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1986 | Buch

Die zwangsweise Unterbringung psychisch Kranker

Problematik aus der Sicht von Richtern und Ärzten

verfasst von: Prof. Dr. med. Manfred Bergener

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

Buchreihe : MedR Schriftenreihe Medizinrecht

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Vorbemerkung
Zusammenfassung
1974 wurde mit der Enquête zur Lage der Psychiatrie eine umfassende Bestandsaufnahme der psychiatrischen Versorgung in der Bundesrepublik dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Die erwartete &#x00F6ffentliche Resonanz darauf ist weitgehend ausgeblieben. Viele Vorurteile gegenüber psychisch Kranken bestehen nach wie vor. Daran hat auch die Flut von Presseveröffentlichungen nichts ändern k&#x00F6nnen. Sie haben wenig zur sachlichen Aufklärung und Information und damit zum Abbau dieser Vorurteile beigetragen, gleichwohl haben — und das ist vielleicht das Bemerkenswerte — die in den vergangenen Jahren getroffenen Investitionen zu einer erheblichen Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker und Behinderter beigetragen. Über Jahrzehnte angewachsene Hypotheken und Mißstän-de konnten weitgehend abgebaut, neue Einrichtungen geschaffen, zahlreiche Verbesserungen in bestehenden psychiatrischen Institutionen durchgeführt werden. Auch die Infrastruktur dieser Einrichtungen wurde nach den Leitlinien der Enquête schrittweise verändert, die Stellenpläne den tatsächlichen Erfordernissen angenähert.
Manfred Bergener
2. Rechtliche Problematik der Freiheitsentziehung
Zusammenfassung
Die Erfahrung, daß die &#x00F6ffentliche Gewalt Menschen ohne Einschaltung eines mit rechtsf&#x00F6rmlichen Garantien ausgestatteten gerichtlichen Verfahrens ihrer Freiheit berauben konnte, trug wesentlich dazu bei, im Grundgesetz nicht nur im Grundrechtkatalog das Grundrecht auf Freiheit zu verankern, sondern auch — in Art. 104 GG — eine Vorschrift aufzunehmen und damit verfassungsmäßig zu verankern, die das Mindestmaß der verfahrensmäßigen Garantien festlegte (Bonner Kommentar zum GG, Art. 104 Anm.1), um eine Wiederkehr der sog. „Schutzhaft“ auszuschließen.
Manfred Bergener
3. Beschreibung der Aufnahmesituation aus der Sicht des Arztes
Zusammenfassung
Unterbringungen von psychisch Kranken auf geschlossenen Abteilungen lassen sich nicht ausnahmslos umgehen. Immer wieder ergibt sich die Notwendigkeit, psychisch Kranke, die sich in einem Zustand hochgradiger Erregung befinden und dadurch für sich und andere eine Gefahr darstellen können, auch gegen ihren Willen unterzubringen. Dabei liegt es in der Natur psychischer Störungen, daß ihre Symptomatologie häufig und nicht selten abrupt wechseln kann. Vielfach werden darüber hinaus durch die Umstände der Einweisung Reaktionen hervorgerufen, die in ihren Auswirkungen der primären Symptomatologie gleichen, diese überlagern und ausgestalten können. In der Untersuchungssituation im Zusammenhang mit der Klinikaufnahme kann es daher außerordentlich schwierig sein, sekundäre Reaktionen als Auswirkungen der getroffenen Zwangszuweisung von primären Symptomen der Krankheit zu unterscheiden. Deshalb erscheint es aus psychiatrischer Sicht außerordentlich wesentlich, daran festzuhalten, daß bei allen Einweisungen nach dem PsychKG Untersuchungsergebnisse vor der Klinikeinweisung beigebracht werden.
Manfred Bergener
4. Ordnungspolitischer Zweck der Unterbringung nach dem PsychKG
Zusammenfassung
Für den Unterbringungsrichter sind allein die in § 11 PsychKG NW genannten Voraussetzungen für die Unterbringung maßgeblich, d. h. ordnungspolitische Gesichtspunkte. Die in anderen Abschnitten des PsychKG genannten Hilfen für psychisch Kranke betreffen dagegen Aufgaben, die den Kreisen und Städten, in erster Linie den Gesundheitsämtern zugewiesen sind. Im Einzelfall kann sich daraus eine unterschiedliche Interessenlage zwischen Arzt und Richter ergeben; dies insoweit, als ein Unterbringungsbeschluß nach dem PsychKG allein keine rechtliche Voraussetzung für eine psychiatrische Behandlung schafft, nur weil eine Behandlungsbedürftigkeit besteht, der Zustand des Patienten sich unbehandelt verschlechtern k&#x00F6nnte oder der Patient durch seine Krankheit potentiellen Gefahren ausgesetzt ist — Gesichtspunkte, die eine für den Arzt jeweils eindeutige Entscheidungslage darstellen. Für den Arzt bleibt in all diesen Fällen keine Wahl: Er muß handeln.
Manfred Bergener
5. Anwendung des PsychKG in drei nordrhein-westfälischen Großstädten — Unterschiede in der Handhabung
Zusammenfassung
Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Rechtslage für den Arzt und den Unterbringungsrichter? Konkreter: Wie ist in einzelnen Städten und Gemeinden die Anwendung des PsychKG geregelt? Existieren übereinstimmende Anwendungsvorschriften oder bestehen regionale Unterschiede?
Manfred Bergener
6. Konsequenzen der Unterbringung nach dem PsychKG
Zusammenfassung
Im Hinblick auf die Konsequenzen, die sich aus einer PsychKG-Unterbringung für den Betroffenen nach seiner Entlassung ergeben können, ist grundsätzlich die Zusammenarbeit zwischen Ordnungsamt und Gesundheitsamt als problematisch anzusehen. Auch nach dem 1980 erfolgten Verbot der bis dahin üblichen Meldung an das Bundeszentralregister sind insbesondere durch die regional bestehenden Unterschiede in der Handhabung Unsicherheiten bei den Betroffenen nicht ausgeräumt worden. So hat beispielsweise erst ein Erlaß des zuständigen Ministers für Arbeit und Soziales in Nordrhein-Westfalen geregelt, daß die Straßenverkehrsbehörden nicht automatisch von den Ordnungsämtern über Zwangsunterbringungen informiert werden dürfen. Unklar geblieben ist bis heute auch, ob und wann Sozialversicherungsträger und Krankenkassen von einer Unterbringung Kenntnis erlangen. Ob alle Auflagen der Datenschutzgesetze hinlänglich beachtet werden, steht dahin. Alle in diesem Zusammenhang erhobenen Bedenken sind keineswegs zufriedenstellend ausgeräumt worden.
Manfred Bergener
7. Empirische Analyse der Unterbringungen nach dem PsychKG in Köln
Zusammenfassung
Eine von Heiliger und Holzschneider (in Vorbereitung) an der Rheinischen Landesklinik Köln durchgeführte Analyse der rund 1200 Unterbringungsverfahren nach dem PsychKG NW im Jahre 1983 erbrachte empirische Belege über die Umstände der Unterbringungen, die Verfahrenspraxis und den betroffenen Personenkreis.
Manfred Bergener
8. Fürsorgegedanke und Ordnungsgedanke zur Abgrenzung von PsychKG-Unterbringung und vormundschaftsgerichtlicher Unterbringung aus der Sicht des Vormundschaftsrichters
Zusammenfassung
Wie bereits oben erwähnt, bezieht sich die Unterbringung nach den Vorschriften des PsychKG allein auf den Gefährdungstatbestand. Dabei wird in der Tradition der geschichtlichen Entwicklung aus einer sicherheitspolizeilichen Betrachtung heraus auf die Gefahrenabwehr für die Allgemeinheit und/oder den Einzelnen abgestellt (vgl. § 1 Ziff. 3 PsychKG NW). Demgegenüber liegt das Schwergewicht der Unterbringung durch Vormund oder Pfleger in der Fürsorge für den Kranken. Maßgebend für Erteilung, Versagung und Dauer der Unterbringungsgenehmigung gemäß § 1631 b, 1800 BGB ist allein das Wohl des Betroffenen.
Manfred Bergener
9. Gegenüberstellung von vormundschaftsgerichtlicher und PsychKG-Unterbringung aus ärztlicher Sicht
Zusammenfassung
Abgesehen von den Problemen, die sich aus der unterschiedlichen Handhabung des PsychKG ergeben, hat sich dieses Verfahren vielfach als ungeeignetes Instrument erwiesen. Die Gründe dafür wurden von uns eingehend diskutiert. Sie waren Anlaß, immer wieder nach Alternativen zu suchen; etwa die Möglichkeiten auszuloten, die familienrechtliche Lösungen gegenüber dem nach überwiegender Auffassung immer noch viel zu häufig eingesetzten PsychKG-Verfahren haben könnten. Als familienrechtliche Lösungen kämen in erster Linie Pflegschaften und Vormundschaften in Betracht. Ihre Voraussetzungen sind gesetzlich definiert. Ein Vergleich der Gesetzestexte läßt die trennenden ebenso wie die sich überschneidenden Aspekte erkennbar werden (s. Tabelle 1).
Manfred Bergener
10. Umwandlung der PsychKG-Unterbringung in eine andere Rechtsgrundlage und Möglichkeiten zur Behandlung auf familienrechtlicher Grundlage aus der Sicht des Richters
Zusammenfassung
In allen Fällen einer bestehenden PsychKG-Unterbringung ist einer möglichen Änderung dieser Rechtsgrundlage jederzeit besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Manfred Bergener
11. Voraussetzungen der Unterbringung nach PsychKG oder aufgrund eines vormundschaftsgerichtlichen Beschlusses und Einschätzung der Vor- und Nachteile für den Patienten aus der Sicht des Richters
Zusammenfassung
Im folgenden wird an Tabelle 1 angeknüpft. Von Wiebe wird betont, daß rechtlich der Vorrang der vormundschaftsgerichtlichen Unterbringung zu beachten ist, dem auch die Rundverfügung Nr. 52 a. a. 0. Rechnung trägt. Das ist in allen Fällen unproblematisch, in denen eine Vormundschaft oder eine vorläufige Vormundschaft oder eine Pflegschaft mit dem Wirkungskreis mindestens der Aufenthaltsbestimmung besteht, der vormundschaftsgerichtlich meist mühelos um die Einwilligung in ärztliche Behandlungsmaßnahmen erweitert werden kann. Ist mit dem Aufschub der Unterbringung Gefahr verbunden, kann der Genehmigungsbeschluß des Vormundschaftsgerichts unverzüglich nachgeholt werden; eine Bindung an die Tagesfrist des § 17 PsychKG NW besteht nicht (Art. 104 GG). Besteht zum Zeitpunkt der Unterbringung keine Vormundschaft oder Pflegschaft, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Vorab sind begrifflich unter Vernachlässigung der hier nicht interessierenden Sachverhalte Verschwendung und körperliche Gebrechen die einander überschneidenden Krankheitsbilder zu entwirren, an die die Gesetze unterschiedlich anknüpfen.
Manfred Bergener
12. Reformvorschläge
Zusammenfassung
Dem Vorrang der familienrechtlichen Unterbringung liegt ein übergeordneter Gesichtspunkt zugrunde: Stört nämlich ein Kranker den Gemeinschaftsfrieden, soll zuerst die Krankheit gesehen werden und nicht die Wiederherstellung des Gemeinschaftsfriedens durch Entfernung des Kranken aus der Gemeinschaft. Die staatliche Exekutive sollte nicht unmittelbar einschreiten und dem Kranken gegenübertreten dürfen; dies sollte vielmehr von einem individuellen Helfer übernommen werden, wenn der Kranke seine Angelegenheiten nicht selbst besorgen kann, d.h.von einem Sachwalter, nach geltendem Recht von einem Vormund oder Pfleger. Diese Sicht ist wichtig: Es ist unbefriedigend, wenn ein Ordnungsamt das Gericht gegen einen Kranken anrufen muß.
Manfred Bergener
13. Resümee
Zusammenfassung
Es konnte gezeigt werden, daß die Rechtsstellung psychisch Kranker bei zwangsweisen Unterbringungen zu zahlreichen Problemen führt, die sich sowohl aus dem Vorhandensein der Unterbringungsgesetze als auch aus der Praxis ihrer Anwendung ableiten.
Manfred Bergener
14. Literatur
Manfred Bergener
Backmatter
Metadaten
Titel
Die zwangsweise Unterbringung psychisch Kranker
verfasst von
Prof. Dr. med. Manfred Bergener
Copyright-Jahr
1986
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-06704-8
Print ISBN
978-3-540-16412-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-06704-8