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Erschienen in:

Open Access 2025 | OriginalPaper | Buchkapitel

1. Einleitung

verfasst von : Sarah Wagner, L. Constantin Wurthmann

Erschienen in: Bündnis Sahra Wagenknecht - Vernunft und Gerechtigkeit (BSW)

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Das Kapitel untersucht die Gründung des Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW) und deren tiefgreifende Auswirkungen auf die deutsche Politik. Es beginnt mit der historischen Entwicklung der Partei Die Linke und den langjährigen innerparteilichen Konflikten, die schließlich zur Abspaltung von Sahra Wagenknecht führten. Die ideologische Verortung des BSW wird detailliert analysiert, wobei die Mischung aus sozialpolitischer Umverteilung und konservativer Gesellschaftspolitik im Vordergrund steht. Die Partei zielt darauf ab, Wähler anzusprechen, die sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen, und bietet eine einzigartige Kombination aus sozialer Sicherheit und nationaler Souveränität. Die Parteistruktur und die personelle Konfiguration des ersten Parteivorstands werden ebenso beleuchtet wie die formellen Willensbildungsprozesse innerhalb des BSW. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den Wahlergebnissen bei der Europawahl 2024, den ostdeutschen Landtagswahlen 2024 und der Bundestagswahl 2025. Die Analyse der Wahlkampagne und der ersten Implikationen aus den Wahlergebnissen rundet das Kapitel ab. Abschließend wird ein Fazit gezogen, das die Entwicklung der Partei bis zur Bundestagswahl 2025 einordnet und einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung gibt.
Mit Gründung des Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW) ging ein politisches Beben durch Deutschland. Bereits seit Jahren gab es Spekulationen über eine mögliche Abspaltung ausgehend von Sahra Wagenknecht, die innerhalb der Partei Die Linke zunehmend ihren eigenen Flügel innerhalb der Parteiorganisation in Stellung brachte (Träger, 2019). Was jahrelang als Gerücht kursierte (siehe Wagner et al., 2023), wurde im Januar 2024 Realität: Sahra Wagenknecht, eine der polarisierendsten Persönlichkeiten der deutschen Politik, hat den endgültigen Bruch mit ihrer bisherigen politischen Heimat, der Partei Die Linke, vollzogen. Die Entstehung des BSW ist mehr als nur eine neue Parteigründung – sie ist das Ergebnis eines jahrelangen Machtkampfs, ideologischer Auseinandersetzungen und persönlicher Konflikte, die sich immer weiter zugespitzt haben (Träger, 2020; Maurer, 2025). Wagenknecht wagt damit den Schritt in die völlige Eigenständigkeit und fordert dadurch nicht nur ihre ehemalige Partei heraus, sondern das gesamte politische System der Bundesrepublik Deutschland. In der Tat könnte die neue Partei die politische Landschaft Deutschlands auf lange Sicht verändern, wenngleich der Einzug in den Bundestag im ersten Anlauf nicht gelungen ist.
Früher das Aushängeschild des Kommunismus in Deutschland – auch bedingt durch ihre Mitgliedschaft in der „Kommunistischen Plattform“ (Jesse & Lang, 2012) – wurde Wagenknecht von innerparteilichen Kritikerinnen und Kritikern innerhalb der Linken zunehmend mit einer rechten Grundhaltung assoziiert, die als mit der Partei unvereinbar galten. Ihre Kritik an der Ausrichtung der Linken, insbesondere an deren Fokussierung auf Themen wie gendersensible Sprache, offene Grenzen und Identitätspolitik, führte zu immer schärferen Konflikten mit der Parteispitze. Vor allem ihre migrations- und asylpolitischen Ansichten rücken sie zu dieser Zeit in die Nähe des (rechts-)konservativen Spektrums und eines Populismus, der, laut einigen Beobachtern, „frösteln lässt“ (Hujer, 2017, S. 35).
Für Wagenknecht und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer hingegen steht zweifelsohne fest: Die Linke hat den Kontakt zu ihrer Kernwählerschaft verloren. Wagenknecht wirft der Partei vor, sich mit „Lifestyle Linken Themen“ von den sozialen und wirtschaftlichen Nöten der Menschen zu entfernen und stattdessen Themen in den Vordergrund zu stellen, die für die breite Masse der Wählerinnen und Wähler kaum von Relevanz seien (Wagenknecht, 2022). Ein erster Versuch, sich von ihrer Partei zu lösen und eine breitere Bewegung ins Leben zu rufen, erfolgt 2018 mit der Gründung von „Aufstehen“ (Maurer, 2025).
Diese Sammlungsbewegung soll Menschen aus verschiedenen politischen Lagern vereinen und eine neue Kraft im linken Spektrum schaffen. Doch das Experiment scheitert. „Aufstehen“ wird von organisatorischen Herausforderungen geprägt und kann weder politisch noch gesellschaftlich Bedeutung erlangen. Was als große Vision begann, endet in Ernüchterung. Dennoch dient „Aufstehen“ als Testlauf und belegt für Wagenknecht, dass ein Bedarf für eine alternative politische Kraft unter ihrer Führung besteht – wenn sie strategisch besser aufgestellt ist. Daher darf diese Erfahrung, bei der Wagenknecht insbesondere auch an sich selbst und der Fähigkeit scheitert, eine Bewegung zu organisieren, durchaus als prägend für ihren weiteren politischen Weg verstanden werden (Rucht, 2019).
Auch nach dem Scheitern von „Aufstehen“ bleiben die Spannungen zwischen Wagenknecht und ihrer Partei sichtbar. Bei der Bundestagswahl 2021 offenbart sich der vorläufige Absturz der Partei: Mit nur 4,9 Prozent der Stimmen verpasst Die Linke beinahe den Einzug in den Bundestag und rettet sich nur aufgrund von drei gewonnenen Direktmandaten in das Parlament. Ein Grund für den Absturz der Partei sind innerparteiliche Konflikte, die zu Unsicherheiten bei Wählerinnen und Wählern führen. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass insbesondere die Reaktionen der Parteispitze auf innerparteiliche Auseinandersetzungen ein entscheidender Faktor für Wahlerfolge sind (Duell et al., 2023). Öffentlich ausgetragene Dispute zwischen dem Wagenknecht-Flügel und der Linken-Parteispitze führen zu Stimmen- und Vertrauensverlusten. Weitere Aussagen Wagenknechts, im Rahmen der russischen Invasion in der Ukraine, führen zu weiteren Auseinandersetzungen und sogar Forderungen nach einem Parteiausschluss Wagenknechts (BR, 2022).
Die Gründung des BSW markiert nicht nur den endgültigen Bruch Wagenknechts mit ihrer ehemaligen Partei, sondern auch den Beginn eines neuen politischen Projekts, welches die traditionellen Kategorien von „links“ und „rechts“ bewusst hinter sich lassen will (Wagner et al., 2023). Das BSW setzt auf eine Mischung aus sozialpolitischer Umverteilung und konservativer Gesellschaftspolitik. Es spricht gezielt Wählerinnen und Wähler an, die sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen – Menschen, die einerseits soziale Sicherheit und wirtschaftliche Gerechtigkeit fordern, andererseits aber auch eine klare Haltung in Fragen der Migration und Rückkehr zu mehr nationaler Souveränität wünschen (Steiner & Hillen, 2024).
Diese Kombination macht das BSW zu einer einzigartigen Erscheinung in der deutschen Parteienlandschaft und zu einer der wenigen linkskonservativen Ausnahmen westeuropäischer Parteiensysteme. Für Wagenknecht selbst ist das neue Bündnis jedoch weit mehr als ein politisches Experiment. Es ist der Versuch, ihren politischen Überzeugungen endlich eine unabhängige Plattform zu verschaffen, die frei von den Kompromissen einer gespaltenen Partei wie der Linken ist – an deren Zerstrittenheit Wagenknecht zweifelsohne aber selbst über Jahrzehnte mitgewirkt hat. Mit der offiziellen Gründung des BSW hat Wagenknecht eine Organisation geschaffen, die stark auf sie als Person zugeschnitten ist. Ob es Wagenknecht gelingt, ihre Vision, die in den vier Grundsätzen des BSW – „Wirtschaftliche Vernunft, Soziale Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit“ – zusammengefasst ist, in langfristige Wahlerfolge nach der Bundestagswahl 2025 umzusetzen, bleibt abzuwarten. Klar ist aber: Das BSW stellt eine Herausforderung für die etablierten Parteien dar, sowohl links als auch rechts der Mitte (Heckmann et al., 2025; Jankowski, 2024).
Das vorliegende Buch, welches als kompakte Einführung in die Entstehung und Einordnung des BSW bis zur Bundestagswahl 2025 dienen soll, ist wie folgt strukturiert. In Kap. 2 werden wir zunächst die ideologische Verortung des BSW einführen. Dabei geht es einerseits um das deutsche Parteiensystem (Abschn. 2.​1), andererseits die konkreten Positionen der Partei in ihrem Wahlprogramm (Abschn. 2.​2), bevor wir auf die Motive der BSW-Wahl aus Sicht der Bevölkerung in Deutschland detaillierter eingehen (Abschn. 2.​3). In Kap. 3 beleuchten wir systematisch, inwiefern das BSW eine für Westeuropa außergewöhnliche Positionierung einnimmt und welche Gemeinsamkeiten sich allerdings im Abgleich mit mittel- und osteuropäischen Parteiensystemen ergeben. In Kap. 4 gehen wir auf den Aufbau der Parteiorganisation ein. Hierbei beschreiben wir die personelle Konfiguration des ersten Parteivorstands und werden ausführlicher auf die Person Sahra Wagenknecht eingehen. Mit der Analyse der Parteisatzung, in der Aufbau und Willensbildungsprozesse innerhalb des BSW formalisiert dargelegt werden, sind wiederum strukturelle Komponenten des Parteiaufbaus nachvollziehbar. In Kap. 5 werden die Wahlergebnisse bei der Europawahl 2024, bei den ostdeutschen Landtagswahlen 2024 und der Bundestagswahl 2025 in den Vordergrund gerückt. Insbesondere hinsichtlich der Bundestagswahl 2025 ordnen wir Wahlkampf und erste Implikationen aus dem Wahlergebnis ein, bevor wir in Kap. 6 zu einem Fazit kommen, welches wir mit einem Ausblick auf die weitere Entwicklung der Partei abrunden werden.
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Metadaten
Titel
Einleitung
verfasst von
Sarah Wagner
L. Constantin Wurthmann
Copyright-Jahr
2025
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-48042-4_1