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2015 | Buch

"Ein Anzug aus Strom"

LSD, Kybernetik und die psychedelische Revolution

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Über dieses Buch

LSD ist das Elixier der psychedelischen 1960er Jahre. Der Stoff verzückt eine ganze Generation und nährt die Hoffnung auf eine Welt jenseits von Macht und Geld. Doch die Gegenkultur dieser Zeit hat einen doppelten Boden: Hinter der bunt-blumigen Fassade trägt ein kybernetisches Denken in Feedbacks und Regelkreisen die Phantasie. LSD scheint den theoretischen Kurzschluss von Mensch und Maschine wahr werden zu lassen. Das Buch erzählt eine andere Geschichte der psychedelischen Bewegung und zeigt, dass die Freiheit der Hippies nicht zuletzt Anpassung an die technischen Gegebenheiten bedeutet und den Weg in die Kontrollgesellschaft ebnet.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Superhelden!
Zusammenfassung
Mitte der 1990er Jahre ist Timothy Leary ergraut, etwas zittrig, mit einem Wort: alt. Aber nicht müde. Noch immer predigt er eine neue, ganz andere und viel bessere Welt, die vor uns stehe, so nah und dennoch nicht erreichbar. Während er früher in einem bewegten Leben den Schlüssel zu dieser neuen Welt im LSD, in der Droge schlechthin, sah, sind es nun kalte Rechenmaschinen, die den Weg bahnen sollen. Ihnen fehlt zwar das ästhetische Moment, die Schönheit eines LSD-Rauschs, ihr Nutzen scheint dennoch ähnlich: Mit ihnen und ihrem Cyberspace, der virtuellen Welt, könnte es gelingen, die alten Charaktermasken des Individuums, die nur Vereinzelung, Neid, Missgunst und Krieg provoziert haben, zu überwinden und in ein neues Zeitalter vorzustoßen. Was für Leary in den 1960er Jahren LSD war, sind nun Prozessoren, Datenträger, Bildschirme und vor allem die zu erahnende Möglichkeit, das eigene Bewusstsein aus dem engen Gehäuse des Kopfes zu befreien.
Robert Feustel
2. Aufbruch: Macy, Beat und LSD
Zusammenfassung
Die Geschichte beginnt auf einem Fahrrad. Die Welt wird plötzlich bunt und dreht sich; die Wahrnehmung gerät aus den Fugen. Am 16. April 1943 muss der Schweizer Chemiker Albert Hofmann seine Arbeit im Labor abbrechen, weil ihm schwindelig wird und er Angst hat, die Kontrolle zu verlieren. Er begibt sich umgehend auf den Heimweg, auf dem (so die Erzählung) alles anfängt. Etwas später berichtet Hofmann an seinen Vorgesetzten Professor Arthur Stoll bei der Basler Pharmafirma Sandoz:
Vergangenen Freitag […] mußte ich mitten am Nachmittag meine Arbeit im Laboratorium unterbrechen und mich nach Hause begeben, da ich von einer merkwürdigen Unruhe, verbunden mit einem leichten Schwindelgefühl, befallen wurde. Zu Hause legte ich mich nieder und versank in einen nicht unangenehmen rauschartigen Zustand, der sich durch eine äußerst angeregte Phantasie kennzeichnete. Im Dämmerzustand bei geschlossenen Augen – das Tageslicht empfand ich als unangenehm grell – drangen ununterbrochen phantastische Bilder von außerordentlicher Plastizität und mit einem intensiven, kaleidoskopischen Farbenspiel auf mich ein. Nach etwa zwei Stunden verflüchtigte sich dieser Zustand.
Hofmann vermutet, er sei unbeabsichtigt mit einem Extrakt des Mutterkorns in Berührung gekommen; einem Pilz, der bevorzugt auf Getreide wächst. Sein Verdacht bestätigt sich wenige Tage später, als er – nun unter Aufsicht und in vollem Wissen darum, was zu tun sei – 250 Mikrogramm derselben Substanz zu sich nimmt. Die Menge ist das Minimum dessen, was zu dieser Zeit kontrolliert im Labor im Sinne des Selbstversuchs verwendet wird. Die beschriebenen Symptome kehren noch viel stärker als beim ersten Mal zurück, und die Droge Lysergsäurediethylamid, kurz: LSD-25, erblickt das Licht der Welt.
Robert Feustel
3. Durchbruch: Mystik, Kybernetik und Beatkult
Zusammenfassung
Während die Beats also noch „unterwegs“ sind, ist LSD in den Psychiatrien und psychotherapeutischen Behandlungszimmern schon eine große Nummer. Zwar zeigen sich erste Risse, die deutlich machen, dass LSD-Rausch und Wahnsinn (genauer: Schizophrenie) vielleicht verwandt, aber wahrscheinlich nicht identisch sind und die langwierige Forschung keine Abkürzung nehmen kann. Die fortlaufenden Bemühungen machen also deutlich, dass das Rätsel des Wahnsinns nicht auf die Schnelle zu lösen sein wird.
Robert Feustel
4. Umbruch: Die psychedelisch-kybernetische Erleuchtung
Zusammenfassung
Bis Ende der 1950er bzw. Anfang der 1960er Jahre hat sich also die anfänglich diffuse Aufbruchstimmung zu einer jedenfalls oberflächlich geschlossenen Erzählung ausgewachsen. Als Mittel zur psychelischen Erweckung war LSD zu einiger Bekanntheit gelangt, die kybernetischen Modelle haben die Räume der Macy-Konferenzen in Richtung Popkultur und Alltagswissen verlassen. Und die Beatgeneration mit ihrem vielgestaltigen Drang an andere Orte, zu einem anderen Leben, war aus der Nische einer literarischen Avantgarde zum Medienereignis mutiert und in aller Munde. Die Rahmenbedingungen für den Anfang einer neuen Zeit sind also gegeben.
Dabei ist die Gegenüberstellung einer politisierten und kritischen Gegenkultur mit ihrem Widerpart, der „normalen“ Mehrheitsgesellschaft, nicht mehr so klar. Schließlich lässt sich schon erahnen, dass auch die Anpassung des Menschen an den Kontext der Zeit, an die elektrisierte und atomisierte Gesellschaft, also an den Status quo, Gegenstand der Verhandlung ist. Zwar bleibt das kritische Bild einer Kontrollmaschine im Kontext der Counterculture durchaus erhalten. Allerdings schleicht sich langsam aber mit Nachdruck eine Erzählung vom Rausch ein, die auch auf Adaption zusteuert und eine andere, vielleicht bessere Maschine am Horizont erkennt. Die Suche nach einem anderen Leben und einer anderen Kreativität, ohne Kenntnis, ohne Ahnung des Ziels, das zügellose Leben unterwegs jedenfalls wird überlagert von Hoffnungen, endlich eine, wenn nicht die Lösung aller Probleme gefunden zu haben und einen fulminanten Umbruch loszutreten.
Robert Feustel
5. Zusammenbruch: Das synchrone Ende von LSD und Kybernetik
Zusammenfassung
Was sozialgeschichtlich und politisch die Entwicklungen einrahmt, steht auf einem anderen Blatt. Die revolutionäre Euphorie jedenfalls zerbricht in recht kurzer Zeit nicht zuletzt an einer seit dem Frühjahr 1966 losgetretenen Propagandamaschine gegen LSD, mit dem Argument, es führe bei den meisten Nutzern zu genetischen Folgeschäden oder zum Wahnsinn. Im Kontext der Verteufelung von LSD erscheinen einige fragwürdige Untersuchungen, Statistiken und Forschungsberichte über schwerwiegende Folgen, wobei vor allem medial vernachlässigt wird, dass psychotische Reaktionen infolge von LSD-Konsum fast ausschließlich bei Personen zu beobachten sind, die zuvor in psychiatrischer Behandlung waren. Eine andere, öffentlich heftig geführte Debatte kreist um die Behauptung, LSD würde Chromosomenschäden verursachen und damit nicht nur das Individuum, sondern auch folgende Generationen schädigen.
Robert Feustel
6. Was bleibt
Zusammenfassung
Keseys „Anzug aus Strom“, seine zweite Haut aus Elektrizität, bringt die Sache auf den Punkt. Dank LSD löst sich die Grenze des Subjekts, so die weit verbreitete Annahme, tatsächlich und in Wirklichkeit auf und lässt eine Erfahrung zu, die aus dem alten, verbohrten Menschen den neuen Informationsknoten macht, von dem Leary träumt und dem er viel später den Namen Homo sapiens cyberneticus geben wird. Informationsströme fließen und zersetzen den alten Körper: Die Geburt eines neuen Menschen.
Im Maschinenraum der psychedelischen Revolution treibt also ein regelungstechnisches Denken die Bewegung an, das – mit Blick auf Mensch, Welt und Sein – einen radikalen Bruch mit der Gesellschaft imaginiert und zugleich eine Anpassung des Menschen vor Augen hat. An der Oberfläche dominieren Farben, freie Liebe, Natur und Gemeinschaft. Darunter jedoch wirkt ein Diskurs, der die Begriffe (Natur, Liebe, Subjekt oder Gemeinschaft), von einem kybernetischen Sehen getragen, so stark verändert oder umdeutet, dass Ausbruch (oder Umbruch) und Anpassung wechselseitig aufeinander verweisen, vielleicht sogar Hand in Hand gehen können.
Robert Feustel
Backmatter
Metadaten
Titel
"Ein Anzug aus Strom"
verfasst von
Robert Feustel
Copyright-Jahr
2015
Electronic ISBN
978-3-658-09575-8
Print ISBN
978-3-658-09574-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-09575-8