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Open Access 2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

Die Rolle von Erziehungsstilen für den Zusammenhang von Auslandsaufenthalten, Selbstwirksamkeit und interkultureller Kompetenz

verfasst von : Petia Genkova, Verena Fässler, Henrik Schreiber

Erschienen in: Diversity nutzen und annehmen

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Aufgrund der zentralen Bedeutung interkultureller Interaktion in der globalisierten Welt ist die Entwicklung der interkulturellen Kompetenz von Studierenden während Auslandsaufenthalten von hoher Bedeutung für Wissenschaft und Praxis. In diesem Kapitel liefern und testen wir einen theoretischen Rahmen, der die Selbstwirksamkeitstheorie des Lernens mit interkulturellem Lernen verbindet. Zu diesem Zweck wurde der Zusammenhang zwischen Auslandsaufenthalt, Selbstwirksamkeit, interkulturelle Kompetenz und dem erinnerten Erziehungsstil als moderierende Variable von deutschen Studierenden (N = 203) mittels einer Querschnittsstudie untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass Selbstwirksamkeit den Zusammenhang zwischen der Dauer eines Auslandsaufenthaltes und interkultureller Kompetenz in Abhängigkeit von der Wahrnehmung eines emotional warmen Erziehungsstils der Eltern mediiert. Entgegen unserer Annahmen moderieren die Erziehungsstile Kontrolle und Bestrafung nicht den Zusammenhang von Dauer des Auslandsaufenthalts und Selbstwirksamkeit. Dieses Kapitel soll zum Verständnis des interkulturellen Lernens als Ergebnis der Bewältigung interkultureller Herausforderungen beitragen.

1 Theoretische Grundlagen

Im Kontext der Globalisierung werden Individuen im eigenen Arbeitsumfeld zunehmend mit interkulturellen Kontaktsituationen konfrontiert. Als Reaktion auf diesen Umstand des modernen Arbeitslebens bieten Hochschulen verstärkt international ausgerichtete Studienprogramme an. Auslandsemester ermöglichen es Studierenden, eine gewisse Zeit im Ausland zu verbringen und so interkulturelle sowie sprachliche Kompetenzen vor Ort zu erwerben (Genkova et al., 2021). Es wird erwartet, dass die Auslandserfahrung später im Berufsleben die Qualität interkultureller Interaktionen im Umgang mit Kunden und Kundinnen sowie Partner und Partnerinnen erhöht und die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen und Konflikten verringert. Durch die konstruktive Nutzung unterschiedlicher Perspektiven und Wissensstände besteht darüber hinaus die Möglichkeit, Synergien und eine vertiefte Informationselaboration zu schaffen (Stegmann, 2011). Daher ist es von hoher Relevanz, den Lernprozess während Auslandsaufenthalten zu untersuchen.
Interkulturelle Kompetenz ist definiert als die Fähigkeit, in interkulturellen Situationen angemessen und effektiv zu handeln (Deardorff & Arasaratnam-Smith, 2017). Bisherige Studien zur Entwicklung interkultureller Kompetenz (synonym verwendete Begriffe sind interkulturelle Intelligenz und kulturelle Kompetenz; Genkova & Schreiber, 2019) haben gezeigt, dass längere Auslandsaufenthalte tatsächlich mit höherer interkultureller Kompetenz zusammenhängen (Tarique & Takeuchi, 2008; Tracy-Ventura et al., 2016). Die aktuelle Literatur zum interkulturellen Lernen beschreibt notwendige Elemente zur Entwicklung interkultureller Kompetenz: Wissen über eine bestimmte Kultur sowie über kulturelle Unterschiede im Allgemeinen zu erlangen, das Gelernte im Weiteren anzuwenden und die jeweilige Interaktion im Nachhinein zu reflektieren (Bolten, 2016) sowie die weitere Verhaltensplanung und das Handeln anzupassen (Kowalski et al., 2016).
Die kognitive Lerntheorie beschreibt die Entwicklung von Selbstwirksamkeit während des Lernprozesses als Schlüssel zur Anpassung der Verhaltensplanung und -ausführung. Die Überzeugung, eine beabsichtigte Handlung zu einem Mindestmaß zu beherrschen, wird als Voraussetzung dafür gesehen, diese auszuprobieren (Bandura, 2006). Es konnte gezeigt werden, dass der Erziehungsstil ein signifikanter Prädiktor für die Selbstwirksamkeit und damit für spätere Leistungen ist (Seok-Nam et al., 2012). Dementsprechend schlussfolgern Seok-Nam et al. (2012), dass Individuen mit warmherzigeren und weniger ablehnenden beziehungsweise kontrollierenden Eltern eher in der Lage sind, durch die Bewältigung einer bestimmten Aufgabe, Selbstwirksamkeit zu erlangen und somit in der Zukunft bessere Lernergebnisse zeigen. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Bewältigung einer Aufgabe ist das Erlernen eines bestimmten Verhaltens im Ausland. Folglich sollte der Zusammenhang zwischen Auslandserfahrungen und der Entwicklung von Selbstwirksamkeit vom Erziehungsstil der Eltern abhängen. In der vorliegenden Studie wird daher ein theoretischer Rahmen getestet, der die Selbstwirksamkeitstheorie des Lernens (Bandura, 2006) und interkulturelles Lernen (Bolten, 2016) miteinander verbindet und den erinnerten Erziehungsstil der Studierenden als moderierende Variable miteinbezieht. Diese Studie soll einen Beitrag zum Verständnis von interkultureller Kompetenz als Ergebnis eines Lernprozesses leisten. Die Leitfrage lautet daher, ob Selbstwirksamkeit den Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und interkultureller Kompetenz mediiert und inwieweit der Zusammenhang zwischen Auslandsaufenthalt und Selbstwirksamkeit durch den erinnerten Erziehungsstil moderiert wird.
Zum heutigen Stand existiert in der Forschung kein allgemein anerkanntes und empirisch belegtes Modell der interkulturellen Kompetenz (Deardorff & Arasaratnam-Smith, 2017). Ein Konzept, welches jedoch breite Akzeptanz gefunden hat und zudem stabile Validität aufweist, ist das Modell von van Dyne et al. (2009). Das Modell differenziert das Konstrukt der interkulturellen Kompetenz in die Subskalen metakognitive, kognitive, motivationale und verhaltensbezogene Kompetenz. Die metakognitive Subskala umfasst die Reflexion der eigenen kulturellen Bestimmung und interkulturellen Aspekte zukünftiger Szenarien. Die kognitive Komponente beschreibt die Fähigkeit, die Regeln und Normen der neuen Kultur zu erlernen. Die motivationale Kompetenz beinhaltet den Drang, eine neue Kultur kennenzulernen, sich anzupassen und Herausforderungen zu meistern. Der verhaltensbezogene Aspekt beinhaltet die tatsächliche Fähigkeit zur Interaktion, beispielsweise den Spracherwerb und die Anpassung des eigenen Verhaltens an die Anforderungen einer Situation. Im Gegensatz zu anderen Forschenden (zum Beispiel van der Zee & van Oudenhoven, 2001) verstehen van Dyne et al. (2009) unter interkultureller Kompetenz die Fähigkeit, in interkulturellen Situationen angemessen zu interagieren. Somit sehen sie interkulturelle Kompetenz als eine Fähigkeit an, die im Laufe der Zeit aktiv erlernt werden kann und nicht als eine Persönlichkeitseigenschaft, die sich allein durch lebensverändernde Erfahrungen verändert. Das Konzept von van Dyne et al. (2009) ist daher besonders vielversprechend, um interkulturelles Lernen zu untersuchen.
Zahlreiche Studien beschäftigen sich mit der Frage, wie interkulturelle Kompetenz aktiv gefördert und entwickelt werden kann. Zum einen kann dies durch Trainings (zum Beispiel Bolten, 2016; Kowalski et al., 2016) oder durch einen Aufenthalt in einer Kultur, die sich von der Heimatkultur unterscheidet, geschehen (Li et al., 2013; Tarique & Takeuchi, 2008; Wolff, 2017). Tarique und Takeuchi (2008) zeigen, dass die Anzahl und Länge der Auslandsaufenthalte mit den vier Subdimensionen der interkulturellen Kompetenz korrelieren. Li et al. (2013) konnten heraus finden, dass die kumulierte Dauer aller Auslandsaufenthalte interkulturelle Kompetenz vorhersagt. Wolff (2017) beobachtete in einer Studie (Prä-Post-Design), dass Personen, die sich drei Monate in einem fremden Land aufhielten, ihre allgemeine interkulturelle Kompetenz verbesserten. Tarique und Takeuchi (2008) sowie Li et al. (2013) fanden jedoch keine Verbesserung der interkulturellen Kompetenzen bei dreimonatigen Aufenthalten, sondern erst bei längeren Aufenthalten von fünf Monaten und mehr.
Während es mehrere Studien zum Zusammenhang von Auslandsaufenthalten mit der interkulturellen Kompetenzentwicklung gibt, ist der Lernprozess, der diesen Kompetenzgewinn bedingt, noch kaum untersucht. In früheren Studien (Genkova & Schreiber, 2019) konnte gezeigt werden, dass bedeutungsvolle Interaktionen mit Mitgliedern der Gastkultur und eine starke Resilienz Mediatoren in der Beziehung zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und der interkulturellen Kompetenz darstellten. Eine naheliegende Schlussfolgerung ist, dass interkulturelles Lernen neben Persönlichkeitsdispositionen, beispielsweise Offenheit für Erfahrungen, mit dem Erlernen kultureller Normen durch sinnvolle Interaktionen und mit der Überwindung von Herausforderungen schlechter Anpassung wie Interaktionsproblemen, Isolation, akkulturativem Stress oder Diskriminierungserfahrungen, zusammenhängt. Gudykunst und Hammer (1983) führen zu dieser Thematik aus, dass interkulturelles Lernen in Trainings oder im realen Leben neben Informationen ebenfalls Erfahrungen mit einer bestimmten Kultur erfordert. Während Bolten (2016) diesen Prozess für formale Trainingssettings beschreibt, ist es wahrscheinlich, dass der tatsächliche Lernprozess bei Auslandsaufenthalten vergleichbaren Regeln folgt. Die Vermittlung von Informationen auf formelle (Lehrkraft/Trainer bzw. Trainerin) oder informelle Weise (Freunde) und das Sammeln konkreter Erfahrungen im Zusammenhang mit diesen Informationen, ermöglichen es dem Individuum, seine Erfahrungen zu reflektieren, seine Verhaltensabsichten und Ergebniserwartungen anzupassen, um das kürzlich Erlernte auf neue Situationen zu übertragen (Bolten, 2016).
Die Bewältigung von Herausforderungen als Charakteristik des Lernens und die Anpassung von Verhaltensintentionen und -erwartungen sind eng mit dem Konzept der Selbstwirksamkeit verbunden (Bandura, 2006). Bandura definiert wahrgenommene Selbstwirksamkeit als die Einschätzung einer Person, inwieweit sie selbst in der Lage ist, ein bestimmtes Verhalten auszuführen, um zuvor festgelegte Ziele zu erreichen. Individuen erlangen wahrgenommene Selbstwirksamkeit durch frühere Leistungserfolge, indirekte Erfahrungen, Überredung (Persuasion durch andere) und emotionale Erregung (Bandura, 2006; Kowalski et al., 2016). Diejenigen Personen, die eine hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aufweisen, sind in der Lage, Widrigkeiten durchzustehen und sehen Misserfolge und Rückschläge nicht als Hindernisse für ihren Fortschritt und Erfolg.
„Was auch immer für andere Faktoren als Wegweiser und Motivatoren dienen, sie sind in dem Kernglauben verwurzelt, dass man die Macht hat, durch sein Handeln Veränderungen zu bewirken“ (Bandura, 2006, S. 4, eigene Übersetzung).
Anhand der Auswertung eines interkulturellen Trainings zeigen Kowalski et al. (2016), dass die Erfahrung, interkulturelle Probleme zu lösen, mit höherer Selbstwirksamkeit und interkultureller Kompetenz verbunden ist. Eine frühere qualitative Studie demonstrierte außerdem dass der Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und der Selbstwirksamkeit von der Quantität und Qualität der persönlichen Herausforderungen während eines Auslandsaufenthalts abhing. Je herausfordernder die Aufenthalte waren, desto höher schätzten die Teilnehmenden ihre Selbstwirksamkeit und ihre interkulturelle Kompetenz ein (Milstein, 2005). In der kognitiven Lerntheorie wird angenommen, dass Selbstwirksamkeit die Zusammenhänge zwischen Erfahrungen, Verhaltensplanung und -ausführung beeinflusst (Madden et al., 1992). Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass Selbstwirksamkeit den Zusammenhang zwischen Erfahrungen in interkulturellen Settings und der tatsächlichen Kompetenzwahrnehmung vermittelt. Die tatsächliche Kompetenzwahrnehmung beruht auf früheren Erfahrungen mit der Ausführung kompetenten Verhaltens (van Dyne et al., 2009; Wolff, 2017).
Es gibt überzeugende theoretische und empirische Unterstützung für die Annahme, dass Erfahrungen aus der Kindheit berücksichtigt werden müssen, um Selbstwirksamkeit im Erwachsenenalter zu verstehen (Macmull & Ashkenazi, 2019). Nach der Theorie der sozialen Interaktion von Vygotsky (nach Theresya et al., 2018) ist die soziale Interaktion zwischen dem Kind und seiner Bezugsperson ein wichtiger Schlüssel für die kognitive Entwicklung eines Kindes. In diesem Kontext wird der erinnerte Erziehungsstils als ein relativ stabiles Set von Verhaltensweisen in der Interaktion mit dem eigenen Kind definiert (Macmull & Ashkenazi, 2019). Schumacher et al. (2000) zeigen, dass das elterliche Erziehungsverhalten durch drei unabhängige Dimensionen beschrieben werden kann: emotionale Wärme, Kontrolle sowie Ablehnung und Bestrafung. Der Erziehungsstil hängt mit verschiedenen Entwicklungsprozessen zusammen. Unter anderem hat er einen signifikanten Einfluss auf die Leistung von Erwachsenen in verschiedenen Bereichen, zum Beispiel auf die Mathematikleistung (Macmull & Ashkenazi, 2019). Die Autoren argumentieren, dass ein höheres Maß an emotionaler Unterstützung und Ermutigung und ein geringeres Maß an Kontrolle und Ablehnung mit besserer emotionaler Bewältigung von Beanspruchung sowie mehr Willenskraft verbunden ist und damit mit besseren Leistungen einhergeht. Im Einklang mit dieser Theorie konnten Seok-Nam et al. (2012) zeigen, dass ein hohes Maß an emotionaler Wärme und ein niedriges Maß an Ablehnung und Kontrolle mit einer höheren Selbstwirksamkeit zusammenhängen und diese wiederum mit einer höheren Leistung in Beziehung steht.

2 Fragestellung, Methode und Stichprobenbeschreibung

Das Ziel der dieser Studie ist es, zu untersuchen, ob Selbstwirksamkeit den Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und der interkulturellen Kompetenz mediiert und inwieweit dieser Zusammenhang durch den erinnerten Erziehungsstil beeinflusst wird. Es wird angenommen, dass der Prozess des interkulturellen Lernens sowohl von theoretischen Informationen als auch vom praktischen Erleben von Interkulturalität abhängt (Bolten, 2016). Die kognitive Lerntheorie (Madden et al., 1992) führt individuelle Unterschiede im Lernverhalten und Lernerfolg auf die Überzeugung zurück, sich neue Informationen aneignen und die jeweiligen Informationen in die Praxis umsetzen zu können (Selbstwirksamkeit). Während eines Auslandsaufenthalts wird von Studierenden erwartet, Einblicke in die andere Kultur zu gewinnen und Erfahrungen mit interkulturellen Missverständnissen oder alltäglichen Schwierigkeiten, wie mangelndem Wissen über Strukturen und Abläufe, zu sammeln. (Tracy-Ventura et al., 2016). Die Bewältigung von Herausforderungen und der Wissenserwerb über eine bestimmte Kultur sollten daher mit einer signifikanten Zunahme der Selbstwirksamkeit verbunden ist. Der Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und der interkulturellen Kompetenz sollte durch Selbstwirksamkeit erklärt werden können (Milstein, 2005).
Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass der Erziehungsstil einen signifikanten Prädiktor für die Selbstwirksamkeit und damit für zukünftige Leistungen darstellt (Seok-Nam et al., 2012). Folglich wird vermutet, dass der Zusammenhang zwischen der Dauer der Auslandserfahrungen und der Entwicklung von Selbstwirksamkeit von dem erinnerten Erziehungsstil abhängig ist. Im Einklang mit dieser Annahme wiesen chinesische Teilnehmende eine effizientere Problembewältigung auf, wenn der berichtete Erziehungsstil durch ein höheres Maß an Wärme und ein geringeres Maß an Ablehnung und Kontrolle gekennzeichnet war (Ju et al., 2020). Da die wahrgenommene Selbstwirksamkeit nach einem Auslandsaufenthalt sowohl durch das Lernen als auch durch die Bewältigung herausfordernder Situationen bestimmt werden sollte, wird ein Interaktionseffekt zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und dem Erziehungsstil auf die Selbstwirksamkeit der Studierenden nach ihrer Rückkehr nach Deutschland erwartet. Zudem sollten Teilnehmende, die durch einen emotional warmen und weniger durch einen abweisenden und kontrollierenden Erziehungsstil geprägt wurden, eher in der Lage sein, Selbstwirksamkeit zu entwickeln. Weiterhin wird angenommen, dass der Erziehungsstil den indirekten Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und der interkulturellen Kompetenz, vermittelt über die Selbstwirksamkeit, moderiert. Dementsprechend wird (s. Abb. 1) für den Zusammenhang von Auslandsaufenthalt, interkultureller Kompetenz und Selbstwirksamkeit ein Modell spezifiziert, das mit den folgenden Hypothesen verknüpft ist.
Hypothese 1: Der Zusammenhang von Dauer der Auslandsaufenthalte und Selbstwirksamkeit wird durch den erinnerten Erziehungsstil moderiert (Pfad a3)
Hypothese 2: Die Selbstwirksamkeit mediiert den Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und der interkulturellen Kompetenz (Pfad c')
Hypothese 3: Der durch die Selbstwirksamkeit vermittelte indirekte Effekt der Dauer des Auslandsaufenthalts auf die interkulturelle Kompetenz wird durch den erinnerten Erziehungsstil moderiert (Pfad a3b)
Die Hypothesen wurden mithilfe einer Querschnittsbefragung mittels Online-Fragebogen untersucht, der über verschiedene Social-Media-Kanäle verbreitet wurde. Zur Beantwortung der Hypothesen wurden die Teilnehmenden mit einem Einladungslink rekrutiert, über den sie den Fragebogen auf der Plattform LimeSurvey aufrufen konnten. Teilnahmevoraussetzungen waren ein Mindestalter von 18 Jahren, der Studierendenstatus an einer deutschen Hochschule oder Universität und dass die Studierenden innerhalb des letzten Jahres einen Auslandsaufenthalt (von mindestens 3 Monaten) absolviert hatten. Es war möglich, den Fragebogen sowohl am Computer als auch am Smartphone auszufüllen. Es wurde kein Incentive geboten.
Der für diese Studie verwendete standardisierte Fragebogen lässt sich in drei Teile mit insgesamt 105 Items gliedern und konnte in etwa 20 min ausgefüllt werden.
Zur Erfassung der Selbstwirksamkeit wurde die General Self-Efficacy Skala von Jerusalem und Schwarzer (1986) verwendet. Der Fragebogen umfasst 10 Items mit einer 5-stufigen Likert-Skala (zum Beispiel „Was auch immer passiert, ich werde damit fertig“; α = .82).
Zur Messung der interkulturellen Kompetenz wurde die die Cultural Intelligence Scale (CQ) von Van Dyne, Ang und Koh (2008) verwendet. Die Skala beinhaltet 20 Items mit einer 7-stufigen Likert-Skala von 1 = „Ich stimme völlig zu“ bis 7 = „Ich stimme überhaupt nicht zu“. Die interne Konsistenz reicht für die Subskalen von Cronbachs α = .75 bis .87. Die Skala basiert auf dem 4-Faktoren-Modell von Ang et al. (2007). Sie misst die metakognitive Kompetenz mit 4 Items (zum Beispiel „Ich bin mir bewusst, welches interkulturelle Wissen ich in interkulturellen Situationen verwende“). Die kognitive kulturelle Intelligenz wird mit 6 Items gemessen (zum Beispiel „Ich weiß über Kunst in anderen Kulturen Bescheid“). Die motivationale kulturelle Intelligenz wird durch 5 Items erfasst (zum Beispiel „Ich bin zuversichtlich, dass ich in der Lage sein werde, mit Einheimischen in fremden Kulturen in Kontakt zu treten“). Verhaltenskulturelle Intelligenz wird mit 5 Items erfasst (z. B. „Ich passe mein sprachliches Verhalten (z. B. Aussprache) an, wenn eine interkulturelle Situation es erfordert“).
Für die Analyse des Erziehungsstils wurde die Skala Erinnertes Erziehungsverhalten der Eltern von Schumacher et al. (2000) verwendet. Der Fragebogen wurde für Erwachsene zwischen 18 und 92 Jahren konzipiert und ist für die vorliegende Arbeit geeignet. Die Selbsteinschätzung umfasst 24 Items, die auf die retrospektive Bewertung von drei Subskalen abzielen: Emotionale Wärme (zum Beispiel „Haben Ihre Eltern mit Ihnen gekuschelt?“; Cronbachs α = .94), Ablehnung und Bestrafung (zum Beispiel „Haben Ihre Eltern Sie geschlagen?“; Cronbachs α = .89) und Kontrolle (zum Beispiel „Haben Ihre Eltern versucht, Sie zu beeinflussen, damit Sie jemand Besseres werden?“; Cronbachs α = .70).
Des Weiteren wurden verschiedene Kontroll- sowie demografische Variablen erhoben, wobei den Limitationen der Studien von Milstein (2005), Genkova und Schreiber (2019) und Wolff (2017) gefolgt wurde, die vorschlagen, für relevante Persönlichkeitsdimensionen (Offenheit) und den Kontakt zu Mitgliedern der Gastkultur zu kontrollieren.
Der Kontakt zu Mitgliedern der Gastkultur während des Auslandsaufenthalts wurde mit der General Intergroup Contact Quantity und Contact Quality Skala (Islam & Hewstone, 1993) erfasst. Die erste Skala misst die Kontakthäufigkeit auf einer 7-stufigen Likert-Skala, die von 1 = „gar kein Kontakt“ bis 7 = „sehr oft“ reicht. Die Kontaktqualität bezieht sich auf die Teilnahme an bereits geführten Gesprächen mit Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft. Hierfür wurde untersucht, inwieweit der Kontakt als gleichberechtigt, freiwillig, oberflächlich, angenehm oder konkurrierend empfunden wurde. Die Antworten wurden ebenfalls auf einer 7-stufigen Likert-Skala gegeben. Beide Skalen zum des Intergruppenkontakts wurden bereits, teilweise in angepasster Form, in einer Vielzahl von Studien verwendet (Lolliot et al., 2014). Die Bezeichnung „Outgroup“ in Formulierungen aus der ursprünglichen Version des Fragebogens wurde in der vorliegenden Studie durch die Bezeichnung „Mitglieder der eigenen Gastkultur“ ersetzt.
Der nächste Teil des Fragebogens war die Subskala Offenheit für Erfahrungen aus einer Kurzversion des NEO-FFI (McCrae & Costa, 2004). Die Subskala setzt sich aus zehn Items auf einer 5-stufigen Likert-Skala zusammen (z. B. „Ich probiere oft neues oder fremdes Essen“; α = .72).
Zuletzt bearbeiteten die Teilnehmenden eine Anzahl demografischer Fragen. Dazu gehörten Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss, Herkunft und Fragen zur Dauer des Auslandsaufenthalts. Die Dauer des Auslandsaufenthalts wurde mit der Frage „Wie lange war Ihr längster Auslandsaufenthalt während der Studienzeit (in Monaten)“ erfasst.
Insgesamt lagen 209 Datensätze vor. Jedoch wurden fünf Teilnehmende, die nicht studierten und ein Teilnehmender, der einen Auslandsaufenthalt von 480 Monaten angab, ausgeschlossen. Daraufhin setzte sich die Stichprobe aus N = 203 deutschen Studierenden zusammen. In der Stichprobe gab es keine fehlenden Werte. Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden lag bei 28.91 Jahren, wobei die Altersspanne von 18 bis 61 Jahren reichte. Die Stichprobe bestand zu 69.1 % aus Frauen und zu 30.9 % aus Männern. Zum Zeitpunkt der Studie studierten 64 % der Teilnehmenden in einem Bachelor-Studiengang, 30 % in einem Master-Studiengang und 6 % promovierten. Bezüglich des Migrationshintergrundes gaben 16 % der Teilnehmenden an, mindestens ein Elternteil zu haben, das nach Deutschland eingewandert ist. Keiner der Teilnehmenden ist selbst nach Deutschland eingewandert.

3 Ergebnisse

Die deskriptive Statistik (Mittelwerte und Standardabweichungen) für jede der Variablen sowie die bivariaten Korrelationen zwischen den Variablen sind in Tab. 1 dargestellt. Um die Hypothesen zu testen, wurden drei Pfadmodelle unter Verwendung der multiplen Regression mit dem SPSS-Makro PROCESS (Modell 7, 10.000 Bootstrap-Stichproben) für jeden der moderierenden Erziehungsstile mit 95 %-Konfidenzintervallen (LLCI/ULCI), mittels der Perzentilmethode, spezifiziert. Die statistischen Voraussetzungen für die multiple Regressionsanalyse (Linearität, Homoskedastizität – Levene-Test p > .05) waren für die vorliegenden Daten erfüllt. Offenheit, Kontaktqualität und -quantität wurden als Kovariaten in die Analyse einbezogen.
Tab. 1
Deskriptive Statistik und bivariate Korrelationen
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Für Hypothese 1 (der Zusammenhang von der Dauer des Auslandsaufenthalts und der Selbstwirksamkeit wird durch den erinnerten Erziehungsstil moderiert) zeigte sich ein signifikanter Interaktionseffekt (a3) von emotionaler Wärme und Dauer des Auslandsaufenthalts. Entgegen der Annahmen gab es keine Interaktionseffekte des Erziehungsstils für Kontrolle und Ablehnung und Bestrafung, sondern nur Haupteffekte (a2); für Kontrolle (β = −.121, SE = .068, p = .023) und für Ablehnung und Bestrafung (β = −.135, SE = .072, p = .035). Daher wurden im weiteren Verlauf Hypothese 2 und 3 bezogen auf emotionale Wärme getestet. In Tab. 2 werden die Ergebnisse der Analyse für die emotionale Wärme berichtet. In Abb. 2 wird der Interaktionseffekt grafisch dargestellt.
Tab. 2
Regressionskoeffizienten für die abhängige Variable Selbstwirksamkeit
 
β
SE
t
p
Konstante
.001
.064
0.003
.997
Dauer des Auslandsaufenthaltes (a1)
.159
.065
2.430
.016
Emotionale Wärme (a2)
.113
.066
1.705
.089
Interaktion Dauer x Emotionale Wärme (a3)
.167
.067
2.486
.013
Anmerkung: R2korr = .187, F(5, 197) = 9.082, p < .001
Für Hypothese 2 (die Selbstwirksamkeit vermittelt den Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und der interkulturellen Kompetenz) zeigte sich ein signifikanter indirekter Effekt (a1b) der Dauer des Auslandsaufenthalts auf die Interkulturelle Kompetenz über die Selbstwirksamkeit für mittlere Werte der Moderatorvariable (emotionale Wärme). Das Modell erklärte 41.2 % der Varianz der interkulturellen Kompetenz (F(4, 198) = 36.65, p < .001). Der direkte Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und der interkulturellen Kompetenz wurde nicht signifikant, wenn für Offenheit, Kontaktqualität und -quantität kontrolliert wurde (b = .07, SE = .039, LLCI = .025, ULCI = .128). In Abb. 3 werden diese Zusammenhänge veranschaulicht.
Für Hypothese 3 (der indirekte Effekt der Dauer des Auslandsaufenthalts auf die interkulturelle Kompetenz, vermittelt durch Selbstwirksamkeit, wird durch den Erziehungsstil moderiert) ergab sich für die moderierte Mediation ein signifikanter Indexwert (a3b Index = .060, SE = .026, LLCI = .013, ULCI = .117). Der indirekte Effekt der Dauer des Auslandsaufenthalts auf die interkulturelle Kompetenz über die Selbstwirksamkeit war signifikant höher für hohe Werte der emotionalen Wärme (b = .12, SE = .039 LLCI = .052, ULCI = .210 für emotionale Wärme eine Standardabweichung über dem Durchschnitt), während kein signifikanter Zusammenhang für emotionale Wärme eine Standardabweichung unter dem Durchschnitt gefunden wurde.
Das Modell wurde explorativ für die vier Subskalen der CQ-Skala a-posteriori getestet. Da die Subskalen nur geringfügig abweichenden Ergebnisse aufweisen und untereinander stark korrelierten, wurde an dieser Stelle nur die Ergebnisse bezogen auf den CQ-Mittelwert berichtet.

4 Diskussion

Das Ziel der vorliegenden Studie war es, den Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und interkultureller Kompetenz genauer zu untersuchen. Im Zuge dessen wurde angenommen, dass Selbstwirksamkeit diesen Zusammenhang, zumindest teilweise erklären kann. Die Dauer des Auslandsaufenthaltes sollte zu mehr Selbstwirksamkeit führen, die wiederum mit einer ausgeprägteren interkulturellen Kompetenz zusammenhängt. Des Weiteren wurde der erinnerte Erziehungsstil in die Untersuchung einbezogen, da angenommen wird, dass unterschiedliche Erziehungsstile den Zusammenhang zwischen Aufenthaltsdauer und Selbstwirksamkeit beeinflussen können.
Entgegen Hypothese 1 zeigte sich kein signifikanter Interaktionseffekt für die Erziehungsstil-Subskalen Kontrolle und Bestrafung mit der Dauer des Auslandsaufenthalts. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass die emotionale Wärme den Zusammenhang von Dauer des Auslandsaufenthalts und der Selbstwirksamkeit moderiert. In Übereinstimmung mit Hypothese 2 wurde ein signifikanter indirekter Effekt der Auslandsaufenthaltsdauer auf die interkulturelle Kompetenz über Selbstwirksamkeit gefunden. Unter Berücksichtigung der Offenheit, der Qualität und Quantität des Kontakts zu Mitgliedern der Gastkultur blieb kein direkter Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und der interkulturellen Kompetenz bestehen. Des Weiteren konnte Hypothese 3 bestätigt werden, da sich der indirekte Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und der interkulturellen Kompetenz über die Selbstwirksamkeit nur für höhere Werte der emotionalen Wärme, nicht aber für niedrige Werte zeigte.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen auf, dass der Zusammenhang zwischen der Dauer der Auslandsaufenthalte von Studierenden, mediiert über die Selbstwirksamkeit der Studierenden, mit ihrer interkulturellen Kompetenz zusammenhängt. Diese Erkenntnisse decken sich mit den Ergebnissen von Milstein (2005), der einen Zusammenhang zwischen der Dauer der Auslandsaufenthalte der Studierenden, der Selbstwirksamkeit und dem selbstberichteten Erfolg der Aufenthaltserfahrung annahm. Die Hypothese, dass Studierende bestimmte Herausforderungen der interkulturellen Interaktion überwinden oder zumindest erleben müssen, um interkulturelle Kompetenz zu erlernen, wird demnach unterstützt. Offenheit und Kontakt zu Mitgliedern der Gastkultur spielen bei diesem Prozess ebenfalls eine Rolle. Milstein (2005) zeigte diesbezüglich, dass die selbst eingeschätzte Menge und das Niveau der persönlichen Herausforderungen während eines Auslandsaufenthalts den Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und der Selbstwirksamkeit signifikant beeinflussen. Bolten (2016) betonte die Notwendigkeit, kulturelle Andersartigkeit zu erleben, um die Relevanz und die Inhalte von interkulturellen Interaktionen zu verstehen. Um Selbstwirksamkeit zu entwickeln, müssen schwierige Herausforderungen überwunden werden (oder zumindest eine gewisse Zeit lang ausgehalten werden; Bandura, 2006). Außerdem existieren bestimmte Themen, bei denen Unwissenheit nicht notwendigerweise zu Herausforderungen oder Konflikten führt, aber einem Individuum nachhaltig helfen kann, eine Kultur zu verstehen (zum Beispiel Erklärungen zu Nachrichten, Kunst, Geschichte) und somit interkulturelle Kompetenz zu erlangen. Die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen, dass die Kontaktqualität (β = .22) und -quantität (β = .07) interkulturelle Kompetenz vorhersagen können. Alltagskontakte im Ausland führen tendenziell nicht zu lebensverändernden Ereignissen, entscheidend sind vielmehr soziale Unterstützung und Informationen über die Gastkultur. Zukünftige Studien sollten diesen Zusammenhang, möglicherweise zunächst durch die Durchführung qualitativer Studien, explorieren.
In Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Seok-Nam et al. (2012) zeigten sich in der vorliegenden Studie signifikante Zusammenhänge zwischen den Erziehungsstilen Kontrolle und Ablehnung sowie Selbstwirksamkeit. Kontrolle und Ablehnung hatten jedoch keinen Einfluss auf den Zusammenhang zwischen Dauer des Auslandsaufenthalts und Selbstwirksamkeit. Für emotionale Wärme ergaben die Ergebnisse einen signifikanten Interaktionsterm, jedoch keine signifikante Verbindung von emotionaler Wärme auf Selbstwirksamkeit.
Bisherige Studien zum Zusammenhang von Erziehungsstilen und Leistung untersuchten nur eine oder zwei Leistungsdimensionen wie Mathematik-Noten (Macmull & Ashkenazi, 2019) oder Lernstunden pro Woche (Theresya et al., 2018). Seok-Nam et al. (2012) zeigten, dass dieser Zusammenhang durch Selbstwirksamkeit erklärt wird. Allerdings erwiesen sich die Regressionskoeffizienten, bezogen auf die Erziehungsstile, als unterschiedlich stark. Die Autoren schlossen daraus, dass sich die Relevanz der Erziehungsstil-Dimensionen für die Leistung zwischen den Aufgaben unterscheiden könnte. Das Ergebnis der vorliegenden Studie, dass nur emotionale Wärme den Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und der Selbstwirksamkeit moderierte, könnte darauf hindeuten, dass einerseits ein warmherziger Erziehungsstil den Kindern Kompetenzen vermittelt, die besonders wichtig sind, um Herausforderungen, wie Auslandsaufenthalte zu bewältigen. Andererseits zeigte sich für niedrige Niveaus emotionaler Wärme kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und interkultureller Kompetenz über Selbstwirksamkeit. Unabhängig davon, ob die Teilnehmenden höhere Niveaus von Kontrolle und Ablehnung berichteten, gewannen sie nach längeren Auslandsaufenthalten an Selbstwirksamkeit. In einer Übersichtsarbeit zur Entwicklung der Emotionsregulation erklären Morris et al. (2007), dass Kinder Fähigkeiten zur Kontrolle von Reaktionen auf ihre Emotionen (positiv und negativ) in Abhängigkeit vom emotionalen Klima in der Familie, den Erziehungspraktiken der Eltern und den sozialen Rollen entwickeln.
Während negative Vorbilder und geringe emotionale Wärme mit geringeren Emotionsregulationsfähigkeiten zusammenhängen, sind hohe emotionale Wärme, positive Vorbilder (kein übertriebenes Bestrafen) und soziale Kontrolle positiv mit Emotionsregulation assoziiert. Morris et al. (2007) argumentieren, dass Beispiele für positive Vorbilder und emotionale Wärme ein gewisses Maß an Bestrafung oder Kontrolle durch beispielsweise ein Elternteil kompensieren könnten. Dies führt zu der Annahme, dass ein gewisses Maß an emotionaler Wärme notwendig ist, um in bestimmten Situationen, wie bei Auslandsaufenthalten, Selbstwirksamkeit zu entwickeln.
Limitationen
Das Querschnittsdesign dieser Studie erlaubt es nicht, kausale Zusammenhänge zwischen Kriterium und Prädiktorvariablen abzuleiten.
Weitere Studien sollten den Zusammenhang von Erziehungsstil, Selbstwirksamkeit, Emotionsregulation, wahrgenommener Schwierigkeit des Auslandsaufenthalts und Kompetenzentwicklung in einem Längsschnitt- oder einem Prä-Post-Design vor und nach einem Auslandsaufenthalt näher betrachten.
Obwohl die Einschätzung erinnerter Erziehungsstile mit einigen Verzerrungen behaftet ist (zur Validität retrospektiver Messungen siehe Schumacher et al., 2000), hat sich die Skala für deutsche Stichproben als hinreichend valide erwiesen (Schumacher et al., 2000) und fand in mehreren internationalen Studien, die in diesem Text zitiert werden, Anwendung. In der vorliegenden Studie wurde nur der allgemeine oder durchschnittliche Erziehungsstil erhoben. Um zu testen, ob ein gewisses Maß an emotionaler Wärme durch mindestens ein Elternteil oder möglicherweise die Großeltern mit Emotionsregulation zusammenhängen könnte (Einfluss auf Leistung und interkulturelle Kompetenzentwicklung), sollten weitere Studien separate Skalen verwenden, wie es Nijhof und Engels (2007) umgesetzt haben.
Die insignifikanten Interaktionseffekte der Erziehungsstildimensionen Kontrolle und Ablehnung werden als Indikator dafür interpretiert, dass sie für die Selbstwirksamkeitsentwicklung im Ausland weniger wichtig sein oder sogar durch ein gewisses Maß an emotionaler Wärme kompensiert werden könnten. Jedoch wurde eine Stichprobe von Studierenden, bei denen es sich in der Regel um eine hoch gebildete Gruppe handelt, befragt. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass diejenigen, die weniger Selbstwirksamkeit durch Aufgabenbewältigung entwickeln, mit geringerer Wahrscheinlichkeit ein Studium absolvieren und dadurch die Ergebnisse verzerrt wurden. Darüber hinaus könnte dieser Zusammenhang kulturspezifisch sein, da Bedeutung und Belastungen der universitären Ausbildung zwischen den Ländern variieren (Bandura, 2006; Kowalski et al., 2016). In der aktuellen Studie wurde weder die kulturelle Distanz zwischen Heimat- und Gastkultur, die das erlebte Ausmaß an interkulturellen Herausforderungen beeinflusst haben könnte, noch der Migrationshintergrund der Teilnehmenden berücksichtigt. Allerdings umfasste die Stichprobe keine Studierenden, die nach Deutschland eingewandert sind, nur diejenigen die einen Migrationshintergrund haben. Kein Teilnehmender reiste in das Land, aus dem die eigenen Eltern gebürtig stammen, weshalb es unwahrscheinlich ist, dass der Migrationshintergrund die Ergebnisse beeinflusste (Milstein, 2005).
Schlussfolgerung
In der vorliegenden Studie konnten gezeigt werden, dass Selbstwirksamkeit den Zusammenhang zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und den Dimensionen der interkulturellen Kompetenz mediiert, kontrolliert für den Erziehungsstil der Eltern, die Offenheit und den Kontakt zu Mitgliedern der Gastkultur. Dadurch, dass ein emotional warmer Erziehungsstil diesen Zusammenhang moderiert, wird die Rolle der Emotionsregulation für die Bewältigung interkultureller Herausforderungen unterstrichen.
Die Ergebnisse deuten im Einklang mit der kognitiven Lerntheorie darauf hin, dass Hochschulen und Organisationen, die internationale Entsendungen anbieten, ihre Methoden und Paradigmen überdenken sollten, wenn sie Studierende ins Ausland schicken oder ausländische Studierende aufnehmen.
Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Entsendung von Studierenden ergriffen werden, zielen meist darauf ab, negativen Ereignisse (zum Beispiel Kulturschocks) entgegenzuwirken, indem beispielsweise soziale Unterstützung durch Mentoringprogramme angeboten wird. Einerseits bieten viele Hochschulen solche Strukturen nicht an. Andererseits sollten sich bestehende Programme primär auf die Erreichung positiver Ereignisse konzentrieren, als auf die Verhinderung negativer Ereignisse.
Da Kontakt und soziale Einbindung eindeutig Schlüsselprämissen für die Integration in eine Gastkultur sind (Ang & van Dyne, 2008), sollten zukünftige Studien verstärkt Prädiktoren und Bedingungen für den Erfolg und die Entwicklung von Selbstwirksamkeit in interkulturellen Kontexten untersuchen. Anhand daraus gewonnener Erkenntnisse können Studierende (und andere Expatriates) konkret in ihrem (interkulturellen) Lernprozess unterstützt werden.
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Metadaten
Titel
Die Rolle von Erziehungsstilen für den Zusammenhang von Auslandsaufenthalten, Selbstwirksamkeit und interkultureller Kompetenz
verfasst von
Petia Genkova
Verena Fässler
Henrik Schreiber
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-35326-1_9