Einleitung
Durch den technologischen Fortschritt in den letzten Jahren können immer mehr Bereiche des täglichen Lebens technisch unterstützt oder vollständig automatisiert werden. Mitte des 20. Jahrhunderts kamen erste Industrieroboter auf den Markt, die vor allem in der Fertigung Einsatz fanden. Diese Roboter waren meist durch Käfige von Menschen getrennt und verrichteten lineare Arbeiten (Stubbe et al., 2019). Heute haben sogenannte Serviceroboter in unterschiedlichen Bereichen, u. a. Haushalt, Gesundheit und Unterhaltung Einzug gefunden (Stubbe et al., 2019). Im Gegensatz zu Industrierobotern agieren Serviceroboter dabei (teil-)autonom und kollaborieren zunehmend mit dem Menschen (Stubbe et al., 2019).
In vielen Haushalten sind Roboter, die monotone Hausarbeiten (z. B. Staubsaugen oder Rasenmähen) verrichten, bereits Realität. Den nächsten Entwicklungsschritt stellen soziale Roboter dar, die im Unterschied zu Servicerobotern auch komplexere Interaktionen und Kommunikation beherrschen (Korn, 2019) und so einen menschlicheren Umgang erlauben. Ein solches Robotersystem kann den emotionalen Zustand seines Gegenübers beurteilen (Schmoigl et al., 2019) und durch das Hervorrufen von positiven Emotionen das Gefühl von Einsamkeit mildern (Robinson et al., 2013). Soziale Roboter wurden bereits erfolgreich für die Behandlung von Autismus (Costa et al., 2017), als Bewegungstrainer (Fasola & Mataric, 2013; Görer et al., 2017) und Rehabilitations-Coaches eingesetzt (Rodriguez-Lera et al., 2018). Im Projekt AgeWell soll ein sozialer Roboter Menschen in ihrer Übergangsphase vom Arbeitsleben in die Pension unterstützen. Diese Lebensphase ist für viele Menschen eine Herausforderung und genau hier setzt das Projekt AgeWell mit gesundheitsfördernden Maßnahmen an. Die Aufgaben des Roboters sind dabei: i) das Projekt und seine Ziele den Nutzer*innen näher zu bringen, ii) den Einstieg in die projekteigene Smartphone-App anzuleiten und iii) beim Ausfüllen einfacher Fragebögen zu unterstützen. Damit der Roboter sowohl den Anforderungen des Projektes als auch der Nutzer*innen gerecht wird, ist ein entsprechender Auswahlprozess notwendig.
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Obwohl Robotersysteme in immer persönlichere Umgebungen vordringen, ist aktuell kein Kriterienkatalog vorhanden, der eine systematische Auswahl eines sozialen Roboters ermöglicht. Vor allem im Forschungsfeld Active and Assisted Living (AAL), das auf Technologien für ältere Menschen ausgerichtet ist, ist ein Auswahlprozess, der neben technischen und organisatorischen auch nutzer*innen-bezogene Auswahlkriterien berücksichtigt, für den Projekterfolg notwendig. In der Literatur wurden Auswahlkriterien bisher nur am Rande und generell behandelt (z. B. „sensor equipment, power supply […]“ (Schroeter et al., 2013)). Dieser Beitrag versucht die Lücke mit einem wiederverwendbaren Auswahlprozess, bestehend aus unterschiedlichen adaptierbaren Kriteriengruppen, zu füllen.
Methode
Der Auswahlprozess gliederte sich in die drei aufeinanderfolgenden Phasen i) Marktanalyse, ii) Expert*innen-Konsultation und iii) Endanwender*innen-Einbindung. Die Kombination von technischen und nutzer*innenbezogenen Kriterien wurde bereits erfolgreich bei der Auswahl anderer technischer Geräte im Bereich AAL angewandt (Schneider & Henneberger, 2014).
Marktanalyse
Die Marktanalyse umfasste eine Internet-Recherche zu sozialen Robotersystemen, um die aktuell am Markt verfügbaren Produkteigenschaften zu sammeln. Die identifizierten Eigenschaften dienten als Grundlage für die im Auswahlprozess verwendeten Kriterien. Beispiele hierfür sind Batterielaufzeit, Eingabemodalitäten und Programmiersprache. Die Recherche wurde mit englischen Bezeichnungen durchgeführt. Dies erfolgte vor dem Hintergrund, dass am internationalen Markt eine größere Menge an Ergebnissen zu erwarten war als am deutschsprachigen Markt. Verwendete Suchbegriffe wurden im Konsortium abgestimmt, da keine einheitliche Beschreibung in der Literatur verfügbar war. Folgende Begriffe wurden danach für die Suche herangezogen:
-
social robot
-
socially assistive robot
-
home robot
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companion robot
-
embodied device
Die Marktanalyse wurde von Februar 2019 bis April 2019 durchgeführt. Folgende soziale Roboter unter € 7500 wurden recherchiert:
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Sanbot Elf
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Zenbo
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Buddy
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QTrobot
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ElliQ
-
Jibo
-
Miro B
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Die Preisschwelle von € 7500 wurde gewählt, da die Endnutzer*innen-Organisationen dieses Limit als noch-vertretbar erachteten. Es scheint sich auch um eine „natürliche Abgrenzung“ am Markt zu handeln, wo ein großer Teil unterhalb dieses Werts liegt und einzelne Systeme weit darüber, wie beispielsweise Pepper1.
Expert*innen-Konsultation
Die Expert*innen (Projektpartner*innen des Projekts AgeWell – Pflegewissenschafter*innen, Techniker*innen sowie Vertreter*innen von Endnutzer*innen-Organisationen) wurden mehrmals, zu unterschiedlichen Zeitpunkten, in den Auswahlprozess eingebunden. Zu Beginn wurden die Erfahrungen der Expert*innen mit und ihre Erwartungen an soziale Roboter erhoben, sodass erste Kriterien davon abgeleitet werden konnten. Ein darauf basierender, erster Entwurf des Kriterienkatalogs (technische & physische Ausgestaltung, Eingabe & Sensorik, Ausgabe, Konnektivität, Entwicklung und Marktverfügbarkeit, Kosten) zur Auswahl eines sozialen Roboters wurde den Expert*innen danach zur Diskussion vorgelegt bevor die Endanwender*innen im Rahmen einer Fokusgruppe (siehe Abschnitt „Endanwender*innen-Einbindung“) eingebunden wurden. Nachdem die Ergebnisse der Fokusgruppe eingearbeitet waren, wurde der Kriterienkatalog gemeinsam mit den Expert*innen um die nutzer*innenspezifischen Kriterien ergänzt und finalisiert.
Endanwender*innen-Einbindung
Im Sinne des Human-Centered-Design-Ansatzes (ÖNORM EN ISO 9241-210 Ergonomics of Humansystem interaction Part 210: Human-centred design for interactive systems, 2019) wurden auch Endanwender*innen in die Definition von nicht-technischen, nutzer*innenspezifischen Auswahlkriterien für einen sozialen Roboter einbezogen, wie beispielsweise dessen Aussehen. Mithilfe eines Interviewleitfadens wurden 17 Teilnehmer*innen (10 weiblich, 7 männlich; Altersdurchschnitt: 59, SD: 10,2) einer Fokusgruppe zum Aussehen und den sozialen Eigenschaften, wie beispielsweise der Pro-Aktivität des Roboters in der Konversation, befragt.
Ergebnisse
Die drei Phasen des Auswahlprozesses führten zu den in Tab. 1 dargestellten Kriterien. Auf eine Darstellung der Teilergebnisse wird verzichtet, da sich die Kriterienauswahl im Zuge der Expert*innen-Konsultation nur marginal verändert hat (Ergänzung der Kriterien Wasserresistenz und Mobilität). Die Ergebnisse der Endanwender*innen-Einbindung sind in der Kategorie „Nutzer*innenspezifische Kriterien“ des nachfolgenden Katalogs nachvollziehbar abgegrenzt.
Tab. 1
Kriterienkatalog
Kategorie | Kriterium |
Nutzer*innenspezifische Kriterien Kriterien, die in Bezug auf die Endnutzer*innen zu beachten sind. Diese wurden gemeinsam mit Endnutzer*innen im Rahmen einer Fokusgruppe festgelegt. Da die Kriterien im Projektkontext diskutiert wurden, sind diese zum Teil auch projektspezifisch und hier mit ° markiert | Konversationen mit dem Roboter° (pro-aktiv vs. reaktiv) |
Vorhandene Dialogthemen° (vgl. Smalltalk) | |
Aussehen° (menschlich vs. abstrakt) | |
Nutzungszeitpunkt° | |
Nutzungsdauer | |
Nutzungskontext | |
Geräuschentwicklung° (durch bewegliche Teile, Kühlung) | |
Technische & physische Ausführung Umfasst primär die technischen Aspekte des Roboters, wie beispielsweise die Motorik und Stromversorgung sowie Größe und Gewicht | Mobilität (mobil vs. statisch) |
Motorik/bewegliche Teile | |
Größe | |
Gewicht | |
Stromversorgung (kabellos vs. kabelgebunden) | |
Batterielaufzeit | |
Batterieladetyp | |
Batterieladezeit | |
Batterie wechselbar | |
Wasserresistenz (vgl. IEC 60529) | |
Eingabe Befasst sich mit den Eingabemöglichkeiten für die Nutzer*innen und der Sensorik | Kamera |
Kamera-Auflösung | |
Mikrofon | |
Spracheingabe | |
Touchscreen | |
Abstandssensor | |
zusätzliche Sensoren | |
Ausgabe Beschäftigt sich mit den Möglichkeiten des Gerätes, Informationen an die Nutzer*innen zu übermitteln | Display |
Display-Auflösung | |
Lautsprecher | |
Sprachausgabe | |
Beleuchtung | |
Konnektivität Fasst Schnittstellenkriterien zusammen, welche die Kommunikation des Roboters mit technischen Fremdsystemen ermöglichen | WiFi |
Bluetooth | |
USB | |
weitere Schnittstellen | |
Entwicklung Befasst sich mit den Kriterien, die für die (Weiter-)Entwicklung des Roboters relevant sind | Entwicklungsplattform |
Betriebssystem | |
Software Development Kit (SDK) verfügbar | |
Aktualität von Betriebssystem und SDK | |
Programmiersprache | |
Roboter-Simulator verfügbar | |
Dokumentation | |
Entwicklerforum verfügbar | |
Quellcode-Beispiele verfügbar | |
Kompatibilität mit ROS (Robot Operating System) | |
Verteilungsprozess für entwickelte Applikationen („Deployment“) | |
Datenspeicher | |
Hauptspeicher | |
Kosten Umfasst sämtliche Kosten, die mit der Anschaffung des Roboters einhergehen | Produktkosten |
Versandgebühren | |
Kosten für zusätzliche Funktionalität | |
Marktverfügbarkeit Beinhaltet das Kriterium der Marktverfügbarkeit, welches essenziell für die Anschaffung ist | Marktverfügbarkeit |
Der erstellte Kriterienkatalog umfasst acht Kategorien:
-
Nutzer*innenspezifische Kriterien
-
Technische & physische Ausgestal- tung
-
Eingabe & Sensorik
-
Ausgabe
-
Konnektivität
-
Entwicklung
-
Kosten
-
Marktverfügbarkeit
Bei der Entwicklung des Kriterienkatalogs wurde explizit auf die Erweiterbarkeit der Roboter-Software Wert gelegt. Im Rahmen des Projektes muss eine Weiterentwicklung des Roboters möglich sein, um auf Nutzer*innenanforderungen eingehen zu können.
Eine entsprechende Nutzwertanalyse (Zangemeister, 2014) basierend auf diesem Kriterienkatalog ermöglicht eine systematische Auswahl von sozialen Robotern. Die dafür notwendige Gewichtung der Kriterien ist abhängig vom Anwendungsfall und wird deshalb nicht vorgegeben.
Obwohl eine zeitaufwändige Marktanalyse durchgeführt wurde, konnten nur wenige verfügbare Produkte identifiziert werden. Viele Roboter sind aktuell nur als Prototypen verfügbar. Des Weiteren ist festzuhalten, dass ein großer Teil der Roboter nicht programmierbar ist. Im Rahmen einer nutzer*innenzentrierten Forschung und speziell im vorliegenden Projekt ist es allerdings unerlässlich, die vorhandene Funktionalität anpassen und erweitern zu können. Unter Einbeziehung aller Kriterien wurde für das Projekt der soziale Roboter „Sanbot Elf“2 (siehe Tab. 2) ausgewählt.
Diskussion
Die Auswahl eines sozialen Roboters ist eine Herausforderung. Die Marktanalyse zeigte, dass die Produktverfügbarkeit derzeit ein Problem darstellt. Mancher soziale Roboter wurde bereits wieder vom Markt genommen („Jibo Is Probably Totally Dead Now“, 2018), während andere zwar stark beworben, aber noch nicht verfügbar sind. So waren beispielsweise Aido3, ElliQ4 und Mabu5 zum Zeitpunkt unserer Recherche noch nicht erhältlich. Andere Roboter, wie Zenbo6, sind nur in bestimmten Ländern und Sprachen verfügbar.
Grund für diese schwierigen Marktverhältnisse könnten kostengünstige Assistenzsysteme wie Amazon Alexa, Google Home und ähnliche Lösungen sein. Diese unterstützen bereits, meist durch Sprachsteuerung, bei einfachen Alltagstätigkeiten, wie beispielsweise der Terminplanung. Obwohl soziale Roboter erweiterte Unterstützungsfunktionen, vor allem im Anwendungsgebiet AAL bieten könnten, scheinen viele Nutzer*innen den Mehrwert noch nicht für sich zu erkennen. Es bleibt zu überprüfen, inwieweit diese Vermutung zutrifft.
Die Einbindung der Endnutzer*innen in den Prozess der Erstellung des Kriterienkatalogs hat sich als essenziell erwiesen. Deren Anmerkungen ergänzten Kriterien, welche sich nicht bei der Marktrecherche ergaben. Dies führt zu der Schlussfolgerung, dass projektspezifische Kriterien bei der Anwendung des Katalogs jedenfalls zu berücksichtigen sind – vor allem jene mit Bezug auf die Endnutzer*innen.
Mithilfe des dargestellten Kriterienkatalogs konnte ein Roboter ausgewählt werden, der eine passende Grundlage für das Erreichen der Projektziele bietet. Die Zufriedenheit der Nutzer*innen wird in einer späteren Phase des Projekts gemessen werden.
Der Kriterienkatalog in seiner aktuellen Version sieht noch keine ethischen Gesichtspunkte vor. In einem weiteren Schritt sollen auch diese erarbeitet und abgebildet werden.
Danksagung
Dieser Beitrag ist im Rahmen des AAL-Programme-Projekts „AgeWell – Virtual coaching to support a healthy and meaningful life of older adults and employees in their retirement process“ (Förderungsnummer aal-2018-5-92-CP) entstanden. Das AgeWell-Projekt wird mit Mitteln des europäischen AAL-Programms, der nationalen Förderstellen in Österreich, den Niederlanden, Italien und der Partner*innen finanziert. Kooperationspartner*innen im Projekt sind ProSelf, Austrian Institut of Technology, Fachhochschule Wiener Neustadt, MEDrecord, Gouden Dagen und INCRA. Das Projekt läuft von Februar 2019 bis Jänner 2022.
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Verfasst von :
Christoph Abseher
(BSc, MSc) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informatik der Fachhochschule Wiener Neustadt, wo er Software für AAL-Systeme konzipiert und entwickelt. Er beschäftigt sich dabei mit allen Aspekten der Software-Entwicklung – von der Anforderungsanalyse über die Entwicklung bis zur Abnahme.
Irina Elisabeth Igerc
(BSc, MSc) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Studienganges Allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege an der Fachhochschule Wiener Neustadt und Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin. Sie beschäftigt sich in der Lehre vor allem mit Inhalten der Pflegewissenschaft und sammelt Erfahrung in diversen wissenschaftlichen Projekten.
Cornelia Schneider
(Dr.) leitet das Institut für Informatik der Fachhochschule Wiener Neustadt und beschäftigt sich in nationalen und internationalen Projekten mit der Entwicklung, Akzeptanz und Usability von Informations- und Kommunikationstechnologien für ältere Menschen (Active & Assisted Living).