"Elektromobilität aus rein regenerativen Quellen ist möglich", bekräftigte Marcus Bollig von BMW in seinem Eröffnungsvortrag in Berlin.
ATZlive/Claudia Lommel
In diesem Kontext startete die erste ATZ-Konferenz "Netzintegration der Elektromobilität" am heutigen Dienstag in Berlin mit konkreten Standortbestimmungen und Forderungen. "Wir stehen vor einem gewaltigen Umbruch in der Autoindustrie", setzte Marcus Bollig, Leiter neue Technologien und Innovationen bei BMW, in der Eröffnungskeynote die erste Leitplanke: "Die Reichweiten werden in den kommenden Jahren deutlich steigen und die Batteriedichte in den nächsten fünf Jahren erheblich zunehmen".
Die fortschreitende Digitalisierung und Vernetzung der Fahrzeuge durch die Entwicklung des hochautomatisierten Fahrens hat hierbei, Bollig zufolge, einen entscheidenden Anteil. "Wir bewegen uns weg vom Besitz eines Fahrzeugs und hin zu Mobilitätskonzepten, wie etwa Carsharing", umriss Bollig die Zukunft vor allem in Ballungsräumen. Das nach Herstellerangaben profitable BMW-Angebot "DriveNow" ermögliche, dass das Fahrzeug Teil des digitalen Lebens werde und sich nahtlos in dieses einpasse. Treiber bei der Entwicklung seien allerdings nicht Fortschritte in der Technologie, sondern gesetzlich Vorgaben. 95 g CO2/km bedeuteten einen Verbrauch von rund 4,1 Litern Benzin oder 3,6 Litern Diesel auf 100 km, so der BMW-Ingenieur. "Es wird sehr schwierig, das konventionell zu lösen. Eine Elektrifizierung ist absolut notwendig", so sein Fazit.
BEV ist die beste energetische Lösung
BMW präferiert Batterieelektrische Fahrzeuge (BEVs) und Plug-in-Hybride (PHEVs) auch unter volkswirtschaftlichen Gründen als sinnvollste Lösung. Gerade bei PHEVS würden nicht alle Kunden die angegebenen Verbrauchswerte erreichen und Untersuchungen hätten eine deutliche Spreizung der Verbräuche bei Kunden ergeben. Dennoch sei in der Regel eine Halbierung des Kraftstoffverbrauchs gegeben. Aus nachhaltigen Stromquellen betriebene BEVs seien allerdings "auch aus energetischen Gründen die mit Abstand beste Lösung". Power-to-Gas und Power-to-Liquid lägen im Energiebedarf um Faktor drei bis vier höher.
Die Speicher von BEVs könnten darüber hinaus neue Geschäftsmodelle liefern, denn die Kapazität von 1 Million Elektrofahrzeuge läge in der Größenordnung der Hälfte der deutschen Pumpspeicherkraftwerke. BMW wolle daher zukünftig seinen Kunden eine Technologie anbieten, "die auch bei einer Rückspeisung des Stroms in das Netz keine negativen Auswirkungen auf die Leistung der Batterie hat". Mit den BMW iHome Charging Services können Privatkunden bereits heute über Ladeinfrastruktur in Kombination mit Grünstrom, Photovoltaik im häuslichen Umfeld sowie gegebenenfalls einen Energiespeicher verfügen. Verbunden wird dies durch eine elektronische Steuerung. Für Industrie und Flottenanwendungen laufen derzeit Forschungsprojekte. Letztendlich sieht Bollig auch im bidirektionalen Laden von Elektrofahrzeugen einen wichtigen Schritt auf dem Weg in die elektrifizierte Mobilität.
Gesetze zum Stromnetz dringend reformbedürftig
"Die heutige Gesetzeslage basiert auf Überlegungen aus den neunziger Jahren. Sie fördert nur Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur und nicht in intelligente Lösungen", stellte Heiko Fastje, Geschäftsführer des Bereichs Netzmanagement der EWE Netz der Legislative kein gutes Zeugnis aus. "Hier muss dringend angepasst werden, um intelligente Steuerung der Netze erst zu ermöglichen", so der Experte des Netzbetreibers weiter. Das Stromnetz stoße an seine Grenzen, denn erneuerbare Energien könnten nicht konstant produziert werden. Die Last könne in Spitzenzeiten mehr als doppelt so hoch ausfallen, wie die maximale Last der Netze, die bei 2,4 bis 2,5 Gigawatt liege. Fastje stellte fest: "Das Netz stößt an seine Grenzen. 2014 musste 1600-mal abgeregelt werden, um die Netze nicht zu überlasten und stabil zu halten". Es sei daher eine intelligente Steuerungs- und Leistungselektronik vonnöten, um die volatile erneuerbare Energie in den Griff zu bekommen. Auch EWE Netz sieht hier das große Potenzial der BEVs: "Gerade Batterien und E-Fahrzeugen können nicht nur Last übernehmen, sondern wieder Energie abgeben."
Zukunft heißt vernetzte Infrastruktur
Heute erfolge nur eine Kurzzeitspeicherung, zukünftig sei aber auch eine Langzeitspeicherung ein Thema, so Fastje in der Konferenz, "E-Mobiliät, basierend auf erneuerbarer Energie kann den Verbrauch von Primärenergie im privaten Sektor um rund 30 Prozent senken". Ein statisches Laden mit Nachtstrom würden die Netze allerdings nicht verkraften. Man benötige daher dringend eine sinnvolle Ladeinfrastruktur mit elektronisch gesteuerten Ladevorgängen, auch um den Ausbau der Infrastruktur in vertretbaren Grenzen zu halten. "Wir benötigen", so das Fazit Fastjes, "eine sinnvolle Ladeinfrastruktur in ausreichender Kapazität und dort, wo der Kunde sie benötigt". Hierzu gehörten auch genormte Stecker im Sinne eines herstellerübergreifenden Ladestandards. Als nächster Schritt sei es unbedingt wichtig, das bidirektionale Laden von Fahrzeugen zu ermöglichen und sicherzustellen.
E-Autos als virtuelle Kraftwerke
"Die Energiewelt steht Kopf", postulierte Gero Lücking, Geschäftsführer des Ökostromanbieters Lichtblick, "weltweit werden erstmals mehr regenerative Kraftwerke installiert als fossil-atomare". Auch die Preisentwicklung, mit zuletzt negativen Strompreisen an den sonnen- und windreichen Tagen vom 5. bis 8. Mai, veränderten und beeinflussten die Geschäftsmodelle. "Der Megatrend Dezentralisierung setzt sich auch in der Energiewelt durch", so Lücking, die Aufgabe bestehe darin, die dezentralen Herausforderungen zielführend zu vernetzen. Fast jede zweite Photovoltaikanlage verfüge heute über Lithium-Ionen-Batterien. Es entstünde - auch in privater Hand - ein nie dagewesenes Speicherkapazität von rund 193 Gigawatt, was rund 426 GWh Pumpspeicherkapazität entspreche. Die Kunden würden hierbei allerdings entscheiden, ob diese Kapazität ins Netz eingespeist werde. Lücking: "Die Batterien von 1 Million E-Fahrzeugen liefern eine größere Leistung, als alle deutschen Pumpspeicherkraftwerke. Diese Leistung muss sinnvoll in den Markt integriert werden". Lichtblick entwickle unter dem Namen Schwarmenergie maßgeschneiderte Lösungen für diese dezentrale und erneuerbare Energiewelt.
Intelligente Infrastruktur braucht intelligente Gesetze
Derzeit liegen die Stromkosten für ein E-Auto bei durchschnittlicher Fahrleistung bei rund 615 Euro im Jahr. Wenn der Gesetzgeber eine Dynamisierung des Markts zuließe und attraktive Tarife ermögliche, so Lücking, könnten diese Kosten auf unter 420 Euro gesenkt werden. In einem Pilotprojekt mit dem Stromnetz Hamburg erprobt Lichtblick diese Lösung aktuell. Fahrzeuge werden hierbei ausschließlich zwischen 21 und 6 Uhr geladen - in der Zeit dazwischen ist die Steckdose stromlos geschaltet. Hierdurch könne ein Tarif angeboten werden, der bis zu 30 Prozent günstiger als der Hausstrom ist. Lücking betonte: "Über Smart Meter Gateways müssen Messwerte erfasst und übertragen sowie Anlagen gesteuert werden können. Die Regelung im Digitalisierungsgesetz, wonach E-Fahrzeuge vom Roll out von Smart Metern bis Ende 2020 ausgenommen sind, muss gestrichen werden."
Noch bis zum morgigen Mittwoch, 1. Juni, diskutieren mehr als 100 internationale Fachleute die Zukunft von Elektromobilität, regenerativer Stromerzeugung und intelligenter Netzsteuerung. ATZ führt die Tagung in Kooperation mit BMW i und unterstützt durch Lichtblick, EWE Netz und SMA durch.