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Open Access 2025 | OriginalPaper | Buchkapitel

12. Diskussion und Ausblick

verfasst von : Konstantin Rink

Erschienen in: Digitale Werkstätten

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Das Kapitel diskutiert die theoretischen Grundlagen und empirischen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit, um die Bedeutung von Cyberinfrastrukturen für die Soziale Arbeit zu beleuchten. Es wird ein sozialtheoretischer Rahmen entwickelt, der Organisationen als Ergebnis ineinander verwobener Praktiken des Organisierens versteht. Cyberinfrastrukturen werden als spezifische organisationale Ordnungen identifiziert, die durch komplexe Informationstechnologien hervorgebracht werden. Die Studie untersucht die Verschränkung von Organisation und Cyberinfrastruktur durch teilnehmende Beobachtung, Artefaktanalysen und ethnografische Interviews. Dabei werden fünf zentrale Kategorien herausgearbeitet: Genealogie, Inskriptionen, Klassifikationen, Überwachung und Fallbearbeitung. Die Bedeutung der cyberinfrastrukturellen Ordnung für die Soziale Arbeit wird kritisch reflektiert, wobei die Herausforderungen und Möglichkeiten der digitalen Transformation in sozialen Organisationen beleuchtet werden. Es wird diskutiert, wie Cyberinfrastrukturen die Praktiken der Sozialen Arbeit verändern und welche neuen Subjekt- und Machtordnungen sich daraus ergeben. Die Studie zeigt, dass Cyberinfrastrukturen als strukturierte Möglichkeitsräume fungieren, die sowohl Chancen als auch Risiken für die Soziale Arbeit bieten. Besonders interessant ist die Analyse der Netzwerkorganisationen und der neuen Steuerungsformen, die durch die Einbindung von Cyberinfrastrukturen entstehen. Die Ergebnisse der Studie bieten wertvolle Einblicke in die zukünftige Entwicklung der Sozialen Arbeit und die Rolle digitaler Technologien in diesem Kontext.
Im Folgenden sollen zum einen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit in ihren theoretischen Grundannahmen und empirischen Ergebnissen prägnant zusammengeführt und in ihrer Bedeutung für das Feld Sozialer Arbeit diskutiert werden (Abschn. 12.1), um daraufhin Forschungsdesiderata und -perspektiven zu benennen (Abschn. 12.2).

12.1 Die cyberinfrastrukturelle Ordnung und ihre Bedeutung für die Soziale Arbeit

In der vorliegenden Arbeit wurde zunächst der sozialtheoretische Rahmen in Form der Praxistheorien entwickelt und in vier unterschiedlichen Facetten dargestellt. In einem ersten analytischen Zugang wurde dann ein Verständnis von Organisationen konzeptualisiert, das sich von bisherigen Zugangsweisen in der Disziplin Sozialer Arbeit abhebt und auf Basis des sozialtheoretischen Rahmens Organisationen als das Ergebnis von ineinander verwobenen Praktiken des Organisierens fasst. Dieser Konzeptualisierung folgend liegt der Arbeit die These zugrunde, dass komplexe Informationstechnologien, sogenannte Cyberinfrastrukturen, spezifische organisationale Ordnungen mit hervorbringen. Daran anschließend wurde ein sensibilisierendes Konzept von Cyberinfrastrukturen entwickelt. Im Anschluss an die theoretisch-sensibilisierende Rahmung der Studie wurde das Studiendesign erläutert. Als Erstes wurden dabei die eingesetzten Methoden beschrieben, um dann ein geeignetes Auswertungsinstrumentarium zu entwickeln, um den Gegenstand der Studie einzufangen und ihm gerecht zu werden.
Darauf aufbauend wurde im empirischen Teil dieser Studie die Verschränkung von Organisation und Cyberinfrastruktur auf der Basis von teilnehmender Beobachtung, Artefaktanalysen und ethnografischen Interviews untersucht. Dabei wurden mit Hilfe der GTM in Erweiterung der Situationsanalyse fünf Kategorien herausgearbeitet: Genealogie, Inskriptionen, Klassifikationen, Überwachung und Fallbearbeitung. Über die einzelnen Praktiken hinaus konnte eine cyberinfrastrukturelle Ordnung herausgearbeitet werden, die sich durch drei differenzierte Facetten der Orchestrierung auszeichnet. In der folgenden Einordnung wird die Bedeutung der cyberinfrastrukturellen Ordnung für das Feld der Sozialen Arbeit untersucht.
Die Rekonstruktion der Bedeutung der cyberinfrastrukturellen Ordnung für das Feld der Sozialen Arbeit kann schnell zu einer Reihe von Schwierigkeiten führen: Einerseits kann man Fallstudien – wie die vorliegende – begrenzte Aussagekraft für das heterogene Praxisfeld Sozialer Arbeit vorwerfen. Innerhalb der Eingliederungshilfe ließen sich die Aussagen durchaus noch verallgemeinern, jedoch gestaltet sich die Übertragung auf andere Felder deutlich schwieriger. Die untersuchte cyberinfrastrukturelle Ordnung wird maßgeblich von der Gesetzeslage in der Eingliederungshilfe geprägt, insbesondere durch das SGB IX und die WVO. Es kann festhalten werden, dass Fallstudien die Generierung von Hypothesen und Modellen ermöglichen, die einer nachfolgendenen empirischen Überprüfung unterzogen werden können. Eisenhardt (1989) untermauert diese Auffassung: "Theory developed1 from case study research is likely to have important strengths like novelty, testability, and empirical validity, which arise from the intimate linkage with empirical evidence" (ebd.: 548). Die auf breiter empirischer Basis entwickelte cyberinfrastrukturelle Ordnung – als organisationale Steuerungs-, Subjekt- und Machtordnung – kann daher als Heuristik dienen, um vergleichbare Phänomene in anderen sozialarbeiterischen Bereichen zu untersuchen.
Andererseits verfängt sich die Frage nach der Relevanz der rekonstruierten Ordnung für das Feld der Sozialen Arbeit schnell in einer technikdeterministischen Sichtweise. Allzu leicht werden Veränderungen, Formalisierungen oder Informatisierungen der digitalen Technologie als Ursache zugeschrieben. Will man aber mit der Infrastrukturforschung mehr als eine bloße Effektbeobachtung betreiben, nach dem Motto „Wo ist der Unterschied zwischen analog und digital?“, dann muss die Cyberinfrastruktur in ihrer praktischen Einbettung sowie in materieller, wohlfahrtsstaatlicher und organisatorischer Hinsicht als relevanter Bezugspunkt analysiert werden (Ley/Seelmeyer 2020). Erst vor dem Hintergrund ihrer umfassenden Einbindung in größere Praktiken-Bündel lassen sich Cyberinfrastrukturen rekonstruieren.
In der nachfolgenden Einordnung lassen sich größere Praktiken-Bündel nachzeichnen, die mit Cyberinfrastrukturen konvergieren. Der analytische Rahmen wird über die vier zentralen Dimensionen der Organisation, Fachkräfte, Adressat:innen und des Wohlfahrtsstaates entfaltet (Flösser et al. 1998; Arbeitskreis ‚Jugendhilfe im Wandel‘ 2011). Dabei sollen anhand dieser vier Dimensionen verschiedene Analyseperspektiven für die Untersuchung von Cyberinfrastrukturen skizziert werden.
Adressat:innen
Der Einsatz digitaler Technologien in der Sozialen Arbeit betrifft in zunehmendem Maße auch den Kern der interaktiven Erbringung von Dienstleistungen, ohne dass dies bislang als analytische Perspektive aufgegriffen worden wäre, so Waag und Seelmeyer (2020). Digitale Technologie wie die Cyberinfrastruktur können sich sowohl zwischen die Dyade von Fachkraft und Adressat:in schieben, vermitteln und übersetzen, als auch an der Fallkonstitution mitwirken, Zuständigkeiten mit herstellen und Typisierungen bzw. Klassifikationen mit produzieren. Mit der cyberinfrastrukturellen Ordnung eröffnet sich ein Möglichkeitsraum von Deutungs-, Wahrnehmungs- und Interpretationsmustern, die zu spezifischen Klassifikationen von Adressat:innen führen können.
Laut Klatetzki (1993) wird bei der Interpretation von Problemen und Auffälligkeiten, die sich in den alltäglichen Interaktionen mit Adressat:innen entwickeln, vor allem auf ein organisationskulturelles Vokabular zurückgegriffen. Die Organisation als Ganzes entwickelt eine spezifische Art, Probleme zu interpretieren und zu definieren. Im Sinne einer rekursiven Strukturation können Cyberinfrastrukturen als Ressource, sprich als Wahrnemungsschemata und als (normative) Ordnung, dienen, die eine spezifische Konstruktution der Adressat:innen produziert und auf Dauer perpetuiert. Cyberinfrastrukturen ko-konstituieren insofern den Fall der Sozialen Arbeit mit. Neben diesem organisationalen Können, dass sich mit Cyberinfrastrukturen herstellt, werden die sozialarbeiterischen Fälle auch mittels der Vernetzung koordiniert und ‚am Laufen gehalten‘. Um den Fall bearbeiten und mobilisieren zu können, greifen Einrichtungen beispielsweise auf procedural standards zurück. Die vorgegebene Standardisierung kann die Urteilsbildung von Fachkräften vorstrukturieren und individuelle Klassifikation der Adressat:innen begrenzen.
Diese Formen der Herstellung des Falls und der Weiterbearbeitung wird aus einer normativen Perspektive in der Disziplin Sozialer Arbeit vielfach kritisiert. Gerade die Debatte, welche an dem Begriff der Dienstleistung anknüpft und Soziale Arbeit in ein professionelles Handlungskonzept integriert, geht, wie Schaarschuch (1999) bereits darlegte, von „der Perspektive der nachfragenden Subjekte als produktive Nutzer“ (ebd.: 557) aus. Ihren zentralen Bezugspunkt findet die Dienstleistungsdiskussionen innerhalb der Sozialen Arbeit in der „Ausrichtung auf den Bürgerstatus ihrer Nutzer“ (Schaarschuch 1999: 557). Dieser Definitionsversuch von Dienstleistungen im Bereich der Sozialen Arbeit ist als ein erweitertes und analytisches Unterfangen zu betrachten. Er betont die Rolle der Produzenten und betont die Bedeutung der Nachfragedimension (Oechler 2018: 268). In der Dienstleistungsdiskussion2 wird eine starke Betonung der symmetrischen Rollenkonstruktion zwischen Professionellen und Adressat:innen als Voraussetzung für gelingende interaktive und kommunikative Prozesse in der Dienstleistungserbringung hervorgehoben. Diese Konzeption von Organisationen als soziale Dienstleistungsorganisationen geht über die Aufforderung zur Berücksichtigung der Interessen der Adressat:innen und deren Lebenslagen hinaus: „[I]n Absetzung von Ansätzen, die sich aus einer professionellen Perspektive an den Subjekten, ihrer Lebenswelt und ihren Reproduktionsweisen ‚orientieren‘“ (Schaarschuch 2006: 102), stellt die Dienstleistungsorientierung den Versuch dar, „Soziale Arbeit grundsätzlich aus der Perspektive der Subjekte zu konzipieren“ (ebd.).
Partizipation und Mitwirkung der Adressat:innen sind vor dem Hintergrund der Dienstleistungsdebatte3 eine Strukturvoraussetzung personenbezogener sozialer Dienstleistungen (Olk 1994; Flösser 1994; Schaarschuch 1999; Olk et al. 2003). Laut Schnurr (2018) dient die Mitwirkung der Adressat:innen „der Effektivität personenbezogener sozialer Dienstleistungen und zwar sowohl auf der Ebene der Planung und Gestaltung des bereitzustellenden Leistungsangebots […] als auch auf der Ebene der unmittelbaren Erbringung durch die Angehörigen von Dienstleistungsprofessionen“ (ebd.: 1130). Aus Sicht der Dienstleistungsorientierung sollte die Soziale Arbeit es den Adressat:innen ermöglichen, „bei der Festlegung von Rahmenbedingungen, Anlässen, Formen und Zielen mitwirken und mitentscheiden“ (ebd.: 1133).
Im Rahmen der dienstleistungsorientierten Grundlegung Sozialer Arbeit, die die Einbindung der Adressat:innen in die Erbringung sozialer Leistungen fokussiert, kann der Einsatz von Cyberinfrastrukturen als problematisch erachtet werden. Vergleichbar mit anderen digitalen Anwendungen setzen Cyberinfrastrukturen ein spezifisches Wissen und Können in den Nutzungspraktiken voraus, über das die Adressat:innen nicht unmittelbar verfügen. Anstatt die Adressat:innen mit in die Planung, die Festlegung von Rahmenbedingungen oder den Anlässen mit zu integrieren, perpetuieren sich durch den Einsatz von Cyberinfrastrukturen Machtasymmetrien und Subjektpositionen. Die Fachkräfte bilden dann die Informationsproduzenten, die über die zirkulierenden Ströme von data doubles verfügen, Adressat:innen klassifizieren, sie an gegebene Wahrnehmungsschemata anpassen und sie weitgehend von der Mitwirkung ausschließen. Anstelle der Einbindung und Mitwirkung werden von den Fachkräften Informationen über die Menschen, mit denen sie arbeiten, gesammelt, weitergegeben und überwacht.
Soziale Arbeit als eine Form sozialer Dienstleistung zu betrachten und einen Ausschluss von Adressat:innen in Bezug auf digitale Technologien zu konstatieren, wie es in der anglophonen Debatte durchaus der Fall ist (Patron 2006; Burton/van den Broek 2009), birgt die Gefahr, einerseits zu übersehen, dass Adressat:innen niemals ausschließlich hilflose Objekte sind. Andererseits resultiert aus einer solchen Perspektivierung ein Dualismus von Macht und Freiheit. Aus einer dienstleistungsorientierten Sicht erscheinen digitale Technologien dann als Kontrollsysteme, die die Freiheit und Partizipation der Adressat:innen einschränkt. Das Ziel sozialarbeiterischer Interventionen besteht nicht darin – entgegen der in der Dienstleistungsorientierung suggerierten Dichotomie von Kontrolle versus Partizipation –, ein ‚Jenseits‘ der Macht zu erreichen, sondern vielmehr in Verschiebungen innerhalb der Machtverhältnisse und der historisch spezifischen Regierungsweisen des Sozialen (Kessl 2006). „Machttheoretische Perspektiven eines dualistischen ‚Macht versus Freiheit’-Modells erweisen sich daher für eine systematische Rekonstruktion strafender wie (sozial)pädagogischer Regierungsweisen als unzureichend“ (ebd.: 70). Macht wird in Bezug auf Subjektivität nicht repressiv gedacht, sondern konstituierend. Macht ist „ein Ensemble von Handlungen in Hinsicht auf mögliche Handlungen; sie operiert auf dem Möglichkeitsfeld, in das sich das Verhalten der Subjekte eingeschrieben hat; sie stachelt an, gibt ein, lenkt ab, erleichtert oder erschwert, erweitert oder begrenzt, macht mehr oder weniger“ (Foucault 1994b: 255).
Statt die Cyberinfrastruktur – immer in ihrer Reaktualisierung in der Praxis – allein unter dem Aspekt ihrer Beschränkung zu konzeptualisieren, lässt sie sich als einen „strukturierten Möglichkeitsraum“ (Hubig 2006: 180) beschreiben. Dieser Möglichkeitsraum eröffnet sich nicht allein aus der Materialität der Cyberinfrastruktur, sondern entsteht in der Relationierung mit dem Know-how der Partizipanten und der Steuerungsordnung. Zum einen besteht die Produktivität dieses Macht-Wissens-Komplexes nun darin, dass sie spezifische Gegenstände und Subjektivitäten hervorbringt (Abschn. 11.​1 & 11.​2). In diesem Zusammenhang erzeugen Cyberinfrastrukturen in rekursiver Hervorbringung Subjektpositionen, beispielsweise sogenannte modularisierte Subjekte. Andererseits ermöglicht die Hervorbringung von Subjekten, dass diese handhabbar, regulierbar und überwachbar gemacht werden können.
Cyberinfrastrukturen sind jedoch als strukturierte Möglichkeitsräume an ihre Aktualisierung verwiesen. Im Sinne Giddens bedürfen sie der rekursiven Hervorbringung – ansonsten sind sie nicht. Mit dem potentiellen Raum an Möglichkeiten wären auch andere Zwecksetzungen, Gegenstände und Strategien des Regierens denkbar. Anstelle der zunehmenden Kontrolle, Überwachung und Akkumulation von Informationen über die Adressat:innen und deren Klassifikation jenseits ihrer Partizipation kann der Möglichkeitsraum auch für ein Mehr an Demokratisierung dienen. In den bisherigen Studien zum Einsatz digitaler Technologien (Patron 2006 & 2008; Burton/van den Broek 2009; Devlieghere et al. 2018) zeigt sich jedoch, dass die Daten, die mit digitalen Technologien generiert werden, eine Version der Realität sind, die von Fachkräften interpretiert und gemäß den in der Technologie enthaltenen Arbeitsabläufen und Klassifikationen gespeichert werden.
„However, at the same time, our findings also reveal how EISs (Electronic Information Systems) have equally made the daily work of practitioners invisible in ways that social workers and governments in the twenty-first century would find unimaginable. For instance, all – but one – participants, who expressed positive thoughts, also raised concerns about, for example, the process of establishing uniformity and standardisation that occurs when using EISs“ (Devlieghere et al. 2018: 14)
Insgesamt zeigen sich hier neue Herausforderungen, die sich mit der Zielsetzung einer Partizipation der Adressat:innen eröffnet. Denn die digitale Materialität der Cyberinfrastrukturen bringt es mit sich, dass Listen erzeugt werden und operationale Formalisierungen stattfinden müssen. Die Zerteilung in data doubles lässt sich vor dem Hintergrund einer über Ort und Zeit erstreckenden Koordinierung, Planung und Orchestrierung, die durch Cyberinfrastrukturen erzielt wird, nicht auflösen. Um eine Koordination zu ermöglichen, muss Wissen formalisiert, dekontextualisiert und mobilisiert werden, was eine Zergliederung notwendig mit sich bringt. Denkbar wäre, diese data doubles und Informationsströme sichtbar zu machen. „According to the participants, this inhibits the development of hidden agendas from practitioners towards clients and makes it possible for clients to reconstruct their entire care trajectory“ (ebd.). Hierin läge sicherlich ein enormes Transformationspotenzial, das Cyberinfrastrukturen in einem solchen Setting besitzen könnten. Mit ihnen könnte es zu einer Neubestimmung des Steuerns und Regierens von Organisationen Sozialer Arbeit und auch zu einer Neuordnung von Adressat:innenpositionen kommen. Eine netzwerkartige Steuerung, die auch die Adressat:innen mit inkludiert, erlaubt, Machtverhältnisse auch jenseits einer organisationalen Zentralisierung zu entwerfen. Was entstehen würde, wäre ein technologisches Regieren, an dem sich alle Akteure beteiligen.
Diese Neubestimmung der Machtverhältnisse katapultiert die Soziale Arbeit aber nicht jenseits der Macht. Die neuen Mechanismen der Sichtbarkeit sowie Partizipation sind stets mit Machtstrukturen verknüpft und tragen zur Entstehung und Entwicklung effizienterer Formen des Regierens bei, die der Informationsgesellschaft entsprechen (Maurer 2006). Das entstehende Subjekt wäre in einer Netzwerkordnung (Abschn. 11.​3) „von seiner Position im Netzwerk abhängig, hat aber auch selbst einen Einfluss auf die Umgestaltung seiner Selbst und des Netzwerks“ (August 2021: 385). Positiv gewendet bietet die Modularisierung des Subjektes die Möglichkeit, dass das Subjekt hier als eine ästhetische Form auftritt, die durch Selbst-Technologien sich immer wieder neu modellieren kann. Es ließen sich womöglich neue Subjektpositionen jenseits eines disziplinierten, normierten Subjektes imaginieren, die im Zusammenhang mit neuen Formen des Organisierens mit Cyberinfrastrukturen entstehen könnten. Gleichzeitig verbindet sich mit komplexen Informationstechnologien durchaus ein Übergang von der disiplinären zur regulierenden Normalisierung (Hark 1999: 74). Dadurch eröffnen sich neue Ansprüche an Adressat:innen, an den Netzwerken mitzuwirken. Adressat:innen würden hierdurch zunehmend zu Unternehmern ihrer Selbst werden, als reproduzierende und sich selbst regulierende Akteure einer modularen und netzwerkförmigen Subjektivierungsweise (Kessl/Otto 2002). Doch es wäre strukturalistisch und technikdeterministisch verkürzt, wenn Cyberinfrastrukturen als ausweglose Einpassung der Adressat:innen Sozialer Arbeit in einen umfassenden Machtzusammenhang aufgefasst würde. Vielmehr gilt es, die Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten, die auch dieser Prozess in sich birgt, auszuloten, um damit mögliche neue Subjektivierungsweisen zu ermöglichen.
Organisation
Für Organisationen Sozialer Arbeit kann der Einsatz von Cyberinfrastrukturen zu einer Triebkraft im Wandel der Steuerungsformen werden – wie sich in dieser Arbeit verdeutlicht hat. Zwar sind die Akteure in Organisationen in eine ganze Reihe von ökonomischen und politischen Strukturzusammenhängen eingebunden, „[d]ennoch ist der Zusammenhang zwischen Technik und sozialer Systemstruktur kein beliebiger“ (Mayntz/Schneider 1995: 91). Durch den „Informationsraum“ (Boes/Kämpf 2010), der mit Cyberinfrastrukturen entsteht, tritt an die Stelle von hierarchischer Steuerung eine zunehmende horizontale Koordinierung. Die Bedeutung von Cyerinfrastrukturen liegt vor allem in der durch sie „bewirkte Steigerung funktioneller Interdependenz und sozialer Vernetzung“ (Mayntz 1997 [1993]: 78). Cyberinfrastrukturen spielen „beim Wandel des Primats gesellschaftlicher Ordnungsformen hin zu netzwerkartigen Beziehungsmustern eine wesentliche Rolle“ (ebd.: 83). Mit ihrer Hilfe wird es für Organisationen leichter, „über verschiedene Standorte hinweg distribuiert zu sein und gleichzeitig intensive Praktiken hinsichtlich interner Kommunikation und Kommunikationsnormen fortzuführen, mit denen räumlich verstreute Akteure integriert werden“ (Couldry/Hepp 2018: 258).
In Anbetracht der Verwicklungen, die mit Cyberinfrastrukturen einhergehen, manifestiert sich eine Steigerung der Komplexität, da diese Systeme aus einer Vielzahl von Komponenten bestehen, die von verschiedenen Akteuren an unterschiedlichen Orten betrieben werden. Mit einer Zunahme an Schnittstellen, die dadurch entstehen, etablieren Cyberinfrastrukturen Standards, um die Distribution von Wissen zu bewerkstelligen. Dennoch bleiben die Akteure in Netzwerkorganisationen als autonome Einheiten bestehen, wobei ihre Autonomie soweit beschränkt ist, als dass sie auf die Information anderer aus dem Netzwerk angewiesen sind. In den Netzwerken verfügen die Akteure über operative Autonomie und die Steuerung läuft über strukturierte Beziehungen. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um die vielerorts beschworene „herrische Organisationsratio“ (Schütze 1996: 244) oder „klassisch-bürokratische Organisationsstruktur“ (Ley/Reichmann 2020: 243). Vielmehr konvergieren neue Organisationsformen und komplexe Informationstechnologien jenseits der klassischen Ordnungsformen der Hierarchie oder des Marktes. Mit der Vernetzung von heterogenen Einrichtungen entstehen Informationsräume, in denen die data zirkulieren und zur Legitimation von Entscheidungen dienen.
Entgegen normativen Positionen, die in der neuen, organisationalen Governance eine Chance für die Sozialwirtschaft sehen, diese gezielt zu gestalten und neue Leitungstugenden zu entwerfen (Grunwald 2018), gilt es vor dem Hintergrund der vorliegenden Ergebnisse, sich kritisch der Ordnungen zu vergegenwärtigen, die mit Cyberinfrastrukturen im Hinblick auf Organisationen einhergehen können. „Empfahlen sich Kooperation und Netzwerkbildung anfänglich noch als Alternative zu hierarchischer oder marktzentrierter Steuerung […] sind die Vernetzungsdiskurse [in der Sozialen Arbeit] zunehmend ökonomisiert“ (Dahme 2000: 62). Der Netzwerkbegriff schrumpft vor dem Hintergrund der Neuen Steuerung der Sozialen Dienste zur „Rationalisierungsmetapher“ (ebd.: 63). Soziale Organisationen reproduzieren als Erbringungsinstanzen eine aktivierende Soziale Arbeit (Kessl/ Otto 2002), die ihre Mitglieder als selbstregulierende und sich selbst überwachende Subjekte adressiert. Im Vordergrund eines aktivierenden Sozialstaates stehen Rationalisierungspraktiken und die Reduzierung zentralstaatlicher zugunsten von lokalstaatlicher Machtausübung.
„Von einer Reduzierung staatlicher Regulierungsmacht kann nun aber mit Blick auf die aktuellen Veränderungen von Vergesellschaftungsprozessen gerade nicht die Rede sein. Die veränderten Akteurskonstellationen führen zwar zu einer Struktur, die neben der direkten zunehmend die indirekte Menschenführung i.S. einer Selbststeuerung der Individuen und Organisationen umfasst. Die Regulierungsmacht reduziert sich in diesem Prozess allerdings nicht, sondern wird eher noch konzentriert in den um die eigentliche Leistungserbringung entlasteten Administrationen“ (Kessl/Otto 2002: 70).
Die Leistungserbringung im aktivierenden Sozialstaat wird allen Anbietern – unabhängig ihrer Rechtsform – übertragen und nach ihren Leistungen bewertet. „In Bezug auf den konkreten Leistungserstellungsprozeß folgt der aktivierende Staat […] dem Grundsatz Handlungsdruck statt Übernahmengarantie [Hervorh. im Original]“ (Fretschner et al. 2003: 43). Der Staat übernimmt hierbei die Verantwortung für die Qualität der Leistungserstellung, die operative Durchführung liegt am Ende bei den jeweiligen Sozialen Organisationen. Als Teil einer „neuen Subsidarität“ (Kessl/ Otto 2002: 70) existiert die Tendenz, dass – trotz eines flachen Netzwerkes und der vertikalen Integration – eine fokale Organisation in Form der Kostenträger die strategische Führung im Netzwerk übernimmt. Die untersuchten Grenzobjekte deuteten immer wieder in diese Richtung. Als heimliches Zentrum dirigieren dann die Kostenträger – entlastet von einer Leistungserbringung – das restliche Netzwerk und diktieren Standards, Preise und diskursive Elemente, welche in die Cyberinfrastrukturen implementiert werden müssen (ebd.). Das mit den Cyberinfrastrukturen entstehende Netzwerk dient in einem solchen Szenario als Informationsproduzent, dass das Wissen in Form von standardisierten Outputs an die fokale Organisation – den Kostenträger – weiterleitet. Berichte, Entgelteinstufungen oder andere Instrumente haben ihren Zweck dann in der Informationsproduktion für die fokale Organisation. „The primary task of the organization may also be changed from one of welfare provision to the collection of data to regulate and determine eligibility for such provision“ (Sapey 1997: 809). Vergleichbar mit der Automobilindustrie bestimmt dann die fokale Organisation die Zulieferer, wobei sie immer auf sie angewiesen bleibt. Die Koproduktion der Sozialen Organisationen orientiert sich an den Kostenträgern, die die Funktion einer Gewährleistungsagentur übernehmen und somit die Qualität definieren sowie Standards festlegen (Fretschner et al. 2003: 43). Vor diesem Hintergrund schaffen Cyberinfrastrukturen eine netzwerkförmige Verflechtung, durch die die Organisationen sich selbst steuern und neue Standards, die von den Kostenträgern gefordert werden, integrieren sowie über Räume hinweg distributieren können. Damit agieren Cyberinfrastrukturen als Katalysatoren eines aktivierenden Sozialstaates.
In diesem Sinne präformieren Cyberinfrastrukturen als „informationstechnologisch vermittelte Standardisierungsinstanz[en]“ (Pfeiffer 2004: 206) die organisationalen Praktiken und die an ihnen teilnehmenden Akteure mit. Für Pfeiffer (2004) geht mit der Durchsetzung komplexer Informationstechnologien „eine Rationalisierung hoch drei [Hervorh. im Original]“ (ebd.: 210) einher, das heißt, zur klassischen Rationalisierung kommt die Rationalisierung von „Managementprinzipien und die Rationalisierung der Art und Weise von Unternehmensinteraktionen und –kooperationen hinzu“ (ebd.). Die Nutzung von Cyberinfrastrukturen ermöglicht die Rationalisierung von vertikalen und horizontalen Verflechtungen organisationaler Praktiken, sowohl innerhalb als auch außerhalb der jeweiligen Einrichtungen. Mehrdeutige oder widersprüchliche Informationen werden von ihrem Entstehungszusammenhang getrennt, als „versachlichtes, kontextentkleidetes, objektiviertes ‚Faktum‘“ (Tacke/Borchers 1993: 134) in die Cyberinfrastruktur eingeschrieben und an kooperierende Organisationen weitergeleitet. Insofern sind Cyberinfrastrukturen für „multiple organisatorische Entscheidungs- und Kommunikationsmöglichkeiten“ (ebd.) anschlussfähig. Mit dem „Informationsraum“ (Boes/Kämpf 2010) verbindet sich aber auch ein „Strukturkonservatismus“ (Tacke/Borchers 1993: 138), der im Widerspruch zu einem organisatorischen Umgang mit flexiblen Umwelten steht. Je mehr Anforderungen an die Organisationen von außen herangetragen werden (in der Eingliederungshilfe ist das derzeit das Bundesteihabegesetz), umso „problemtatischer und riskanter erweist sich eine mediatisierte Kommunikation qua formalisiertem Informationssystem“ (ebd.: 147).
Es lässt sich festhalten, dass durch Cyberinfrastrukturen Standards erzeugt werden, die eine Ausschließung von Mehrdeutigkeiten bewirken. Dies ermöglicht sowohl eine vertikale als auch eine horizontale Verknüpfung. Gleichzeitig kann jedoch auch beobachtet werden, dass sich Organisationen ihren Umwelten weniger flexibel anpassen können. Hierin liegt auch ein Grund, dass in Abschnitt 6.​3 von einem ständigen Wachstum der Cyberinfrastruktur gesprochen wurde: Um sich den Anforderungen von Außen anzupassen, müssen immer neue Bausteine mit integriert werden. Diese Qualitäts- und Standardanforderungen kommen von den Kostenträgern, die als fokale Organisationen im Netzwerk eine zentrale Funktion einnehmen.
Alles in allem eröffnen sich mit der Verwicklung von Cyberinfrastrukturen und Organisationen zwei Spannungsfelder: Einerseits etablieren Organisationen mit der Einbidung von Cyberinfrastrukturen eine flache Koordination und Kooperation, die jedoch von einer fokalen Organisation heraus diktiert werden kann. Andererseits eröffnen Cyberinfrastrukturen die Möglichkeit, dass sich heterogene Akteure über Raum und Zeit hinweg miteinander vernetzen können, zugleich aber mit der Standardisierung Mehrdeutigkeiten, Widersprüche und Unvorhergesehenes ausschließen. Für Organisationen der Sozialen Arbeit bedeutet dies, dass sich anstelle einer flachen Koordination heimliche Zentren etablieren können und anstelle von Flexibilisierung ein Strukturkonservatismus durchsetzen kann.
Fachkräfte
Mit Cyberinfrastrukturen ist zunächst verbunden, dass die Informationen, die über ihre Kanäle zirkulieren, hergestellt werden müssen. Ohne die lokale Informationsproduktion, ohne die ständige „Infrastrukturierung“ (Niewöhner 2014) bräche die Cyberinfrastruktur zusammen. Da wenige der Prozesse wirklich automatisiert ablaufen, ist die Arbeitskraft der Fachkräfte noch nicht soweit substituiert, dass diese digitale Informationstechnologie weitgehend unabhängig von der menschlichen Zuwendung agieren kann. „Der Großteil aller digitalen Einträge setzt manuelle Arbeit von Fachkräften, also data work voraus [Hervorh. im Original]“ (Büchner/Gall 2022: 350). Mit dem Begriff „data work“ bezeichnen Büchner und Gall (2022) die organisationale Aufgabe, Daten einzugeben und die „Aufwände, die entstehen, um vorgesehene Daten zu erzeugen, einen Überblick über ausstehende Daten zu gewinnen, Daten zu aktualisieren und zu selektieren sowie Daten aus unterschiedlichen Kontexten und Medien in ein bestimmtes erwartbares Format zu übertragen“ (ebd.). Für die Stabilität von Cyberinfrastrukturen bedarf es der permanenten Arbeit, die in weiten Teilen kaum sichtbar ist. Einen nicht unerheblichen Teil ihrer Arbeitskraft müssen Fachkräfte aufwenden, um die Cyberinfrastruktur mit Informationen zu versorgen und sie am Laufen zu halten.
Die informationsproduzierende Rolle, die Sozialarbeitende im Zusammenspiel mit Cyberinfrastrukturen vermehrt einnehmen, ist insofern nicht unbedingt neu, als dass schon in Akten, Berichten oder anderen Formen der Dokumentation Informationen produziert wurden. Merchel (2004) unterscheidet fünf zentrale Funktionen von Dokumentation (ebd.: S. 17 ff.): (1) Legitimation, (2) Zunahme an Professionalität, (3) Bestrebungen zur Evaluation, (4) Speicherung des Organisationswissens sowie schließlich (5) eine individuelle – auch rechtlich relevante –Zurechenbarkeit. Im Unterschied zu diesen Funktionen beinhaltet die Einbindung von Cyberinfrastruktur weitere Effekte im Vergleich zu bislang üblichen Fallarbeit.
„[R]ecords are kept for two main purposes, as case or management decision support systems. Traditionally, individuals’ records have been used for the former whilst records concerning resources have been used for the latter. However, as a result of technical possibility, welfare organisations are attempting to use individuals’ case records as the basis of management systems“ (Huntington/ Sapey 2003: 74)
Während es sich bei analogen Akten schon um eine „Serie von Teilakten“ (Schüttpelz 2012: 7) handelte, radikalisiert die digitale Inskription mit Cyberinfrastrukturen die Unabgeschlossenheit und Unvollständigkeit nun noch (Gießmann 2017: 80). Durch ihre dezentrale und kleinteilige Bearbeitung, die von heterogenen Akteuren vorgenommen wird, fungiert die Cyberinfrastruktur neben einer einfachen, digitalen Dokumentation auch als Steuerungs- und Mobilisierungsmedium4. In Anlehnung an Gießmann (2017) sind Cyberinfrastrukturen nicht nur bürokratische Speichermedien, „sondern zeichnen sich durch ihre agency [Hervorh. im Original] zur Übertragung und Aufrechterhaltung von Operationen aus – auch über große Distanzen hinweg“ (ebd.: 65).
Aufgrund der dezentralen und kleingliedrigen Datenarbeit produzieren Sozialarbeiter:innen in den organisationalen Praktiken ein fragmentiertes Bild der Adressat:innen, das sich nirgends mehr zentral zu einer ganzheitlichen biographischen Narration zusammenfügen lässt. Anstatt ein Gesamtbild der Adressat:innen zu erzeugen, müssen die Fachkräfte die Personen zunehmend auseinandernehmen und sie dann entsprechend den Anforderungen der Cyberinfrastruktur wieder zusammensetzen. Gerade die Standardisierungen, die nötig sind, um Information über Raum und Zeit hinweg zu mobilisieren, strukturieren vor, was eingetragen werden kann. „In the process, the embodied subject is in danger of disappearing and we are left with a variety of surface information, which provides little basis for in-depth explanation or understanding“ (Patron 2006: 263). Sozialarbeiter:innen erzeugen durch die strukturellen und digitalen Eigenschaften von Cyberinfrastrukturen data doubles, die über die Adressat:innen hinweg zirkulieren und gegebenenfalls direkt an die Kostenträger zur Legitimation von Entscheidungen übermittelt werden können. Durch ihre polyvalente Vernetzung wird auch die Leser:innenschaft potentiell „größer, breiter, unübersichtlicher“ (Ley/Reichmann 2020: 252). Dies erhöht die Anforderungen an die ‚Kunst des professionellen Schreibens‘ von Fachkräften der Sozialen Arbeit, die sich der Konsequenzen ihrer Inskriptionen – insbesondere für ihre Adressat:innen – bewusst sein sollten (ebd.). Folge ist, dass die Inskriptionen der Sozialarbeitenden über einen lokal begrenzten Raum hinausgreifen und zugleich in ein dezentrales Netz eingewoben sind, von dem die Fachkräfte in ihrer Arbeit abhängig sind.
Die Vernetzung bringt es mit sich, dass organisationale Praktiken sich nicht mehr einfach als der Profession äußerliche, bürokratische Strukturgebilde verstehen lassen, die die eigene interaktive Arbeit überformen. Stattdessen ist das Organisieren selbst schon Teil einer sozialarbeiterischen Praktik. Die Perspektive (Abschn. 3.​2) von Oevermann überholend, kann Organisieren nicht als ein bürokratisch-managerialer Vorgang als äußerlicher Kontext verstanden, sondern als sozialarbeiterischer Modus der Eröffnung und Unterstützung begriffen werden. Die organisationalen Praktiken mit ihren Subjekt- und Machtordnungen konstituieren die interaktive Arbeit mit den Adressat:innen mit. In Anlehnung an Engel (2022) kann geschlussfolgert werden, dass Praktiken des Organisierens gerade durch einen grundsätzlichen Inhaltsbezug sozialarbeiterisch relevant sind, „da sich Praktiken des Organisierens nicht einfach erzeugen, sondern immer eine auf Inhalte ausgerichtete organisierte Aktivität (Schatzki) darstellen“ (ebd.: 191).
„Not only can ‘the subject’ of social-work-knowledge be seen as being in the process of transformation into a series of discreet categories but also the ‘social’ nature of the work is disappearing“ (Patron 2006: 263). Anstatt, dass die Sozialarbeiter:innen die Adressat:innen aus den situativen Praktiken heraus verstehen, strukturieren die Deutungen aus dem Netzwerk ihrer Entscheidungen mit. Der Einsatz von Cyberinfrastrukturen bedeutet, dass die Sozialarbeit mehr denn je in weitreichende und komplexe Systeme eingebunden ist. Das birgt die Gefahr, aus der ‚Ferne‘ standardisiert, überwacht und kontrolliert zu werden. Im Kontext der Neuen Steuerung, die mit einem paradigmatischen Wechsel weg von der Input-Steuerung hin zu einer Output-Steuerung einhergeht, wird verlangt, dass Sozialarbeiter:innen ihr Wissen in eine Sprache von Kosten und Nutzen übersetzen (Ziegler 2012). Anders gesagt, Sozialarbeiter:innen sollen Informationen produzieren, „that can be given an accounting value and made ‘transparent’ to scrutiny“ (O’Malley 2009: 8).
Ziegler (2012) folgend geht es in der Neuen Steuerung darum, „die Selbststeuerung durch Zielvereinbarungen, Richtlinien und Zertifizierungssysteme sowie durch ein dezentralisiertes System von Kontrollketten und Evaluations- und Auditprozessen zu ersetzen, deren Basis quantifizierbare […] Kriterien und Indikatoren sind“ (Ziegler 2012: 97). Cyberinfrastrukturen können ein Katalysator dieser neuen Governance Sozialer Arbeit sein. Denn die neue Regierungsform ist „in hohem Maße auf kontinuierliche Informationen (‚monitoring‘) und auf eine solide Wissensbasis angewiesen, die der Begründung, Begleitung und Evaluation [Hervorh. im Original]“ (Radtke 2003: 119) der Prozesse dienen müssen. Welche digitale Informationstechnologie böte sich besser für einen kontinuierlichen Informationsstrom an als eine über Raum hinweg verzweigte Cyberinfrastruktur, in der parallel Informationen aus heterogenen Bereichen zusammenfließen und zirkulieren?
Hiermit soll keineswegs suggeriert werden, dass durch zunehmende Überwachungsmöglichkeiten, Standardisierungen und Quantifizierungen das Wissen der Sozialarbeiter:innen obsolet wird. Etwaige Befürchtungen, dass mit der Schaffung von dekontextualisierten Informationen das Know-how keine Rolle mehr spielt, lässt sich kaum empirisch bestätigen. „Informatisierte Abläufe können nur komplementär zu dem eigenständigen, kreativen Handeln von Beschäftigten sinnvoll genutzt werden; sie müssen sozial eingebettet und ‚gerahmt’ werden“ (Heidenreich et al. 2008: 198). Ohne die rekursive Hervorbringung und ohne die Rekontextualisierung der Informationen funktionieren Cyberinfrastrukturen sowie andere digitale Informationstechnologien nicht. Allerdings bedeutet das Arbeiten mit und in der Cyberinfrastruktur eine verstärkte Delokalisierung und Entzeitlichung (Manhart/Wendt 2019). Es gibt nicht mehr einzelne Raumflächen, „sondern im Grunde nur einen Gesamtraum, in dem sich ‚Orte‘ oder ‚Knoten‘ und ihre vielfältigen Verbindungslinien befinden“ (August 2021: 383). Es entsteht ein „Prozessieren von Ereignissen“ (ebd.), die sich in Echtzeit vollziehen und gleichzeitig stattfinden. Diese Transformationsprozesse etablieren Ordnungen, die auch die Handlungskorridore der interaktiven Dienstleistungsarbeit der Fachkräfte mit strukturieren und mitbestimmen, welchen ‚Gegenstand‘ sie vor sich haben und wie sie ihn ‚bearbeiten‘. Der netzwerkförmige Modus des Organisierens verbindet sich zudem mit spezifischen Formen des sozialarbeiterischen Handelns. Diese Formen konvergieren im Rahmen dieser Studie mit einer wohlfahrtsstaatlichen Governance und dessen Output-Steuerung, Kontrollketten sowie den Auditprozessen.
Wohlfahrtsstaat
Umfangreiche Cyberinfrastrukturen nehmen im deutschen Wohlfahrtsstaat eine zunehmend signifikante Rolle in der Interaktion zwischen Bürger:innen, Behörden und sozialen Dienstleistungsorganisationen ein. Ein aktuelles Beispiel für diese Entwicklung stellt die „Sozialplattform.de" dar, die unter der Leitung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) entwickelt wurde. Das übergeordnete Ziel dieser Plattform besteht darin, ein landesweites digitales Zugangs- und Kommunikationsportal für Sozialleistungen zu etablieren. Die 2022 in einer ersten Beta-Version eingeführte Sozialplattform verspricht einen niedrigschwelligen Zugang zu Sozialleistungen, die zuvor nicht digital beantragt werden konnten. In diesem Kontext hegen die Sozialbehörden die Hoffnung, durch die Implementierung standardisierter digitaler Strukturen einen barrierefreien, diskriminierungsfreien sowie nutzerinnenfreundlichen und kosteneffizienten Weg zur Abwicklung von Sozialleistungen zu schaffen (Ley et al. i.E.).
Cyberinfrastrukturen wie die Sozialplattform können als neuartige Intermediäre angesehen werden, die eine wesentliche Funktion bei der Regulierung der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen übernehmen. In der internationalen Diskussion gibt es bereits Positionen, die Cyberinfrastrukturen eine Schlüsselposition in der Entwicklung und Transformation des Wohlfahrtsstaates zuschreiben (Dencik/Kaun 2020) und einen „New Public Analytics“ (Yeung 2023) diagnostizieren. „The ‘New Public Analytics’ is a shorthand expression I have used to describe the increasing take-up of digital automation and data-driven technologies in public administration across many countries“ (Yeung 2023: 30).
Der Begriff des New Public Analytics (NPA) fungiert dabei als Kategorisierung, mit der Yeung (2023) auf drei Aspekte hinweist. Erstens verweist der Begriff auf eine Vielzahl von Reformprojekten und -programmen im Wohlfahrtsstaat, die die Einführung datengesteuerter Technologien und der Erbringung sozialer Dienstleistungen im globalen Norden beinhalten. Zweitens soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass die Besonderheit, die wachsende Bedeutung und die zunehmend breite Streuung dieses Trends über mehrere Standorte hinweg auf ein entstehendes Paradigma hinausläuft. Die Bezeichnung dieser Entwicklung als New Public Analytics dient der Hervorhebung sowohl der Kontinuität als auch der Diskontinuität zum New Public Management. Drittens wird der Begriff verwendet, um ein analytisches Konstrukt zu bezeichnen, das sich auf ein breites Spektrum technologischer Anwendungen bezieht, die sich auf vernetzte digitale Technologien stützen, die in Sozialen Diensten eingesetzt werden.
Der Kern des neuen Paradigmans besteht im Einsatz digitaler Technologien und einem zunehmenden Vertrauen in die Analyse von Daten mittels Softwarealgorithmen zur Erzielung pragmatischer Ergebnisse. Hierzu zählen Prognosen, die auf Datenmustern vergangener Tage basieren. Letztere ermöglichen die Automatisierung von Aufgaben sowie vorausschauende Eingriffe. Dabei steigt die Abhängigkeit von Datenbanken und Datenzugang (Yeung 2023). Diese Abhängigkeit hat sich in dem untersuchten Feld der Eingliederungshilfe, speziell in den Werkstätten deutlich gezeigt. Zwar werden die Daten noch nicht, wie es zukünftig wohl der Fall sein wird, in lernende Algorithmen eingespeist und im Sinne einer KI prozessiert. Aber die Abhängigkeit der Dateneingabe und -pflege hat sich über alle Praktiken hinweg gezeigt.
Eine weitere Charakteristik des NPA-Paradigmas ist die technische Entwicklung im Sinne eines agilen und iterativen Modells. Das Entwicklungsmodell, nach dem die NPA typischerweise abläuft, entstand als Reaktion auf die wahrgenommenen Fehler und Unzulänglichkeiten des traditionellen ‚Wasserfall‘-Ansatzes für die Softwareentwicklung (Yeung 2023). Wasserfallmethoden sind in der Regel langsam und schwerfällig und erfordern, dass der Kunde am Ende des traditionellen IT-Vertrags die Lieferung abwartet. Auch die iterative Weiterentwicklung von Cyberinfrastrukturen entspricht ganz dem neuen wohlfahrtsstaatlichen Paradigmas.
Ob es sich am Ende um eine Neuordnung des Wohlfahrtsstaates handelt oder um eine Fortführung des New Public Management mit anderen Mitteln, lässt sich abschließend noch nicht ausmachen und bleibt eine noch offene empirische Frage. Allein die technischen Eigenschaften der Cyberinfrastrukturen geben keinen Aufschluss über mögliche Auswirkungen, vielmehr können sie mit heterogenen Affordanzen und situativ sehr unterschiedlichen Einflüssen in der Praxis einhergehen. Eine empirisch beobachtbare Konvergenz von Cyberinfrastrukturen und wohlfahrtsstaatlicher Dynamiken finden sich bei Nadai (2012 & 2015). Nadai (2012) führt auf der Grundlage ethnografischer Daten aus, dass die im System der sozialen Sicherung in der Schweiz eingesetzte Infrastruktur in der Fallbearbeitung mit Formalisierungen und Standardisierungen einhergeht, die als unsichtbare Grundlage das fachliche Handeln strukturiert. Darüber hinaus agiert die Infrastruktur nicht nur auf der Ebene individueller Fälle, sondern generiert auch Fallzahlen, Erfolgsstatistiken in Form von Eingliederungsquoten in den Arbeitsmarkt sowie weitere Daten zur Legitimation der Organisationen gegenüber den Bundesbehörden. Dies verdeutlicht, dass die Infrastruktur als Intermediär soziale Organisationen, das Staatssekretariat für Wirtschaft, das Bundesamt für Sozialversicherungen und lokal tätige sozialarbeiterische Akteure miteinander verknüpft und eine relativ stabile gesellschaftlich-strukturelle Ordnung etabliert, indem sie in unterschiedlichen Kontexten gleichzeitig verankert ist. Die Infrastruktur ist somit ein entscheidendes Element bei der „Durchsetzung des Aktivierungsprinzips in der Arbeitslosenversicherung und zugleich bei der Verwaltungsmodernisierung nach dem Modell des New Public Management“ (Nadai 2015: 256).
Während Nadai (2012) in der Durchsetzung der digitalen Infrastruktur noch eine Fortsetzung des NPM sieht, könnten hierin auch schon die Spuren eines neuen Paradigmas gesehen werden. Vergleichbar mit den Ergebnissen von Nadai (2012) kommt auch die vorliegende Arbeit zu dem Schluss, dass die Cyberinfrastruktur sowohl auf der lokalen Ebene das fachliche Handeln mit strukturiert als auch auf der überregionalen Ebene als Intermediär fungiert und somit eine spezifische Wohlfahrtsstaatlichkeit mit hervorbringt. Allerdings ist noch weitgehend unklar, ob diese Wohlfahrtsstaatlichkeit ein neues Paradigma im Sinne des NPA darstellt. Die bisherigen Ergebnisse wurden auf Basis des New Public Management gelesen. Doch womöglich passt hierfür das Konzept nicht mehr. Möglich, dass wir wie Patron (2008) diagnostiziert, Zeugen der Entstehung eines neuen, überwachenden Wohlfahrtsstaates sind, in dem die Rolle des Staates gleichzeitig breiter, intervenierender und regulierender wird (Parton 2008: 166).

12.2 Ausblick und weitere Anschlüsse

Empirische Forschungen, welche digitale Informationstechnologien auf ihre Leistungen für Organisationen untersuchen, stehen in der Sozialen Arbeit noch ganz am Anfang. Noch wenig erforscht sind digitalisierte Kontexte Sozialer Arbeit, die über eine Nutzer:innenzentrierung und deren einseitige Frage darauf, was Adressat:innen mit digitaler Technologie tun, hinausgehen und die komplexe Verflechtung aus menschlichen und nicht-menschlichen Partizipanten ins Zentrum setzen (Kutscher 2024).
Auch die vorliegende Studie kann diese Leerstelle nicht vollständig ausfüllen, sondern erste Hinweise auf die sozio-technische Durchdringung von Organisationen Sozialer Arbeit liefern. Es bleiben offene Fragen bestehen, die einer fundierten, empirischen Überprüfung bedürfen. Allerdings braucht es dafür Ansätze theoretischer Auseinandersetzungen mit Digitalisierung, die der Komplexität des Gegenstandes angepasst sind. Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass praxeologische Analysen im Stande sind, zu rekonstruieren, wie „Subjektivität in soziotechnischen Arrangements und Ordnungen sich konstituieren“ (ebd.: 134). Vor dem Hintergrund einer Neujustierung wissenschaftlicher Forschungsperspektiven im Kontext der STS (Suchman 2007) und der Medienwissenschaften (Schüttpelz 2007), die nicht mehr lineare Effekte untersuchen, sondern digitale Technologie als „strukturierten Möglichkeitsraum“ (Hubig 2006: 113) in Abhängigkeit zu dem praktischen Wissen der Akteure und den spezifischen Governance-Strukturen begreifen, sollte auch die Theoriebildung Sozialer Arbeit auf diese Perspektivierungen reagieren. Für die Theoriebildung Sozialer Arbeit bedeutet das, techniksoziologische Ansätze zu importieren, um die wechselseitige Durchdringung, Verwobenheiten und Hervorbringungen analytisch fassen zu können. Dazu gehört auch, Affordanzen relational zu verstehen und sozio-technische Verstrickungen nicht reflexhaft auf die eine oder andere Seite hin – auf die menschliche oder technologische Seite – aufzulösen. Mit Blick auf entstehende und sich rekursiv instanziierende Ordnungen im Rahmen von praxeologischen Perspektiven lassen sich nur so deterministische Verkürzungen vermeiden.
Angesichts der praxeologischen Ausrichtung erscheint für die empirische Forschung ein ethnografisches Vorgehen sinnvoll, um die Verstrickungen zu untersuchen. „Damit wird die Verwobenheit von (menschlichen wie technischen) Partizipanten an Praktiken in ihren wechselseitigen Bedingtheiten betont und Praktiken als Momente der Herstellung bzw. Reifizierung spezifischer Logiken in einem Arbeitsfeld unter Mediatisierungsbedingungen in den Blick genommen“ (Kutscher/Seelmeyer 2017: 238). Durch ein ethnografisches, respektive technografisches Vorgehen kann der Komplexität des Forschungsgegenstandes begegnet und zugleich sowohl der digitalen Materialität – mit Hilfe von Artefaktanalysen – als auch der praktischen Einbindung und Hervorbringung von Affordanzen – mit Hilfe der teilnehmenden Beobachtung – analysiert werden. Auf der Suche nach einem geeigneten Theorie-Methoden-Paket (Clarke 2012) liefern auch die Workplace-Studies einen relevanten Bezugspunkt: Sie legen in ihrer mikrologischen und videografischen Ausrichtung den Fokus auf digitale Technologie in Arbeitsvollzügen und konzeptualisieren sie damit in erster Linie als Arbeitsmittel und Organisationstechnologie. Die vorliegende Arbeit versteht sich in diesen Zusammenhang als innovativer Beitrag zur sozialarbeiterischen Organisationsforschung unter den Bedingungen der Informatisierung.
Organisationen können mittels praeologischer Perspektive aus ihrem ‚Container-Dasein‘, in dem genau definierte Prozesse ablaufen, befreit werden. Bei Organisationen handelt es sich dann nicht um vermeintliche Superakteure, die ein Eigenleben entwickeln, welches ihre einzelnen Mitglieder beeinflusst, einschränkt, konditioniert, steuert und sogar bestimmt, was sie denken oder tun. Für praxistheoretisches Denken ist das Soziale notwendig flach und prozesshaft – was mit der Ablehnung einer Differenzierung in Mikro-, Meso- und Markoebene einhergeht. Sozialer Arbeit wird mit der Flachheit von Organisationen eine Perspektive nahegelegt, welche über die verbreitete Gleichsetzung von Bürokratie und Organisation hinausgeht und – beispielsweise – Organisieren als netzwerkförmige Koordination über Standards hinweg rekonstruieren kann. Jedoch wird durch diese Form des Organisierens nur ein Ausschnitt aus der gesamten Heterogenität von organisationalen Praktiken beleuchtet. Welche organisationalen Praktiken in situ nebeneinander bestehen, ist weiterhin ein Desiderat der empirischen Forschung Sozialer Arbeit. Die Rolle, die digitale Informationstechnologien dabei einnehmen, ist vielerorts komplett unerforscht.
Neue Steuerungsordnungen, etwa das technologische Regieren, sind für den Diskurs Sozialer Arbeit im Zusammenhang mit der Organisation Neuland. Wenn das Feld weiterhin organisatorische Fragen vernachlässigt, werden wertvolle Reflexionsmöglichkeiten verschenkt. Statt Steuerung gleich mit bürokratischer Überformung zu verkoppeln, bedarf es einer anti-normativen Haltung, die auf einen Professionsbegriff verzichtet und Organisation in Aktion erforscht. Versuche, Professionalität selbst als von ihren Akteuren hergestelltes „organisationskulturelles System“ (Klatetzki 1993; Müller 2002; Schröer/Truschkat 2012), d. h. als organisierende Tätigkeit, zu verstehen und zu denken, sind bis dato Ausnahmen geblieben. Dabei eröffnet „Organisieren als neue Schwerpunktsetzung […] eine spezifische Metaperspektive“ (Wolff 2004: 387). Mit der Perspektive auf Organisieren wird der Blick „stärker auf die alltägliche organisationale Herstellung von ‚Sozialpädagogischem‘“ (Schröer/Truschkat 2006: 257) gelegt als auf längst obsolet gewordene Dichotomien von Professionslogik versus Organisationsratio. Generell lässt sich eine Dichotomie kaum aufrechterhalten, denn über das Organisieren werden Subjekt- und Machtordnungen geschaffen, in denen sich das sozialarbeiterische Handeln abspielt.
Ausgangs- und Endpunkt dieser Arbeit bildet die Beobachtung, dass sich im Zusammenhang mit der Informatisierung „das ‚Innenleben‘ von Organisationen“ transformiert und damit „auch die Bedingungen, unter denen Organisationen mit umfassenderen Machtstrukturen und deren Implikationen für die soziale Ordnung interagieren“ (Couldry/ Hepp 2018: 261). Macht ist nicht etwas, was Einzelne besitzen können, sie ist auch keineswegs starr und monolithisch. Doch durch den strukturierten Möglichkeitsraum, der im Zusammenhang mit digitalen Informationstechnologien entsteht, können sich neue Subjektpositionen und Machtordnungen herausbilden. Das betrifft nicht allein Adressat:innen vielmehr auch die Fachkräfte Sozialer Arbeit. Die Realisierung der Möglichkeiten bleibt grundsätzlich kontingent – Cyberinfrastrukturen legen ihre Nutzung nicht deterministisch fest. Mit anderen Worten: Die Hervorbringung spezifischer Subjektpositionen und Machtordnung ist nicht nur eine technische, sondern eine praktische und politische Frage. Cyberinfrastrukturen stabilisieren Möglichkeitsräume, in denen Artikulations- und Aushandlungsprozesse stattfinden können. Sie sind nicht nur das Ergebnis politischer Verhandlungen, sondern auch Medien, in denen Politik auf historisch spezifische Weise aktualisiert wird.
Mit Cyberinfrastruktur verbinden sich dystopische und utopische Fantasien. Die Konvergenz von Cyberinfrastrukturen und Dezentralität in Organisationen ermöglicht die Bildung von Netzwerken selbstorganisierender, autonomer Einheiten. Menschen passen ihre Arbeit den Standards des Netzwerkes an. Der neue Geist des Kapitalismus beruht auf einer konnexionistischen Polis (Boltanski/ Chiapello 2003). Mit ihren Tableaus und Listen sind Cyberinfrastruktruen „zentrale (ko-)konstitutive Akteure in Subjektivierungsprozessen, die aufgrund der damit einhergehenden Macht- und Sozialitätsfragen nicht mehr schlicht übergangen bzw. als neutral betrachtet werden können“ (Donner 2022: 401). Trotz der Überdeterminination der Cyberinfrastruktur ist ihre Konfiguration und Implementierung nicht frei von zahlreichen techno-operativen Entscheidungen, die spezifische Ergebnisse wahrscheinlich machen. Der konnexionistische Geist, der mit Cyberinfrastrukturen konvergiert, verlangt von den Subjekten, anpassungsfähig, flexibel und polyvalent zu sein (Boltanski/Chiapello 2003: 158). Einem ständigen Monitoring ausgesetzt, werden die Fachkräfte in der Arbeit mit und in Cyberinfrastrukturen ständig zur Rechenschaft gezogen, aber die Überwachung richtet sich nicht auf die tatsächliche Praxis, sondern auf den digitalen ‚Papierkram‘. In solchen Fällen können Cyberinfrastrukturen die Einhaltung administrativer und rechtlicher Normen fördern, nicht aber die Einhaltung beruflicher Normen. Cyberinfrastrukturen sind in einem Bereich der Objektivität angesiedelt, da sie in der Lage sind, die Praxis zu standardisieren, indem sie den Fachkräften eine einheitliche Struktur vorgegebener Textfelder und Kästchen zum Ankreuzen zur Verfügung stellen. Wenn man versucht, eine einheitlichere Sprache zu schaffen, versucht man, mehr Gleichheit und Objektivität zu schaffen. Doch am Ende ist es nicht möglich, die Ambiguität in der Sozialarbeit aufzulösen, und man sollte dies auch nicht versuchen, da sie ein wichtiges und bleibendes Merkmal der Sozialarbeit ist.
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Fußnoten
1
Um eine Theorie aus Fallstudien zu entwickeln, bedarf es allerdings eines iterativen Vorgehens. „The process of building theory from case study research is a strikingly iterative one. While an investigator may focus on one part of the process at a time, the process itself involves constant iteration backward and forward beween steps. For example, an investigator may move from cross-case comparison, back to redefinition of the research question, and out to the field to gather evidence on an additional case. Also, the process is alive with tension between divergence into new ways of understanding the data and convergence onto a single theoretical framework. For example, the process involves the use of multiple investigators and multiple data collection methods as well as a variety of cross-case searching tactics. Each of these tactics involves viewing evidence from diverse perspectives“ (Eisenhardt 1989: 546). Die hier vorliegende Forschung hat dementsprechend ein multimethodisches, vergleichendes und iteratives Vorgehen gewählt.
 
2
Bei dem Dienstleistungskonzept in der Sozialen Arbeit kann „zwischen einem sozialpädagogischen und einem ökonomisch geprägten Diskurs unterschieden werden kann. […] Im Gegensatz zu dem ersten sozialwissenschaftlichen Diskurs über soziale Dienstleistungen, der vor dem Hintergrund ökonomischen Wachstums und expandierender Staatstätigkeiten stattfand, sieht sich die neuere Diskussion um soziale Dienstleistungen mit fiskalischen Restriktionen und Mindereinnahmen bei steigenden sozialstaatlichen Ausgaben konfrontiert“ (Oechler 2009: 68).
 
3
Im Zusammenhang mit dem Dienstleistungsgedanken taucht die Frage auf, ob sich der Dienstleistungsgedanke generalisieren lasse. „Gerade für Angebote und Dienste, die eine Freiwilligkeit ihrer Inanspruchnahme als Voraussetzung nicht aufweisen können, die mithin durch professionelle Definitions- und Sanktionsmacht erst zustande kommen, wird das Dienstleistungskonzept stark hinterfragt“ (Oechler 2009: 73). Allerdings spricht die bisher unzulängliche Realisierung nicht gegen die Dienstleistungsorientierung als normativen Rahmen.
 
4
Hierin liegt auch der Grund, warum im Kapitel 6. von Inskription und nicht von Dokumentation die Rede ist.
 
Metadaten
Titel
Diskussion und Ausblick
verfasst von
Konstantin Rink
Copyright-Jahr
2025
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-47994-7_12

    Marktübersichten

    Die im Laufe eines Jahres in der „adhäsion“ veröffentlichten Marktübersichten helfen Anwendern verschiedenster Branchen, sich einen gezielten Überblick über Lieferantenangebote zu verschaffen.