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2016 | Buch

Die Vermutung unmittelbarer Wirkung des Unionsrechts

Ein Plädoyer für die Aufgabe der Kriterien hinreichender Genauigkeit und Unbedingtheit

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Über dieses Buch

Das Werk belegt die Vermutung der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts. Es propagiert hiermit eine Dogmatik, die der inhaltlichen Unklarheit der bisher in der Rechtsprechung und Wissenschaft gebräuchlichen Kriterien zur Bestimmung der unmittelbaren Wirkung, namentlich der hinreichenden Genauigkeit und Unbedingtheit, abhilft. Die Vermutung unmittelbarer Wirkung wird sowohl mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union als auch dogmatisch begründet. Dabei zeigt sich, dass die Gründe, die im Hinblick auf das Völkerrecht eine Zurückhaltung bei dessen unmittelbarer Anwendbarkeit durch nationale Gerichte und Verwaltungsbehörden rechtfertigen, sich jedenfalls nicht auf das primäre und sekundäre Unionsrecht übertragen lassen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung
Zusammenfassung
Tucked away in the fairyland Duchy of Luxembourg“ – so beginnt Eric Stein seinen bekannten Artikel aus dem Jahr 1981, in dem er den von Politik und Medien weitgehend unbeachteten Konstitutionalisierungsprozess der Europäischen Gemeinschaft durch den EuGH beschreibt.1 Der Gerichtshof stieß den Konstitutionalisierungsprozess an, indem er die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts stärkte, die – anders als die Wirksamkeit des nationalen Rechts – nicht selbstverständlich war. Als zentraler Baustein für die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sollte sich dessen unmittelbare Wirkung erweisen. Dank dieser konnten sich Einzelne vor mitgliedstaatlichen Gerichten auf das Gemeinschaftsrecht berufen und wurden somit zu einer Art „agent auxiliare de la Communauté“.2 Dadurch wurden die nationalen Gerichte zu funktionalen Gemeinschaftsgerichten, die – mit den Durchsetzungsmechanismen des nationalen Rechts ausgestattet – für den effektiven Vollzug des Gemeinschaftsrechts sorgten.3
Christian Wohlfahrt
Erster Teil: Die Vermutung unmittelbarer Wirkung des Unionsrechts als These
Zusammenfassung
Zunächst ist die aufgestellte These zu erläutern (A.). Im Anschluss soll gezeigt werden, dass die aktuelle Doktrin der unmittelbaren Wirkung, wie in Rechtsprechung und Wissenschaft vertreten, unzulänglich ist (B.). Die dort vorherrschende Begriffskonfusion bedingt den folgenden Abschnitt, in dem das mit der Vermutung der unmittelbaren Wirkung verbundene Potenzial dargestellt wird (C.). In einem letzten Abschnitt wird unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH und der Literatur dargelegt, wie innovativ die Vermutungsthese ist (D.).
Christian Wohlfahrt
Zweiter Teil: Begründung der Vermutung unmittelbarer Wirkung
Zusammenfassung
In der Rechtsprechung des EuGH lassen sich eine ganze Reihe von Evidenzen dafür finden, dass die unmittelbare Wirkung vermutet wird. Doch dergleichen Offensichtlichkeiten genügen nicht, um die Vermutungsregel zu begründen. Daher soll gezeigt werden, dass sich eine Vermutung der unmittelbaren Wirkung ebenfalls mit dem Primärrecht rechtfertigen lässt. Bevor darauf und auf die Evidenzen eingegangen wird, soll ein Überblick über die Entwicklung der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs gegeben werden.
Christian Wohlfahrt
Dritter Teil: Dogmatische Operationalisierung der These durch Fallgruppenbildung
Zusammenfassung
Um die Vermutung der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts dogmatisch zu operationalisieren, bleiben noch die Fälle zu bestimmen, in denen Vorschriften ausnahmsweise nicht unmittelbar wirken. Da – wie gezeigt – die Kriterien hinreichender Genauigkeit und Unbedingtheit wenig hilfreich sind, wird ein anderer Weg vorgeschlagen. Hierzu werden möglichst präzise definierte Fallgruppen gebildet, mit deren Hilfe sich leicht und zuverlässig feststellen lässt, wann Unionsrecht ausnahmsweise nicht unmittelbar wirkt. Würden in diesen Fällen nationale Gerichte oder Verwaltungsbehörden das Unionsrecht dennoch anwenden, würden sie ihre Befugnisse überschreiten. Prüft der EuGH, ob nationale Gerichte und Verwaltungsbehörden Vorschriften des Unionsrechts unmittelbar anwenden können, bestimmt er der Sache nach deren Stellung als funktionale Unionsorgane. Auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht, geht es bei der unmittelbaren Wirkung um eine Frage der Gewaltenteilung zwischen den nationalen Gerichten und Verwaltungsbehörden im Verhältnis zu den anderen Trägern öffentlicher Gewalt der Union und der Mitgliedstaaten.
Christian Wohlfahrt
Fazit
Zusammenfassung
Die aktuelle Doktrin unmittelbarer Wirkung des Unionsrechts, wie sie der Rechtsprechung zugrunde liegt und in der Wissenschaft vertreten wird, ist wegen der inhaltlichen Unklarheit der Kriterien hinreichender Genauigkeit und Unbedingtheit nicht praktikabel. Abhilfe schafft die hier vertretene Vermutung der unmittelbaren Wirkung, die einen Rückgriff auf diese Kriterien obsolet macht. Während für das Völkerrecht die unmittelbare Anwendbarkeit durch nationale Gerichte und Verwaltungsbehörden die Ausnahme bildet, ist sie für das Unionsrecht die Regel. Solange sich keine überzeugenden Gründe gegen eine unmittelbare Wirkung finden lassen, wirkt Unionsrecht unmittelbar. Somit bedarf nur die fehlende unmittelbare Wirkung einer Begründung. Die Vermutung belässt den Rechtsanwender nicht im Zweifel, ob Vorschriften unmittelbar wirken. Im Zweifel wirken sie unmittelbar. Dogmatisch operationalisieren lässt sich die Vermutung der unmittelbaren Wirkung mittels präzise definierter Fallgruppen, in denen Vorschriften des Unionsrechts ausnahmsweise nicht unmittelbar wirken. Hierdurch wird Rechtssicherheit bei der Bestimmung der unmittelbaren Wirkung geschaffen, die es bislang nicht gab.
Christian Wohlfahrt
Backmatter
Metadaten
Titel
Die Vermutung unmittelbarer Wirkung des Unionsrechts
verfasst von
Christian Wohlfahrt
Copyright-Jahr
2016
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-48981-9
Print ISBN
978-3-662-48980-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-48981-9