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2024 | Buch

Die verkommene Demokratie

Wie man regiert, ohne sich vom Volk reinreden zu lassen

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Über dieses Buch

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich bei ihrer Gründung eine vorbildliche demokratische Verfassung gegeben. Doch hat sich deren Anwendung zunehmend von demokratischen Prinzipien entfernt. Infolge einer unternehmerfreundlichen Wirtschaftspolitik und des Abbaus des Sozialstaats kommt wirtschaftliches Wachstum fast nur mehr einer wohlhabenden Minderheit zugute, während die Mehrheit unter materiellen Sorgen leidet. Die wachsenden Ungleichheiten erlauben es der Minderheit, immer mehr Einfluss auf die Politik zu nehmen. Gleichzeitig haben Krisen wie Flüchtlingsströme, die Coronapandemie und der Ukrainekrieg den Vorwand für Entscheidungen geliefert, die den Abstand zwischen Regierenden und Regierten vergrößert haben.

Dieses Buch analysiert den Rückgang der Demokratie und misst die politischen Realitäten an den Ansprüchen einer demokratischen Staatsform. Es ist eine kritische Untersuchung aktueller politischer Entwicklungen und zeigt mögliche Lösungen auf.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Die Prinzipien der Demokratie
Zusammenfassung
Aus praktischen Gründen sind alle modernen Demokratien repräsentative Demokratien. Eine repräsentative Demokratie beruht auf mehreren Prinzipien. Eines ist die Ermächtigung der Verfassungsorgane zur Ausübung der Macht im Staat durch Wahlen, die durch die Mehrheit entschieden werden. Ein zweites betrifft die Gewaltenteilung und institutionelle Kontrollen der mit der Ausübung der Macht im Staat beauftragten Verfassungsorgane. Ein weiteres Prinzip ist die Begrenzung der Ausübung der Macht im Staat durch den Schutz von Grundrechten.
Die Bundesrepublik ist ein Rechtsstaat. Ein Rechtsstaat ist ein Staat, in dem die Rechtsordnung demokratischen Prinzipien entspricht und sicherstellt, dass sie Anwendung finden. Die Bundesrepublik ist darüber hinaus ein Sozialstaat. Damit soll nicht zuletzt das Minimum an sozialem Zusammenhalt gesichert werden, das für das Funktionieren einer Demokratie Voraussetzung ist. Schließlich ist die Bundesrepublik ein Bundesstaat. Eine bundesstaatliche Verfassung erlaubt eine „gerechtere“ Anwendung des Prinzips, dass Entscheidungen von der Mehrheit getroffen werden.
Besagte Prinzipien und Merkmale bilden die „freiheitliche demokratische Grundordnung“, die in mehreren Artikeln des Grundgesetzes erwähnt wird. Dieser Begriff erhebt die Freiheit über alle anderen Werte, und zwar auch über Gleichberechtigung und Brüderlichkeit. Die in ihm zum Ausdruck kommende Rangordnung der Werte hat erheblichen Einfluss auf die Anwendung demokratischer Prinzipien in der Praxis.
Wolfgang Plasa
2. Die Anwendung demokratischer Prinzipien
Zusammenfassung
Das Wahlrecht der Bundesrepublik kombiniert eine Mehrheitswahl (die Erststimme, mit der ein Kandidat gewählt wird) mit einer Verhältniswahl (der Zweitstimme, mit der eine Partei gewählt wird). Damit sollen die Nachteile beider Systeme reduziert werden.
Eine Mehrheitswahl begünstigt ein Zweiparteiensystem, das vielen Wählern die Möglichkeit einer Repräsentation nimmt. Das bedeutet weniger Demokratie. Bei einer Verhältniswahl erhalten auch Kandidaten kleinerer Parteien eine Chance, gewählt zu werden. Dieses System ist insofern demokratischer. Doch birgt die Präsenz vieler Parteien im Parlament die Gefahr politischer Instabilität. Daher hat das Grundgesetz die sogenannte Fünf-Prozent-Klausel eingeführt. Sie sorgt für stabilere Mehrheitsverhältnisse, bedeutet aber weniger Demokratie, denn Wähler, die ihre Stimme für eine Partei abgegeben haben, welche weniger als 5 % der Stimmen erhalten hat, sind im Parlament nicht vertreten.
Die Verhältniswahl schafft zwei übereinander angeordnete Ebenen der Repräsentation. Das Volk wird von Parteien vertreten, und diese werden von ihren Mitgliedern im Parlament und der Regierung vertreten. In einem solchen System wird Herrschaft des Volkes in weiten Bereichen durch eine Herrschaft der Parteien ersetzt.
Bei einer Verhältniswahl kommt es leicht dazu, dass keine Partei die absolute Mehrheit im Parlament hat. Die Lösung liegt in der Bildung einer Koalitionsregierung. Koalitionen sind künstliche Mehrheiten. Sie machen Entscheidungen möglich, die nicht von der Mehrheit der Wähler getragen werden.
Aus den genannten Gründen ist eine repräsentative Demokratie von der direkten Demokratie weiter entfernt, als es den Anschein hat.
Wolfgang Plasa
3. Die Grenzen der repräsentativen Demokratie
Zusammenfassung
Die Herrschaft des Volkes stößt im Rahmen einer repräsentativen Demokratie in mehrerer Hinsicht auf Grenzen. Eine Grenze ergibt sich daraus, dass Abgeordnete und Minister Entscheidungen treffen können, ohne an Weisungen gebunden zu sein. Andererseits erfolgt die Repräsentation des Volkes durch die Verfassungsorgane in vieler Hinsicht nur mittelbar. Eine weitere Grenze gibt es, weil Regierungsgeschäfte geheim gehalten werden können. Schließlich stößt die repräsentative Demokratie dort auf eine Grenze, wo eine politische Ansicht oder Forderung von keiner Partei vertreten wird.
Auch die institutionellen Kontrollen haben Grenzen. Weil die Regierung in der Außenpolitik weitgehend von der Kontrolle des Parlaments unabhängig ist, kommen in diesem Bereich vielfach demokratische Prinzipien nicht zur Anwendung. Gleiches gilt für Ausnahmesituationen wie den Notstand oder Krieg. Schließlich gelten auf der Ebene der internationalen Zusammenarbeit demokratische Prinzipien nur zum Teil.
Wolfgang Plasa
4. Demokratie und Good governance
Zusammenfassung
Die Beachtung demokratischer Prinzipien bleibt in der politischen Praxis in vieler Hinsicht hinter dem zurück, was diese Prinzipien verlangen. Partizipation ist eine Illusion, wo Abgeordnete den Willen ihrer Wähler missachten. Der wachsende Einfluss, den eine wohlhabende Minderheit auf die Politik nimmt, schränkt die Partizipation der anderen entsprechend ein. Schließlich fehlt es in vielen Fällen an der Transparenz, die für eine wirksame Partizipation Voraussetzung ist.
In einem politischen System, in dem es ein freies Mandat gibt, kommt der Verantwortlichkeit der Volksvertreter eine besondere Bedeutung zu. Sie fehlt, wo Entscheidungen mit kurzfristigen Vorteilen, aber langfristig höheren Kosten getroffen werden, um an der Macht zu bleiben. Gleiches gilt, wo Entscheidungen durch die Annahme von Vorteilen beeinflusst werden. An Verantwortlichkeit fehlt es, wo Volksvertreter keine Antwort auf die dringenden Fragen des Überlebens der Menschheit finden.
Was die Rechtsstaatlichkeit betrifft, so mehren sich Situationen, die es – scheinbar – rechtfertigen, Ausnahmen von ihr zu machen. Dazu gehören die Flüchtlingskrise und die Coronapandemie, aber auch der Krieg in der Ukraine. Sie dienten als Vorwand, Regeln der Demokratie ohne Notwendigkeit außer Kraft zu setzen. Auch an der Effizienz der getroffenen Maßnahmen bestehen Zweifel.
Schließlich bietet eine repräsentative Demokratie keine Gewähr, dass Entscheidungen, die von der Mehrheit der Volksvertreter getroffen werden, tatsächlich im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung liegen. Die Zunahme der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten ist ein Indiz dafür, dass dies keineswegs immer der Fall ist. Ein guter Teil der Politik, die heute gemacht wird, ist inhaltlich ungerecht und insofern undemokratisch.
Wolfgang Plasa
5. Demokratie und Wirtschaft
Zusammenfassung
Schon mit der Annahme des Grundgesetzes fiel eine klare Entscheidung zu Gunsten einer kapitalistischen Marktwirtschaft. Zu Ende der 1960er-Jahre wurde das Wirtschaftswachstum zum übergeordneten Ziel der Wirtschaftspolitik und der Politik überhaupt. Gleichzeitig wurde es auch zum hauptsächlichen Kriterium, an dem der Erfolg einer Regierung gemessen wird. In den 1980er-Jahren verengte sich schließlich auch die Bandbreite der Wirtschaftspolitik. Es kommen nur mehr solche Maßnahmen in Frage, die „angebotsorientiert“ – d. h. unternehmensfreundlich – sind.
Dazu gehören die Privatisierungen der Staatsbetriebe, der Abbau des Sozialstaates, die Bewältigung der Bankenkrise durch staatliche Hilfsmaßnahmen und niedrige Steuern auf höhere Einkommen. Die Folgen sind eine enorme Zunahme der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten und des in Armut lebenden Teils der Bevölkerung. Doch steht die Mehrheit der Bevölkerung dieser Entwicklung ohnmächtig gegenüber. Denn der Staat hat sich weitgehend der Kontrolle durch das Volk entzogen. In der Tat geht der Siegeszug der freien Marktwirtschaft mit einer Niederlage der Demokratie einher.
Wolfgang Plasa
6. Demokratie und Außenpolitik
Zusammenfassung
Die Bundesrepublik hat ihre Souveränität erst nach und nach erlangt. Erst nach dem Abschluss des Deutschlandvertrages im Jahre 1955 war es möglich, eine eigene Außenpolitik zu machen. Doch hatte man sich zu diesem Zeitpunkt bereits daran gewöhnt, sich nach den Weisungen aus Washington zu richten. Daran änderte sich auch nichts nach der Wiedervereinigung und der Erlangung der vollen Souveränität. Denn inzwischen hatte sich Deutschland in seiner Verteidigungs- und Sicherheitspolitik in eine unbedingte Abhängigkeit von den USA begeben.
Diese Abhängigkeit bedeutet eine empfindliche Einschränkung des Selbstbestimmungsrechtes und damit der Anwendung demokratischer Prinzipien. Nicht die wahlberechtigten Bürger der Bundesrepublik entscheiden, welche Außenpolitik gemacht wird, sondern die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Deutschland ist nicht bereit, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Es ist ein Land, das nicht erwachsen werden will.
Wolfgang Plasa
7. Die Scheindemokratie
Zusammenfassung
Der Abstand zwischen Regierenden und Regierten wird zusehends größer. Einerseits entfernen sich die Regierenden von den Regierten, indem sie sie immer mehr bevormunden. Bewusste Täuschung, die Vorspiegelung falscher Motive und die Ablenkung auf politische Nebenschauplätze dienen einer gezielten Manipulation der Meinungsbildung, die durch Think-Tanks und die Medien unterstützt wird.
Andererseits entfernen sich die Regierten von den Regierenden, weil sie das Gefühl politischer Ohnmacht resignieren lässt. Infolge der Politikverdrossenheit sinkt die Bereitschaft, sich an der Ausübung der Macht im Staate zu beteiligen. Es entsteht ein Teufelskreis, der den Abstand zwischen Regierenden und Regierten ständig größer werden lässt.
Wolfgang Plasa
8. Die Verengung der politischen Bandbreite
Zusammenfassung
Das Angebot politischer Programme – die politische Bandbreite – hat sich im Laufe der Jahre immer mehr verengt. Infolgedessen hatten Wähler immer wieder das Gefühl, durch keine Partei mehr vertreten zu werden. Das gab wiederholt Veranlassung zur Gründung neuer Parteien. Eine davon ist die AfD.
Diese Partei wendet sich an diejenigen, die von der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung und deren Entwicklung benachteiligt werden. Diesen Menschen geht es darum, zu retten, was ihnen von ihrem sozialen Besitzstand geblieben ist. Daher sind sie bemüht, die bestehende Ordnung zu bewahren oder zu einem früheren Zustand derselben zurückzukehren. Dazu gehört auch eine Rückbesinnung auf nationale Interessen. Diese Wähler bilden die „Neue Rechte“.
Statt sich mit ihr auseinanderzusetzen, ziehen die etablierten Parteien es vor, ihre Positionen als populistisch und extremistisch zu bezeichnen. Gewiss sind in der AfD auch Rechtsradikale zuhause. Das macht es leicht, sie und ihre Anhänger zu verunglimpfen. Aber er macht es nicht entbehrlich, sich mit den Sorgen und Wünschen eines immer größer werdenden Anteils der Bevölkerung zu befassen.
Die Weigerung, dies zu tun, mündet in einen Teufelskreis. Denn sie wird als Weigerung der etablierten Parteien verstanden, diese Sorgen und Wünsche ernst zu nehmen und zu berücksichtigen. Dieser Eindruck veranlasst immer mehr Wähler, sich für die AfD zu entscheiden. Sowohl ihr Erfolg wie auch die Reaktion der etablierten Parteien auf diesen Erfolg lassen erkennen, wie sehr unsere Demokratie verkommen ist.
Wolfgang Plasa
9. Die Möglichkeiten einer Korrektur
Zusammenfassung
Die Lösung aller Probleme, die die Demokratie mit sich bringt, besteht darin, sie anzuwenden.
Sie verlangt vor allem mehr Partizipation. Man könnte dem Wähler beim Ausfüllen seines Wahlzettels Gelegenheit geben, sich konkret zu wichtigen Fragen zu äußern. Eine weiteres Mittel, die Partizipation zu beleben, bestünde darin, eine App bereitzustellen, mit der Stellungnahmen zu bestimmten politischen Fragen gegeben werden können. Auch die Möglichkeit, Volksentscheide durchzuführen, sollte erweitert werden.
Bestimmte Formen der Partizipation verletzen den Grundsatz der Gleichheit. Das gilt insbesondere für Lobbying und Wahlkampfspenden. Sie müssten verboten werden.
Eine wirksame Partizipation erfordert Transparenz der Regierungsgeschäfte. Um mehr Transparenz zu schaffen, sollten Entscheidungen über die Geheimhaltung von Informationen einer institutionellen Kontrolle unterliegen. Auch von dem, was unsere Geheimdienste wissen, sollte die Öffentlichkeit weit mehr erfahren.
Partizipation ist nicht viel wert, wo die Meinung der Wähler manipuliert wird. Man kann Manipulation nicht verbieten. Man kann nur dagegenhalten. Das beste Mittel dafür ist, sie zu entlarven. Das erfordert, die Wahrheit zu sagen, und zwar die ganze Wahrheit, in objektiver und wertfreier Form mit Belegen. Dazu sollten die Regierenden verpflichtet werden.
Es steht außer Zweifel, dass vielen Politikern das Gefühl für die Verantwortung fehlt, die sie tragen. Die einzige Möglichkeit ist, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Angesichts der katastrophalen Folgen, die eine unverantwortliche Regierungsführung für ein ganzes Land haben kann, ist es unerlässlich, das Strafrecht in vollem Umfang und ohne Nachsicht anzuwenden.
Wolfgang Plasa
Backmatter
Metadaten
Titel
Die verkommene Demokratie
verfasst von
Wolfgang Plasa
Copyright-Jahr
2024
Electronic ISBN
978-3-658-45691-7
Print ISBN
978-3-658-45690-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-45691-7