2008 | OriginalPaper | Buchkapitel
Einleitung: Kritik der „europäischen Gesellschaft“
Erschienen in: Europa Ohne Gesellschaft
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Mit der Europäischen Union ist ein Herrschaftsverband
sui generis
entstanden, der nicht nur den politischen Raum Europas neu strukturiert, sondern sich darüber hinaus als multinationales Objekt für kollektive Identitätsbildung versteht. Damit gelangt die gesellschaftliche Dimension der Europäisierung in den Fokus. Der politische Raumbegriff Europa und die Europaforschung, beides bisher Domänen der Rechts- und Politikwissenschaft, sind für die Soziologie anschlussfähig zu machen. Paradoxerweise scheint sich jedoch gerade mit der Europäisierung das vermeintlich zentrale Objekt der Soziologie — die Gesellschaft — zu verflüchtigen. Wie lässt sich die „europäische Gesellschaft“ soziologisch beschreiben? Was konstituiert sie? Gibt es sie überhaupt? Die entsprechenden Vorschläge zu einem soziologischen Europabegriff sind äußerst heterogen, zumeist diffus und vielfach umstritten. Prominent sind die Entwürfe einer „europäischen Gesellschaft“, die in sozialhistorischer Perspektive eine Angleichung der Sozialstrukturen etwa in den Dimensionen Familie, Arbeit, Konsum und Lebensstandard, Wertewandel und Säkularisierung, Wohlfahrtstaat, Bildung und Stadtentwicklung konstatieren (vgl. Kaelble 2007) oder auf die Ausbildung einer europäischen Öffentlichkeit als ‚Selbstbeschreibungshorizont’ einer europäischen Bürger- und Zivilgesellschaft verweisen (vgl. Eder 2000). Andere Autoren fokussieren die Reorganisation der Territorialität, Grenzen und Bevölkerungen als Grundvoraussetzungen eines emergenten europaweiten Gesellschaftsraumes (vgl. Bartolini 2005; Drevet 1997).