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Open Access 2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

17. Die politische Steuerung von „altersgerechtem“ Wohnraum

verfasst von : Melanie Slavici

Erschienen in: Wohnen und Gesundheit im Alter

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

In Deutschland steigt die Anzahl älterer Menschen, während die Rentenansprüche der zukünftigen Senior*innen voraussichtlich sinken. Diese Verknüpfung aus einem „Mehr“ an älteren Menschen und einem „Weniger“ an ihnen zur Verfügung stehenden Einkommen könnte zu einer „grauen Wohnungsnot“ führen. Während Senior*innen also bereits als eine Risikogruppe für bezahlbaren Wohnraum gehandelt werden, stellt sich aufgrund zunehmender körperlicher Einschränkungen nicht nur die Frage nach der Quantität von Wohnraum, sondern auch nach seiner qualitativen Ausstattung.

17.1 Problemstellung

In Deutschland steigt die Anzahl älterer Menschen, während die Rentenansprüche der zukünftigen Senior*innen voraussichtlich sinken. Diese Verknüpfung aus einem „Mehr“ an älteren Menschen und einem „Weniger“ an ihnen zur Verfügung stehenden Einkommen könnte zu einer „grauen Wohnungsnot“ führen (Bundesbaublatt, 2019). Während Senior*innen also bereits als eine Risikogruppe für bezahlbaren Wohnraum gehandelt werden (Nowossadeck & Engstler, 2017, S. 299; Pestel Institut, 2018, S. 28 f.; Vogel et al., 2021), stellt sich aufgrund zunehmender körperlicher Einschränkungen nicht nur die Frage nach der Quantität von Wohnraum, sondern auch nach seiner qualitativen Ausstattung. Die Studienlage attestiert hierzu einen Mangel an barrierefreiem bzw. -reduziertem Wohnraum (BMVBS, 2011; KDA & Wüstenrot Stiftung, 2014a; BBSR, 2017; Pestel Institut, 2018).
Der aus diesem Mangel entstehende Handlungsbedarf wird dabei je nach Perspektive teils bei den Akteur*innen des Wohnungsmarktes selbst gesehen, teils bei der Politik. Eine politische Zuschreibung begründet sich durch zweierlei sozialpolitische Zielsetzungen: Zum einen wünschen sich viele Menschen die selbstständige Lebensführung „in den eigenen vier Wänden“ (Neubart, 2018, S. 59), zum anderen entspricht dies dem gesundheitsökonomischen Leitsatz „ambulant vor stationär“ (Deutscher Bundestag, 2015, S. 108 f.).
Dieser Beitrag beschäftigt sich deshalb mit der politischen Steuerung in diesem Feld und fragt: Inwieweit ist barrierefreier bzw. -reduzierter Wohnraum ein Handlungsfeld für die Politik? Das Erkenntnisinteresse liegt auf den Steuerungsmöglichkeiten, die politischen Entscheider*innen zur Verfügung stehen. Hierfür wird zunächst der barrierefreie bzw. -reduzierte Wohnraum definiert und der einschlägige Forschungsstand skizziert. Konzeptionell soll daraufhin das Spektrum politischer Maßnahmen nachgezeichnet werden, welches anschließend am empirischen Beispiel des barrierefreien bzw. -reduzierten Wohnraums mit Inhalt gefüllt wird. Die Datenbasis dafür bilden parlamentarische Dokumente, dazu Interviews mit Expert*innen sowie leitfadengestützte Interviews mit den am politischen Prozess beteiligten Akteur*innen.

17.2 Untersuchungsgegenstand: Barrierefreier Wohnraum

Die in diesem Beitrag titelgebende Bezeichnung des „altersgerechten“ Wohnraums ist rechtlich nicht definiert (vgl. bspw. Teti et al., 2014, S. 320), weshalb im Folgenden auf die Barrierefreiheit zurückgegriffen wird. Hierfür bietet § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes einen zentralen Orientierungspunkt: „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen […], wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind“ (BMAS, 2016, S. 3). Es handelt sich um eine sogenannte Definitionsnorm, die einem Begriff einen normativen Inhalt zuschreibt. Daraus ergeben sich noch keine konkreten Pflichten – vielmehr sind diese Normen „bei der Auslegung von Vorschriften heranzuziehen, die solche Rechte oder Pflichten enthalten“ (Bundesfachstelle Barrierefreiheit, 2020).
Dabei ist für die Wohnungspolitik die DIN 18040-2 „Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Teil 2: Wohnungen“ handlungsleitend (DIN, 2020). Sie formuliert Voraussetzungen zu Wohngebäuden und ihren Außenanlagen, nach denen ein Gebäude barrierefrei ist. Diese Norm wurde für den Neubau konzipiert und ist bei Modernisierung im Bestand „sinngemäß anzuwenden“ (VDI, 2017, S. 4). Durch die baulichen Gegebenheiten ist eine vollständige Realisierung der DIN 18040-2 hierbei allerdings häufig nicht möglich, weshalb verschiedene Anstrengungen bestehen, auch für die Bestandsmodernisierung entsprechende Kriterien zu formulieren. Die prominenteste ist dem KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“ zu entnehmen, welches von barrierereduzierenden Maßnahmen spricht (KfW, 2019, S. 2 ff.). Dieser Begriff wird hier in Ergänzung zur Barrierefreiheit genutzt, wenn Umbaumaßnahmen im Bestand zwar nicht zur Einhaltung der DIN 18040-2 führen, wohl aber im Sinne einer individuellen Wohnraumanpassung die Wohnsituation verbessern.

17.3 Forschungsstand

Der Forschungsstand zur politischen Steuerung von barrierefreiem bzw. -reduziertem Wohnraum ist äußerst überschaubar. Am nächsten kommt dem vorliegenden Erkenntnisinteresse die Dissertation von Joo (2018), welche sich mit Wohnberatungen zur altersgerechten Wohnraumanpassung beschäftigt. Zudem bietet der Wohnatlas einen wertvollen Startpunkt, sind in ihm doch verschiedene politische Maßnahmen zum „Wohnen im Alter“ strukturiert aufgearbeitet (KDA & Wüstenrot Stiftung, 2014a, b). Ähnliches gilt für die gleichnamige Studie des BMVBS (2011).
Während gerontologische oder soziologische Studien nach individuellen Wohnraumbedarfen fragen, wird die bauliche Seite von Barrierefreiheit bislang den Fachkreisen von Architekt*innen sowie verschiedenen am Bau und Umbau beteiligten Gewerken überlassen. Mit dem Nachzeichnen der politischen Steuerung zum barrierefreien bzw. -reduzierten Wohnraum lassen sich somit gleich mehrere Diskurse bespielen. Einerseits erweitert sich das politikwissenschaftliche Themenspektrum, andererseits ist eine Brücke zur interdisziplinären Beschäftigung mit dem „Wohnen im Alter“ geschlagen.

17.4 Konzeptionelle Annahmen zur politischen Steuerung

Generell stehen politischen Entscheider*innen unterschiedliche Möglichkeiten der politischen Steuerung zur Verfügung. Dabei wird Steuerung in Anlehnung an Dose (2018, S. 1239) als „staatliche[n] Steuerung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Prozesse“ verstanden. Gesteuert wird über Instrumente, welche laut Böcher und Töller (2012, S. 74) dazu dienen, „politische Ziele durch Beeinflussung des Handelns gesellschaftlicher Akteure zu erreichen“. Tab. 17.1 zeigt dafür ein Spektrum von regulativen über ökonomische bis hin zu informationellen Instrumenten. Während Gebote und Verbote als regulatives Ordnungsrecht den stärksten staatlichen Eingriff darstellen, werden positive ökonomische Anreize wie Förderungen und informationelle Instrumente als weiche Formen der politischen Steuerung bezeichnet (ebd.).
Tab. 17.1
Spektrum politischer Instrumente.
(Nach Böcher & Töller, 2012, S. 75)
Regulative
Instrumente
(Ordnungsrecht)
Ökonomische
Instrumente
Informationelle
Instrumente
• Gebote & Verbote
• Grenzwerte
• Bewilligungsverfahren
• Steuern & Abgaben
• Subventionen
• Förderprogramme
• Information
• Bildung & Beratung
• Labels & Symbole
Zudem weisen Braun und Giraud (2003, S. 151) darauf hin, dass der Staat selbst als „Anbieter von Gütern und Dienstleistungen“ fungieren könne. Durch die staatliche Bereitstellung von Infrastruktur wie Straßen, öffentlichem Verkehr oder Wohnraum wird ein Angebot geschaffen, welches wiederum das Handeln von wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Akteur*innen beeinflusst. Dies geschieht beispielsweise dann, wenn private Akteur*innen sich wegen mangelnder Rentabilität zurückhalten oder die politischen Entscheider*innen die Sicherstellung bestimmter Güter als so wichtig empfinden, dass eine Delegation an nichtstaatliche Akteur*innen abgelehnt wird (Braun & Giraud, 2003, S. 151 f.; Kirchgässner, 2000).
Demgegenüber setzen Verfechter*innen eines „schlanken“ Staates auf die Selbstregelung wirtschaftlicher Teilsysteme. In dieser Logik reguliert sich der Wohnungsmarkt weitgehend von allein. Mayntz und Scharpf (1995, S. 9) sprechen von einer „Selbstregelungsfähigkeit“ sektoraler Systeme und sehen politische Steuerung erst dann als notwendig an, wenn diese Selbstregelung unerwünschte Auswirkungen auf einzelne gesellschaftliche Gruppen oder gesamtgesellschaftliche Strukturen zeigt.
Zusammenfassend ist mit der staatlichen Bereitstellung von Gütern eine Steuerungsform ergänzt, die im Spektrum des Instrumentenkontinuums aufgrund ihrer direkten staatlichen Intervention noch links vom regulativen Instrumentarium verortet wird. Die wirtschaftliche Selbstregelung hingegen findet „im Schatten der Hierarchie“ statt und ist in ihrer Eingriffstiefe weicher als informationelle Instrumente. Tatsächlich handelt es sich gar nicht mehr um ein „politisches“ Instrument, sondern um dem Politischen vorgelagerte wirtschaftliche Aktivitäten (Scharpf, 1991, S. 27; vgl. Tab. 17.2).
Tab. 17.2
Erweitertes Spektrum politischer und nichtstaatlicher Instrumente.
(Nach Böcher & Töller, 2012, S. 75; Braun & Giraud, 2003, S. 151 ff.)
Bereitstellung
öffentlicher Güter
Politische
Instrumente nach Tab. 17.1
Wirtschaftliche
Selbstregelung
Staat bietet Güter oder Dienstleistungen in Eigenregie an
 
Nichtstaatliche Akteur*innen steuern im Rahmen ihrer Interessen und Ressourcen
Bislang wurden die Steuerungsformen isoliert voneinander dargestellt. Meist sind Probleme jedoch so komplex und vielschichtig, dass erst eine Kombination unterschiedlicher Maßnahmen eine erfolgreiche Problemlösung verspricht. Dem Verständnis eines solchen Policy-Mix liegt die Annahme zugrunde, dass ein bestimmtes Problem identifiziert ist und daraufhin die bestmögliche Kombination an auf dieses Problem zugeschnittenen Maßnahmen verabschiedet wird (Borrás & Edquist, 2013, S. 1514 f.).

17.5 Empirische Ergebnisse

Im Folgenden interessiert, welcher Policy-Mix zum barrierefreien bzw. -reduzierten Wohnraum vorzufinden ist. Diese empirische Analyse orientiert sich an den zuvor eingeführten Formen politischer Steuerung (vgl. Tab. 17.1 und 17.2), wobei der Fokus auf den Bundesländern liegt, da diesen zentrale legislative Kompetenzen in der Wohnungspolitik zukommen. Gleichzeitig wird ersichtlich, dass auch Bund und Kommunen über verschiedene Steuerungsmöglichkeiten verfügen.1
Regulative Steuerung
Gebote und Verbote stellen die verbindlichste Form der staatlichen Intervention dar. Einschlägig sind im vorliegenden Kontext die Landesbauordnungen, über die alle 16 Bundesländer Vorgaben zur Anzahl barrierefrei herzustellender Wohnungen definieren. Die sogenannte Musterbauordnung der Bauministerkonferenz schreibt hierzu: „In Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen müssen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein […]. In diesen Wohnungen müssen die Wohn- und Schlafräume, eine Toilette, ein Bad sowie die Küche oder die Kochnische barrierefrei sein“ (ARGEBAU, 2016, S. 39). Einige Länder gehen über diesen Standard jedoch deutlich hinaus. So fordern Rheinland-Pfalz und Niedersachsen – sowie Bremen ab Oktober 2021 – zusätzliche Quoten für rollstuhlgerechten Wohnraum. Dieser ist in der DIN 18040-2 gesondert ausgewiesen (vgl. VDI, 2017, S. 5 f.). Zudem sind in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ab einer bestimmten Gebäudegröße – wenn zum Beispiel ohnehin ein Aufzug erforderlich ist – alle Wohnungen nach barrierefreien Standards herzurichten.
Neben den Bundesländern können auch Kommunen Standards zum barrierefreien Neubau einfordern. Im Rahmen von städtebaulichen Verträgen wie Bebauungsplänen oder Konzeptvergaben können sie lokalen Bedarfen nachkommen und über das jeweilige Bauordnungsrecht hinaus strengere Vorgaben definieren. Flankiert wird dieses Ordnungsrecht noch über eine mietrechtliche Regelung des Bundes, die auf bauliche Veränderungen im Bestand abzielt. Hierzu regelt § 554a im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), dass Vermieter*innen entsprechenden Umbaumaßnahmen prinzipiell zustimmen müssen – etwa dem Einbau eines Treppenlifts. Sie können dafür allerdings eine Kaution zum nachträglichen Rückbau nach Mieterwechsel verlangen (BMJV, 2020).
Ökonomische Steuerung
Die ökonomische Steuerung erfolgt beim barrierefreien bzw. -reduzierten Wohnraum als positive Anreizsteuerung über Fördermittel. So steuern die Landesförderbanken über die soziale Wohnraumförderung, aber auch finanzstarke Kommunen geben eigene Förderprogramme aus und auf Bundesebene besteht das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“. Besonders ambitionierte oder über die bauordnungsrechtlichen Vorgaben hinausgehende Standards zum barrierefreien Neubau oder barrierereduzierten Umbau sollen somit unterstützt werden. Dies kann über Darlehen sowie nicht rückzahlbare Zuschüsse erfolgen und sich sowohl an selbstnutzende Eigentümer*innen als auch an die institutionalisierte Wohnungs- und Bauwirtschaft richten. Bemerkenswert bei dieser ökonomischen Steuerung ist, dass mit Nordrhein-Westfalen, Bayern und Bremen drei Bundesländer für ihren gesamten sozialen Wohnungsbau bestimmte barrierefreie Kriterien als Grundvoraussetzung definiert haben.
Über diese Objektförderung „in Stein“ hinaus finden sich verschiedene sozialpolitische Subjektförderungen, etwa Zuschüsse der Pflege- und Krankenkassen zu „wohnumfeldverbessernden Maßnahmen“ nach dem SGB XI sowie Eingliederungs- und Transferleistungen in der sozialen Grundsicherung. Diese Maßnahmen sind ebenfalls der ökonomischen Steuerung zuzuordnen, entziehen sich aufgrund ihrer sozialpolitischen Ausrichtung jedoch dem wohnungspolitischen Schwerpunkt der Analyse.
Informationelle Steuerung
Als weichste Form der staatlichen Steuerung gelten informationelle Angebote. Einschlägig ist hierfür die Wohnberatung zur Wohnraumanpassung. Wohnberater*innen unterstützen bei geplanten Umbaumaßnahmen zur technischen und finanziellen Umsetzbarkeit. Dabei ist diese Berufsbezeichnung bislang nicht geschützt und die Wohnberatung selbst hat keine feste Verankerung im föderalen System. Während es Schnittstellen zur kommunalen Altenhilfe gibt, sehen es einige Bundesländer als ihre Aufgabe, dieses Beratungsangebot selbst zu steuern.
Nordrhein-Westfalen kooperiert mit den Pflegekassen und ermöglicht dadurch ein flächendeckendes Netz an Wohnberatungen im Bundesland. Bayern indessen fördert den Aufbau von Wohnberatungen und verbindet dies mit bestimmten Kriterien an die Qualität der Beratungsleistungen. Darüber hinaus haben etwa Niedersachsen, Hessen und Rheinland-Pfalz eine koordinierende, ausbildende Fachstelle eingerichtet. Die Wohnberatungen selbst werden indessen vielfach durch freie Träger der Sozial- und Wohlfahrtspflege geleistet.
Informationelle Steuerung ist insgesamt extrem vielfältig und beinhaltet verschiedenste Beratungs- und Informationsangebote. So docken viele Kommunen Wohnberatungen an bestehende Beratungsstellen (bspw. Pflege-/Altenstützpunkte) an und sichern so eine entsprechende Infrastruktur vor Ort.
Staatliche Bereitstellung von Gütern und Selbstregelung
In den konzeptionellen Annahmen wurde die klassische politische Steuerung noch um die staatliche Bereitstellung von Gütern und die wirtschaftliche Selbstregelung erweitert.
Nach wie vor verfügen viele Kommunen, aber auch einige Bundesländer, über eigene Wohnungsunternehmen und stellen damit selbst Wohnraum bereit. Durch die politische Nähe dieser Wohnungsunternehmen sind politische Zielsetzungen wie eine bestimmte barrierefreie Ausstattung mutmaßlich leichter zu realisieren als bei Wohnungsunternehmen ohne staatliche Beteiligung. Es bedarf einer detaillierten Prüfung, inwieweit diese politische Nähe aktiv zur Steuerung genutzt wird.
Die Selbstregelung über die private Wohnungs- und Bauwirtschaft begründet sich dadurch, dass der Wohnungsmarkt von sich aus auf die von Mieter*innen bzw. Käufer*innen nachgefragten Wohnausstattungen reagiert. Insbesondere auf stark alternden oder von Leerstand bedrohten Wohnungsmärkten erscheint eine solche Selbstregelung wahrscheinlich und kann ergänzend oder ersetzend zur engeren politischen Steuerung fungieren.
Zusammenfassung
Abschließend stellt Tab. 17.3 den Policy-Mix zum barrierefreien bzw. -reduzierten Wohnraum dar und zeigt eine Synopse von regulativen, ökonomischen und informationellen Instrumenten. Die verbindliche Steuerung über die Landesbauordnungen wird durch verschiedene politische und wirtschaftliche Maßnahmen ergänzt. Hierbei zeigt sich, dass dieser wohnungspolitische Teilbereich nicht nur unterschiedliche Politikfelder (Wohnungs-/Baupolitik und Sozialpolitik), sondern auch unterschiedliche föderale Ebenen (Bund, Länder, Kommunen) umspannt. Dies wiederum erschwert eine kohärente politische Steuerung.
Tab. 17.3
Empirische Analyse zur Typologie politischer Instrumente
 
Staatliche Bereitstellung von Gütern
Regulative
Instrumente
(Ordnungsrecht)
Ökonomische
Instrumente
Informationelle
Instrumente
Wirtschaftliche
Selbstregelung
Definition, Beispiele
Staat bietet Güter oder Dienstleistungen in Eigenregie an
• Gebote & Verbote
• Grenzwerte
• Bewilligungsverfahren
• Steuern & Abgaben
• Subventionen
• Förderprogramme
• Information
• Bildung & Beratung
• Labels & Symbole
Nichtstaatliche Akteur*innen steuern im Rahmen ihrer Interessen und Ressourcen
Bund
• Mietrecht, § 554a BGB
• Wohnraumförderung der KfW
Aktivitäten der Wohnungs- und Bauwirtschaft selbst
Bundesländer
Landeseigene und kommunale Wohnungsunternehmen
• Bauordnungen
• Soziale Wohnraumförderung
Wohnberatung zur Wohnraumanpassung
Kommunen
• Bebauungspläne
• Konzeptvergaben
• Kommunale Förderprogramme

17.6 Diskussion der Ergebnisse & Ausblick

Dieser Beitrag hat die politischen Steuerungsmöglichkeiten zum barrierefreien bzw. -reduzierten Wohnraum aufgezeigt. Hieran schließen sich verschiedenste Folgefragen an: Wie intensiv nutzen die einzelnen föderalen Einheiten die ihnen zur Verfügung stehenden Maßnahmen? Begründet sich eine unterschiedlich starke Nutzung durch parteipolitische Unterschiede, soziodemografische Strukturen vor Ort oder die Situationen auf den lokalen Wohnungsmärkten? Und wie kohärent ist der jeweilige Policy-Mix überhaupt – sprich: Ergänzen sich die einzelnen Maßnahmen sinnvoll oder konterkarieren sie sich gar in gewisser Weise?
Derartige Fragen zur Policy-Gestaltung und Policy-Wirkung können nur beantwortet werden, wenn eine Basis zum Untersuchungsgegenstand selbst besteht. Diesen ersten Schritt hat dieser Beitrag geleistet und reagiert damit auf veränderte Wohnraumbedarfe in einer älter werdenden Gesellschaft. Dabei stand die bauliche Seite vom „altersgerechten“ Wohnen im Fokus. Direkt damit zusammen hängen gemeinschaftliche Wohnformen oder bestimmte mit dem Wohnen verbundene Serviceleistungen. Auch Ansätze der Quartiers- und Stadtentwicklung stellen wesentliche Aspekte einer – barrierefreien – bedarfsgerechten Infrastruktur dar. Indessen wächst der Querschnittscharakter der politischen Steuerung, je mehr Politikfelder und Akteur*innen beteiligt sind. Dies ist eine herausfordernde Aufgabe für die Politikintegration (vgl. Jänicke, 2006, S. 405 ff.), welche die unterschiedlichen wohnungspolitischen und sozialpolitischen Logiken in Einklang zu bringen versucht.
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Fußnoten
1
Aufgrund der Vielfalt der genutzten Primärquellen in den 16 Ländern wird auf eine detaillierte Darstellung der einzelnen Quellen verzichtet. Die einschlägigen Gesetzestexte sowie Richtlinien sind bei Bedarf separat nachzulesen.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Die politische Steuerung von „altersgerechtem“ Wohnraum
verfasst von
Melanie Slavici
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-34386-6_17