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2010 | Buch

Die Massenmedien im Wahlkampf

Das Wahljahr 2009

herausgegeben von: Christina Holtz-Bacha

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Über dieses Buch

Versteht man die Frage im Titel dieses Beitrags wörtlich (und nicht rhe- risch), so müsste man sie verneinen: Denn selbstverständlich fand im Sp- sommer 2009 in Deutschland ein Bundestagswahlkampf statt. Dafür sp- chen allein schon die Kosten, die von den Parteien für ihre Kampagne a- gewandt wurden: Bei der CDU waren es nach unseren Recherchen 20 Mil- onen Euro (ohne CSU, die auf Anfragen keine Auskunft erteilte), die SPD investierte 29 Millionen Euro, die FDP 4,8 Millionen Euro, Bündnis 90/Die Grünen 3,9 Millionen Euro und Die Linke 5,5 Millionen. Das belief sich (ohne CSU) insgesamt auf 63,2 Millionen Euro (immerhin rund 5 Millionen weniger als 2002). Mit diesen Mitteln wurden zahllose Wahlkampfaktionen im ganzen Land finanziert, nicht nur die Auftritte der Kandidaten, auch symbolische Aktionen (wie die nostalgisch an Konrad Adenauer erinnernde Wahlkampftour Angela Merkels im "Rheingold-Express"), ferner die P- katwerbung, die Websites und vieles andere mehr. Stattgefunden hat somit zumindest eine aufwändige "paid campaign". Und diese zog auch fraglos eine "media campaign" nach sich. Allerdings sind es deren Form und - halt, die den Anlass für das Stellen der Titelfrage geboten haben. Die Einschätzung, 2009 finde in Deutschland ein Bundestagswahlkampf nicht statt, haben die Medien und Journalisten in den Wochen vor dem 27. September 2009 selbst mehrfach artikuliert. Manchen erschien dies sogar als "medialer Konsens" (FAZ, 12. 9. 2009, S. 42).

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Wahljahr 2009 – Professionalisierung verzögert?
Zusammenfassung
Wo bitte geht's hier zum Wahlkampf? Diese Frage steckte in den vielen Klagen über die Langeweile des Bundestagswahlkampfes 2009. Vor einer Europawahl sind die Erwartungen an das Engagement der Parteien ohnehin nicht allzu groß, aber vor einer Bundestagswahl soll dann doch etwas los sein. Von "Kuschel-Kampagne" war die Rede (Reißmann, 2009), von Wahlkampf im "Stand-by-Modus" (Wittrock, 2009). Sogar die ausländische Presse nannte die Kampagne "zutiefst uninspiriert" (zitiert in: Wergin, 2009), "schläfrig", "langweilig" und die Kanzlerkandidaten "harmoniesüchtig" und "hölzern" (alle zitiert in: Friedrichs, 2009), schließlich auf die Spitze gebracht mit: "Yes, we gähn!" (So zerreißen…, 2009; Yes, we gähn!, 2009).
Christina Holtz-Bacha
Europawahl 2009: Wahlkampf im Schatten der Bundestagswahl oder doch eine europäische Kampagne?
Zusammenfassung
Als 1979 das Europäische Parlament zum ersten Mal direkt gewählt wurde, verband sich damit eine gewisse Euphorie: Europa würde für seine Bürgerinnen und Bürger greifbarer, und die Wahl könnte so zu einer stärkeren Integration der seinerzeit neun Mitgliedstaaten beitragen. Obwohl das Parlament im Vergleich zu Kommission und Ministerrat damals noch eine eher schwache Rolle im europäischen Entscheidungsprozess spielte, wurde es mit der Wahl zum ersten und bis heute einzigen Organ der Gemeinschaft, das eine echte demokratische Legitimation aufweist. Das Parlament konnte so nicht nur auf eine Steigerung seiner Bekanntheit, sondern zumindest auch auf eine symbolische Aufwertung hoffen. Seit der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments gilt aber auch die Klage, der Europawahlkampf sei wenig europäisch, sondern vielmehr national geprägt. Das ist ein Grund, warum sich die Hoffnung nicht erfüllt hat, dass die in allen EUMitgliedstaaten gleichzeitig abgehaltene Wahl des Europäischen Parlaments dem Zusammengehörigkeitsgefühl einen Schub geben würde.
Christina Holtz-Bacha, Jacob Leidenberger
Kampagnenrezeption und Beteiligung an der Europawahl 2009. Eine Analyse auf der Basis einer Onlinebefragung
Zusammenfassung
Seit der Einführung der Direktwahlen zum Europäischen Parlament nutzen deutlich weniger Deutsche ihr Wahlrecht auf europäischer als auf nationaler Ebene (z. B. Wüst &Tausendpfund, 2009). Auch vor der Europawahl 2009 zeichnete sich in Umfragen eine geringe Partizipationsrate ab (z. B. ZDFPolitbarometer, 2009) – und tatsächlich lag die Beteiligung in Deutschland mit 43,3 Prozent nur minimal über dem Wert der Wahl 2004, der den bisherigen partizipatorischen Tiefpunkt markiert. Die erwartete niedrige Wahlbeteiligung wurde von staatlichen Stellen, die offenbar niedrige Beteiligungsraten mit Legitimationsproblemen für das Europäische Parlament verbunden sehen, zum Anlass für Mobilisierungsbemühungen genommen, die zwar ungewöhnliche Wege beschritten, jedoch nicht sehr wirkungsvoll gewesen zu sein scheinen (Schoen & Faas, 2009). Daneben versuchten, wie vor jeder Wahl, politische Parteien in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse Wahlberechtigte zur Stimmabgabe zu motivieren. Wie etliche Arbeiten gezeigt haben, können gezielte Parteikampagnen einen Beitrag dazu leisten, Bürger zur Partizipation an Wahlen anzuregen (etwa Finkel, 1993; Gerber & Green, 2000; Green & Gerber, 2008; Hillygus, 2005; Imai, 2005; Lau & Pomper, 2002; Nickerson, 2008; Norris, Curtice, Sanders, Scammell, & Semetko, 1999). Auch haben Forscher Anhaltspunkte dafür gefunden, dass Wahlkampagnen vor Europawahlen mobilisierend wirken können (z. B. Franklin, van der Eijk, & Oppenhuis, 1996; Steinbrecher & Huber, 2006; Weßels, 2005, 2007). Die Chancen der Parteien, mit Wahlkampfanstrengungen Bürger zur Teilnahme an der Europawahl 2009 zu bewegen, scheinen daher recht günstig. Es kommt hinzu, dass bei einem niedrigen generellen Aktivierungsniveau wie vor der Wahl am 7. Juni 2009 ein vergleichsweise großes Mobilisierungspotential besteht, das es Parteien und Kandidaten recht leicht machen dürfte, mit geschickt gewählten Instrumenten die Beteiligungsrate zu steigern.
Harald Schoen
"Wir haben mehr zu bieten". Die Plakatkampagnen zu Europa- und Bundestagswahl
Zusammenfassung
Die Wahlplakate von heute, so Manfred Hagen (1984, S. 49), seien "nur blasse Nachkommen einer fast ein Jahrhundert lang blühenden, äußerst mannigfaltigen und oft aussagestarken Propagandaform". Ganz Unrecht hat er mit dieser Einschätzung sicher nicht. Nicht zufällig werden Zeitungsanzeigen oder Fernsehspots von politischen Parteien eher selten gesammelt, während Wahlplakate nicht nur aus dokumentarischen, sondern auch aus ästhetischen Gründen restauriert, in Archiven aufbewahrt, in Geschichtsbüchern abgedruckt und in Museen ausgestellt werden. Was man Wahlwerbeanzeigen und -spots wohl kaum zugestehen würde, erscheint im Hinblick auf Wahlplakate fast selbstverständlich: Sie sind nicht einfach nur eine persuasive Kommunikationsform, die Politiker oder Ideen ‘verkaufen’ will, sondern mehr als jedes andere politische Werbemittel zugleich (Gebrauchs-) Kunst. Dabei ist die besondere Auffälligkeit dieses Mediums zum Teil aus der Not geboren. Um sich im alltäglichen Kampf um Aufmerksamkeit durchzusetzen, muss das Plakat als ein durchschnittlich nur wenige Sekunden beachtetes Medium des ‘Schnelldialogs’ effizienter als jedes andere Wahlwerbemittel mit auffälligen Blickfängen und einer unmittelbar verständlichen Aussage operieren, was nur durch eine graphische Schlüsselidee, Vereinfachungen, Wiederholungen oder aber durch radikale Übertreibungen und bis an Zynismus grenzenden Humor zu erreichen ist (vgl. Prakke, 1963, S. 31). Ältere Analysen politischer Plakate konzentrieren sich deshalb viel stärker auf künstlerisch-ästhetische und historische als auf funktionale Aspekte des Mediums Plakat (vgl. z. B. Arnold, 1979; Bohrmann, 1984; Hagen, 1978, 1984; Hundhausen, 1975; Kämpfer, 1985; Langguth, 1995; Malhorta 1984, 1988; Ronneberger, 1975; Staeck & Karst, 1973; Wasmund, 1986).
Eva-Maria Lessinger, Christina Holtz-Bacha
Angreifende Plakatwerbung im Wahlkampf – effektiv oder riskant? Ein Experiment aus Anlass der SPD-Europawahlplakate 2009
Zusammenfassung
"Finanzhaie würden FDP wählen", "Dumpinglöhne würden CDU wählen" und "Heiße Luft würde DIE LINKE wählen": Die SPD setzte mit ihren Wahlplakaten zur Europawahl 2009 auf (humorige) Angriffswerbung1 (siehe Abbildung 1). Die Bezeichnung der SPD-Wahlplakate als "humorig" muss allerdings in Klammern gesetzt werden, denn: Als lustig empfanden die angegriffenen Parteien die forschen Plakate nicht. So äußerte sich beispielsweise der FDP-Abgeordnete Patrick Döring empört: "Die SPD hat immer wieder gesagt, dass es im Prinzip keine Gründe gegen eine Ampelkoalition gibt […]. Noch so ein paar Plakate und es gäbe gute Gründe." (Döring, zitiert nach Schultz, 2009) Auch auf Seiten der CDU reagierte man brüskiert. Entsprechend äußerte sich ein CDU-Sprecher: "Wir brauchen keine Mätzchen im Wahlkampf, sondern Politik, die die Ängste und Sorgen der Menschen ernst nimmt" (zitiert nach Schultz, 2009, 25. April). Auch Hendrik Wüst, Generalsekretär der CDU in Nordrhein-Westfalen, sprach sich gegen die attackierenden SPD-Plakate aus: "Die Buchstaben SPD stehen heute offensichtlich für Schimpfen, Pöbeln und Dreckwerfen" (Wüst, zitiert nach Voogt, 2009). Die SPD hingegen schien mit ihrer Wahlkampagne zufrieden zu sein. So äußerte sich SPD-Wahlkampfmacher Kajo Wasserhövel: "Wir führen keinen säuselnden Europawahlkampf. Wir zeigen klar, wofür wir und wofür Union, FDP und die Linke stehen. Witzig und auch ein wenig provozierend." (Wasserhövel, 2009) Wie aber ist angreifende (oder auch: negative) Wahlwerbung aus Sicht der Kommunikationswissenschaft zu bewerten?
Melanie Leidecker
Auge in Auge mit Kandidatinnen und Kandidaten. Emotionale Reaktionen auf Politikerplakate
Zusammenfassung
Der Politiker "ist zugleich Hauptdarsteller und Regisseur seiner Kampagne", er ist "das wichtigste Angebot seiner Partei an die Wähler", schreibt Wahlkampfprofi Peter Radunski 1981 (S. 31) in einem Beitrag über neuen Strategien der Wahlkampfführung in den achtziger Jahren. Als "Hauptdarsteller" verkörpern Kandidaten einen zwar auch damals nicht neuen, aber, wie Radunski ausführt, neuartigen Trend zur Personalisierung; als Regisseur bringt der Kandidat diejenigen Wahlkampftechniken zum Einsatz, die notwendig sind, um den Herausforderungen zu begegnen, die sich insbesondere dadurch stellen, dass das Fernsehen zum wichtigsten Medium der Kampagne geworden ist (vgl. auch Radunski, 1986). Radunski, der auch der Amerikanisierung deutscher Wahlkämpfe das Wort redete (1999, S. 33), hat sich für seine Kampagnenberatung viel aus den USA abgeguckt, wo sich die Kandidatenzentrierung aus dem politischen bzw. dem Wahlsystem ergibt. Nicht erst seitdem ist aber auch in der deutschen Politik die Rede von Personalisierung gängig, wenn auch nicht immer mit einem so positiven Ton, wie er bei Radunski mitschwingt (vgl. auch Holtz-Bacha, 2003). In Anlehnung an entsprechende Marketingkonzepte ist seit einiger Zeit gar der Markenwert von Politikern in die Diskussion gekommen (vgl. Schneider, 2004).
Christina Holtz-Bacha, Eva-Maria Lessinger
Politik häppchenweise. Die Fernsehwahlwerbung der Parteien zu Europa- und Bundestagswahl
Zusammenfassung
Nicht erst seit der US-Präsidentschaftswahl 2008 und der allenthalben gefeierten Kampagne von Barack Obama, die scheinbar Zeichen gesetzt hatte bei der Nutzung aller Möglichkeiten der Online-Kommunikation, stellt sich die Frage, welcher Stellenwert den klassischen Werbemitteln in Wahlkämpfen überhaupt noch zukommt. Wahlspots im Fernsehen gehören in Deutschland seit 1957 zum Repertoire der Kampagneninstrumente, haben aber hierzulande nie die Bedeutung erreicht, wie es in den USA bis heute der Fall ist. Zwar nutzen fast alle Parteien jeweils die ihnen bei ARD und ZDF kostenfrei zur Verfügung gestellte Sendezeit; der Aufwand, den sie für ihre Fernsehwahlwerbung betreiben, ist allerdings sehr unterschiedlich. Schon früher hatte sich gezeigt, dass die kreative und finanzielle Investition in die Fernsehspots mit der Größe bzw. Bedeutung einer Partei – und das heißt gleichzeitig: mit ihrer Finanzkraft – zusammenhängt. Dieser Zusammenhang trat erst recht hervor, als ab Ende der achtziger Jahre das privat-kommerzielle Fernsehen für die Wahlwerbung geöffnet wurde und die Parteien nun zusätzlich zu der Sendezeit bei den öffentlich-rechtlichen Sendern Werbezeit ankaufen konnten. Nur die großen Parteien erwerben regelmäßig für ihre Wahlkampagnen auch Werbezeit im privaten Fernsehen und können so die besseren Werbemöglichkeiten (d. h. Entscheidung über die Platzierung und damit ggf. Zielgruppenansprache) nutzen, die die privaten Sender bieten.
Christina Holtz-Bacha
Normalisierung 2.0. Die Online-Wahlkämpfe deutscher Parteien zu den Bundestagswahlen 2002-2009
Zusammenfassung
"Polit-Generation 2.0" (Thies, 2009), "Twittern im Obama-Rausch" (Volkery, 2008), "Digitaler Dialog statt Parteiwerbung" (Kolbrück, 2009) und E-Campaigning "bis zum Exzess" (Tillmann, 2009, S. 10) – noch nie stand der deutsche Internetwahlkampf so sehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses wie zur Bundestagswahl 2009: Journalisten verschiedenster Medien überschlugen sich bereits ein Jahr vor dem Wahltermin mit Reportagen, Kolumnen und Leitartikeln zur "Stimmenjagd im Netz" (Fischer & Voß, 2009). Kampagnenmanager sprachen vom World Wide Web als "Startrampe" (Pofalla zit. n. Bialek, 2009), "Herzstück" (Wasserhövel zit. n. Pfannenmüller, 2009, S. 28) und "zentrale[m] Bestandteil" (Heinrich zit. n. Biermann, 2009) der politischen Mobilisierung, mit dem erstmals auch Werbemittel des Offline-Wahlkampfes in größerem Umfang geplant wurden.1 Und Verbände (vgl. z. B. BITKOM, 2009) ebenso wie Agenturen (vgl. z. B. Fittkau & Maaß Consulting, 2009) lancierten schließlich unzählige Meinungsumfragen, Projektberichte und digitale Beobachtungsplattformen, die die Bedeutung und Entwicklung des hiesigen E-Campaigning in der heißen Kampagnenphase dokumentieren sollten (vgl. z.B. www.wahl.de; www.wahlgetwitter.de; www.wahlradar. de; www.partei-gefluester.de; Stand: September 2009).
Eva Johanna Schweitzer
Wie viele Fans hat Angela Merkel? Wahlkampf in Social Network Sites
Zusammenfassung
Obamas beeindruckender Erfolg bei der Präsidentschaftswahl 2008 wird in der öffentlichen Wahrnehmung mit seinem Onlinewahlkampf in Verbindung gebracht. Vor allem Dienste des Web2.0 wurden für die Mobilisierung genutzt. Dem konnten und wollten sich die deutschen Parteien im Superwahljahr 2009 nicht entziehen. Neben den bereits etablierten Formen des Onlinewahlkampfs über die Parteiwebseite engagierten sich viele Parteien in den Sozialen Webs wie Facebook, MySpace, StudiVZ oder MeinVZ, stellten Videos bei YouTube ein und Fotos bei Flickr, zudem nutzten sie den Kurznachrichtendienst Twitter. Damit reagierten sie auf technische Neuerungen sowie Veränderungen im Kommunikationsverhalten der Bevölkerung. Obwohl die Fernsehnutzung in Deutschland ungebrochen hoch ist, werden zunehmend junge und gut gebildete Bürger durch das Internet gut erreicht. Es ist also nur konsequent, diese neuen Kommunikationskanäle in die Wahlkampfkommunikation zu integrieren.
Reimar Zeh
"Unterhaltend, nicht repräsentativ" – die Bundestagswahl 2009 als Politshow auf Pro7
Zusammenfassung
Die Appelle, die 62.168.500 Wahlberechtigten bei der letzten Bundestagswahl an die Urnen oder zur Briefwahl zu bringen, haben kaum gefruchtet. Die Wahlbeteiligung sank auf den tiefsten Wert seit Gründung der Bundesrepublik, mit 70,8 Prozent lag sie nochmals 6,9 Prozentpunkte unter dem Wert von 2005. Wahlenthaltung scheint der neue Trend zu sein, denn mit Ausnahme der Bundestagswahlen haben sich seit der Jahrtausendwende meist mehr Wahlberechtigte enthalten als für die jeweils stärkste Partei entschieden. Da die politischen Orientierungen und Verhaltensweisen von Jugendlichen "als Gradmesser für die zukünftige Entwicklung der Demokratie" (Roller, Brettschneider, & van Deth, 2006a, S. 7) gelten, ist an dem Ergebnis der Bundestagswahl 2009 bemerkenswert, dass von den knapp sechs Millionen Wahlberechtigten unter 25 Jahren nur 3.583.300 Menschen wählen gingen. Nicht nur die Parteien und die politische Bildung, sondern auch die Sozialwissenschaften beschäftigen sich mit den Gründen dieser Entwicklung. Dabei schenkt die politik- und kommunikationswissenschaftliche Forschung in den letzten Jahren dem Zusammenhang zwischen Medienangeboten, Mediennutzung und politischen Einstellungen sowie politischem Verhalten von Jugendlichen verstärkte Aufmerksamkeit.
Jörg-Uwe Nieland
"Ich beantworte die Fragen so, wie ich mir das vorgenommen habe…". Eine dialoganalytische Untersuchung des Fernseh-Duells im Wahlkampf 2009
Zusammenfassung
Als spannungsloses "Duett" (Kilz, 2009; Lau, 2009) wurde das Fernsehduell zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler und Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Wahlkampf 2009 von Kritikern gegeißelt. Und auch bei den Zuschauern stieß das Streitgespräch der beiden Kandidaten für die Kanzlerschaft auf ein nur verhaltenes Echo: Während die Einschaltquote des Duells Merkel vs. Schröder im Jahr 2005 fast 21 Millionen Zuschauer fand, konnten sich nur etwas mehr als 14 Millionen im Jahr 2009 für das auf den Sendern ARD, ZDF, RTL, Sat.1 und Phoenix parallel ausgestrahlte Duell erwärmen (Maue Quote, 2009). Die "maue Quote" (Maute Quote, 2009) war allerdings ein Ergebnis mit Ansage: Als Spitzenvertreter der Koalitionsparteien CDU und SPD standen Merkel und Steinmeier vor dem Problem, sich vom politischen Partner abzugrenzen, ohne die eigene Arbeit der vergangenen vier Jahre in ein negatives Licht zu rücken. Die Schwierigkeit, nicht aggressiv gegen den Gesprächspartner vorgehen zu können, war bereits im Vorfeld der Sendung diskutiert worden, und so wunderte es auch nicht, dass Kommentare von einem Duell "Steinmerkel gegen Merkelmeier" (Grimberg, 2009) sprachen. Die Bewertung als langweiliges Gespräch kaum noch unterscheidbarer Spitzenpolitiker einer großen Koalition passte in das politische Klima, diese Koalition als ‘verbraucht’ und ‘konzeptlos’ zu markieren.
Christoph Tapper, Thorsten Quandt
Die Protagonisten in der Fernseharena. Merkel und Steinmeier in der Berichterstattung über den Wahlkampf 2009
Zusammenfassung
Von den verschiedenen Arenen, in denen der Wahlkampf stattfindet, gehört das Fernsehen nach wie vor zu den bedeutendsten. Hier sitzen die meisten Zuschauer, vor allem wenn Nachrichten gegeben werden. Hier finden die Akteure auch Wähler, die über andere Arenen und Maßnahmen – wie Kundgebungen, Straßenwahlkampf, Wahlwerbung – nicht anzusprechen sind. Sie können sogar Personen erreichen, die nicht am Wahlkampf und womöglich nicht einmal an Politik interessiert sind. Fernsehnachrichten können diese Zuschauer gleichsam überrumpeln (Noelle-Neumann, 1971; vgl. auch Schoenbach & Lauf, 2004). Die Bedeutung der Fernsehnachrichten als Wahlkampfarena macht es besonders interessant und relevant, dieses Medienangebot während der Wochen vor dem Wahltag genauer zu untersuchen.
Winfried Schulz, Reimar Zeh
Ein Wahlkampf, der keiner war? Die Presseberichterstattung zur Bundestagswahl 2009 im Langzeitvergleich
Zusammenfassung
Die Bundestagswahl am 27. September 2009 war die siebzehnte seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 (und die sechste seit der Wiedervereinigung 1990). Nachdem die vorangegangene Wahl im Jahr 2005 vorzeitig, nach einer verkürzten Legislaturperiode, stattgefunden hatte, waren diesmal, wie üblich, wieder vier Jahre vergangen. In diesen war das Land von einer großen Koalition von CDU/CSU und SPD regiert worden. Dazu hatte das Wahlergebnis vom 18. September 2005 geradezu gezwungen. Weder hatten die Christdemokraten zusammen mit der FDP, noch die SPD zusammen mit den Grünen eine regierungsfähige Mehrheit erringen können. Und mit der Partei Die Linke, in der sich die im Wesentlichen in den neuen Bundesländern basierte PDS (Ex-SED) und die als gewerkschaftliche Protestbewegung im Westen entstandene WASG vereinigt hatten, hatte die SPD eine Koalition ausgeschlossen. So ließ sich eine Mehrheit nur durch das Zusammengehen der beiden großen Volksparteien erzielen.
Jürgen Wilke, Melanie Leidecker
Backmatter
Metadaten
Titel
Die Massenmedien im Wahlkampf
herausgegeben von
Christina Holtz-Bacha
Copyright-Jahr
2010
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-92509-7
Print ISBN
978-3-531-17414-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-92509-7