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Open Access 2025 | OriginalPaper | Buchkapitel

4. Einordnung von Forschungsstand und Implikationen für diese Arbeit

verfasst von : Kim Dede

Erschienen in: Aufstiegschancen von Frauen

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Der Beitrag untersucht die Einordnung des Forschungsstandes und die Implikationen für Frauen in der Beratungsbranche. Nach der theoretischen Rahmung im vorherigen Kapitel werden relevante Studien und Forschungsergebnisse zu Frauenkarrieren und Frauen in Führungspositionen, insbesondere in der Beratungsbranche, analysiert. Dabei wird der Begriff der 'Gläsernen Decke' eingehend beleuchtet, der die institutionalisierten Unterschiede in den Karrierechancen zwischen den Geschlechtern beschreibt. Das Konzept des 'Karriere-Labyrinths' wird als alternative Metapher eingeführt, die die vielfältigen Hindernisse und Umwege auf dem Weg zu Führungspositionen für Frauen beschreibt. Der Text beleuchtet zudem die spezifischen Herausforderungen, denen Beraterinnen in einer männlich geprägten Branche gegenüberstehen, wie die Vereinbarkeit von Care-Arbeit und Karriere sowie die Work-Life-Balance. Die Studienlage zu Frauen in der Beratungsbranche wird umfassend dargestellt, wobei die männliche Dominanz und die damit verbundenen strukturellen und kulturellen Mechanismen kritisch hinterfragt werden. Der Beitrag schließt mit einer detaillierten Forschungsfrage, die die Einflüsse auf die Karrierewege von Frauen in der Unternehmensberatung untersucht und die Grundlage für den empirischen Teil der Arbeit bildet. Die Leser erhalten einen fundierten Überblick über die aktuellen Forschungsergebnisse und die Implikationen für die Praxis, was sie dazu anregt, den gesamten Text zu lesen und sich intensiver mit den dargestellten Themen auseinanderzusetzen.
Nachdem im vorherigen Kapitel der theoretische Bezugsrahmen der Arbeit abgesteckt wurde, folgen hier relevante Studien und Forschungsergebnisse aus den Bereichen Frauen und Karriere und speziell zu Frauen in der Beratungsbranche. Dabei werden Forschungsstand und Theorie zusammengeführt und im Kontext dieser Arbeit eingeordnet. Ziel des Kapitels ist ein abschließender Überblick über das Forschungsdesiderat, bevor der empirische Part beschrieben wird.

4.1 Studienlage zu Frauenkarrieren und Frauen in Führungspositionen

Der folgende Abschnitt widmet sich den bisherigen Forschungsergebnissen zu den Themen ‚Frauen in Führungspositionen‘, ‚Karriereverläufe von Frauen‘ und ‚Frauen in der Beratungsbranche‘. Aufgrund der Fülle der existierenden Studien aus diesen drei Bereichen wird ein Ausschnitt von für diese Arbeit bedeutsamen Veröffentlichungen beschrieben. Diese wurden aufgrund ihrer Relevanz für das Kernthema ‚Frauenkarrieren in der Beratungsbranche‘ ausgewählt. Dabei werden zuerst Erkenntnisse zu Geschlechterstereotypen allgemein sowie zu Frauen in Führungspositionen erörtert. Danach erfolgt eine inhaltliche Fokussierung auf Beraterinnen; diese ermöglicht Einblicke in die Work-Life-Balance, die Vereinbarkeit von Care-Arbeit und Karriere und die Tätigkeit als Beraterin in einer Male Gendered Organization sowie die Identifizierung von weiteren Herausforderungen für die Untersuchungsgruppe. Es folgen der Bezug zu den Forschungsfragen und ein Zwischenfazit.

4.1.1 Das Phänomen der Gläsernen Decke

Der Begriff der ‚Gläsernen Decke‘ wurde bereits im Jahr 1984 von Bryant (vgl. Barreto et al. 2009) und 1986 in dem Artikel des Wall Street Journals „The glass ceiling: Why women can’t break the invisible barrier that blocks them from the top jobs” von Hymowitz und Schellhardt verwendet (vgl. Benschop, Brouns 2009) und seitdem kontinuierlich verbreitet (vgl. Stadler 2012, S. 16). Im medialen Diskurs etabliert und auch im wissenschaftlichen Kontext verwendet, zeigt dieses Konzept auf, dass Frauen trotz ihrer Qualifikationen und Leistungen einen gewissen Senioritätsgrad häufig nicht überschreiten können.
Stadler definiert den Begriff aus wissenschaftlicher Perspektive in Anlehnung an die Diskussion von Cotter et al. (2001) wie folgt:
Summa Summarum beschreibt der Begriff der Gläserne[n] Decke das Phänomen der institutionalisierten [sic] unterschiedlichen Verteilung der Karrierechancen zwischen den Geschlechtern, die bei steigender Hierarchieebene noch zunimmt, und die Gründe, die zu diesem Ungleichgewicht führen – und nicht, wie der Begriff zuerst vermuten lässt, lediglich die Barriere selbst. (Stadler 2012, S. 17)
Bezogen auf die Forschung im Feld der Unternehmensberatung, die wie in Abschnitt 2.​2.​3 Frauen in der Beratungsbranche: Ein Überblick beschrieben, signifikante Diskrepanzen bei der Geschlechterverteilung auf höheren Hierarchiestufen aufweist, beschreibt die Gläserne Decke also die Gründe, die hierzu beitragen. Cotter et al. führen diese auf geschlechtsspezifische Unterschiede bei beruflichem Aufstieg und Beförderungen zurück (vgl. 2001, S. 655 ff.), Weyer identifiziert außerdem biologische, soziale, kulturelle und strukturelle Gründe (vgl. 2007, S. 482 ff.) und Gregory-Mina nennt insbesondere die Geschlechterstereotypen in Gesellschaft und Wirtschaft als Ursache (vgl. 2012, S. 65 f.). Speziell für die Managementberatung untersuchte Dornheim (2015) die Hürden für Beraterinnen in hohen Führungspositionen und identifizierte mittels 21 Expertinneninterviews drei Herausforderungen in Bezug auf Doing Gender in Male Gendered Organizations. Die erste ist Doing Femininity, also der „Habitus, der alle diejenigen Denk-, Wahrnehmungs- und Verhaltensschemata umfasst, die im jeweiligen Feld als weiblich gelten“ (Dornheim 2015, S. 96), da Feminität konträr zu den männlich geprägten Erfolgsfaktoren für Berater:innen steht. Die zweite Hürde stellt Doing Masculinity dar, also die Assimilation an Männlichkeit. Diese Imitation von männlichen Attributen kann eine dauerhafte Belastung für Frauen darstellen. Drittens nennt Dornheim das Undoing Gender, also den Versuch, das eigene Geschlecht unsichtbar zu machen. (vgl. ebd., S. 108, 120) Alle drei Hürden zusammen umfassen Managing Gender. Für Frauen manifestiert sich daraus das eigene Geschlecht als Zusatzaufgabe in einer männlich geprägten Umgebung und als Hindernis auf dem Weg in Führungspositionen. Dies kann in der Beratungsbranche als ein Indiz für die Existenz einer Gläsernen Decke in Erwägung gezogen werden.
Das Modell der Gläsernen Decke ist jedoch nicht unumstritten, da es die geringeren Karrierechancen von Frauen auf äußere Faktoren zurückführt, was in weniger Motivation, reduziertem Selbstbewusstsein und geringeren Ambitionen resultieren kann.
Auch das Konzept der Intersektionalität findet nicht ausreichend Berücksichtigung, was letztlich dazu führt, dass dieses Modell zwar einen erforschten Erklärungsansatz, jedoch kein endgültiges Instrument zur Durchdringung der Materie darstellt.

4.1.2 Karrierewege als Labyrinth

If one has misdiagnosed a problem, then one is unlikely to prescribe an effective cure“ (Eagly, Carli 2007, S. 1). Unter anderem aufgrund der Kritik an der Eindimensionalität der Gläsernen Decke erarbeiteten Eagly und Carli ein umfassenderes Konzept zur Erklärung der Barrieren von Frauen in Führungspositionen: das Labyrinth. Dies besagt, dass der Weg zum Ziel – im Falle der Unternehmensberatung meist eine gut dotierte, einflussreiche Führungsposition – viele Wendungen und Umwege bereithält, letztendlich aber mit ausreichend Ausdauer und Geschick realisierbar ist. Nach Auffassung der Autorinnen ist es somit weniger entmutigend als die Gläserne Decke (vgl. ebd.). Als Faktoren, die die Karrieren negativ beeinflussen, werden unbewusste Vorurteile gegenüber den Geschlechtern und ein Widerstand gegen Frauen in Führungspositionen genannt, was sich beides mit der Role-Congruity-Theory erklären lässt (vgl. ebd., S. 2 f.). Dieser Widerstand ist sowohl bei weiblichen Führungskräften zu verzeichnen, die sich vermeintlich männlich verhalten, als auch bei denjenigen, die vermeintlich weibliche Attribute erfüllen:
For example, Catalyst’s study of Fortune 1000 female executives found that 96 % of [female leaders] rated critical or fairly important that they develop ‘a style with which male managers are comfortable.‘ (Eagly, Carli 2007, S. 4)
Weitere Faktoren, die zum Labyrinth beitragen, sind die soziale Rolle der Frau als Zuständige für Kinderbetreuung und Care-Arbeit im Allgemeinen und das im Vergleich zu Männern weniger ausgeprägte berufliche Netzwerk (vgl. ebd., S. 5 f.).
Das Labyrinth lässt sich als Metapher besonders passgenau auf die Beratungsbranche anwenden: Sind der Eingang – der Karriereeinstieg – und das verbreitete Ziel – eine hohe Führungsposition als Partner:in – noch relativ gut sichtbar, so ergibt sich schon nach den ersten Metern kein klares Bild mehr, welche Abzweigung genommen beziehungsweise welche strategische Entscheidung getroffen werden sollte. Der arbeitsintensive Alltag mit Projekten, internen Aufgaben und zusätzlichen geschlechtsspezifischen Herausforderungen verhindert einen Blick aus der Vogelperspektive, der zeigen könnte, wohin der Weg als nächstes führt. Trotz des eingangs beschriebenen klaren Karrierepfades kann somit der Aufstieg in dieser männlich geprägten Branche insbesondere für Beraterinnen zum Labyrinth werden.

4.2 Studienlage zu Frauen in der Beratungsbranche

Die bisherige Forschung zu Frauen in der deutschen Unternehmensberatungsbranche beschränkt sich auf Einzelwerke. Vorhandene Untersuchungen zeigen jedoch übereinstimmend, dass die Branche männlich dominiert ist und Frauen spezifischen Herausforderungen gegenüberstehen, die mit ihrem Geschlecht zusammenhängen (vgl. u. a. Dornheim 2015). Da die Veröffentlichungen größtenteils aus vergangenen Jahren stammen, teilweise ein Jahrzehnt zurückliegend, ist eine aktuelle Untersuchung der derzeitigen Lage in Deutschland und der Herausforderungen für Beraterinnen erforderlich.
Als Vorreiter:innen in der Erforschung speziell von Unternehmensberaterinnen können Hördt (2002), Rudolph (2004), Grass (2006) und Dornheim (2015) genannt werden. Weitere Erkenntnisse über die Karrieren von Frauen in der Beratung stammen außerdem aus Studien zu Frauen in Führungspositionen in anderen Branchen (vgl. Bilimoria 2007) oder der Beratungsforschung allgemein (vgl. Rudolph 2004). Die genannten Veröffentlichungen bieten einen aktuellen Überblick über den Kenntnisstand zu diesem Thema, beginnend mit Hördt im Jahr 2002, die den geringen Frauenanteil in der Unternehmensberatung und die zugrundeliegenden Gründe untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass frühere formale Faktoren, die zu einer geschlechtsspezifischen Segregation in der Branche geführt hatten, durch subtile strukturelle und kulturelle Mechanismen substituiert wurden. Als diese identifiziert sie
  • die Leistungsorientierung und -inszenierung der Beratungsbranche;
  • informelle Netzwerke, die über Aufstieg und Karriere entscheiden;
  • eine Ideologie der permanenten beruflichen Verfügbarkeit;
  • eine von Männern geprägte Kleiderordnung;
  • vermeintliche Kundenakzeptanzprobleme für Beraterinnen (vgl. ebd.).
Diese strukturellen und kulturellen Mechanismen werden laut Hördt durch das Dilemma der Familienplanung verstärkt (vgl. ebd., S. 71 ff.), das biologisch bedingt in einer für die Karriereentwicklung und Übernahme von beruflicher Verantwortung relevanten Zeitspanne im Leben von Frauen liegt. Wie bereits in Abschnitt 2.​1.​2 Unternehmensberatung heute: Daten und Arbeitsweise beschrieben, sind Beförderungen ein wesentlicher Grundsatz in der Branche (Up-or-Out-Prinzip). Stagnieren diese, beispielsweise durch Familienplanung, können die betroffenen Personen geneigt sein, die Branche zu verlassen oder seitens der Organisation dazu motiviert werden (vgl. Tomenendal, Boyoglu 2014). Frauen erreichen dadurch seltener Führungspositionen als ihre Kollegen.
Ein Problembewusstsein hinsichtlich der geringen Anzahl an Beraterinnen und weiblichen Führungskräften innerhalb der Branche konnte vor zwanzig Jahren noch nicht festgestellt werden (vgl. Rudolph, Okech 2004). Die Ursachen wurden stattdessen in der generell nachteiligen Situation von Frauen in der Wirtschaft gesehen; zusätzlich wurde eine potenzielle Imageschädigung der Branche durch die Einstellung von mehr Frauen gefürchtet (vgl. ebd., S. 119). Die damals vorgeschlagene Strategie bestand darin, abzuwarten, damit sich die Geschlechterdifferenz mit der Zeit von allein auflösen könne (vgl. ebd., S. 128). Grass stellte 2006 ebenfalls fest, dass ein mangelndes Problembewusstsein zur anhaltenden Geschlechtersegregation in der Branche beiträgt. Sie identifizierte die für Frauen schwierig mit Care-Arbeit zu verbindenden Reisetätigkeiten und Arbeitszeiten sowie die männliche Dominanz in der Beratung als Herausforderungen für den Karriereweg von Beraterinnen. (vgl. S. 12 f.)
Dornheim griff 2015 die Forschung zu Unternehmensberaterinnen in Deutschland wieder auf. Ihre Untersuchung mittels 21 Expertinneninterviews zeigt, „dass […] Beratungsunternehmen Gendered Organizations sind [und] Beraterinnen sehr bewusste Strategien für ihr Doing Gender entwickelt haben“ (S. 171). Dornheim weist somit nach, dass diese Firmen stark von Männern geprägt sind (‚Gendered Organization‘, vgl. Abschnitt 3.​2.​3 Einflüsse auf organisationaler Ebene) und dass sich das weibliche Geschlecht und damit verbundene Verhaltensweisen negativ auf die Karriere auswirken können. Die Branche verfolgt demzufolge ein „Ideal des männlichen Beraters […] [welches] durch unterschiedliche Symbole be- und verstärkt“ (Dornheim 2015, S. 172) wird.
Die Beraterinnen stehen vor widersprüchlichen Herausforderungen: Sie erhalten diametrale Signale bezüglich des erwarteten Verhaltens als Berater:in, wie beispielsweise Durchsetzungsfähigkeit und Teamführung, während sie den Anforderungen von Gesellschaft und Organisation an Frauen gegenüberstehen, die eine empathische Kommunikation und Nachsicht vorsehen. Dies führt zu Stress und Mehrbelastung, insbesondere in den ersten Jahren der Karriere:
Zu Beginn ihrer Beratungskarriere scheint eine weitgehende Anpassung an das männliche Beraterideal die einzige erfolgreiche Strategie zu sein, während erfahrene Partnerinnen ihr Frausein als Alleinstellungsmerkmal betonen können. (ebd., S. 188)
Die Rahmenbedingungen kosten Frauen durch bewusstes Doing Gender (vgl. Abschnitt 3.​2.​4 Einflüsse auf individueller und zwischenmenschlicher Ebene) zusätzliche Energie und zwingen sie, sich für einen bewussten Umgang damit zu entscheiden (vgl. ebd., S. 176).
Neuere Veröffentlichungen in diesem Bereich befassen sich vorwiegend mit der Beratungsbranche allgemein oder mit Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft. Im Folgenden werden daher weitere Erhebungen konkret zu Beraterinnen, ihren Herausforderungen und deren Implikationen für diese Arbeit vorgestellt.

4.2.1 Work-Life-Balance von Beraterinnen

Die Work-Life-Balance, also das ausgewogene Verhältnis von Arbeit und freier Zeit, stellt in der Beratungsbranche eine besondere Herausforderung dar. Unter den Life-Aspekt fallen dabei die privaten Beziehungen wie etwa eine Partnerschaft, die Familie, möglicherweise Kinder und Aktivitäten zur Gesunderhaltung wie Sport oder Erholung (vgl. Nissen 2019, S. 175). Die Balance dieses Bereichs neben der Arbeit erweist sich als schwierig:
Den offensichtlichen Vorzügen dieser Profession stehen außerordentlich hohe Anforderungen an Mobilität und Flexibilität als Nachteil gegenüber. Besonders im Fokus steht dabei eine Work-Life-Balance, die vor allem die weiblichen Berater [sic] vor hohe Herausforderungen stellt. Überdies ist es eine Tatsache, dass nahezu jedes Beratungsprojekt überall angesiedelt ist, nur nicht am eigenen Standort. (Lippold 2022, S. 6)
Die Annahme, dass insbesondere Frauen dadurch vor Herausforderungen gestellt werden, wird nicht näher begründet. Es ist zu vermuten, dass sich der Autor dabei auf die gesellschaftlich bedingt häufiger von Frauen ausgeführte Care-Arbeit bezieht. Auch wenn das Zitat aus einer Veröffentlichung von 2022 stammt, so wird die postpandemisch überwiegend im Homeoffice stattfinde Arbeitsweise nicht thematisiert. Vor der Covid-Pandemie, als Berater:innen noch nach dem beschriebenen Modell vier Tage in der Woche vor Ort in ihren Projekten arbeiteten, schränkte die Reisetätigkeit die Work-Life-Balance, also den Ausgleich von Arbeits- und Freizeit, stark ein. Größere Erhebungen, welche Folgen die Pandemie und die damit verbundene Zunahme von Homeoffice für die Work-Life-Balance von Berater:innen hat, fehlen bislang.
Doch auch über die verminderte Reisetätigkeit hinaus ist die Work-Life-Balance eine Herausforderung in der Beratungsbranche: Die Wochenarbeitszeit wird nicht selten mit mehr als 60 Stunden (vgl. Kaiser et al. 2010, S. 67) oder sogar bis zu 80 Stunden (vgl. Dornheim 2015, S. 30) angegeben. Darüber hinaus spielen der eigene Anspruch an die Arbeit, eine vermeintlich erforderliche Omni-Verfügbarkeit und das firmeninterne Engagement über den aktuellen Projekteinsatz hinaus eine Rolle. Eine Befragung, die sich speziell auf die Work-Life-Balance von IT-Beraterinnen konzentriert, wurde 2011 von Nissen und Termer durchgeführt. Sie untersuchten die Relevanz von Ausgleichsmöglichkeiten und identifizierten eine flexible Organisation und flexible Arbeitszeitmodelle als bedeutendste Faktoren für rund 80 % der Befragten (vgl. Nissen 2019, S. 181 in Bezug auf Nissen, Termer 2011). Mangelhafte Work-Life-Balance wurde als einer der entscheidenden Gründe für Karriereabbrüche von IT-Beraterinnen angeführt. Die Ergebnisse sind nach Aussage der Autoren auf alle Beratungsbereiche übertragbar. (vgl. Nissen 2019, S. 184 ff.)
Lippold verzeichnet eine durch den demografischen Wandel bedingte Zunahme der Bedeutung von Work-Life-Balance für die Leistungsbereitschaft von Berater:innen (vgl. 2022, S. 45 f., 2016, S. 120). Er definiert diese als eine der zukünftigen großen Herausforderungen der Branche, sieht jedoch gleichzeitig in der voranschreitenden Digitalisierung der Arbeitsweise auch einen Lösungsansatz (vgl. ebd. 2022, S. 176). Eine ausgeglichene Work-Life-Balance könnte so zu einem starken Argument für die Gewinnung und langfristige Bindung von Talenten und insbesondere von Frauen bis in Führungspositionen werden (vgl. ebd., S. 6). Die Work-Life-Balance erweist sich also als relevanter Einfluss auf die Karrierewege von Frauen im Consulting.

4.2.2 Vereinbarkeit von Care-Arbeit und Beruf in der Beratungsbranche

Eng verwandt mit der Herausforderung einer potenziell unausgewogenen Work-Life-Balance ist das Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Im Gegensatz zum vorangegangenen Kapitel bezieht sich dieses explizit auf Care-Arbeit, die sowohl für Kinder als auch Angehörige ausgeübt werden kann (vgl. Schrammel 2022). Laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) übernehmen Frauen in Deutschland im Schnitt 43,8 % mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer, was mit knapp 30 Stunden pro Woche fast einer Vollzeittätigkeit entspricht (vgl. 2024). Dies betrifft auch Beraterinnen mit Kindern. Nissen erforscht in seiner Studie zur Work-Life-Balance unter anderem die Notwendigkeit von Zeit für die Familie: Diese spielt zu Beginn der Karriere noch keine große Rolle, wird aber mit steigender Seniorität zu einem maßgeblichen Grund für die Forderung nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance (vgl. 2019, S. 184). Auch Dornheim beschreibt, dass Familienplanung und Care-Arbeit große Herausforderungen hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Beruf der Beraterin darstellen. Sie betont, dass insbesondere der biologische Druck in einem bestimmten Alter zu einer „erhebliche[n], unüberbrückbare[n] Diskrepanz“ (2015, S. 41) zwischen einem möglichen Kinderwunsch und der beruflichen Tätigkeit führt. Dies werde dadurch verstärkt, dass die klassische Rollenverteilung im Mann-Frau-Verhältnis die Frau in der Rolle der Fürsorgerin sehe, die dafür auch beruflich zurücktritt (vgl. ebd.).
Vor der Pandemie wurde die Entscheidung zur Familiengründung und die damit verbundene Betreuungsanforderung durch eine logistisch und zeitlich aufwendige Reisetätigkeit erschwert, die sich jedoch mit dem vermehrten Arbeiten aus dem Homeoffice durch die Covid-Pandemie verringert hat. Gleichzeitig fordern Unternehmensberatungen nach wie vor örtliche Flexibilität, auch wenn dies mittlerweile als flexibles Arbeiten formuliert wird: „Arbeite wie es zu deinem Leben passt: mit FlexWork. Keine fixen Homeoffice-Tage, sondern deine Chance, Arbeitszeit und -ort variabel zu gestalten“ (PricewaterhouseCoopers Stellenanzeige 2023). Dadurch ist die Rolle einer Beraterin weiterhin mit dem Risiko verbunden, kurzfristig auf ein Projekt an einem anderen Ort gebucht zu werden, was die Vereinbarkeit von Kind und Karriere beeinträchtigt. Dieses Risiko wird mit jeder Beförderung wahrscheinlicher, da der Zeitpunkt der Familiengründung biologisch bedingt näher rückt (vgl. Dornheim 2015, S. 171 f.). Insbesondere auf der Stufe der Managerin – in der Regel zwischen Ende 20 und Mitte 30 – ist die Vereinbarkeit ein mitunter maßgeblicher Einflussfaktor auf dem weiteren Karriereweg. Angebote zur Entlastung wie eine firmeneigene Kinderbetreuung sind aufgrund der bislang üblichen Reisetätigkeit wenig verbreitet, Notfall-Betreuungen nur in Einzelfällen bei großen Unternehmensberatungen verfügbar (vgl. Dornheim 2015, S. 37). Gleichzeitig werden Regelungen wie garantierte Arbeit aus dem Homeoffice oder Reisetätigkeit nur mit ausreichend Vorlaufzeit und selten pauschal genehmigt (vgl. Lippold 2019, S. 388 f.).
Inwiefern sich dies seit der Covid-Pandemie geändert hat, stellt ein interessantes Feld für Anschlussforschung dar und wird von der vorliegenden Arbeit zu Teilen in der empirischen Erhebung näher untersucht. Auch der Mental Load, also der mentale Zusatzaufwand, der sich aus Care-Arbeit ergibt, wurde bislang in diesem Kontext wissenschaftlich wenig beleuchtet und wird in Abschnitt 6.​2.​2 Herausforderung der Vereinbarkeit von Care-Arbeit und Karriere wieder aufgegriffen.

4.2.3 Beratungsfirmen als Gendered Organizations

Wie bereits dargelegt, sind Unternehmen nicht die geschlechtslosen oder geschlechtsneutralen Räume, für die sie in der Praxis gehalten werden (vgl. Dornheim 2015, S. 50, 57, in Anlehnung an: Acker 1990, West, Zimmerman 1987). Vielmehr können sie Räume konstituieren, in denen männlicher Habitus zur allgemeinen Norm erklärt wird und damit einhergehende bewusste und unbewusste Mechanismen wirken. Dies kann männlich konnotierte Führungs- und Erfolgsattribute (vgl. Eagly, Carli 2007, Hördt 2002) sowie die Zusatzbelastung durch Doing Gender für Frauen (vgl. Dornheim 2015, Hördt 2002) zur Folge haben. Die Beratungsbranche ist dafür prädestiniert aufgrund ihrer Historie von „‚ungestörte[r]‘ Homosozialität von männlichen Kunden und Beratern, die eine traditionelle männliche Erwerbsbiographie [sic] verfolgen und Männlichkeit zelebrieren“ (Dornheim 2015, S. 173). Dies „determiniert bis heute nicht nur die persönliche Zusammenarbeit, sondern auch die grundlegenden Rahmenbedingungen der Arbeit von Top-Managementberatungen“ (ebd.).
Laut Dornheims qualitativer Erhebung äußert sich die Male Gendered Organization in der Beratungsbranche in verschiedenen Aspekten:
  • Militärische Formulierungen: Nutzung von Begriffen aus der sehr maskulin geprägten Welt des Militärs wie „oberste Heeresleitung“ für Kund:innen oder „General“ für Führungskräfte (vgl. 2015, S. 133);
  • Ritualisierte Aktivitäten: gemeinsame Barbesuche oder Ausflüge in Umgebungen, in denen Frauen nicht erwünscht sind (vgl. ebd., S. 173);
  • Habitus: Erwartung eines typisch männlichen Verhaltens wie „kommen und poltern“, um „ordentlich aufzuräumen“ (vgl. ebd., S. 135);
  • Romantisierung oder Sexualisierung: Erwartungshaltung und Ritual einer Esseneinladung oder gemeinsamen Aktivität von Kund:in und Berater:in nach Feierabend, was sich für Frauen als problematischer erweist, insbesondere da auf Führungsebene auf Auftraggeberseite meist Männer arbeiten (vgl. ebd., S. 133 f.).
Wie bereits in Abschnitt 2.​1 Einführung in die Unternehmensberatung beschrieben wurde, lässt sich bei der Besetzung offener Stellen eine Bevorzugung ähnlicher, männlicher Kandidat:innen beobachten. Diese homosoziale Kooptation beschreibt die menschliche Neigung, Personen einzustellen, die einem selbst hinsichtlich Optik, Attributen und Habitus ähneln (vgl. Maurer 2010, S. 83). Durch dieses Prinzip reproduzieren sich sowohl das System als auch die Machtverteilung innerhalb dessen.
Eine weitere Folge ist das Phänomen der Queen Bee. Der Begriff referenziert auf ein Bienenvolk, in dem es nur eine weibliche Biene an der Spitze geben kann, analog zu Organisationen, die nur eine einzige weibliche Person im oberen Management aufweisen. Diese Frau hat sich in der Regel an das männlich geprägte System angepasst und aus diesem Grund eine Führungsposition erreicht. Sie muss sich dafür bestmöglich assimilieren und von anderen Frauen distanzieren, da jede weitere weibliche Führungskraft als Gefahr der eigenen Position wahrgenommen wird. Die ‚Queen Bee‘ ist also nicht an weiblicher Solidarität interessiert, sondern dient implizit dem männlichen Machterhalt einer Male Gendered Organization. (vgl. Derks et al. 2016, Kanter 1977) Das Phänomen wird in Abschnitt 6.​2.​1 Geschlechterstereotype als hinderliche Rahmenbedingung wieder aufgegriffen.
Die Male Gendered Organization hat diverse Folgen für die Einschätzung des Potenzials von Berater:innen und ihren Karrieren: Frauen werden als weniger karriereorientiert wahrgenommen (vgl. Mohe 2012, S. 8) und durch häufiger in Anspruch genommene Maßnahmen für Work-Life-Balance (vgl. Nissen, Termer 2011, S. 39 ff.) weniger für Beförderungen in Betracht gezogen. Auch auf Seiten der Auftraggeber:innen werden durch die Erfahrungen mit Beratungsfirmen tendenziell Männer als Berater:innen erwartet. Insbesondere bei Projekten auf hoher Hierarchieebene wurde dies in der Vergangenheit sogar eingefordert, was das Ideal eines ‚prototypisch männlichen‘ Beraters auch aus externer Sicht belegt (vgl. Dornheim 2015, S. 135). Wie stark die Beratungsbranche als Male Gendered Organization einzuordnen ist, wird in Abschnitt 6.​3.​2 Nachweis einer Male Gendered Organization in der Beratungsbranche auf Grundlage der empirischen Ergebnisse ausführlich diskutiert.

4.2.4 Gender Pay Gap und Motherhood Wage Penalty unter Beraterinnen

Der Gender Pay Gap existiert in Deutschland nach wie vor und wird jährlich von verschiedenen Institutionen berechnet. Dabei wird zwischen dem unbereinigten und dem bereinigten Pay Gap unterschieden: Ersterer lag 2022 bei 17 % und umfasst die allgemeine Gehaltsdifferenz zwischen den Geschlechtern, letzterer beträgt derzeit 8 % und weist den Unterschied zwischen Mann und Frau mit gleicher Qualifikation auf einer vergleichbaren Position aus (vgl. Destatis 2023).
Für die Beratungsbranche sowie zwei weitere Branchen hat die Online-Gehaltsplattform kununu 2023 rund 360.000 Gehälter ausgewertet. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, da sie auf freiwilligen Angaben beruhen und nicht wissenschaftlich zu validieren sind, lassen jedoch vermuten, dass auch die Beratungsbranche vom Gender Pay Gap betroffen ist. Demnach beträgt die Differenz beim Einstieg durchschnittlich 13 % und wächst nach sechs bis zehn Jahren in der Beratung auf bis zu 27 % an, die Berater jährlich mehr verdienen als Beraterinnen (vgl. kununu 2023). Diese Zahlen sind jedoch mit Skepsis zu betrachten, da die angegebenen Bruttojahresgehälter mit circa 53.000 Euro für Frauen und 69.000 Euro für Männer nach bis zu zehn Jahren (vgl. ebd.) weit unter dem eigentlichen Branchendurchschnitt liegen (vgl. u. a. BDU 2022).
Gleichzeitig belegt eine Studie von Vencon Research, einem kommerziellen, auf die Beratungsbranche spezialisierten Forschungsinstitut, einen signifikanten Gender Pay Gap im Consulting und bezieht sich dabei auf Daten von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Union. Demnach weist Deutschland mit einem unbereinigten Gender Pay Gap von 27 % über alle Branchen hinweg einen der höchsten Werte innerhalb der Europäischen Union auf. Für die Beratungsbranche wurde ein Wert von 14 % auf der Karrierestufe als Senior Consultant und ein Anstieg um 25 % auf insgesamt 39 % Gehaltsunterschied auf dem oberen Management-Level ermittelt. (vgl. Kvirikadze 2023) Auch wenn die genaue Höhe schwankt, belegen alle Zahlen die Existenz eines Gender Pay Gaps im Consulting.
Die Branche selbst bemüht sich in ihrer Außendarstellung um Gleichstellung beim Thema Gehalt; insbesondere große Beratungsfirmen verweisen in ihren Stellenangeboten auf den Einsatz von Gehaltsbändern, um Ungleichheiten durch Verhandlungen auf den unteren Karrierestufen zu vermeiden (vgl. Sopra Steria 2021). Inwiefern dies tatsächlich gelingt, ist angesichts der genannten Zahlen jedoch fraglich.
Ein Gender Pay Gap kann sich auch mit der Zeit entwickeln, insbesondere ab den Stufen der Manager:in und Senior Manager:in, da hier flexible Gehaltsanteile und zusätzliche Vergütungsoptionen wie ein Dienstwagen verhandelt werden können. Verschiedene Mechanismen, die zu einer Ungleichheit beitragen können, sind Geschlechterstereotype, die zu potenziell unterschiedlichen Bewertungen führen (vgl. Abschnitt 3.​2.​2 Einflüsse auf struktureller Ebene) und der vermeintliche Lack of fit von Frauen und Führungsrollen (vgl. Abschnitt 3.​2.​3 Einflüsse auf organisationaler Ebene), der sich für Frauen nachteilig auf Verhandlungen auswirken kann. Die Werte von 27 % (vgl. kununu 2023) beziehungsweise 39 % (vgl. Kvirikadze 2023) Differenz zwischen dem Gehalt von weiblichen Führungskräften und ihren männlichen Pendants sind dafür ein Indiz.
Die Motherhood Penalty beschreibt die finanziellen Nachteile, die für Frauen mit der Mutterschaft einhergehen. Diese werden auch als Motherhood Wage Penalty bezeichnet und manifestieren sich im Zeitraum von Schwangerschaft, Geburt und Elternzeit (vgl. England et al. 2016). Die Benachteiligung wird im Vergleich zu kinderlosen Frauen gemessen und kann sich in Form von niedrigeren Gehältern, eingeschränkten Aufstiegschancen, reduzierten Arbeitsstunden und einem allgemeinen Verlust an beruflicher Anerkennung äußern. Die Motherhood Penalty wird in vielen Ländern weltweit beobachtet, wie Kleven et al. mit einer Vergleichsstudie zwischen Dänemark, Schweden, dem Vereinigten Königreich, den USA, Österreich und Deutschland belegen (vgl. 2019). Gleichzeitig ist es wesentlich zu betonen, dass es keine vergleichbare Fatherhood Wage Penalty gibt und sich dieses Phänomen damit auf Frauen beschränkt (vgl. England et al. 2016, S. 1161).
Die vielfältigen Ursachen für die Motherhood Penalty sind auf individueller, organisatorischer und gesellschaftlicher Ebene zu identifizieren. Auf individueller Ebene spielen Geschlechterstereotype eine Rolle, da Mütter gesellschaftlich bedingt oft mit höheren Erwartungen an die elterliche Fürsorge konfrontiert werden, was zu einem Konflikt zwischen Karriereambitionen und familiärer Verantwortung führen kann. Auf organisatorischer Ebene tragen die mangelnde Flexibilität der Arbeitsbedingungen und unzureichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten dazu bei, dass Frauen Schwierigkeiten haben, ihre beruflichen und familiären Verpflichtungen effektiv zu vereinbaren. (vgl. England et al. 2016, S. 1161 ff.) Darüber hinaus wird der Wunsch nach Zeit mit den Kindern gesellschaftlich häufig „als Signal für eine niedrige Karriereorientierung der Mütter“ (Schmelzer et al. 2015, S. 738) interpretiert.
Erfolgreiche Frauen mit höheren Gehältern sind dabei laut England et al. stärker von der Motherhood Penalty betroffen:
To foreshadow our findings, we find that one aspect of this privilege, their higher rates of return to experience, has a price – a higher proportionate wage penalty for motherhood. Although very few of these privileged women drop out of employment, the little time some do take out is very costly to their future wage, because the wage growth they lose while at home or working part-time is substantial. Thus, when the motherhood penalty is estimated to include that portion of the penalty incurred because of lost experience and tenure, these privileged women have the highest penalties. (2016, S. 1162)
Schmelzer et al. demonstrieren außerdem, dass vor allem eine Unterbrechung der Berufstätigkeit, die über die gesetzlich vorgesehene Phase hinausgeht, zu Gehaltseinbußen führt (vgl. 2015, S. 737). Dies wird mit einer unterstellten mangelnden Leistungsbereitschaft und weniger Berufserfahrung erklärt, die bei Frauen durch die Pausen entstehen würde. Auch wenn Leistung und investierte Zeit nach eigener Aussage nicht gleichgesetzt werden (vgl. Abschnitt 2.​1.​2 Unternehmensberatung heute: Daten und Arbeitsweise), scheinen doch viele Unternehmen nach diesem Prinzip zu vergüten. Die Beratungsbranche ist hierfür prädestiniert, da, wie in Kapitel 2 erläutert, eine sehr hohe Arbeitszeit weiterhin mit Erfolg assoziiert wird (vgl. Dornheim 2015, S. 30).
Obwohl keine Studien zur Motherhood Wage Penalty in der Beratung in Deutschland vorliegen, kann davon ausgegangen werden, dass dieses Phänomen auch Beraterinnen betrifft. Insbesondere aufgrund des Leistungsideals der Branche und der hohen Stundenanzahl liegt es nahe, dass Mütter durch Abwesenheit mittel- und langfristig finanzielle Nachteile erfahren. Dies würde einen weiteren nachteiligen Einflussfaktor auf die Karrierewege von Frauen und damit auch ein interessantes Feld für weitere Forschung darstellen.

4.2.5 Ausstieg weiblicher Führungskräfte aus der Beratung

Dass die Beratungsbranche nicht grundsätzlich Schwierigkeiten hat, weibliche Mitarbeiter:innen auf der ersten Karrierestufe zu gewinnen, wurde in Abschnitt 2.​2.​3 Frauen in der Beratungsbranche: Ein Überblick beschrieben. In den relevanten Studiengängen und den ersten Karrierestufen liegt ihr Anteil bei knapp 40 % der Gesamtbelegschaft, danach sinkt der Wert mit jeder Stufe ab (vgl. BDU 2022, S. 8). Die größte prozentuale Veränderung zeigt sich beim Übergang zum mittleren Management: Die Beraterinnen verlassen die Branche am häufigsten als Senior Consultant vor der Beförderung zur Managerin (vgl. ebd.) und diejenigen, die die höchsten Führungspositionen erreicht haben, verbleiben in der Regel ebenfalls weniger lange in der Branche als ihre Kollegen (vgl. Tomenendal, Boyoglu 2014).
Weibliche Führungskräfte langfristig zu binden, stellt eine der zentralen Herausforderungen der Beratungsbranche heute dar (vgl. ebd., S. 39). Dies spiegelt sich auch in der medialen Fremddarstellung wider: „Frauen in Unternehmensberatungen: Absprung statt Aufstieg“ formulierte die Süddeutsche Zeitung 2012 in Bezug auf die häufigen Wechsel der wenigen hochrangigen weiblichen Führungskräfte im Consulting (vgl. Demmer 2012). Der Ausstieg von Top-Managerinnen wird von Tomenendal und Boyoglu mit den männlich geprägten Rahmenbedingungen in der Branche erklärt:
From our interpretation of the story we conclude that the mechanisms of identity construction which are currently in place in large international management consulting firms in Germany support gender imbalanced top management levels. […] Most of these factors are gendered in practice, which means they become salient as different between genders, and male consultants benefit from them. (2014, S. 39)
Die Beratungsbranche ist von Strukturen geprägt, die den beruflichen Aufstieg von Frauen erschweren, insbesondere je näher diese an das Top-Management heranrücken. Mronga stellt in ihrer Untersuchung zur Konstruktion von Männlichkeit im Management fest, dass Frauen trotz faktischer Position stets weniger Zugang zu den „unsichtbaren Räumen der Ressourcenverteilung“ (2013, S. 219) haben. Sie wechseln daher nach dem Erreichen höherer Führungspositionen in der Beratungsbranche schneller in Umfelder, die von der Organisationskultur passender erscheinen, beispielsweise in hohe Positionen in der Wirtschaft – beispielsweise als Vorstandsmitglied oder Leitung einer Kundensparte für DAX-Konzerne (vgl. Demmer 2012). Der Ausstieg weiblicher Führungskräfte könnte einen Einfluss auf alle Frauen in der Branche haben, wie in Abschnitt 6.​5.​2 Netzwerke, Mentoring und Sponsoring als positive Einflüsse hinsichtlich der Bedeutung von Vorbildern diskutiert wird.
Eine zusammenfassende Betrachtung ergibt, dass verschiedene Forschungsvorhaben mit Blick auf Frauen in der Beratungsbranche durchgeführt wurden, die erste konkrete Hindernisse und Erfolgsfaktoren thematisieren. Im folgenden empirischen Teil dieser Arbeit werden diese genauer analysiert und gemeinsam mit weiteren relevanten Aspekten einer Prüfung unterzogen.

4.3 Forschungsfrage und Zusammenfassung der theoretischen Implikationen

Die zentrale Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit lautet: Wie wirken strukturelle, institutionelle und individuelle Einflüsse auf die Karrierewege von Frauen ein, die in der Unternehmensberatung höhere Führungspositionen erreicht haben? Diese Forschungsfrage zielt darauf ab, herauszufinden, welchen Herausforderungen Frauen im Laufe ihrer Karriere begegnen und wie diese ihren beruflichen Aufstieg beeinträchtigen.
Wie im ersten Teil der Arbeit beschrieben, stellen Frauen in höheren Führungspositionen in der Beratungsbranche analog zu anderen Branchen nach wie vor eine Minderheit dar. Ihr Anteil liegt weiterhin im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Prozentbereich, obwohl seit Langem Anstrengungen unternommen werden, dies zu ändern. Welche Herausforderungen und ungünstigen Rahmenbedingungen dennoch persistieren, haben die letzten Kapitel gezeigt. Wissenschaftliche Veröffentlichungen wie die von Kanter oder Schein, die vor fast 50 Jahren erschienen sind, erweisen sich heute als immer noch inhaltlich anwendbar. Eine aktuelle Publikation, die sich gezielt mit der derzeitigen Situation von Frauen in einer männlich geprägten Branche wie der Beratung auseinandersetzt und dabei speziell die Einflüsse auf deren Karrierewege untersucht, steht noch aus. Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, diese Lücke zu schließen.
Die Arbeit lässt sich bis hier aus der Meta-Perspektive zusammenfassen, indem die Forschungsfrage in separate Aspekte aufgeteilt wird: Wie wirken strukturelle, institutionelle und individuelle Einflüsse auf die Karrierewege von Frauen ein, die in der Unternehmensberatung höhere Führungspositionen erreicht haben?
  • Strukturelle Einflüsse: Auf der Makro-Ebene wirkende gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Normen und Systeme wie Geschlechterstereotype;
  • Institutionelle Einflüsse: Auf der Meso-Ebene wirkende Strukturen und Kulturen von Organisationen sowie Wirkmechanismen, wie Tokenism, die Gendered Organization, die Role-Congruity-Theory und das Lack-of-Fit-Model;
  • Individuelle Einflüsse: Auf der Mikro-Ebene wirkende Faktoren wie Persönlichkeitseigenschaften, Einstellungen oder die Interaktion mit der Umwelt in Form von Schönheitshandeln oder Doing Gender;
  • Karrierewege: Die berufliche Entwicklung der Frauen bezogen auf vertikales Fortkommen (Beförderungen, Verantwortung, Gehalt etc.) innerhalb der Beratungsbranche;
  • Frauen: Alle Menschen, die sich als solche identifizieren und/oder im Berufskontext so gelesen werden und entsprechende Erfahrungen in dieser Rolle machen; es wird explizit darauf hingewiesen, dass die Arbeit keine Binarität der Geschlechter reproduzieren möchte, aufgrund der Forschungslage in dieser Branche jedoch einen Fokus auf Frauen und Männer legen muss;
  • Unternehmensberatung: Fokus auf die Beratungsbranche in Deutschland und insbesondere auf Berater:innen, die in größeren Organisationen, nicht jedoch als Selbstständige ohne Team, arbeiten und entsprechende Erfahrungen mit der Kultur der Branche machen;
  • Höhere Führungspositionen: Frauen, die Hierarchiestufen erreicht haben, die mit Mitarbeitenden- und Umsatzverantwortung verbunden sind, konkret ab (Senior) Managerin über Direktorin bis zur Partnerin beziehungsweise Geschäftsführerin (vgl. Abbildung 5.​1).
Wie die Einflüsse auf die Karrierewege von Beraterinnen einwirken, wird nun im folgenden Teil empirisch untersucht und im Ergebniskapitel ausführlich beschrieben. Durch die Beantwortung der Forschungsfrage wird ein Beitrag zur aktuellen wissenschaftlichen Diskussion rund um Frauen und Führung geleistet, indem neue Erkenntnisse zu den Einflüssen innerhalb einer dominant männlich geprägten Branche gewonnen werden. Dies wird dazu beitragen, ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln
  • welchen Herausforderungen Frauen auf ihrem Karriereweg begegnen;
  • wie diese Herausforderungen durch Gesellschaft, Wirtschaft und Organisationen anerkannt, behandelt und im Idealfall durch Erfolgsfaktoren ausgeglichen werden;
  • wie Individuen diesen begegnen können.
Um diese Forschungsfrage zu beantworten, folgt dem ersten Teil der Arbeit mit der Einführung, Analyse und Einordnung der vorhandenen Veröffentlichungen nun ein empirischer Teil mit einer qualitativen und quantitativen Datenerhebung. Die Methodik der Feldforschung wird im nächsten Kapitel ausführlich erläutert.
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Metadaten
Titel
Einordnung von Forschungsstand und Implikationen für diese Arbeit
verfasst von
Kim Dede
Copyright-Jahr
2025
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-47890-2_4