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13.09.2023 | Diversitätsmanagement | Interview | Online-Artikel

"Ungesteuert können durch Vielfalt Konflikte entstehen"

verfasst von: Andrea Amerland

4 Min. Lesedauer
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Inklusion und Vielfalt werden oft in einem Atemzug genannt und von einer Funktion verantwortet. Die eigentliche Kunst, wie Inklusion aller Formen von Diversität gelingen kann, falle in Unternehmen aber meistens unter den Tisch, so Expertin Marion Festing im Gespräch.

springerprofessional.de: Unternehmen tun sich mit Inklusion und Diversität noch immer schwer. Woran liegt das Ihrer Erfahrung nach insbesondere beim Thema Inklusion?

Marion Festing: Ich möchte hier mit einem wichtigen Unterschied zwischen den Konzepten starten: "Diversity is counting head" und "Inclusion is making heads count". Während wir es gewohnt sind, Diversität verschiedenster Art in Statistiken zu erfassen und bei Menschen mit Behinderungen einen nicht ausreichenden Anteil an der Belegschaft sogar mit finanziellen Strafen belegen, wird die Frage, wie man eigentlich Inklusion aller Formen von Diversität erreichen kann, häufig vernachlässigt. 

Hierbei geht es darum, die Einzigartigkeit der Individuen wert zu schätzen und jeder und jedem die Möglichkeit zu geben, einen wichtigen Beitrag zum großen Ganzen zu leisten. Dies erfordert mehr Aufklärung über Diversität, ihre Facetten, ihre Vor- und Nachteile. Und natürlich Training zum Umgang mit Inklusion: Welche Unterschiede nehme ich wahr? Welche Kenntnisse habe ich? Wie bin ich motiviert, zur Inklusion beizutragen? Wie kann ich mein Verhalten anpassen, im Team und in Führungssituationen, um ein inklusives Klima zu gestalten? Nur wenn Inklusion von Menschen mit Behinderung, queeren Personen und People of Color zu einem Wert an sich wird, der von Unternehmen wie von der Gesellschaft gefördert wird, ändert sich etwas.

Auch in anderer Hinsicht sind diverse Teams noch nicht die Regel. Geringer Frauenanteil oder Altersmischung fehlen häufig bereits. Was sind hier die Ursachen?

Die Ursachen liegen häufig darin, dass wir Teammitglieder nach sozialer Ähnlichkeit auswählen und damit selbst zur Homogenität beitragen. Wir wünschen uns gleiche Ansichten zu den Themen wie Leistung, Ziele sowie Engagement und definieren dem entsprechende Auswahlkriterien. Indem wir Ähnlichkeiten herstellen, reduzieren wir Unsicherheit. Plakativ gesagt wählt so Hans Hänschen aus, das heißt, jemanden, der dem eigenen Ich entspricht, nur eine jüngere, unerfahrene Version darsteltl. Dies verhindert dann in einer männerdominierten Organisation, dass Frauen verstärkt in Führungspositionen kommen. Ein anderes Beispiel ist, dass wir bewusst oder unbewusst einen großen Generationenmix verhindern, weil wir uns nicht durch jüngere Mitarbeitende bedroht fühlen wollen. Wenn man das verhindern möchte, sind Steuerungsmechanismen gefragt.

Studien belegen, dass sich viele Beschäftigte sogar diskriminiert und ausgegrenzt fühlen. Was können Unternehmen dagegen tun?

Ich hatte eingangs darauf hingewiesen, dass eine unternehmenskulturelle Verankerung und Training zum Thema Inklusion ganz wichtig sind. Damit kann eine Atmosphäre entstehen, in der man bestimmte Dinge einfach nicht sagt und tut, weil das allen bewusst ist und weil ansonsten Sanktionen, etwa durch Vorgesetzte folgen. Wichtig ist, hier auch bereits bei sogenannten Mikroaggressionen auf der Hut zu sein, also negativen Randbemerkungen über bestimmte Diversitätsgruppen nach Geschlecht, sexueller Orientierung oder Behinderung. Gerade Vorgesetzte sollten mit gutem Beispiel vorangehen und sich vermeintliche Kleinigkeiten wie "Typisch Frau" verkneifen oder aber das Gespräch mit Personen suchen, die sich abfällig über Diversitätsgruppen äußern. Denn dafür darf es auch im Kleinen keinen Raum und keine Akzeptanz geben. Diese Diskriminierungen und Ausgrenzungen führen dazu, dass Betroffene Ängste, Depressionen sowie Hoffnungslosigkeit entwickeln.

Andere Studien bescheinigen die positive Auswirkungen von Vielfalt im Unternehmen. Welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, damit sich diese positive Wirkung auch entfalten kann?

Ja, Studien zeigen den positiven Effekt von Vielfalt auf Unternehmen, aber es ist eine falsche Annahme, dass Vielfalt automatisch zum Erfolg führt. Im Gegenteil, ungesteuert können auch Konflikte entstehen. Unterschiedliche Zeitvorstellungen, zum Beispiel in Projekten, verschiedene Qualitätsansprüche, andere Erwartungen über den Umgang miteinander und die dahinter liegenden Werte sind nur einige Beispiele für Konfliktquellen. Hier hilft nur, ein gemeinsames Verständnis zu schaffen für den Umgang miteinander in Teams, in Organisationen und natürlich auch darüber hinaus in der Gesellschaft. Kommunikation ist hier zentral.

Sie sagen, der Umgang mit Diversität kann gelernt werden. Wie?

Zunächst einmal muss man sich klar machen, welche Arten von Diversität es gibt, wie einzigartig die Menschen sind und Chancen darin sehen. Wir haben bei unserer Forschung an der ESCP Business School gesehen, dass es eine Notwendigkeit gibt, den Umgang mit Diversität niedrigschwellig in Unternehmen zu trainieren. Wir haben daher das Serious Game "Moving Tomorrow" entwickelt, das bereits viele Unternehmen intern einsetzen. Dabei stärkt man die Wahrnehmung, was anders ist. Man lernt, wie Andersartigkeit sich in verschiedenen Situationen auswirken kann, entwickelt Interesse und Spaß an der Auseinandersetzung mit verschiedenartigen Menschen und lernt sich entsprechend zu verhalten. Im interkulturellen Bereich spricht man im Ergebnis dieses Lernprozesses von kultureller Intelligenz, im Zusammenhang mit Inklusion nennen wir diesen Vierklang Inklusionskompetenz. Und dank dieser Inklusionskompetenz gelingt dann auch der praktische Umgang mit Diversität im Unternehmen spielerisch.

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