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01.12.2020 | Diversitätsmanagement | Schwerpunkt | Online-Artikel

Von wegen Chancengleichheit in MINT-Berufen

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

4:30 Min. Lesedauer

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Sechs von zehn Frauen im Ingenieurwesen und der IT-Branche fühlen sich diskriminiert. Dabei werden doch Mädchen schon in der Schule mit vielfältigen MINT-Programmen umworben und die Chancengleichheit scheint ihnen versprochen. Was läuft da schief? 

MINT-Programme, große und kleine Projekte von Bund, Ländern oder Schulen gibt es ohne Ende. Sie alle zielen darauf ab, Mädchen auszusprechen und ihnen eine Perspektive in den männlich dominierten naturwissenschaftlichen Berufen zu ermöglichen. Um Chancengleichheit für junge Frauen geht es der Bundesregierung etwa mit dem 2008 geschlossenen "Nationalen Pakt für Frauen in MINT-Berufen", der jährlich mit 3,2 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt wird oder der Förderlinie "Erfolg mit MINT – Neue Chancen für Frauen" des BMBF.  

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MINT-Frauen: umworben, fallen gelassen, diskriminiert

In den Hörsälen tragen die Projekte langsam zwar, aber immerhin, ihre Früchte. Das zum Förderpakt gehörende Datentool "Komm, mach MINT" macht die Entwicklung transparent: Im Studienjahr 2018 waren über eine Million Studierende in einem MINT-Fach eingetragen. Der Anteil der Frauen belief sich semesterübergreifend auf 31 Prozent, der Anteil weiblicher MINT-Studierender im ersten Fachsemester auf 33,4 Prozent. Das sind 3,3 Prozent mehr als im Jahr 2008. In den Ingenieurwissenschaften waren im Studienjahr 2018 von 250.000 "Erstis" 25,7 Prozent weiblich. Gefördert und umworben, so könnten sich angehende Ingenieurinnen theoretisch von der Schulbank bis zum Masterabschluss fühlen. Doch was erwartetet Absolventinnen nach der Zeugnisübergabe?

Die Zahlen, die der Personalberater S-Three in seinem Whitepaper "So arbeitet Deutschland" vorlegte, lassen für Job-Einsteigerinnen in MINT-Berufen ein unsanftes Erwachen befürchten. Online befragt, gaben 1.990 Festangestellte und Freelancer aus dem Ingenieurwesen und der IT-Branche Einblick in ihren Arbeitsalltag. Gender Equality, die ebenbürtige, gerechte, gleichgestellte Behandlung der Geschlechter am Arbeitsplatz und bei der beruflichen Entwicklung, scheint immerhin für 91 Prozent der Befragten selbstverständlich. Die übrigen neun Prozent aber glauben daran, dass sich Frauen und Männer im Beruf hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen voneinander unterscheiden, folglich finden sie laut Studie eine "Geschlechterdiskriminierung im Arbeitsleben legitim". 

Auch das gehört zum Alltag in "Männerberufen": Zwar gaben rund die Hälfte (48 Prozent) aller Studienteilnehmer zu, im Laufe ihrer Arbeitslebens schon einmal wegen der Geschlechterzugehörigkeit diskriminiert worden zu sein. Allerdings sind 66 Prozent der männlichen Befragten, noch nie wegen ihres Geschlechtes benachteiligt worden. Weshalb die ungleich behandelte Hälfte vor allem weiblich besetzt sein muss. Und richtig, 60 Prozent aller Frauen gaben an, im Joballtag schon einmal allein wegen ihres Frauseins ungerecht behandelt worden zu sein. 

Diskriminierung im Job nehmen Geschlechter unterschiedlich wahr

Auf die Frage, wie sich Diskriminierung im Job äußert und wie Ungleichbehandlung wahrgenommen wird, lässt sich offenbar nur geschlechtsbezogen antworten, wie die Studie zeigt. Frauen werden vor allem dann benachteiligt, wenn es sich um das Gehalt (52 Prozent) und Beförderungen (31 Prozent) geht. Männer fühlen sich ungerecht behandelt, wenn sie zu wenig Lob und Anerkennung verspüren (20 Prozent) oder bei der Projekt- und Aufgabenverteilung (15 Prozent) übergangen werden. Überspitzt formuliert resultiert daraus: Die Diskriminierung von Frauen in männlich dominierten Berufen greift nach der Existenz und dem Selbstverständnis der dort angestellten Frauen. Die Diskriminierung von Männer, greift - und das soll hier keineswegs relativiert werden - das Ego und die Motivation der Betroffenen an. 

Um dieses Problem zu lösen, nehmen die Befragten Frauen und Männer ihre Chefs in die Pflicht: "Zu den Top-drei-Maßnahmen zählen objektive Leistungsbewertungen (65 Prozent), eine entsprechende Unternehmenskultur, die Chancengleichheit fördert (56 Prozent) sowie die flexible Gestaltung des Arbeitsalltags (41 Prozent). "Gender Balance wanted!", fordert Springer-Autorin Simone Burel. Für sie ist es "unerlässlich", dass der Umgang mit Frauen bei Einstellung und Beförderung überdacht und verändert wird. Vor allem im MINT-Bereich erkennt sie Stereotype und unbewusste Verzerrungen, die weibliche Karrieren verhindern. 

Frauen in technischen Berufen, so betont sie, brauchen ein gestärktes Selbstverständnis - female Empowerment eben. Dazu gehöre die "Etablierung einer internen 'Pipeline' weiblicher Nachwuchsführungskräfte, die neue Managerinnen in Teams mit höherer Diversität bringen", wie die Autorin im gleichnamigen Kapitel schreibt (Seite 125). Gender Balance in der Arbeitswelt 4.0 ist außerdem angewiesen auf eine veränderungsbereite Unternehmenskultur, die eben nicht gestrig homogen sein will, sondern Diversität auch in der Führunsgebene fördert und akzeptiert. 

Mädchen in MINT darf kein Lippenbekenntnis sein

Realisieren lässt sich das, wenn Vorstände und Aufsichtsräte, sich so kritisch wie ehrlich mit folgender Frage auseinanderzusetzen vermögen: "Behindern internalisierte geschlechterspezifische Rollen-, Familien- und Netzwerkverständnisse eine strukturierte Bearbeitung von Karriere- und Finanzperspektiven?" (Seite 157). Gleichheit bis in die Führungsebene hinein ist ein Prozess der nur mit Fortschrittswillen und dem permanenten Hinterfragen von Rollenzuschreibungen im Unternehmen gelingen kann. Für den Transfer der guten Vorsätze in die Praxis, gibt die Autorin Unternehmen drei Ratschläge (Seite 158):

  1. Arbeiten Sie an Unternehmenskultur und Stereotypen als große Hebel für die nachhaltige Veränderung der Zusammensetzung von Führungsetagen.
  2. Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen ändern und sicherstellen, dass qualifizierte Frauen ernst genommen werden.
  3. Gender Balance als strategischer Erfolgsfaktor der Zukunft ernst nehmen und Kultur- und Systemwandel durch erste Schritte beginnen.

Fazit: Wenn Frauen in männlich dominierten Berufen die Chance auf Karriere genommen wird, weil Geschlechterrollen, Stereotype und strukturelle Ungleichheiten nach wie vor lebensbestimmend sind, führt das alle Bemühungen um Mädchen und Frauen in MINT-Berufen geradewegs ins Nichts. Dort, wo die Ingenieurin aufgrund ihrer Bildung und Fähigkeiten ein natürliches Recht auf Beförderung hat, müssen Old Boys Networks und eingefahrene Rollenverständnisse ihren Platz zu räumen. 

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