Skip to main content

2007 | Buch

Dueck's Panopticon

Gesammelte Kultkolumnen

insite
SUCHEN

Über dieses Buch

In der IT-Welt, unter den "Techies" und Ingenieuren, genießen die Kolumnen des IBM-Vordenkers Gunter Dueck einen fast legendären Ruf. Leidenschaftlich subjektiv wird jeweils Aktuelles und besonders Zukünftiges aufs Korn genommen und scharf-humorig auf den Punkt gebracht. Der vorliegende Band vereint 42 assoziative Feuerwerke des Kultautors und bietet ein kunterbuntes Potpourri: Artgerechte Haltung von Menschen unter besonderer Berücksichtigung von "Techies", Unfreiheit der Forschung, Plattwürmer und Mensch, Softwarepatente, Aufrufe an Manager, endlich die Versuche einzustellen, Naturgesetze zu umgehen. Gegen zwanghafte Evaluation, kindhafte Begeisterung über viel zu Neues, gegen jährlich wechselnde Managementfehler und Beraterhypes ("Triebrichtungen") usw. usw.

Dueck: "Ich muss und will Ihnen nicht immer aus der Seele sprechen – aber was spricht gegen einen gelegentlichen Neuronensturm?"

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
I. Lauter Kolumnen, alle Beta!

Seit 1999 schreibe ich alle zwei Monate die so genannte beta-inside Kolumne im Journal

Informatik-Spektrum

. Diese Publikation ist die Mitgliederzeitschrift der

Gesellschaft für Informatik (GI)

. Sie erscheint im Springer-Verlag.

Alpha! Alpha-Versionen sind Hochglanzprospekte und Außenerklärungen, Imagebroschüren und im Großen und Ganzen prächtiger Schein. Meine Kolumne aber ist gnadenlos Beta! Real! Kritisch! Mit Leidenschaft und Herzblut geschrieben! Es kommen entsprechend viele Ausrufezeichen darin vor!

II. Über die Unfreiheit der Forschung

In der Industrie sind die Menschen frustriert, die Neues wollen. Das Neue eckt überall an. Das Alte wehrt sich mit Händen und Füßen. Der Weg des Innovators ist ein Hindernislauf ohne ein sichtbares Ende. Zu keinem Zeitpunkt ist wirklich klar, ob am Ende die letzte Hürde des Neuen nicht ein Bergmassiv aus Stahlbeton ist. Die Menschen schimpfen. Auf Abteilungsdenken. Risikoscheue. Machterhaltungsversuche. Kurzfristdenken. Besitzstandswahrung. Angst.

III. Intuition, E-Man und Drittmittel

Genau so ist es! Natürlich sind nicht genau Sie alle schuld. Aber es haben so sehr wenige geantwortet, dass es ja ein Messfehler sein könnte. Sie erinnern sich? Ich habe Sie früher zart gebeten, sich einmal dem Persönlichkeitstest bei www.keirsey.com [Anmerkung 2007: Verschiedene Links zu Tests, auch für diesen, sind auf meiner Homepage.] zu unterziehen und mir das Ergebnis und Ihr Studienfach zu verraten. Daraufhin habe ich abgewartet. Wochenlang! 27 von Ihnen haben geschrieben. Das reicht in nur wenigen Fakultäten für eine Doktorarbeit über den Lebenssinn aus, um den es hier ja geht. (Mediziner brauchen so 10, glaube ich; bei Philosophie oder Theologie genügt einer.) Deshalb habe ich dann zu einer Art Hammerschlag ausgeholt und Sie brachial direkt aufgefordert, mir Ihre vier Buchstaben zu schicken. „Und wenn ich in E-Mails ersticken sollte!“, so rief ich Ihnen zu, mit mehreren Ausrufezeichen. Da war ich ganz schön mutig, weil es ja 23.000 GI-Mitglieder gibt und weil Sie ja sicher alle Ihr Heft allen in der Familie zeigen und die Artikel im Freundeskreis diskutieren. Deshalb ist die so genannte

Reichweite des Informatik-Spektrums

natürlich viel höher als die Abonnentenzahl! Stellen Sie sich vor, ich bekäme jetzt 100.000 E-Mails zum Auswerten! Es kamen aber nur 129, so dass ich nun 156 E-Mails insgesamt bekam. Die Rücklaufquote ist also weit unter einem Prozent gewesen.

IV. Kopfgold (oder Knowledge-Management)

Es würde Millionen und Abermillionen Dollar einbringen, wenn wir das Wissen in den Köpfen unserer Mitarbeiter besser nicht in ihren Schädeln, sondern in Datenbanken gespeichert hätten. Vollständig, sicher und leicht zugänglich, so eine Datenbank soll ja kein Orakel sein. Normale Menschen haben wahre Goldminen in ihrem Gehirn. Mit ein wenig Kunst lässt sich das Gold heben, ein riesiger Wissensschatz wird freigelegt – und dann wird gescheffelt und eingesackt. Diese Kunst heißt Knowledge-Management oder Wissensmanagement.

V. Energieversorger unter Strom

In unserer immer globaler werdenden Welt deregulieren sich die Märkte: Der Wettbewerb fällt über meinen Haushalt her. Erst wurden Banken und Versicherungen global und internetfähig, danach brach eine ganz neue Telco-Branche auf, um mich als Kunden zu gewinnen. Handys wurden verschenkt, wurden zum Senkrechtstart neuer Unternehmen.

Strom wird farbig. Vielleicht sollte ich mir einen neuen Vielfarblämpchen-Schraubendreher kaufen, der, wenn ich ihn in eine beliebige Steckdose einführe, durch ein passendes Farbblinken die Art des jetzt gerade verbrauchten Stroms anzeigt.

VI. Auf und Up mit Logik erster Ordnung

„Das klingt logisch.“ So etwas sagen wir ganz schön oft und erst später merken wir etwas Übersehenes.

Alarm im Unternehmen! Die Verkäufe sinken wie irre. Die Verkäufer verzweifeln. Sie telefonieren sich die Finger wund, um Kunden zu kontaktieren. Der Controller heult auf, weil die Telefonkosten in den Himmel schießen. Er muss handeln. Es geht um das Überleben der Firma. Er denkt nach, was er tun kann. Er handelt: Er verbietet vorsorglich das Telefonieren im Unternehmen für einen Monat.

VII. Fragen ist befehlen, antworten ist gehorchen

Alles Lüge, wenn alle sagen, Daten sind Information. Daten sind Peitschenhiebe. Sonst sind sie Datenmüll, glaube ich. Wenn wir uns schon die Mühe machen, Sachverhalte in Daten zu messen, dann haben wir schließlich die Absicht, etwas in Erfahrung zu bringen oder besser bewerten zu können, um anschließend Einfluss zu nehmen.

VIII. Psychologie neuronaler Netze

Ich habe gerade vom Stopp eines wichtigen Forschungsprojektes erfahren, dem ich mit einiger persönlicher Leidenschaft zugesehen hatte. Zugegeben, das Projekt sieht auf den ersten Blick wie Spielerei aus, aber es wäre bei wirklich energischer Forschung unter Umständen ein Meilenstein für die Menschheit. Ich kann auch nicht verstehen, warum dieses halb geheime Projekt nun einfach durch Weggang der Mitarbeiter in karrierereichere Positionen quasi implodiert. Die Ergebnisse bleiben ganz banal liegen. Dabei gehörten sie in die Zeitschrift

Nature

hinein, sind aber jetzt völlig unfertig.

IX. Oh deer!

Eine Idee ist etwas sehr Gefährliches. Meistens haben solche Menschen die besten Ideen, bei denen nichts zu retten ist. Dabei ist nicht die Idee das Wesentliche, sondern das Gerettetwerdenwollen. Die Idealisten kommen zum Beispiel mit der Idee, die Welt durch das allgemeine Leben nach der Bergpredigt zu retten. Das geht unzweifelhaft. Jeder weiß das. Aber nicht das Retten der Menschheit ist das Wichtige, sondern das Gerettetwerdenwollen. In diesem Zustand will die Menschheit dringend gerettet werden. Sie ist aufnahmebereit und willig, Führung anzunehmen. Die Lage ist schon so schwierig, dass keine Zeit mehr für

irgendwelche

Ideen bleibt. Es hilft nur noch der rettende Gedanke. Rettende Gedanken sind die Domäne der praktisch denkenden Menschen, deren Leben sich dadurch auszeichnet, dass sie es immer noch schaffen, zu retten, was einige Zeit vorher gar nicht bedroht war. Die Bedrohung ist noch wesentlicher als alles andere. Ohne Bedrohung kann niemand gerettet werden wollen. Aber erst dann helfen rettende Gedanken! Zum Beispiel sehen die Menschen den Nutzen von Kirchen am besten in Zeiten ein, in denen Bomben vom Turm rieseln. Es gibt deshalb nichts Erhabeneres als Darwins Gedanken zum täglichen Überleben, der uns heute täglich zu rettenden Gedanken zwingt, weil wir anscheinend immerzu bedroht sind, was aber nur wir Menschen wissen. Deshalb sind wir den Tieren überlegen.

X. Computerseele und Datenbankpsychologie

Menschen sind vollkommen.

Selbst Gott ist schwer anders vorstellbar, außer viel vollkommener natürlich.

Es muss wohl so gewesen sein, dass er uns nach seinem Vorbild schuf, wobei – ja, zugegeben – einiges nicht optimal gelaufen sein dürfte, was eine Schlange von Unheil nach sich zog. Heute wirken nur noch Kinder zeitweise göttlich. Es verwächst sich.

Computer sind vollkommen.

XI. Nachgetragen: Erfahrungen mit E-Man

In meinem Buch

E-Man

habe ich ganz schön gewagte Thesen zum Besten gegeben, besonders die zum Verhältnis von Frauen zu Männern. Da liegt es nahe, nach Argumenten zu schauen, die mir Recht geben. Ich bin gar nicht unsicher über meine Thesen, aber ein höherer Shield-Score wie bei den Computerspielen macht das Leben einfacher.

XII. Die Antwort auf alle Fragen

Die ist bekannt! 42.

Per Anhalter durch die Galaxis

. Dieses Buch hätte ich gerne selbst geschrieben. Es hat wie alle meine Bücher und der jetzt folgende Text den Fehler, zu viele Ideen auf einmal zu verarbeiten – so viel Verschiedenes ist fast schon unverdaulich! Deshalb finde ich es natürlich so schön.

XIII. Mir fällt nicht ein, was Informatik ist! Aber ich weiß es

2002: Die Informatik hat Geburtstag und wird nun 25 Jahre alt. Dazu soll ich jetzt einfach einen wichtigen Artikel schreiben. Hmmh. Vor 25 Jahren, das war 1977. Da gab es den 7.7.77! An diesem Tag fand meine mündliche Doktorprüfung in Mathematik statt. Ich erinnere mich an eine ganz merkwürdige Eröffnungsfrage des Informatikprofessors Wolfgang Paul, auf die ich, glaube ich, richtig antwortete, dass das aber eine sehr merkwürdige Frage wäre, worauf der Prüfungsausschuss feinsinnig lächelnd einen beginnenden Diskurs mit dem korrekten Hinweis unterband, dass ich als Prüfling nicht das Recht hätte, die Fragen von Informatikprofessoren zu beurteilen. Richtig, wir

hatten

damals schon Informatik. Und wie! Mit wie viel Drive! Gab es nicht auch schon früher Computer? Und wurden es nicht in den sechziger Jahren zusehends mehr?

XIV. Ein Indikatorenhoch über Deutschland! Starke Triebwinde!

Bilanzskandale erschüttern die Welt. Manche Firmen haben so unfassbar hohe Verluste abzuschreiben, dass die ganze Panik über die derzeitigen Finanznöte unserer Bundesregierung schon sehr relativ erscheint.

So eine Flut in Dresden [Anmerkung 2007: das Jahrhunderthochwasser von 2002] ist ein Klacks für ein Land, in dem man sich bei UMTS-Lizenzversteigerungen oder überteuerten Firmenübernahmen um ein Mehrfaches „verkalkuliert“ hat. Dieses Kalkulieren scheint mir überhaupt ziemlich gefährlich. Wenn die Planer dann noch von „kalkulierten Risiken“ berichten, die sie jetzt eingehen, dann wird mir ganz heiß ums Herz. Ich denke noch heute von Zeit zu Zeit an das Seminar

Fehler und Fallen im stochastischen Denken

zurück, das ich einmal zusammen mit Rainer Danckwerts vor langer Zeit in Bielefeld veranstaltet hatte.

XV. Life on instruction

Als ich – Mensch, ist das schon lange her! – vor 30 Jahren in Göttingen studierte, philosophierten wir beim Genuss seltsamer Teesorten über die Wahl einer rechten Ehefrau. Das war ein sehr fröhlicher Abend! Denn ein Kommilitone, heute Professor, stand vor einem unlösbaren Problem. Das ist im Prinzip allen Mathematikern schon passiert, aber es hatte diesmal mit Rouladen zu tun.

XVI. Das Kopflose

Der Fortschritt der Welt ist wie eine Dampfwalze, die alles plattmacht! Steig lieber auf, sonst wirst Du Teil der Straße!

Das Wort platt machen kommt in Norddeutschland auch als plätten vor, womit man bügeln meint. Meine Frau sagt immer bügeln, wenn sie plätten meint. Sie macht auch niemanden platt, sondern sie bügelt über.

Platt. Im Lateinischen heißt es: Planus. Planus, -a, -um: flach, eben, platt. Wenn ich als Manager einen Plan mache, zum Beispiel, dann mache ich wohl den Weg vor mir platt und alles, was vor mir ist, zum Teil der Straße?! Das Runde ist dem Platten nicht gewogen. Das Runde ist nicht platt. Trotzdem sprechen manche, wenn sie plattmachen wollen, vom Rundmachen. Plan ist wie planieren, also wie das Einebnen aller Unterschiede. In Frankreich gab es bis in die letzte Zeit einen Planifikateur, der die Planifikation betrieb (die staatlich organisierte Planung der Volkswirtschaft).

XVII. Softwareentwicklung – höher als alle Vernunft

Früher musste ich manchmal schätzen, wie lange eine Softwareentwicklung dauert. Ich weiß die wahre Antwort (eine richtige kenne ich auch): „Es kommt darauf an.“ Da hat mein Gegenüber stets geseufzt, weil diese Antwort zwar wahr ist, aber nicht zulässig. Im Wesentlichen leidet die Welt nämlich daran, dass für die Projektdauer nur ein numerisches Feld in einer Datenbank reserviert ist. Es geht hauptsächlich darum, dass dieses Feld mit einer politisch korrekten Zahl gefüllt ist. Ich hatte zuerst vermutet, dass die erwartete Projektdauer im mathematischen Sinne eingetragen werden muss, und zur Berechnung dieses Erwartungswertes würden wir alle Szenarien durchgehen, alle diese mit Wahrscheinlichkeiten versehen und am Ende irgendetwas ausrechnen, so grob es dann immer noch ist.

XVIII. E-Team

„Wir sehen uns!“ Nie mehr so richtig.

Nein, eigentlich hören wir auf, uns zu sehen.

Wir sehen uns auch nicht mehr

richtig

. Denken Sie an so etwas:

„Schatz, gut, dass ich dich endlich erreiche. Ich wähle mir seit Stunden die Finger wund.“ – „Hallo, Schatz?“ – „Hallo! Bist du noch dran?“ – „Ja.“ – „Hahallo … Schatz.“ – „

Warum hast du mich nicht gestern schon angerufen

, dass du gut angekommen bist?“ – „Ich habe es ja versucht, es war keine Zelle in der Nähe.“ – „Und das Handy?“ – „Der Akku ist leer, ich schwöre es.“ – „Und das Handy von Gerd?“ – „Ich wollte nicht aufdringlich sein, so wichtig ist es ja nicht.“ – „

ICH

bin dir nicht wichtig.“ – „Doch Schatz. Ich weiß ganz genau, dass ich dich immer anrufen muss. Ich bin ja jetzt auch so froh, dass ich es gleich geschafft habe. Du, ich rufe wegen des leeren Akkus von einer Zelle aus an, die Münzen sind gleich durchgefallen. Sag doch mal etwas.“ – „Es ist dir ja nicht wichtig.“ – „Hallo, Schatz, bist du noch dran? Noch zwei Sekunden!“ – „Ruf morgen an oder ich bin wieder sauer.“ – „Oh ja, Schatz, schön, dass wir uns mal wieder …“ Klicks. Gerd sagt: „Kann ich auch mal dein Handy haben?“

XIX. Supramanie: Der Wille wie eine Lenkrakete

Sie röchelt noch ein bisschen. Denn, im Ernst:

Fast alle Vernunft ist künstlicher Trieb.

90 Prozent?

Oder mehr? Ich habe mich immer beim Zähneputzen gedrückt, weil meine Mutter so invasiv scheltend hinter mir her war. „Wie oft muss ich dir Vernunft predigen!“ Die Erwachsenen überbrücken immer ziemlich viel Zeit, bis sie diese bessere Lösung finden: „Wenn du jetzt nicht sofort putzt, hämmere ich dir die Vernunft ein!“

XX. Deutschland in der Billigenz-Falle

Das Alter mag mir in den Knochen sitzen oder es hält dort Einzug. Ich muss mich zu großen Sprüngen viel mehr zwingen als früher und ich frage mich, ob ich solche noch wirklich hinbekomme. So viel Schwung hatte ich einst! Ich rannte so schnell, dass ich sogar im heftigen Stolpern die Treppe hinauffiel. Oben muss man sich nur noch festhalten, nicht wahr?

Die Philosophen sagen aber allgemein, ich solle loslassen.

XXI. Techies in the box

Diogenes dachte in der Tonne. Wir denken für die Tonne. Dabei gibt es tonnenvoll zu tun, gar nicht auszudenken, wie viel!

Ich möchte ein paar Gedanken zum eingefahrenen Denken darlegen. Das ist nämlich eine verteufelt gefährliche Sache. Wenn Sie zum Beispiel immer dasselbe denken, dann verstärken sich dort die Verbindungen in Ihrem Gehirn! Schließlich

müssen

Sie immer an das Eine denken, weil sich Ihre Struktur versteift hat. Sie wirken automatisch und monofunktionell. Ökonomisch gesehen ist es ganz und gar unsinnig, immer wieder dasselbe zu denken. Einmal reicht ja. Es ist nicht wie bei Bratkartoffeln, die ich immer wieder esse. Oder doch? Vielleicht wollen wir nur denken, was uns Freude macht? Wir brauchen womöglich Freude beim Denken? Ja! Bratkartoffeln! Wir merken uns nur diejenigen Gedanken, die uns Freude beim Denken gemacht haben und denken diese immer wieder.

XXII. Schlangenbeschwörer

Hier verrate ich Ihnen, was Sie nicht hören wollen:

Sie arbeiten zu viel

!

Nach diesem Artikel werden Sie sich die Ohren zuhalten und weiterarbeiten, weil Sie im Bewusstsein der folgenden Argumente nicht wirklich weiterleben können.

Und diesmal gibt es kein philosophisches Blabla von mir, das an Ihnen abtropfen könnte – wie alles um den Sinn des Lebens herum, der bei der Arbeit stört. Nein! Ich komme mit simpler Mathematik. An Ihrem Ende steht so etwas wie ein QED.

XXIII. Hochdruckdoppelstoppmanagement

Sie arbeiten zu viel, weil Sie sonst nichts schaffen.

Deshalb aber schaffen Sie nicht viel.

Ihre Arbeit wird dadurch sinnlos, was Sie ja selbst merken.

Sie versuchen nun, mehr davon zu tun, damit es besser wird.

XXIV. Simply Satisfying Quality (SSQ)

Zur Hölle mit der Hölle!

So titelte Barbara Bierach ihre Rezension meines Buches

Supramanie

in der Süddeutschen Zeitung. Und ich habe Ihnen dort und in den beiden letzten Kolumnen

Schlangenbeschwörer

und

Hochdruckdoppelstoppmanagement

vorgeführt, wie es mit der Hölle beginnt: durch Überlastung unserer Systeme und irgendwie auch durch Ihre Mittäterschaft. Gegen die Systeme kann ich nur in Büchern wettern, aber Sie? Ich bekehre Sie langsam zu SSQ.

XXV. Der Mensch in artgerechter Haltung (SSL)

Der Web-Link zum Autismus-Test ist

http://www.msnbc.com/modules/newsweek/autism_quotient/default.asp

Sie werden hier demnächst gebeten, ihn zu absolvieren und mir das Ergebnis an dueck@de.ibm.com zu schicken. Das schon einmal vorweg! (Und das Buch zu dieser Kolumne ist

Topothesie – Der Mensch in artgerechter Haltung

.)

XXVI. Das Ziel haben oder sein? Bio-Logik und Betaphysik

Ein Mensch vor meinem Auge! Ich möchte mir ein Bild von ihm machen. Ich zücke meine Digicam und halte den Finger am Abzug. Da zieht der Mensch ein Gesicht. Ist es sein eigenes? Schrecken oder Design? Meine Kamera zielt wie eine Waffe. Der Mensch ist mein Ziel. Er weiß das.

XXVII. Auten Sie sich!

Vor einiger Zeit bat ich Sie ungestüm herzlich, mir Ihren per Test festgestellten Autismus-Quotienten (AQ) mitzuteilen. Ich formulierte diesen Aufruf bewusst sehr forsch, damit Sie auch antworten. Ich bekam so etwa 280 Mails von den 8000 ständigen Lesern dieser Kolumne. Das sind nicht mehr als vor drei Jahren, schade. Irgendwie weiß ich echt nicht, wie ich Sie besser motivieren soll. Ich müsste wahrscheinlich mehr emotionale Intelligenz haben. Aber ich habe ja im Test auch ganz schön viele Punkte und glaube, dass ich den autistischen Menschen eher besser verstehe als den emotionalen. Ich habe bei IBM an den Verteiler des IBM Wild Duck Clubs geschrieben: „Ihre Autismus-Zahl, bitte!“ Von den angeschriebenen 1300 IBMern antworteten dann ebenfalls etwa 280, aber sofort! IBM ist pfeilschnell! Uiiih, meine Mailbox war einmal in meinem Leben so voll, wie ich es nur ungläubig bei mehr unorganisierten Mitmenschen sehe. Ich selbst werde schon nervös, wenn ich mehr als 15 Mails in der Inbox habe.

XXVIII. Highly Sensitive!

Noch immer schreiben mir Leser, wie autistisch sie sind, weil ich gebeten hatte, mir das Ergebnis des Tests http://www.msnbc.com/modules/newsweek/autism_quotient/default.asp per E-Mail an dueck@de.ibm.com mitzuteilen. Aber Jorinde Witte meinte, es gäbe noch andere typische Menschen unter den Informatikern und wahrscheinlich noch mehr unter den Mathematikern. Ich solle mich doch einmal mit den Supersensitiven oder den Hochsensiblen befassen. Das habe ich gemacht – ich war ganz betroffen, als ich ein Buch von Elaine Aron dazu las. Sie setzte in den USA eine hochsensitive Welle mit einem Bestseller dazu in Gang. Und natürlich sah ich auch sofort, dass ich wiederum zu diesen Menschen am Rande gehöre, deren Anzahl Elaine Aron auf fünfzehn bis zwanzig Prozent aller Menschen schätzt. „Echt?“, dachte ich. „So viele?“

XXIX. Die Patentlösung gibt es nicht!

Das wusste schon mein Vater. Und immer, wenn wir doch eine Patentlösung suchen, merken wir, wie schmerzlich Recht er hatte.

Als ich mich Ihnen zur Wiederwahl in das Präsidium der GI stellte, bekam ich etliche, zum Teil äußerst erregte Mails, ich solle persönlich Stellung beziehen! „Die Frage der Patentierbarkeit von Software ist die wichtigste Menschheitsfrage überhaupt“, so hieß es. Ich erschrak. Ich bin ja Inhaber von sieben Patenten, es mögen auch acht sein. Ich wusste gar nicht, dass es so wichtig ist. Ich dachte trotzdem nach und fand, ich sollte dieses Defizit durch das Schreiben einer radikal subjektiven Kolumne beheben. Also los! Zu Patenten! Aber erst muss ich noch etwas Fachwissen über den Menschen, das Denken und meinetwegen auch über Sex für Sie vorbereiten.

XXX. Averyware

„Es ist ein Sonderheft zur Software-Industrialisierung!“, verriet mir der Verlag und wünschte sich quere Gedanken dazu. Da ließ ich kurz meine vielen kleinen Neuronen herumstürmen – es assoziierten sich Wörter wie global, kostengünstig, everywhere, Warenaustausch, average. Informatiker werden Averyware. Und mein Gehirn sagte: „Du meine Güte, von Software-Industrialisierung habe ich gar keine Ahnung! Es hört sich wie eine neue Triebrichtung für Berater an, wenn man mit normaler Arbeit nicht mehr weiterkommt, oder? Was man noch nicht richtig gut kann, will man nun billiger versuchen?“

XXXI. „Effizienz würgt! Informatik hilf!“

Der Computer und das Netz revolutionieren die Welt wie einst Baumwolle, Eisenbahnen oder Elektrizität. Das Informationszeitalter bildet den 5. Kondratjew-Zyklus, sagt man. Es gibt inzwischen viele Gedanken, welche technischen Errungenschaften unser Leben in langen Konjunkturzyklen von vierzig bis sechzig Jahren prägen. Die gegenwärtigen Denker überlegen, was nach dem Boom des Informationszeitalters die Lokomotivenfunktion übernehmen wird: Was ist die nächste Schumpeters’sche Basisinnovation? Die Nanotechnologie? Die Gesundheit? Die Biotechnologie?

XXXII. Klage über Unwissen um Können und Kunst

Was muss jemand können, damit er gut bezahlt wird? Das ist gar nicht mehr so einfach zu sagen. Oder doch! Er muss alles mitbringen, was gebraucht wird: Fachkönnen, Sozialkompetenz, Persönlichkeit und übergreifendes Wissen. Na klar, dazu noch Verhandlungsgeschick und einen Lebenspartner, der im Notfall weiß, wie eine Krawatte aussehen darf. Meine Frau weiß es ganz genau, aber deshalb besser als andere Frauen. Das hilft auch wieder nichts. Die Leute sollen in meine Augen schauen, nicht auf meine Brust.

XXXIII. Korrelatalschaden! Egal wie!

Erinnern Sie sich an das Jahr 1999? Damals wurde „Kollateralschaden“ zum Unwort des Jahres gewählt. Ich kreiere hier „Korrelatalschaden“ und hoffe wenigstens, es setzt sich in Ihnen fest und infiziert Sie wie schleichendes Gift, damit Sie selbst kein Korrelatalschaden werden. Optimistisch bin ich aber nicht.

XXXIV. Räsonanz!

Seit ich etwas über dieses Affenexperiment gelesen habe, denke ich oft darüber nach, was wohl in uns vorgehen mag.

Es gibt ein ganzes Buch von Joachim Bauer über Spiegelneuronen, das können Sie ja auch an einem Nachmittag verschlingen – wie ich. (

Warum ich fühle, was du fühlst

.) Aber ich habe dabei ganz andere Ideen, wenn ich sehe, was der Affe tut. Die teile ich Ihnen einmal mit. Vielleicht fällt Ihnen noch mehr dazu ein?

XXXV. Switsch! Mensch als Schaltkreis

Zisch! Ist das heiß! Ich ziehe die Hand zurück. Zuck! Mamas Zorn! Ich lasse es lieber. Jemand greift nach einem Hamburger. Das Wasser läuft mir im Mund zusammen, weil es ein MacRib ist. Mein Pawlowkörper nimmt so etwas blitzartig wahr. Anschließend tut er etwas, was schon in ihm programmiert zu sein scheint. „Kalt!“, zuckt der Körper und bringt den Verstand dazu, Gründe zu erfinden, warum eine Lederjacke angezeigt wäre. „Autsch!“, spürt der Manager. Es ist die Geburt seines Action-Plans. Immer wird etwas angeschaltet, dann gehandelt. Switsch! Ist der Wille denn frei? Bestimmt nicht. Wie aber sehen die Algorithmen in uns aus, die da etwas tun? Gibt es eine Informatik des Menschen? Ich gebe Ihnen eine Idee.

XXXVI. Mathematik – eine Herzensangelegenheit

Mathe ist überall. Mathematik ist Liebe. Mathematik ist Schönheit, Symbol des Exakten und Systematischen. Mathematik ist Wahrheit. Mathematik schafft Nutzen und Regeln. Mathematik ist eine eigene Sprache.

Wer sie versteht, kommt ins Staunen.

Wer sie beherrscht, ist Mathematiker.

Wer es liebt, wie ein Poet persönlich Neues in dieser Sprache zu erschaffen, ist glücklich. Er hat nebenbei das Denken erlernt. (Denken! Nicht nur: Mitdenken! Nicht nur: Verstehen!)

XXXVII. Radikale Konstruktivität – unio quaeque!

Der Mensch besteht hauptsächlich aus Schaltern einfachster Art und lebt damit fast automatisch vor sich hin. Seine Kontrollinstanz schaut ab und zu nach, ob alles noch im Rahmen ist. Und wehe nicht! Dann schimpft das Gehirn und treibt den Körper an. Gehorcht dieser dann? Hat das Gehirn gar einen Willen? Oder will nur der Körper unaufhörlich Lust? Wo ist denn der Wille? Und wenn es ihn gäbe – wäre er frei? Ich habe darüber nachgedacht und bin etwas befremdet über die merkwürdigen Philosophien dazu. Ich füge also meine dazu!

XXXVIII. Lean Brain Management

Viele simple-minded Menschen wünschen sich alles „simple & stupid“, was im Prinzip auch ginge, wenn man es brutal gegen die alles hyperkomplizierenden Techies durchsetzen würde. Dann wäre alles schon nahe am Intelligenzniveau eines Computers – vielleicht könnten wir uns bald die Menschen ganz einsparen! Die ganze Industrie ist fieberhaft bemüht, alles downzusizen! Warum nicht Intelligenz? Die ist irre teuer!

XXXIX. Inter-Enterprise Services und Innovation

Wissen Sie, was das ist, ein Inter-Enterprise Service? Ich weiß es selbst nicht so genau, aber ich möchte, dass wir darüber nachdenken. Irgendwo da liegt unsere Zukunft, die sehe ich schon vage vor mir. Verlangen Sie jetzt bitte nicht, dass ich sie Ihnen nun klar zeige. Zukunft ist nun einmal vage. Wenn Sie im Nebel unbedingt etwas sehen wollen, spannen Sie sicher angestrengt die Augenbrauen nach vorn. Es sieht dann fast so ähnlich aus, als wenn Sie tadeln wollten. Wer aber aufbrechen will, schaut mit großen staunenden Augen in den Nebel – da sind die Augenbrauen hochgerissen, als ob erwartet würde, dass gleich etwas Dramatisches geschähe! Die Ohren sind weit gespannt, der ganze Körper will Erkenntnis.

XL. Panopticon

„Gott sieht alles.“ Dieses Wort sollte einst helfen, mich zu erziehen. Ich nahm aber stets nur an, dass er allzu große Fehler sehen würde. Die ließ ich besser sein. Denn ich fürchtete Gott. Ich hoffte, dass er das Gute in mir sehen könnte, und dachte, er könne sich sonst unmöglich stark für mich interessieren. Denn der Menschen sind viele, wie Sandkörner am Meer.

XLI. „Du gleichst dem Geist, den du evaluieren kannst, nicht mir!“

Merkwürdig viele von Ihnen bitten mich, etwas über Evaluation zu schreiben. Professoren und andere Menschen aus Berlin oder Bonn. Habe ich das nicht immer getan? Haben Sie all die Kolumnen vergessen? Über das nur verwertende Abernten der Wissenschaften wie der Zedernwälder und die Verkarstung danach? Über die Unfreiheit der Forschung? Über Betaphysik und die Unmöglichkeit, unter Stress in Ruhe zu forschen? Über Ihre erste freudige Leichtigkeit, gleich auf Anhieb ein paar Drittmittel zu bekommen, aber dann – nach dem „Mehr! Mehr!“ der Evaluatoren – Ihre langsam dämmernde Erkenntnis, dass die eigene Wissenschaft gar nie zum Verkauf gedacht war, sondern allenfalls zu Ihrem Ruhm? Sind die Märkte heute denn noch so nett, dass sie zweitklassige Ware teuer abnehmen würden? Erwarten Sie, dass die Industrie bei Ihnen als Forscher einkauft und großzügig dafür bezahlt wie auf einem Wohltätigkeitsbasar? Wollen Sie Wissenschaft den Industriesparkommissaren wie selbst gehäkelte Toilettenpapiermützen anpreisen oder wie Mistelzweige, die Glück bringen könnten?

XLII. Third & Second Life

Vor ein paar Tagen wollte ich es wissen. Alle reden vom zweiten Leben – und ich habe noch Probleme mit meinem ersten. Ich wollte schon länger ein möglichst besseres zweites, weil mein IBM-Chef Sam Palmisano schon so eins hat. Das geht eigentlich nicht, dass die Manager noch vor den Techies damit anfangen. Mit dem zweiten Leben meine ich aber ein virtuelles Leben, verstehen Sie? Nicht das schon immer übliche Geheimzweitleben der Politiker, der Stars oder Reichen, das wir so gerne enthüllen, um uns drin zu suhlen.

XLIII. Entrepreneuring – vom Träumen und vom Tun

Professoren müssen heute nicht nur erfinden – das auch, aber es ist nicht genug! Es muss auch eine Innovation werden, ein Produkt und letztlich ein Gewinn für die ganze Gesellschaft. Ich weiß gar nicht, wie ein Professor das machen soll. Er hat das ja nicht gelernt. (Das Forschen übrigens auch nicht – deshalb dauert es so lange.) Ich habe selbst alles lernen müssen. Obwohl ich das große Glück hatte, das Forschen wenigstens meinem Doktorvater abgucken zu können, bin ich danach etwas erschüttert, wie viel ich falsch gemacht habe. Bin ich denn so dumm? Nein, bestimmt nicht – denke ich mir –, weil ja alle dieselben Fehler begehen, die ich mir damals geleistet habe. Sollten wir einmal professioneller werden?

Metadaten
Titel
Dueck's Panopticon
verfasst von
Gunter Dueck
Copyright-Jahr
2007
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-540-71705-8
Print ISBN
978-3-540-71704-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-540-71705-8