb. 2.4). So sehen zwischen 62 (Grüne) und 98 Prozent (FDP) der Kandidierenden in der Digitalisierung die Sicherung des zukünftigen Wohlstands; für 76 (SP) bis 97 Prozent (FDP) der Kandidierenden bringt die Digitalisierung eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit sich und für 62 (SVP) bis 91 Prozent (FDP) erhöht sich auch die Arbeitsplatzqualität. In das bereits zuvor gezeichnete Bild einer insgesamt recht positiven Haltung gegenüber der Digitalisierung fügt sich auch ein, dass die deutliche Mehrheit der Kandidierenden aller Parteien keine Angst vor einem digitalisierungsbedingten Jobverlust hat. Am pessimistischsten sind diesbezüglich die Kandidierenden von SP und SVP, welche zu rund 20 Prozent der Aussage zustimmen.
Zusammenfassend ergeben die Auswertungen, dass die allgemeine Einschätzung der Auswirkungen der Digitalisierung im Grundsatz mehrheitlich positiv ausfällt. Auch zeigt sich, dass der Berufsalltag der Kandidierenden aller Parteien inzwischen stark von digitalen Anwendungen geprägt ist. Es zeigen sich aber auch Unterschiede zwischen den Parteien. So weisen die Kandidierenden der beiden liberal geprägten Parteien FDP und GLP eine durchgängig optimistische Haltung gegenüber der Digitalisierung auf, während die Linke (Grüne, SP) und teilweise auch die rechts-konservative SVP ein höheres Maß an Skepsis durchblicken lassen. Für die linken Parteien liegen die größten Sorgen im Abbau des Arbeitnehmerschutzes, in Arbeitsplatzverlusten (wenn auch nicht aufgrund persönlicher Betroffenheit) und in einer zunehmenden Ungleichheit, die durch die Digitalisierung hervorgerufen werden könnten. SVP-Kandidierende demgegenüber beurteilen von allen Parteien die Aussicht auf qualitativ bessere Arbeitsplätze und die persönlichen Jobaussichten aufgrund der Digitalisierung am skeptischsten.

2.3.2 Beurteilung der Digitalisierung in der Arbeitswelt

Bezüglich der Veränderungen, welche die Digitalisierung in der zukünftigen Arbeitswelt verursachen könnte, enthielt der Digitalisierungsmonitor-Fragebogen die folgenden drei Aussagen, die die Befragten wiederum zustimmend oder ablehnend beurteilen konnten:
1.
Der Staat soll Umschulungsmaßnahmen stärker fördern und dazu mehr Mittel zur Verfügung stellen.
 
2.
Der Wegfall vieler Arbeitsplätze wird die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nötig machen.
 
3.
Das heutige Arbeitsrecht stammt aus einer vordigitalen Zeit. Es sollte flexibilisiert und an die ortsungebundene Nutzung digitaler Arbeitsinstrumente angepasst werden.
 
Die Analyse der Antworten ergibt teilweise erstaunliche Resultate (vgl. Abb. 2.5). Noch am wenigsten überraschend ist, dass das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens nur unter den Kandidierenden der Grünen und der SP eine zustimmende Mehrheit findet (zu jeweils rund 85 Prozent). Die Beurteilung dieses Anliegens verläuft somit entlang des klassischen Links-rechts-Konfliktmusters. Im Gegensatz dazu lässt sich bereits bei der Frage nach einer Reform des Arbeitsrechts im Hinblick auf die digitalisierte Arbeitswelt eine Aufweichung der Fronten feststellen. Obwohl die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen ein klassisch wirtschaftsliberales Anliegen darstellt, stößt es im Kontext der Digitalisierung auch im linken Spektrum nicht gänzlich auf taube Ohren. Konkret sind es unter den SP-Kandidierenden 46 Prozent und unter denjenigen der Grünen gar 52 Prozent, welche der Aussage ganz oder eher zustimmen.
Am einmütigsten wird schließlich die Aussage hinsichtlich einer stärkeren staatlichen Unterstützung für Umschulungsmaßnahmen bewertet. Die hohen Zustimmungswerte auf bürgerlicher Seite stellen einen eher überraschenden Befund dar. Selbst die Befragten der SVP, welche in dieser Frage die skeptischste Position einnehmen, stimmen der Forderung zu 40 Prozent ganz oder eher zu. Unter den FDP-Kandidierenden sind es bereits 68 Prozent und bei allen anderen Parteien teils deutlich über 80 Prozent.
Insgesamt lässt sich aus den Ergebnissen dieses Abschnitts schließen, dass zwar nicht für einen grundlegenden Systemwechsel wie das bedingungslose Grundeinkommen, aber doch für weniger einschneidende Maßnahmen wie die Verbreiterung des Zugangs zu Umschulungen und Weiterbildungen oder die Anpassung des Arbeitsrechts an neue, digital getriebene Arbeitsformen ein überraschend breiter politischer Konsens unter den Parteien besteht.

2.3.3 Haltung gegenüber Reformen im Steuersystem

Für das Digital-Business-Umfeld besonders relevant erscheint die Beurteilung von zwei steuerpolitischen Vorschlägen, zu denen die Kandidierenden befragt wurden:
1.
Die Schweiz soll sich international für eine „Digitalsteuer“ einsetzen (d. h. Besteuerung von im Inland erzielten Umsätzen/Gewinnen durch ausländische Onlinekonzerne).
 
2.
Die Schweiz soll sich international für die Besteuerung des Einsatzes von Hard- oder Software mit künstlicher Intelligenz in der Wirtschaft einsetzen (sog. „Robotersteuer“).
 
Beide Vorschläge werden von der Politik immer wieder debattiert; die Einführung einer Digitalsteuer ist in einzelnen Staaten sogar bereits in der einen oder anderen Form beschlossen worden.
Steuerpolitische Vorstellungen verlaufen in der Schweiz in aller Regel deutlich ausgeprägt entlang eines klaren Links-rechts-Gegensatzes. In Bezug auf die Parteien links (SP, Grüne) und rechts (FDP, SVP) des politischen Spektrums trifft dies tatsächlich auch bei den beiden in der Umfrage abgefragten Vorschlägen zu. Wenig überraschend, befürworten die Kandidierenden der links-grünen Parteien zu über 90 Prozent das Konzept einer Digitalsteuer und zu über 85 Prozent die Robotersteuer (vgl. Abb. 2.6). Auf der Gegenseite lehnen FDP- und SVP-Kandidierende die Digitalsteuer zu 64 resp. 62 Prozent ab, die Robotersteuer zu 77 bzw. 81 Prozent. Eher untypisch ist hingegen die Haltung von CVP- und GLP-Kandidierenden, welche ansonsten eher den steuerpolitischen Positionen der beiden Rechtsparteien zuneigen. Bei der CVP stimmen 77 Prozent einer Digitalsteuer ganz oder eher zu und bei der Robotersteuer sind es immerhin noch 56 Prozent. Unter den Kandidierenden der GLP befürworten 75 Prozent das Engagement für eine Digitalsteuer, während die Haltung zur Robotersteuer gespalten ausfällt, indem praktisch je 50 Prozent dem Vorschlag zustimmen bzw. ihn ablehnen.
Insgesamt zeigt sich, dass zumindest die international zur Debatte stehende und von einzelnen Staaten bereits in der einen oder anderen Form eingeführte Digitalsteuer auch in der Schweiz mehrheitsfähig sein könnte. Kaum Realisierungschancen bestehen hingegen für die Robotersteuer, auch weil deren konkrete Ausgestaltung schwierig zu definieren ist und sie Gefahr läuft, nicht nur zur Verhinderung negativer, sondern auch vieler positiver Aspekte der neuen Technologien beizutragen.

2.3.4 Positionen bezüglich künstlicher Intelligenz

Der Aspekt der künstlichen Intelligenz (KI) wurde im Digitalisierungsmonitor-Fragebogen nicht nur wie zuvor gesehen bei der Robotersteuer thematisiert, sondern auch im Rahmen eines spezifischen Fragenblocks. Die Kandidierenden konnten dabei zu den folgenden drei Aussagen ihre Zustimmung oder Ablehnung ausdrücken:
1.
Unternehmen sollen verpflichtet werden mitzuteilen, ob und wie sie KI in ihren Produkten einsetzen.
 
2.
Die Schweiz soll sich international für verbindliche ethische Leitlinien für den Einsatz von KI einsetzen.
 
3.
Um die Entwicklung guter KI-basierter Produkte zu ermöglichen, soll der Schutz der Privatsphäre nicht verstärkt werden.
 
Die Forderung nach einer KI-Deklaration von Produkten genießt nicht nur unter Kandidierenden von SP und Grünen mit jeweils rund 90 Prozent große Sympathien, sondern stößt auch innerhalb der CVP (71 Prozent) und der GLP (60 Prozent) auf Zustimmung (vgl. Abb. 2.7). Gegen den Vorschlag positionieren sich demgegenüber die Kandidierenden von FDP (zu 69 Prozent) und SVP (zu 59 Prozent). Die Auswertung zeigt somit, dass innerhalb der GLP und der SVP die Positionen am wenigsten eindeutig ausfallen. In beiden Parteien steht eine relativ starke Minderheit dem Vorschlag ablehnend (GLP) bzw. zustimmend (SVP) gegenüber.
Mit eher seltener Einhelligkeit beurteilen demgegenüber die Kandidierenden die Forderung, dass sich die Schweiz für international verbindliche Leitlinien für den KI-Einsatz stark machen soll. Alle Parteien stimmen dem Vorschlag zu. Die Zustimmung bewegt sich zwischen 56 Prozent unter den SVP-Kandidierenden und 99 Prozent bei den Befragten der Grünen. Gleich verhält es sich bei der Aussage, dass zugunsten der Entwicklung KI-basierter Produkte auf eine Verstärkung des Schutzes der Privatsphäre verzichtet werden sollte. Auch hier besteht Einigkeit zwischen den Parteien: Der Vorschlag wird von 73 Prozent (FDP, SVP) bis 98 Prozent (Grüne) der Kandidierenden abgelehnt.
Die Auswertungen zeigen auf, dass in Bezug auf die KI-Thematik die Politik deutlich skeptischere Positionen einnimmt als bei anderen Aspekten der Digitalisierung. Die Kandidierenden sprechen sich in diesem Bereich für ein eher vorsichtiges Vorgehen aus. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte die Neuheit und die Vielschichtigkeit des Themas sein, wodurch die Unsicherheit bezüglich der Chancen und Risiken für Wirtschaft und Gesellschaft noch groß ist. Entsprechend erstaunen die zurückhaltenden Positionen der Kandidierenden nicht. Folgerichtig wünschen sich die Parteien auch international verbindliche Ethikregeln für den KI-Einsatz.

2.3.5 Haltung gegenüber dem Schutz der Privatsphäre

Wie im vorangehenden Abschnitt beschrieben, lehnen es die Kandidierenden aller Parteien mehrheitlich ab, den Schutz der Privatsphäre zugunsten des KI-Einsatzes zu lockern. Der Digitalisierungsmonitor-Fragebogen enthielt zwei weitere Fragen mit Bezug zu Privatsphäre und Datenschutz. Die erste davon betraf die Einführung eines neuen Grundrechts und lautete: „Soll die Schweiz ein Grundrecht auf digitale Unversehrtheit (digitale Integrität) in der Verfassung verankern, das u. a. das Recht auf digitale Selbstbestimmung und das Recht auf digitales Vergessen umfasst?“ Auch bei dieser Frage sprechen sich die Kandidierenden aller Parteien mehrheitlich für eine Stärkung des Schutzes der Privatsphäre der Bürger aus (vgl. Abb. 2.8). Die entsprechenden Mehrheiten reichen von 58 (SVP) bis 98 Prozent (Grüne).
Größere Unterschiede zeigen sich demgegenüber bei der zweiten Frage: „Welches Datenschutzniveau soll die Schweiz im Bereich digitaler Produkte und Dienstleistungen im Vergleich zum heutigen Stand anstreben?“ Die Frage stand im Kontext der damals anstehenden Reform der schweizerischen Datenschutzgesetzgebung, die unter anderem die Angleichung an die EU-Datenschutzgrundverordnung zum Inhalt hatte. Den Kandidierenden standen fünf Antwortoptionen zur Auswahl: 1. Eher eine Lockerung; 2. Beibehalten des aktuellen Niveaus; 3. Ein Niveau äquivalent zur Datenschutzgrundverordnung der EU (auf Schweizer Verhältnisse angepasste Übernahme wesentlicher Elemente); 4. Erhöhung des Niveaus mittels vollständiger Übernahme der Datenschutzgrundverordnung der EU; 5. Deutliche Erhöhung über das EU-Niveau hinaus. Für eine Beibehaltung des Status quo plädierte eine Mehrheit der SVP-Kandidierenden (56 Prozent). In allen anderen Parteien ergaben sich Mehrheiten für eine Erhöhung des Schutzniveaus (vgl. Abb. 2.9). CVP- und GLP-Kandidierende haben eine auf Schweizer Verhältnisse angepasste Übernahme der EU-Verordnung befürwortet (mit 55 resp. 52 Prozent). Bei der SP und den Grünen ergab sich für keine der Optionen eine klare Mehrheit bzw. die Mehrheit der Antworten verteilte sich auf die drei Optionen, welche einen verstärkten Datenschutz wünschen.
Die Auswertungen zeigen, dass sich in allen Parteien die Mehrheit der Kandidierenden im Zeitalter von Social-Media-Plattformen, Big Data und KI eine Erhöhung des Schutzes der eigenen Daten und der Privatsphäre wünscht. Einzige Ausnahme bilden die SVP-Kandidierenden, welche einen verstärkten Datenschutz bzw. eine Angleichung des Schweizer Datenschutzes an denjenigen der EU abgelehnt haben. Zu vermuten ist, dass dabei bis zu einem gewissen Grad auch ein automatischer Anti-EU-Reflex im Spiel war. Insgesamt zeigt sich jedoch deutlich, dass angesichts einer nur schwer zu kontrollierenden Datennutzung durch allerlei Plattformen und Applikationen die Forderungen nach einem stärkeren Schutz von Daten und Privatsphäre mehrheitlich unterstützt werden.

2.4 Schlussfolgerungen

Die Politik legt die Rahmenbedingungen für die digitale Transformation fest. Das Bewusstsein für und die Haltung zu Digitalthemen im wirtschaftlichen Feld bilden dabei einen wichtigen Faktor für die zukünftige Ausgestaltung und die Entfaltungschancen Digitalisierung der Wirtschaft und ihrer Geschäftsmodelle. Die in diesem Beitrag präsentierten Ergebnisse des Digitalisierungsmonitors, einer Befragung sämtlicher Kandidierenden der Schweizer Wahlen 2019 zur Digitalpolitik erweisen sich diesbezüglich als aufschlussreich.
Die wesentlichen Erkenntnisse lassen sich unter den folgenden Punkten zusammenfassen: Erstens, die Kandidierenden sind nach eigenen Angaben von der Digitalisierung persönlich im beruflichen Alltag stark betroffen und gewinnen der digitalen Entwicklung in ihrer Gesamtheit viel Positives ab. Es herrscht eine generell positive Grundstimmung gegenüber der Digitalisierung und die Kandidierenden aller Parteien sind aufgrund ihrer alltäglichen Betroffenheit mit dem Thema (zumindest aus einer Anwenderperspektive) sehr vertraut.
Zweitens, und nicht anders zu erwarten, ergibt sich ein differenzierteres Meinungsbild, wenn konkreter nachgefragt wird. Selbstverständlich zeigt sich bei einer Reihe von Digitalthemen der in der Tagespolitik weit verbreitete Links-rechts-Gegensatz; so beispielsweise bei Fragen des Arbeitnehmerschutzes oder bei sozialpolitischen Forderungen wie derjenigen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Die Haupterkenntnis ist jedoch, dass im Vergleich zu anderen Politikbereichen bei vielen der gestellten Fragen aufgeweichte parteipolitische Fronten festzustellen sind. Bei einigen Themen kommt diese Feststellung recht überraschend. Zu nennen ist etwa die Forderung nach einem stärkeren staatlichen Engagement für berufliche Umschulungen oder diejenige nach einem internationalen Engagement der Schweiz zugunsten verbindlicher ethischer Leitlinien für den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Auch das die Zustimmung dazu, dass die Schweiz ein neues Grundrecht auf digitale Unversehrtheit (digitale Integrität) in die Verfassung aufnehmen soll, war nicht zu erwarten.
Die Digitalisierung wird in den kommenden Jahren die Politik auf allen Ebenen intensiv beschäftigen. Auch wenn die Betroffenheit durch die Digitalisierung insgesamt groß ist, erscheint es zumindest fraglich, inwieweit das Ausmaß und Veränderungspotenzial wirklich erkannt wird. Die Sensibilisierungsarbeit für das Digitalisierungsthema muss darum vorangetrieben werden – nicht nur bei politischen Entscheidungsträgern, die möglicherweise die wahre Bedeutung der Digitalisierung noch nicht auf der Agenda haben, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit. Für letztere ist besonders wichtig, dass die Parteien ihre politische Rolle wahrnehmen und schnellstmöglich ihre digitalisierungspolitischen Positionen und Ziele für die Schweiz von morgen klären. In diesem Rahmen würde es sich zudem anbieten, dass die Parteien den intensiven Dialog mit der eigenen Basis suchen.
Die Auswertungen des Digitalisierungsmonitors haben auch gezeigt, dass bei vielen Digitalthemen ein größeres Potenzial für parteiübergreifende Konsenslösungen besteht als bei herkömmlichen politischen Themen. Für die digitale Transformation im Allgemeinen und Digital Business im Besonderen stellt dies eine Chance dar, welche von der Politik und der Gesellschaft genutzt werden sollte.
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Fußnoten
1
Der Datensatz steht für wissenschaftliche Auswertungen unter https://​forsbase.​unil.​ch zur Verfügung.
 
2
In die Analyse fließen sämtliche gegebenen Antworten ein, auch wenn der Fragebogen nicht vollständig beantwortet wurde. Daraus ergeben sich zwischen den Fragen leicht unterschiedliche Beteiligungszahlen.
 
3
Ausgewertet werden in diesem Beitrag die Angaben der sechs größten Parteien. Neben Grünen, GLP und SVP sind dies die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), die Freisinnig-demokratische Partei (FDP) und die Sozialdemokratische Partei (SP).
 
Metadaten
Titel
Die Haltung der Politik zu Digitalthemen mit Wirtschaftsbezug
verfasst von
Daniel Schwarz
Jan Fivaz
Alessia Neuroni
Copyright-Jahr
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32323-3_2