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07.07.2020 | Elektromobilität | Interview | Online-Artikel

"Die Elektrifizierung stellt neue Anforderungen an Materialien"

verfasst von: Christiane Köllner

10:30 Min. Lesedauer

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Die Anforderungen an Material- und Komponentenbauteile in der Elektromobilität sind umfangreicher als im Bereich der Verbrennungsmotoren. Andreas Minatti, Head of Business Development von Dätwyler, spricht über die Herausforderungen der Elektrifizierung aus Sicht eines Dichtungsexperten. 

springerprofessional.de: Welche Möglichkeiten eröffnet die fortschreitende Elektrifizierung der Fahrzeuge für Dätwyler als Zulieferer für Polymer-Komponenten?

Minatti: Für die gesamte Automobilindustrie ist die Elektrifizierung eine spannende Entwicklung, da neue Akteure und Innovationen den Markt nachhaltig verändern. Neueinsteiger in den Markt, aber auch etablierte OEMs und Tier-1-Zulieferer suchen aktiv nach kompetenten Partnern, die sie holistisch bei der Entwicklung neuer Bauteile für immer komplexere Systeme unterstützen. Dies bedeutet, dass der ideale Zulieferer über eine breite Palette verschiedenster Kernkompetenzen verfügen und in der Lage sein muss, diese optimal zu kombinieren, was ausgeprägtes Material-, Engineering- und Produktions-Know-how erfordert. Je mehr Kompetenzen ein Zulieferer wie Dätwyler im eigenen Haus zur Verfügung hat, desto mehr Chancen ergeben sich durch die Zusammenarbeit. Unserer Erfahrung nach liegen die Vorteile für alle Beteiligten in der Unterstützung beginnend mit der ersten Designphase, und über Materialentwicklung und Simulationen in allen Entwicklungsstufen bis hin zum Übergang in die Serienproduktion. Für uns ist das eine wertvolle Erfahrung, da wir unsere Fähigkeiten und Expertise in den Bereichen Simulation, Prototyping oder, um etwas weiter zu greifen, unseren Co-Engineering-Ansatz optimal einsetzen können.

Jedes neue System, jede neue Anwendung – zum Beispiel zur mechanischen Entkopplung, Abdichtung oder Temperierung der Batterien von Elektrofahrzeugen – bringt neue Anforderungen an die Dichtungskomponenten mit sich, beispielsweise hinsichtlich ihrer Stabilität gegenüber den verwendeten Medien. Auch die Kombination oder die Integration von Funktionalitäten in Werkstoffen oder Komponenten erfordern Innovationen im Bereich Polymer- und Elastomeranwendungen. All diese Themen schaffen Anreize, den Fokus verstärkt auf Forschung und Entwicklung zu richten, sowohl intern als auch in Zusammenarbeit mit externen Partnern an Universitäten oder in der Industrie. 

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Wie unterscheiden sich die Anforderungen auf Komponentenebene bei Elektro- oder Hybridfahrzeugen im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor?

Aufgrund der stetigen Zunahme an elektrischen Komponenten wächst die Nachfrage nach Bauteilen aus Thermoplasten, Thermoplastischen Elastomeren (TPE) und Flüssigsilikonen. Auch der Bedarf an Mehrkomponententeilen für elektronische Steuergeräte und Steckverbinder mit integrierten Kontakten hat deutlich zugenommen. Häufig sind Eigenschaftskombinationen oder spezielle Materialeigenschaften – wie zum Beispiel elektrische oder thermische Leitfähigkeit – gefordert. Um integrierte Lösungen zu ermöglichen, müssen Dichtungskomponenten sorgfältig konstruiert werden, insbesondere wenn intelligente Funktionen gefordert sind. Außerdem erfordern die neuen Technologien, im Unterschied zu den herkömmlichen Verbrennungsmotoren, die vermehrte Verwendung von Gehäusen und somit Gehäusedichtungen, und integrierte Dichtungslösungen können hier erhebliche Vorteile hinsichtlich zusätzlicher Funktionen bieten. Im Bereich der Steuerungselektronik muss die Dichtung primär das Gehäuseinnere vor äußeren Einflüssen schützen und somit stabile Betriebsbedingungen (im Inneren) gewährleisten. Gleichzeitig soll der Dichtungswerkstoff dank einer hohen Wärmeleitfähigkeit die Dissipation der Verlustenergie aktiver elektrischer Komponenten erleichtern und eine elektrische Leitfähigkeit erlaubt die Abschirmung gegen elektromagnetische Störfelder und somit die Verbesserung der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV-Abschirmung).

Zudem werden bei Elektrofahrzeugen andere Dichtungsmaterialien und -medien eingesetzt als in Verbrennungsmotoren, die mit Öl und Kraftstoffen arbeiten. Ein weiterer wichtiger Unterschied besteht beim NVH-Verhalten (Noise, Vibration, and Harshness): Der Verbrennungsmotor überdeckt Geräusche, die nun als störend wahrgenommen werden. Für Elektrofahrzeuge bedeutet dies, dass zum Beispiel die verwendeten Bauteile und Komponenten absolut kein Knarzen oder andere Geräusche erzeugen dürfen. Denkt man dies konsequent weiter, so kann durch die Eliminierung bestimmter Geräusche erzeugender Komponenten der Komfort für die Fahrer und Beifahrer weiter gesteigert werden. Beispielsweise können elektromagnetische Ventile, die beim Schaltprozess "klickende" Geräusche von sich geben, durch dielektrische Aktuatoren auf Polymerbasis ersetzt werden. Diese Alternativen sind viel weniger oder gar nicht wahrnehmbar, was unter den NVH-Bedingungen von elektrischen Fahrzeugen enorme Unterschiede macht.

Hinzu kommt auch die zunehmende Miniaturisierung von Bauteilen: statt schwerer Verbrennungsmotoren sind es nun die noch schwereren Batterien, die immer weitere Gewichtseinsparungen notwendig machen. Der Trend geht daher weg von Metallen, hin zu Thermoplasten, Verbundwerkstoffen und neuen Materialkombinationen. In der Übergangsphase von den konventionellen zu den neuen Antriebskonzepten, sind es die Hybridfahrzeuge, die in vielerlei Hinsicht eine technologische Brücke schlagen. 

Ein weiteres aktuelles Beispiel für alternative Energiewandlungskonzepte sind Brennstoffzellen, die zu deutlich neuen Anforderungen auf der Komponentenebene führen. Für die Lösung der hier auftretenden Problemstellungen können wir auf unsere Werkstoff- und Engineering-Kompetenz in anderen Branchen zurückgreifen. Unsere Erfahrungen für das Design von Dichtungen im Bereich Öl und Gas, hier sei nur das Stichwort explosive Dekompression genannt, machen wir für Mobility-Anwendungen nutzbar, wodurch wir schneller neue, innovative Lösungen bereitstellen können.

Bauteile für Fahrzeuge integrieren immer mehr und immer intelligentere Funktionen. Welche Vor- und Nachteile hat diese Funktionsintegration?

Kurz gesagt, all die neuen Funktionen bieten dem Verbraucher ein deutliches Mehr an Sicherheit und Komfort. Man denke nur an all die vielversprechenden Möglichkeiten und Veränderungen, die neben der Elektrifizierung vor allem Digitalisierung, Vernetzung, Fahrerassistenz und autonomes Fahren mit sich bringen werden – für die Branche bedeutet dies nicht nur ein engeres Zusammenrücken, sondern auch eine Fülle an neuen Möglichkeiten. 

OEMs und Zulieferer sind gefordert, noch enger zusammenarbeiten, da aufgrund des höheren Integrationsgrads die Anforderungen an Material- und Komponentenbauteile in der Elektromobilität umfangreicher sind als im Bereich der Verbrennungsmotoren. Durch den Einsatz intelligenter Dichtungskomponenten mit integrierten Sensoren können wir nicht nur die Dichtheit sicherstellen, sondern auch eine Vielzahl anderer Funktionen im Fahrzeug überwachen. Ein integrierter Sensor könnte beispielsweise den Betriebszustand einer Komponente überwachen und weitere Parameter wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Leckage messen und die Daten an das Fahrzeug selbst, an den Fahrer oder den Hersteller übertragen. Vorausschauende Wartung und Analysen werden ebenfalls möglich sein, da die Sensoren in bestimmten Dichtungen detektieren können, ob funktionsrelevante Teile verschlissen sind oder kurz vor einem Ausfall stehen. Dadurch kann ein planmäßiger Austausch sichergestellt werden, bevor ein Schadensereignis zu ungeplanten Ausfällen des Fahrzeugs oder gar zu potenziellen Sicherheitsproblemen führt. Die problembezogene Analyse und das aktive Management von Daten wird entscheidend sein, um das volle Potenzial der Sensortechnologie, bis hin zur Überwachung bestimmter Elemente des Fahrerverhaltens, voll ausschöpfen zu können. 

Wie verändert sich durch den Trend zur mehr Bauteil-Funktionalität die Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Komponentenlieferant?

Dieser Trend hin zu mehr Funktionalität führt bereits jetzt zu einem Paradigmenwechsel in der Zusammenarbeit zwischen den Herstellern und den Komponentenlieferanten, der in der nahen Zukunft noch deutlich an Fahrt aufnehmen wird. Sowohl für bestehende Hersteller als auch für jene, die neu in den Elektrofahrzeugmarkt einsteigen möchten, wird wichtiger denn je sein, wie sich Dichtungslösungen in die Gesamtkonzepte der Komponenten integrieren lassen. Daher ist es unerlässlich, mit einem Komponentenlieferanten zusammenzuarbeiten, der über die notwendige Erfahrung und Expertise verfügt, um die Rolle des Partners in Co-Engineering-Projekten zu übernehmen – nur dies garantiert die zuverlässige und effiziente Umsetzung von Entwicklungsprojekten von der ersten Konzeption bis zur Serienlieferung.  

Bei neuen Projekten sind die Entwicklungsanforderungen oft besonders hoch, da eine ganzheitliche Betrachtung neben den mechanischen auch elektronische Komponenten und die Softwareentwicklung mit einschließt. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass hier besonders großer Mehrwert geschaffen wird. Die erforderliche engere Kooperation zwischen OEMs und Zulieferern resultiert, unserer bisherigen Erfahrung nach, in sich positiv verstärkenden Beziehungen – die Partner spornen sich gegenseitig zu neuen Höchstleistungen an. Je enger die Zusammenarbeit mit unseren Kunden bisher war, desto innovativer und erfolgreicher waren die erarbeiteten Lösungen. Die Wertschöpfung ist auf beiden Seiten höher.

Entscheidend für den Erfolg ist es, den Entwicklungspartner möglichst frühzeitig zu involvieren, nur so können die Vorteile und Potenziale, die eine Zusammenarbeit bietet, voll ausgeschöpft werden – immer vorausgesetzt, der ausgewählte Komponentenlieferant verfügt über die wesentlichen Kompetenzen. 

Dank der frühen Einbeziehung von Dichtungselementen in die Gesamtkonzeption einer neuen Komponente bieten wir unseren Kunden einen Wettbewerbsvorteil durch kundenspezifische und maßgeschneiderte Bauteile, die perfekt an die Anforderungen der neuen Produkte und Anwendungen angepasst sind. Hier sind Werkstoffe entscheidend – je höher die Expertise des Lieferanten, desto besser das Ergebnis. Ein weiteres Kriterium, auf das bei der Wahl von Zulieferern geachtet werden muss, ist, wie ausgeprägt deren Systemverständnis ist. Oft ist die entscheidende Frage: "Wie wirkt die Komponente im System?" Während früher in der Regel nur von der Zeichnung ausgehend die Details abgestimmt werden mussten, reicht dies heute bei weitem nicht mehr aus; es ist grundlegend wichtig, dass der Zulieferer das gesamte System versteht.

Wie können Simulationen die Produktentwicklung unterstützen?

In der Vergangenheit war die Entwicklung einer Dichtungslösung häufig ein iterativer Prozess. Ein Prototyp wurde entworfen, hergestellt, getestet, modifiziert und erneut getestet, bis das gewünschte Leistungsniveau erreicht war. Mit den heute verfügbaren Simulationsmöglichkeiten ist man nicht mehr auf diesen aufwändigen Prozess angewiesen und dank der virtuellen Produktoptimierung kann die Entwicklungszeit extrem verkürzt und damit die Markteinführungszeit sowie die Kosten deutlich reduziert werden. Durch eine von Beginn an enge Zusammenarbeit zwischen Kunde und Lieferant bei der Produktentwicklung kann das Design der Dichtungselemente im Zusammenspiel mit dem umgebenden Bauraum so optimiert werden, dass das Risiko unvorhergesehener Probleme beim Serienanlauf eines Produktes minimiert wird. Unterstützt wird dies durch Prozesssimulationen – so ermöglicht beispielsweise die Simulation des Fließverhaltens der Werkstoffe bei der Injektion in die Werkzeugkavitäten die ideale Auslegung des Angusssystems, insbesondere der Heiß- oder Kaltkanäle, und die Bestimmung der optimalen Angusspunkte. Somit können effiziente Produktionsprozesse für die Herstellung qualitativ hochwertiger Produkte sichergestellt werden. Jedes Konstruktions- und Verarbeitungsdetail kann im Vorfeld simuliert und geprüft werden – so können Hersteller mit vollem Vertrauen in ihre Dichtungslösungen in die Produktion einsteigen.

Entscheidend bei der Entwicklung von Produkten mit neuen Werkstoffen ist die Zusammenarbeit mit Experten, die über die notwendigen Test- und Modellierungsmethoden verfügen, um die Parameter der für die Simulation benötigten Materialmodelle von Anfang an möglichst realitätsnah zu bestimmen – was den Produktentwicklungsprozess noch weiter beschleunigt. Darüber hinaus können diese Materialmodelle mit den Kunden für deren eigene Simulationen geteilt werden, was diesen einen weiteren Wettbewerbsvorteil verschafft.

Welche Auswirkungen hat das auf die Werkstoffentwicklung? 

Um anspruchsvolle Dichtungslösungen für kundenspezifische Anwendungen zu entwickeln, sind maßgeschneiderte Werkstoffe erforderlich. Hier zahlt sich die Zusammenarbeit mit einem Lieferanten aus, der über jahrzehntelange Erfahrung und umfangreiches Know-how in Sachen Werkstoffe und Produktionsprozesse verfügt. Unternehmen, die mit einem Lieferanten zusammenarbeiten, der über umfangreiche Erfahrung in der Entwicklung von Mischungen und über ein breites Portfolio vorhandener Werkstoffe verfügt, werden klar im Vorteil sein. Sie können sich auf das Wissen und die Expertise des fachkundigen Lieferanten verlassen, insbesondere dann, wenn keiner der Werkstoffe aus dessen Materialportfolio die Anforderungen einer neuen Anwendung erfüllt. In diesen Fällen wird entweder ein bereits existierender Werkstoff angepasst, oder es wird ein neues Material entwickelt, dessen Eigenschaften von Anfang an perfekt auf die Anwendung abgestimmt sind. Da die Elektrifizierung eine Vielzahl neuer Anforderungen an die verwendeten Materialien stellt, insbesondere auch an Werkstoffkombinationen und Oberflächenbehandlungen, sind das Fachwissen und die Kompetenz eines Lieferanten bei der Entwicklung neuer Werkstoffe wichtiger denn je. Zudem ist ein Netzwerk mit externen Forschungspartnern unerlässlich, um agil zu sein und schnell und flexibel auf neue Trends reagieren zu können. So können zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Hochschulen vollkommen neue Substanzklassen oder Wechselwirkungen zwischen Werkstoffen und Oberflächen erforscht werden.

Was zeichnet Dätwylers Produktionskonzept "Lean and Clean" aus?

Da Partikel und Restschmutz die Funktionsfähigkeit und Lebensdauer eines Systems gefährden können, ist eine optimierte Produktionsumgebung erforderlich, die es ermöglicht, mehrere Millionen Einheiten pro Jahr bei höchster Sauberkeit zu produzieren – dies gilt insbesondere bei der Herstellung von Dichtungskomponenten. Eine Produktionsumgebung, die den hohen Anforderungen einer Reinraumumgebung entspricht, bietet in Verbindung mit Lean-Konzepten die idealen Voraussetzungen, um Prozessabläufe zu optimieren und alle geforderten Reinheitsstandards zu erfüllen. Oberstes Ziel ist die Herstellung von Null-Fehler-Produkten, die den höchstmöglichen Qualitätsstandards genügen. Mit der Umsetzung eines nachhaltigen Fertigungskonzepts, wie zum Beispiel Dätwylers "Lean and Clean"-Layout am Schweizer Standort in Schattdorf, sind alle notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um die zukünftigen Herausforderungen für unsere Kunden zu meistern.

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Quelle:
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