Nach der Erfahrung der Fragilität des Kapitalismus am Schwarzen Freitag und der folgenden fatalen Weltwirtschaftskrise, der menschlichen und materiellen Verluste des globalen industrialisierten Kriegs, des Zivilisationsbruchs in den Konzentrationslagern und durch den Einsatz von Massenvernichtungswaffen, der letztlichen Disqualifikation der nationalistisch-faschistischen wie der pseudo-kommunistischen Ideologien und der sich anschließenden fragilen Neuordnung der Welt tritt die an ihre Belastungsgrenzen geratene Moderne mit der historischen Zäsur von 1945 in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einen neuen Aggregatzustand: Die hitzige Frühmoderne endet und die erkaltete Hochmoderne beginnt. Kennzeichnet die Frühmoderne eine dynamische Industrialisierung, die immense Produktivitäts- wie Vernichtungspotentiale freisetzt, ist die Hochmoderne in der abendländischen Hemisphäre zunächst von einer Phase exzessiver materieller Wohlstandsgewinne geprägt, in der sich die Versprechen der Moderne eines enttäuschungs- und sorgenfreien Lebens (insbesondere durch das Aufkommen der Büro- und Dienstleistungsgesellschaft) anfänglich zu bewahrheiten scheinen – und wird zugleich schrittweise die Wiege einer Vielzahl neuer moderner Einsamkeiten, die den so liebgewonnenen modernen Lebensstandard immer stärker überschatten, jedoch direkt aus ihm erwachsen. Die Reichtümer der Hochmoderne haben ihren Preis: die zunehmend belastende Erfahrung immer neuer Einsamkeiten, die sich ständig gegenseitig überholen und übertrumpfen.
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Wie diese Gesellschaft sich dennoch durch Kommunikation zusammenhält, sodass sie doch nicht einfach nur eine „unpersönliche Massengesellschaft“ wird, sondern in ihr Verbindungen möglich bleiben Luhmann ([1982] 2015, S. 13), soll in einer sich an diese Dissertation anschließende Arbeit von Interesse sein. Zu ersten Gedanken, inwiefern insbesondere Fernsehserien in der Gegenwartsgesellschaft vergemeinschaftende Funktionen unter spätmodernen Bedingungen übernehmen, vgl. Newiak 2021.
Im Kontext seiner Theorie unsichtbarer Religion in der Moderne sieht auch Luckmann den wachsenden Ratgeberliteratur- und Zeitschriftenmarkt wie auch populäre Kunstformen wie Songs als Hauptquellen für die Verbreitung sozialer Bedeutung, die zuvor durch traditionelle Institutionen der Wahrheitsproduktion organisiert wurde: „Syndicated advice columns, ‚inspirational‘ literature ranging from tracts on positive thinking to Playboy magazine, Reader’s Digest versions of popular psychology, the lyrics of popular hits, and so forth, articulate what are, in effect, elements of models of ‚ultimate‘ significance.“ (Luckmann 1967, S. 104) Kellner weist vollkommen zu Recht auf den verwundernden Umstand hin, dass es Berger und Luckmann in Ihrer Abhandlung The Social Construction of Reality von 1967 (bei Kellner zitiert aus 1972) verpassen, bei ihrer Theorie der Bedeutungsproduktion in der Moderne im Vergleich zu den Institutionen der Vormoderne auf die vielfältigen neuartigen massenmedialen Phänomene hinzuweisen (Kellner 1990, S. 126–127). Insbesondere die wachsende Bedeutung des Fernsehens als Sozialisierungsquelle wird durch Berger und Luckmann zunächst übersehen, später jedoch nachholend anerkannt, etwa in Berger und Luckmann (1995, S. 56).
Interessanterweise erscheint hier das – im Diskurs sonst überwiegend negativ konnotierte – Konzept des Fremdseins („alienation“) als in gewissen Grenzen akzeptable oder zumindest tolerierbare Kategorie bestimmter zwischenmenschlicher Beziehungen: Natürlich plädiert Sennett nicht für eine Distanz, die als unüberwindbarer Graben zwischen den Menschen empfunden wird, es artikuliert sich aber eine Warnung vor einer für den modernen Menschen grundsätzlichen Ablehnung oder Einsparung solcher Beziehungen, bei denen man zueinander einen gewissen Abstand hält und sich in bestimmten Bereichen fremd bleiben muss, da gerade diese Sucht nach innigen Intimitäten zu jedem Zeitpunkt erst zum Gefühl der Einsamkeit, nicht zuletzt im urbanen Kontext, beitragen würde.