Desinformation und Verschwörungstheorien finden online eine nicht unwesentliche Verbreitung. Dies ist selbstverständlich nicht der einzige Ort, wo Falschinformationen Verbreitung finden und Anklang finden. So gibt es Medien, die Desinformation in gedruckter Form verbreiten, zum Beispiel die Zeitschrift Demokratischer Widerstand! durch die deutsche Querdenker-Bewegung (Amlinger, 2023) oder The Light, eine verschwörungstheoretische Zeitung aus England (Dacombe et al., 2021). Außerdem nutzen Gruppen, wie die Identitären auch andere aktivistische Taktiken, zum Beispiel das Verteilen von Flugblättern und Stickern oder die Organisation von Flashmobs und spontanen Demonstrationen (McNeil-Wilson, 2020). Im Folgenden soll es jedoch um die Verbreitung von Desinformation und Verschwörungen auf Online-Plattformen gehen, insbesondere um deren Rolle und Einfluss bei der Verbreitung und Eindämmung.
Online-Plattformen, sozialen Medien und dem Internet wird oft die Verantwortung für die weite Verbreitung von Verschwörungstheorien und Desinformation zugeschrieben, zum Beispiel durch erleichterte Bedingungen Informationen zu teilen (Ceylan et al., 2023).
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In den 1990er-Jahren wurde das Internet erstmals einer breiteren Bevölkerung zugänglich, nachdem es zuvor nur von einer kleinen, privilegierten Gruppe für die Forschung genutzt werden konnte (Leiner et al., 2009). Durch die Erfindung des World Wide Web wurde das Internet noch zugänglicher. Dem Erfinder Tim Berners-Lee ging es darum, ein System zu entwickeln, das dezentralisiert ist, damit jede Person teilhaben kann. Außerdem waren ihm die verbindenden Aspekte von Informationen besonders wichtig (Berners-Lee, 2000). Des Weiteren wurde angenommen, dass der Zugang zu Informationen für jedes Individuum eine Demokratisierung der Gesellschaft zur Folge hat, da Personen bestärkt werden bessere Entscheidungen zu treffen, wenn sie in einem Umfeld leben, das einen solchen Zugang ermöglicht (Rochlin, 1998). Der Cyberspace sollte eine Zuflucht vor dem eingreifenden Staat sein (Barlow, 2016). Die Erwartungen waren groß, und vor allem die ökonomischen Versprechungen vor dem Platzen der Dotcom-Blase waren sehr weitreichend. Diese prophezeiten den Anstieg von Einnahmen, hohe Börsenwerte und kleine Rezessionen (Litan, 2001). Außerdem wurde durch die weitreichende Beeinflussung und Disruption vieler Lebensbereiche eine größere Effizienz bei der Verarbeitung und Verbreitung von Informationen erwartet (Davidow, 2012). Ab 2010 kam es zu einem rapiden Wachstum der GAFAM (Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft), die durch Übernahmen und ungleiche Handelsbedingungen mit Content Creators ein Oligopol etablieren konnte. Dies führte zu einer Plattformisierung des Internets, die eine Reduzierung der Innovation und eine zunehmende Zentralisierung zur Folge hatte (Flew, 2021). Die dadurch erfolgte Zentralisierung ermöglichte es den Plattformen, allen voran Google, die Daten von Nutzer:innen zu extrahieren und zu analysieren. Google hat ein Modell der personalisierten Werbung entwickelt, das der Plattform weitreichenden finanziellen Erfolg durch die Verarbeitung und den Verkauf von Daten ermöglicht (Zuboff, 2019). Die Zentralisierung des Marktes und das Geschäft mit der Aufmerksamkeit der Nutzer:innen machten die GAFAM zu wirtschaftlich mächtigen Akteuren, die auch gesellschaftlich weitreichenden Einfluss haben (Taplin, 2017).
Plattformen haben ein geschäftliches Interesse daran, klickbare Inhalte zu erzeugen und die Zeit, die Nutzer:innen mit der Plattform verbringen, zu erhöhen. Darauf ist auch das Design von Plattformen ausgelegt. Ein Beispiel hierfür ist der endlose Feed an Videos und Posts, der es ermöglicht, immer wieder neue Inhalte zu sehen und damit zu interagieren. Plattformen müssen auf dem „Marktplatz der Aufmerksamkeit“ (Webster, 2014, S. 1, Übers. durch die Autorin) um Kund:innen konkurrieren. Dabei wird Werbung eingesetzt, um neue Kundschaft zu akquirieren, oder Creators können durch ihre Anziehungskraft die Kund:innen halten (sogenannte Push- und Pull-Faktoren). Dabei ist die Datenerhebung und -analyse über das Publikum von großer Bedeutung, da jene eine effektive Operation in virtuellen Umgebungen erst möglich machen. Diese sind jedoch keine Bewertungssysteme mehr, sondern funktionieren über Such- und Empfehlungssysteme, die es erlauben, die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen zu leiten. Diese Empfehlungssysteme kreieren Popularität – da das was populär ist, wird weiterempfohlen und somit noch populärer. Durch die Konkurrenz um Aufmerksamkeit wurde das Publikum zunehmend über die größere Anzahl an Medien fragmentiert. Gleichzeitig ist die Diversität nicht sehr hoch, einzelne Websites und Medien werden nach wie vor von dem Großteil der Konsument:innen besucht. Dabei gibt es die Befürchtung, dass Nutzer:innen sich auf Medien beschränken, die ihrer Meinung und ihren Werten zugetan sind (Webster, 2014). Im Zusammenhang mit dieser Nischenbildung wurden die Termini Filterblasen und Echokammern geprägt.
Filterblasen und Echokammern beschreiben die Annahme, dass Nutzer:innen sozialer Medien sich in auf sie zugeschnittene Informationsumgebungen befinden, in denen sie ausschließlich Dinge sehen, denen sie zugewandt sind, wohingegen Ansichten oder Inhalte, denen sie kritisch gegenüberstehen, verborgen werden. Das liegt an den Empfehlungsalgorithmen der Plattformen, die immer wieder Inhalte empfehlen, die das bestätigen, was der oder die Nutzer:in bereits kennt (Pariser, 2011). Echokammern ist ein Terminus, der von Cass Sunstein popularisiert wurde und den dieser basierend auf der Idee eines personalisierten Nachrichtenfeeds beschreibt. Dieser Begriff bezieht sich darauf, dass vor allem Suchmaschinen wie Google die Nachrichten auswählen, die Nutzer:innen vermeintlich interessieren (Sunstein, 2009, 2017).
Die Begriffe Filterblasen und Echokammern wurden sehr populär, doch die ursprünglichen Autoren haben sie nicht detailliert definiert, was unter anderem dazu führte, dass sie synonym verwendet werden (Bruns, 2022). Außerdem konnte die Forschung die Annahme weit verbreiteter Filterblasen oder Echokammern nicht bestätigen (Bruns, 2019, 2022). Wie Bruns (2022) ausführt, konnten zahlreiche Studien die Annahme widerlegen, dass bei der Eingabe derselben Termini in Suchmaschinen unterschiedliche Ergebnisse angezeigt werden, so zum Beispiel bei Google News (Haim et al., 2018) oder bei Google-Nutzer:innen in Deutschland (Krafft et al., 2018). In den letzten zehn Jahren und vor allem seit der Wahl von Donald Trump im Jahr 2016, hat sich die Diskussion über Filterblasen und Echokammern stark auf die sozialen Medien fokussiert. Studien zeigen, dass Nutzer:innen von sozialen Medien häufiger mit politischen Uneinigkeiten konfrontiert sind und diese dort öfter antreffen als in anderen Kommunikationsumgebungen. Außerdem korreliert der Konsum von Nachrichten in den sozialen Medien positiv mit den dort wahrgenommenen politischen Uneinigkeiten (Barnidge, 2017). Obwohl Personen, die sich gegenseitig folgen, oft dieselben oder ähnliche politische Positionen vertreten, schließt dies nicht eine Exposition anderer Nachrichten (an anderer Stelle) aus. Außerdem bedeutet ein Folgen nicht zwangsläufig, dass der Position zugestimmt wird (Messingschlager & Holtz, 2020). Was den größten Einfluss auf die Art der Inhalte hat, die Nutzer:innen empfohlen bekommen, ist unklar, da die Algorithmen der Plattformen nicht zugänglich sind (Thorson et al., 2021). Das Verhalten der Nutzer:innen scheint jedoch durchaus bedeutend zu sein (Bakshy et al., 2015). Das individuelle Verhalten beeinflusst den Algorithmus, der wiederum festlegt, welche Inhalte empfohlen bzw. gezeigt werden. Mit einer solchen Klassifizierung soll schließlich auch personalisierte Werbung ermöglicht werden (Thorson et al., 2021). Unterstützer:innen von Desinformation interagieren positiv mit den Inhalten, indem sie diese beispielsweise kommentieren. Dagegen bekräftigen Verbreiter:innen diese nur implizit, indem sie die Inhalte teilen oder liken. Dieses Verhalten kann dazu beitragen, dass der Algorithmus einer Plattform diesen Beiträgen mehr Sichtbarkeit verschafft. Des Weiteren tragen Influencer:innen stark zu deren Verbreitung bei, da sie oft viel Einfluss auf ihr Publikum haben. Dadurch kommt es zu einem „cycle of amplification“ (George et al., 2021, S. 1078), der die reziproke Beziehung zwischen der Verbreitung und der Überzeugung von Inhalten beschreibt. Nutzer:innen, die häufiger Desinformation antreffen, werden mit größerer Wahrscheinlichkeit davon überzeugt und verbreiten diese Inhalte dann eher weiter (George et al., 2021).
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Filterblasen nicht und Echokammern nur teilweise in sozialen Medien nachgewiesen wurden (Bruns, 2019). Die Plattformumgebungen verändern sich jedoch stetig, so ist es möglich auf Plattformen wie TikTok, zwei unterschiedliche Feeds zu sehen: einen, der vom Algorithmus kuratiert wurde, und einen anderen, der von dem oder der Nutzer:in gestaltet wurde (Grover & Wang, 2019). Das bedeutet jedoch nicht, dass Plattformen keinerlei personalisierte Empfehlungen ausspielen oder dass diese frei von Verzerrungen wären. Empfehlungssysteme können jedoch auch so gestaltet werden, dass sie die Diversität der Inhalte erhöhen, die dem oder der Nutzer:in gezeigt werden (Helberger et al., 2018). Die Rolle von (personalisierter) Werbung wird in Kap. 4 näher erläutert, das außerdem die zentralen Profiteure des Desinformationsmarktes beschreibt.
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