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02.08.2021 | Diversitätsmanagement | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wenn Rainbow Washing Hochkonjunktur hat

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

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Der Juni leuchtete regenbogenfarben und alle pinnten sich ihre weltoffene Haltung stolz ans Revers oder stülpten bunte Filter über ihre Social-Media-Profile. Mit echter Diversity hat das oft wenig zu tun. Deshalb die Frage: Ist das echt oder im August schon wieder vergessen?

Der Regenbogen dominiert im Juni die Top-Trends: Unternehmen, Institutionen, Vereine, Promis, sie alle schließen sich den Solidaritätsbekundungen für die LGBTQIA+ Community im Pride-Month mit mehr oder weniger kreativen Aktionen an. Große Modelinien bringen Pride-Kollektionen heraus und nicht wenige von ihnen wie Levi's, Happy Socks oder H+M unterstützen mit den Erlösen Non-profit Organisationen, die sich für die Rechte der Community stark machen. 

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Der Spielwarenhersteller Lego vertreibt unter dem Motto Everyone is Awesome geschlechterneutrale Plastikfigürchen im Regenbogenset. Und deutsche Autobauer setzen mit regenbogenfarbener Bandenwerbung in den Stadien ihre Signale gegen Homophobie, Rassismus und Intoleranz. Kurzum: Unternehmen positionierten sich als Gestalter einer vorurteilsfreien und diversen Gesellschaft. 

Rainbow Washing giert nach Gold 

Doch genau diese offene Gesellschaft ist noch im Werden und sich Finden. Sie ist verletzlich, verträgt weder Unaufrichtigkeit, Heuchelei noch falsche Freundschaften und ist äußert wachsam. Denn auch das bringt der Pride Month hervor: Am Ende seines Regenbogens, steht ein großer Topf, gut gefüllt mit Gold, auf den die Regenbogen-Kapitalisten zusteuern. Pride ist aus Sicht des Marketings äußerst lukrativ und verführt zu Etikettenschwindel. Als Rainbow Washing wird dieses Phänomen bezeichnet. Es bedeutet, dass Unternehmen öffentlich ihre Unterstützung für die LGBTQIA+-Community zeigen, aber im Hinterzimmer Praktiken anwenden, die all jenen, die sich als LGBTQIA+ identifizieren, eher schaden. 

Der Autobauer, der seine bunten Fahnen flugs einrollt, sobald der Lederball in Staaten rollt, in denen Homosexualität gesellschaftlich geächtet ist oder die Community diskriminiert und kriminalisiert wird, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Rainbow Washing betreibt er streng genommen nicht. Wenn allerdings Unternehmen wie Wal Mart und AT&T in den USA auf den Pride-Zug aufspringen und gleichzeitig Millionen Dollar in die Anti-Trans-Gesetzgebung investieren, dann ist das Rainbow Washing vom Allerfeinsten. 

Die Regenbogenfahne fordert ehrliche Bekenntnisse. Gleichzeitig lernt die Gesellschaft, zwischen den Fahnenträgern, die es ehrlich meinen und den schwarzen Schafen und Profiteuren gewissenhaft zu unterscheiden. Denn die Community braucht Aufmerksamkeit und starke Verbündete. Zwei Studien belegen, wie sich deutsche Unternehmen innerhalb der eigenen Strukturen für mehr Diversität einsetzen und wie sich ehrliches Engagement auf die wirtschaftliche Performance auswirkt.

Dax-Konzerne auf Diversity-Kurs

Der seit 2018 von der Uhlala Group erstellte LGBT+ Diversity Index stellt in einem Ranking dar, wie sich Dax-30-Unternehmen für mehr Offenheit gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen und transsexuellen Mitarbeitenden engagieren. Spitzenreiter unter den Leitunternehmen der deutschen Wirtschaft sind SAP (96,1 Prozent), Deutsche Bank (77,6 Prozent) und Siemens (75 Prozent). Untersucht wurden in den vier Kategorien Unternehmensorganisation, HR und Recruiting, Kommunikation und Sichtbarkeit, Rechtlicher Rahmen uns Regelungen unter anderem: 

  • ob und wie Mitarbeitenden Netzwerke unterstützt werden,
  • wie es um die Teilnahme an speziellen LGBT+ Events auch in Zeiten von Corona bestellt ist,
  • das Angebot von Schulungen und Sensibilisierung der Angestellten,
  • die inklusive Sprache in der internen und der externen Kommunikation,
  • das Unterzeichnen von LGBT+ unterstützenden Deklarationen,
  • der Umgang mit LGBT+ Diskriminierung am Arbeitsplatz.

LGBT-freundliche Unternehmen sind profitabler

Die Umfrage, bei der 17 Unternehmen mehr als die Hälfte der erreichbaren Punkte erzielten, macht deutlich, dass LGBT+ in deutschen Konzernen nicht nur Lippenbekenntnis ist, sondern seinen Platz auf der Agenda eingenommen hat. Dass sich ein LGBT-freundliches Unternehmensumfeld auszahlt, bestätigt die Untersuchung Does Lesbian and Gay Friendliness Pay Off? A New Look at LGBT Policies and Firm Performance Studie der finnischen Alto-Universität. 

Anhand von Datensätzen zu US-Firmen aus den Jahren 2003 bis 2016 errechneten die Forscher eine höhere Profitabilität und höhere Börsenbewertungen dieser Unternehmen. Sie belegten damit die These, dass eine sozial progressive Unternehmenspolitik und Diversity Management nachhaltige Unternehmenswerte generieren. Was genau bedeutet Diversität im Unternehmenskontext?

Gerade dann, wenn Organisationen eine eher als traditionell eingestufte Unternehmenskultur aufweisen, ist das Signal für Wertschätzung und Toleranz aller Lebenskonzepte unabdingbar, damit Menschen zu ihrer Identität und sexuellen Orientierung stehen können. Erst dann wird das Engagement, das beispielsweise vonseiten des Diversity Management postuliert wird, auch als glaubwürdig eingeordnet. (A.G. Weinwurm-Wilhelm, Seite 154)

Echt divers? Let's talk about Sex!

Springer-Autorin Astrid G. Weinwurm-Wilhelm kritisiert, dass Unternehmen in den DACH-Regionen sich zwar um Diversity bemühen, das interne Diversity Management sich aber nicht über den Tellerrand der Gesetzgebung bemüht. Daraus, so stellt sich in ihrem Buchkapitel "Sexuelle Orientierung am Arbeitsplatz – weshalb eine Privatsache plötzlich sichtbar werden muss" fest, ergibt sich ein Ungleichgewicht, der Diversitätsdimensionen: Unternehmen setzen sich ein für Maßnahmen der Geschlechtergerechtigkeit, Altersdiversität, Inklusion von Menschen mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen oder der ethnischen Herkunft. Die Diversitätsdimensionen Religion und sexuelle Orientierung spielen im Diversity Management von Unternehmen keine Rolle. (Seite 135) 

Aber: Erst die Auseinandersetzung mit allen Dimensionen der Diversität, der Wille, jede Dimension einzeln zu bearbeiten und mit den anderen Dimensionen zu verschränken sowie das Auflösen von sexuellen Tabus entsprecht den Erwartungen einer modernen Arbeitnehmergeneration. Lippenbekenntnisse, so warnt die Autorin, werden aufgedeckt. Mit ehrlichem Handeln allerdings werde sich "der Nutzen von Diversity in vielerlei Hinsicht im Organisationserfolg zeigen" (Seite 159). Die Diversitätsdimension sexuelle Orientierung gehört selbstverständlich inkludiert.

Diversity und LGBTQIA+ machen und spüren

Diversity Management unter Berücksichtigung der LGBT-Dimension heißt allerdings auch: Veränderungen einleiten und Widerstände aufbrechen. Wie kann das gelingen? Widerstände, so erklärt Weinwurm-Wilhelm spielen sich auf drei Bewusstseinsebenen ab, der kognitiven (Meinung, Überzeugung), der emotionalen (Angst, Begeisterung) und der intentionalen (unterstützen, blockieren). Es gilt nun zu erkennen, ob Mitarbeitende aus Überzeugung zustimmen oder weil sie um ihren Ruf fürchten. So werden Widerstände abgebaut und so kann die LGBT-Diversity gelingen (Seite 148 ff.):

  • Diversity Management als gemeinsame Aufgabe für deren Gelingen alle verantwortlich sind kommunizieren
  • Wissen transportieren (kognitive Ebene)
  • Ängste, Irritationen und Blockaden bearbeiten (emotionale Ebene)
  • Strategien Konzepte und Maßnahmen festlegen (intentionale Ebene)
  • strategische interne Kommunikation (Intranet, Broschüren, Veranstaltungen, Onboarding-Maßnahmen)
  • Netzwerke zum internen Austausch bilden
  • Weiterentwicklung der Netzwerke zu Employee Resource Groups
  • einen sicheren Rahmen für den offenen Umgang mit der sexuellen Orientierung schaffen
  • offizielle Unterstützung seitens des Managements sichern (Themenpatenschaften)
  • LGBTIQ* spüren (Seite 157):
    • "Der Mensch steht im Mittelpunkt" ist in vielen Unternehmen ein Leitsatz. Was müsste die Organisation tun, damit das auch der schwule Mitarbeiter, die lesbische Mitarbeiterin, die transgender beziehungsweise intergeschlechtliche Person so empfindet?
    • Ein Mitarbeiter sucht das vertrauliche Gespräch mit dem Head der Personalabteilung und teilt mit, dass er transgender ist und vor der Geschlechtsumwandlung steht. Was ist die erste Reaktion? Welche Schritte folgen?

Unternehmen, die im Monat Juni die Regenbogenflagge hissten, sollten wissen: In der Öffentlichkeit wächst das Bewusstsein für Diversity-Eintagsfliegen, kurzlebige Bekenntnisse, die sich auf einen Monat beschränken und Rainbow Washing. Die Gesellschaft lässt sich mit bunten Pride-Slogans nicht abspeisen. Sie will die echte Auseinandersetzung mit den Anliegen der Community transparent mitgeteilt bekommen. Sie recherchiert nach, ob Dialoge gesucht und daraus Maßnahmen abgeleitet werden. Sie will wissen, wie es um die interne Diversity von Unternehmen bestellt ist. An den Ergebnissen richtet sie ihr Handeln aus. LGBTQIA+-Verbündete werden belohnt, Rainbow Washing öffentlich abgestraft. 

Anmerkung: Die Autorin hat sich als Platzhalter für Geschlechtsidentitäten für die Abkürzung LGBTQIA+ entschieden und im Zusammenhang mit zitierten Studien und Buchkapiteln, die jeweils dort verwendeten Abkürzungen übernommen. 

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