2017 | OriginalPaper | Buchkapitel
Die Moral an der Wurzel packen – Heimlicher Groll im Internet
verfasst von : Prof. Dr. Klaus-Jürgen Grün
Erschienen in: Face-to-Interface
Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden
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Immanuel Kant meinte schon 1784, wir seien „zivilisiert bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit“, doch es fehle noch viel, um auch nur hinreichend „moralisiert“ zu sein. Heute haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Denn wir sind moralisiert zum Überlästigen, aber uns fehlt ein notwendiger Impuls „zivilisierter Verachtung“, um dem Anspruch der Aufklärung auf Autonomie gerecht zu werden. Unsere Moralsysteme haben einen Grad an bevormundender Autorität erlangt, dass wir mehr denn je lernen müssen, uns vor der unerwünschten Einmischung anderer in unsere Lebensgestaltung zur Wehr zu setzen. In gleicher Weise wie wir durch soziale Medien im Internet mehr und mehr jedem gegenüber unser gesamtes Leben wie ein offenes Buch bloßlegen, eröffnen wir irgendwelchen Sittenwächtern die Erlaubnis die Regeln festzulegen, nach denen sie uns schützen können, weil sie jeden unserer Schritte überwachen dürfen. Dies sei der freiwillig zu entrichtende Preis für Freiheit und Sicherheit, die durch das Böse anderer Menschen bedroht werde. Unter dem Deckmantel ethisch-moralischer Pflicht treten uns selbst ernannte Vormünder gegenüber, die mit dem Anschein, unser Bestes zu befördern, kritiklose Anpassung an die Stelle aufgeklärter Selbstständigkeit setzen. Kaum ist das Internet aus den Windeln gewachsen, schon ergreifen Moralisten das Wort, um die Regeln festzulegen, nach denen auch dort der Schein des Guten gewahrt werde, statt das Unzensierte zur Kenntnis zu nehmen. Der Beitrag warnt davor, das Internet verkommen zu lassen zu einer seichten Verdoppelung unserer moralisierten Artigkeit, in der immer schon feststeht, was einer sagen und denken darf, bevor es gedacht und gesagt wird.