Die Pionierrolle im Emissionsgeschäft mit Finanzderivaten

Obwohl Innovation ein äußerst vielschichtiger und schillernder Begriff ist, über dessen Bedeutungsinhalt häufig keine Klarheit besteht ³, bekennt sich heute prinzipiell jeder zur Innovation, der sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, ein reiner Verwalter des Status Quo zu sein. Eine Vielzahl von Arbeiten, die zunächst technologischen, später auch Finanzinnovationen überwiegend positive gesamtwirtschaftliche Funktionen beimessen, rechtfertigen dieses Bekenntnis.⁵ Auch auf Unternehmensebene bietet die erstmalige Einführung neuer Produkte oder Verfahren grundsätzlich Möglichkeiten, die eigene Position im Wettbewerb zu verbessern bzw. langfristig zu sichern. Da die Pionierrolle jedoch in aller Regel kostspieliger und riskanter ist als die eines Folgers, sprechen aus ökonomischer Sicht ähnlich gute Gründe dafür, bewußt auf die Pionierrolle zu verzichten und einem strategischen Imitationsmanagement den Vorzug zu geben. Eine große Zahl von Fallbeispielen, in denen Folger wirtschaftlich erfolgreicher als die Pioniere waren sowie auch eine Reihe empirischer Studien untermauern diese Einschätzung.⁶

Bevor wir uns mit der möglichen Bedeutung der Pionierrolle als Erfolgsfaktor im Optionsscheinmarkt auseinandersetzen, wollen wir zunächst überprüfen, inwieweit die in der Literatur im Zusammenhang mit neuen Finanzmarktleistungen vorherrschende Auffassung, daß — insbesondere bei erfolgreichen Neuprodukteinfuhrungen — mit einem sehr schnellen Nachziehen von Konkurrenten zu rechnen ist, im Optionsscheinmarkt Bestätigung findet. Je schneller und je mehr Folger im Anschluß an die Markteinführung neuer Produkte auftreten, umso mehr verstärken sich Zweifel am wirtschaftlichen Nutzen der Pionierrolle, vor allem, wenn man zusätzlich die in verschiedenen Untersuchungen nachgewiesene hohe Zahl gescheiterter Pionierprodukte berücksichtigt.¹

Im Mittelpunkt unseres Interesses steht in den folgenden Abschnitten die Frage, inwiefern das Timing des Eintritts in ein Marksegment des Optionsscheinmarktes einen Einfluß auf den in diesem Segment realisierten Markterfolg eines Emissionshauses ausübt. Basis und Anknüpfungspunkt unserer Überlegungen ist die sich in einer — sowohl im Hinblick auf theoretische Erklärungsansätze als auch empirische Forschungsergebnisse — umfangreichen Literatur dokumentierende Auseinandersetzung mit der Pioniereigenschaft als kritischem Faktor des Markterfolges.

Die empirische Überprüfung unseres Hypothesensystems basiert auf 189 Markteintritten von insgesamt 32 Emissionshäusern in 28 Segmenten des deutschen Optionsscheinmarktes zwischen 1989 und 1995. Berücksichtigt wurden, wie bereits im Rahmen unserer univariaten Analyse des Verlaufs absoluter Pioniervorteile¹, alle Marktsegmente,

Ziel unserer Arbeit war es, einen Beitrag zur Klärung der bislang für Märkte innovativer Finanzprodukte empirisch kaum untersuchten Fragestellung zu leisten, inwieweit das relative Timing des Markteintritts den späteren wirtschaftlichen Erfolg determiniert. Insbesondere wollten wir untersuchen, ob sich hier durch die Übernahme der Pionierrolle, verstanden als die erstmalige Einführung eines neuen Produktes am Markt, längerfristig nachweisbare ökonomische Vorteile realisieren lassen.