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17.07.2017 | E-Commerce | Schwerpunkt | Online-Artikel

Besser als gratis

verfasst von: Corina Socaciu

5 Min. Lesedauer

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Amazon hat es erneut getan. Mit einem neuen Produkt sorgt der Konzern für Schlagzeilen und will das Retouren-Problem im Handel lösen. Doch Grund zur Freude haben Online-Händler hierzulande nicht.

Zu groß, zu klein, zu bunt und angesagt war das Teil vielleicht noch gestern. Schon im Geschäft greift der Kunde mal daneben, bevor ein Kleidungsstück in der Umkleidekabine ausscheidet. Viel wahrscheinlicher ist es jedoch, dass online gekaufte Ware, nach der Lieferung nicht so sitzt wie in den Werbefotos der Händler. 

Empfehlung der Redaktion

2017 | Buch

Retourenmanagement im Online-Handel

Kundenverhalten beeinflussen und Kosten senken

Das essential vermittelt die Grundlagen des Retourenmanagements im Internet-Handel. Frank Deges erläutert eine Vielzahl von Handlungsoptionen, mit denen Online-Händler durch präventive und reaktive Maßnahmen das Kundenverhalten beeinflussen, das Retourenaufkommen minimieren und die Retourenkosten senken können. Online-Händler dürfen Retouren nicht als gegeben hinnehmen, denn eine hohe Retourenquote belastet die Marge und kann insbesondere kleine Onlineshops schnell in eine existenzgefährdende Lage bringen.


Nichtsdestotrotz boomt der Online-Handel und mit ihm die Retouren. Wer kostenlos bestellt, möchte am liebsten auch kostenlos Ware zurücksenden. In vielen Fällen scheitert diese Option an der Praktikabilität. Die Folge, Retourenkosten zahlen dann doch die Kunden oder zumindest bis zu einem Mindestbestellwert. Eine plausible Aufteilung, wenn da nicht die weitverbreitete Gratiskultur wäre, die eine kostenpflichtige Rücksendung fast als Zumutung erscheinen lässt. Mit einem neuen Geschäftsmodell hat Amazon – zunächst in den USA – das Problem gelöst, allerdings nicht unbedingt im Sinne der Händler.

Retoure ist gut, Verkaufen ist besser

Die Antwort lautet "Amazon Prime Wardrobe" oder anders formuliert "Schaut her, der zahlende Kunde hat immer Recht." Amazon drängt damit nicht einfach nur in den Fashion-Markt. Der Online-Riese hat setzt dazu an, Retouren nahezu selbstverständlich kostenlos anzubieten. Es ist nicht nur eine Option als Plan-B für den Kunden, falls die Ware einmal nicht passt. Vielmehr ist die Retoure selbst Grundlage des Geschäftsmodells: Bestellen und anprobieren – nur was gefällt, bleibt beim Kunden, der Rest wird einfach wieder ins Paket gelegt und geht an Amazon zurück. Der Konzern feiert seine Großzügigkeit dann auch noch mit satten Rabatten: Wenn der Kunde die Ware nicht zurücksendet, locken Prozente. Behält der Kunde zwei oder drei Kleidungsstücke, gibt's zehn Prozent Rabatt, ab vier sogar 20 Prozent. 

Nach dem Motto "Try before you buy" mag die neue Geschäftsinitiative Amazons als Inspiration für einige Händler wirken. Doch als Steilvorlage dient Amazon Wardrobe höchstens für wachstumsstarke Marken wie Zalando. Das deutsche Unternehmen hat beispielsweise ebenfalls ein kostenloses Retourensystem - allerdings wird in der Regel hier zunächst der Rechnungsbetrag für eine gesamte Bestellung fällig. Der Bestellwert von Zurückgesendetem wird später wieder gutgeschrieben. 

Für den Großteil der kleinen und mittleren Online-Vertriebler versteht es sich jedoch von selbst, dass ein Business Plan wie der von "Prime Wardrobe" nicht aufgeht. Denn ohne ein weitverzweigtes Netz aus Kunden und Verkäufern, führt das Retourenmonopoly nicht in den Geldregen einer Schloßstraße, sondern direkt in das unternehmerische Verließ, der Insolvenz.

Den Kunden umgewöhnen

Einen konservativen Gegenentwurf zu Amazons neuem Vertriebsmodell liefert Frank Deges in seinem Buch "Retourenmanagement im Online-Handel". Im Kapitel "Präventives Retourenmanagement" beschreibt er, wie gezielte Strategien vor, während und nach der Bestellung die Wahrscheinlichkeit einer Rücksendung verringern können. "Die Retourenvermeidung setzt bereits im Informations- und Auswahlprozess an", sagt Deges. Dies geschehe, indem durch Hilfestellung die Kaufentscheidung möglichst bewusst erfolgen soll. Die Retourenverhinderung motiviert nach der Zustellung der Lieferung den Kunden, die Ware zu behalten. Beide Ansätze zielen darauf ab, die Retourenquote zu verhindern (Seite 17).

Deges vertritt die Auffassung, dass Online-Händler Retouren nicht als gegeben hinnehmen dürfen, denn eine hohe Retourenquote belaste die Marge und könne insbesondere kleine Onlineshops schnell in existenzgefährdende Situationen bringen. Für die Retourenstrategie gibt der Autor Online-Händlern konkrete Maßnahmen an die Hand, um Kunden zu bewussteren Käufen anzuregen:

  • Produktbeschreibung und Produktdarstellung
  • Produktpräsentation mit hochauflösenden Produktbildern, Zoomfunktion und 360-Grad-Ansichten
  • Größen- und Passformberatung
  • Tools zur Größenbestimmung und zur Bestimmung des Figurtyps oder Kleidungsstils
  • virtuelle Anprobe
  • Augmented Reality, um fehlende Haptik im Onlineshop zu kompensieren
  • Kundenbewertungen
  • Kundenberatung im Auswahlprozess, z.B. über Live-Chat
  • Restriktionen im Auswahl- und Bestellprozess durch die Verknüpfung von kunden- und produktbezogenen Daten können Merkmalskombinationen identifziert werden, die eine hohe Retourenwahrscheinlichkeit ankündigen.

Der Kunde hat das Sagen

Ziel der letztgenannten Verknüpfung von Big Data ist es, die Auswahl der Artikel zu beeinfussen und damit das Retourenaufkommen zu senken. Damit sollen Daten von Kunden, die häufig Ware zurücksenden, die bestellbare Auswahl reduzieren. "Restriktionen für bestimmte Kundengruppen könnten im Bestellprozess anhand des Bestellverhaltens und der Retourenquote vorgenommen werden. [...]  Zur Vermeidung von Auswahlbestellungen sind Begrenzungen bezüglich des Warenkorbwerts oder der Anzahl an Varianten eines Artikels im Bestellvorgang bis hin zum Ausschluss von Variantenbestellungen zielführend", erklärt Deges. 

Doch um Daten zusammenzuführen mit dem Ziel, Warenkörbe von Kunden, die häufig Retoure in Anspruch nehmen, zu reduzieren, müssen Händler abermals in der Lage sein – wie im Falle von Amazon Prime Wardrobe –, auf Kunden und bestimmte Ware zu verzichten. Wie die Autoren Thorsten Lips und Péter Horváth im Kapitel "Big Data im Vertriebscontrolling" des Buchs "Digitalisierung im Vertrieb" hervorheben, hat in beinahe allen Branchen über die letzten Jahre der Wettbewerbsdruck immer weiter zugenommen. Dabei müssen Händler nicht nur mit einer guten Produktauswahl und guten Preisen am Markt präsent sein, sie brauchen vor allem gute Bewertungen, um Kunden zu gewinnen und an die eigene Marke zu binden. 

"Die Kaufentscheidung [...] hängt oft zu mehr als 50 Prozent von der Erfahrung ab, die Kunden im Kaufprozess – also in der Interaktion mit dem Vertrieb – machen." Thorsten Lips und Péter Horváth im Buch "Digitalisierung im Vertrieb" (Seite 507 f.).

Ob damit gesagt ist, dass die Methode von Amazons "Prime Wardrobe" auch auf dem deutschen Markt Erfolg hat, wird sich zeigen, falls das Geschäftsmodell hierzulande eingeführt wird. Immerhin ist Deutschland der zweitstärkste Absatzmarkt für den Internet-Konzern. Fest steht, Amazon stellt den Warenvertrieb damit nicht auf den Kopf, sondern greift einen Trend auf, den es schon längst gibt, die Gratismentalität. Kunden wollen für gelieferte Ware nicht mehr bezahlen als beim physischen Einkauf im Geschäft. Online-Händler, die den Kunden gut informieren, haben zwar die Chance, Warenrücksendungen leicht zu reduzieren. Doch wer versucht, den Kunden umzuerziehen, statt zu verstehen, hat es schwer, sich im Wettbewerb zu behaupten. Rigides Kundenmanagement löst das Retouren-Problem nicht. 

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