Fährschiffe fahren in Europa inzwischen immer häufiger elektrisch. Auch die weitere Elektrifizierung in den Häfen soll Emissionen senken und die Luftqualität verbessern. Eine aktuelle Studie gibt Auskunft, warum sich die Umstellung lohnt.
Elektromobilität ist eine zentrale Maßnahme, um Schadstoffemissionen zu senken: Der Verkehrssektor ist immerhin für 25 % der Kohlendioxidemissionen in der EU und für 20 % in Deutschland verantwortlich. Allein in Deutschland werden im Verkehrssektor jährlich etwa 100 Millionen Tonnen CO2 emittiert. "Elektrofahrzeuge können einen wichtigen Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen und damit zur Begrenzung der Folgen des Klimawandels sowie zur Reduzierung lokaler Schadstoff- und Lärmemissionen leisten", resümiert Springer-Autor Olaf Schulze im Kapitel Elektromobilität in Deutschland (Seite 1) des Buchs Elektromobilität – ein Ratgeber für Entscheider, Errichter, Betreiber und Nutzer.
Elektroantriebe erobern den Pkw und revolutionieren den Verkehr auf der Straße. Doch dabei muss es nicht bleiben: 81 % der 91.000 Schiffe weltweit sind von kleiner oder mittlerer Größe und können mit der heutigen Technologie auf Elektro- oder Hybridantrieb umgerüstet werden, heißt es in einer aktuellen Studie von Siemens Energy und Bellona. Die potenziellen CO2-Einsparungen seien auch bei einer nachträglichen Elektrifizierung in Deutschland und den drei weiteren untersuchten Ländern enorm, schreiben die Autoren.
Der Handlungsbedarf ist groß: Kohlenstoffdioxidemissionen sind eines der wichtigsten Themen im Seeverkehr, seit die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (International Maritime Organization, IMO) strengere Vorschriften eingeführt und 2018 eine erste Treibhausgasstrategie zur Dekarbonisierung des Seeverkehrs angekündigt hat. Ungefähr 99 % der Antriebseinheiten der weltweiten Schiffsflotte sind Verbrennungsmotoren. "Die internationale Schifffahrt verbraucht jährlich 300 Millionen Tonnen fossiler Brennstoffe mit hohem Kohlenstoffgehalt, und der Verbrauch steigt von Jahr zu Jahr. Der Seeverkehr hat einen Anteil von 3,1 Prozent an den gesamten globalen CO2-Emissionen, die von der Verwendung kohlenstoffreicher fossiler Brennstoffe abhängen", umreißt Burak Zincir im Kapitel Ammonia for Decarbonized Maritime Transportation (Seite 172) des Buchs Clean Fuels for Mobility die Lage.
Gleichwohl, so Zincir, ist der Seeverkehr "der wichtigste und effizienteste Verkehrsträger für den Transport von Gütern zwischen den Ländern." Das belegt eine vergleichende Betrachtung der Verkehrs- und Transportmittel im Buchkapitel Charakteristika von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen auf der Basis fossiler Energieträger des Buchs Perspektiven zum Umbau der fossilen Wirtschaft: Gemessen an der Transportlast, so Springer-Autor Christian J. Jäggi, "stößt ein Frachtschiff 60 Gramm CO2 pro Kilometer und Tonne aus, beim Straßenverkehr sind es 181 Gramm pro Kilometer und Tonne. Beim öffentlichen Verkehr liegt der Wert bei rund 120 Gramm pro Kilometer und Tonne und bei der Luftfracht sogar bei 1800 Gramm pro Kilometer und Tonne" (Seite 17).
Schiffsmotoren sind schmutzige Verbrenner
Allerdings verbirgt sich hinter diesen für den Schiffsverkehr vergleichsweise positive erscheinenden Zahlen zum CO2-Ausstoß noch eine andere schmutzige Wahrheit: Schiffsmotoren verbrennen meist Schweröl unter Beimischung von Dieselöl. Schweröl, auch als Bunker-C oder marines Rückstandsöl bezeichnet, fällt bei der Raffinierung von Erdöl als Abfallprodukt an und enthält einen sehr hohen Schwefelanteil, aber auch Schwermetalle, Asche und andere giftige Substanzen. "Schweröl darf 3,5 Prozent Schwefel enthalten, das ist 3.500-mal mehr, als an Land in Benzin und Diesel erlaubt ist", so Helmut Wipplinger im Kapitel Umweltsituation: Gefährdung und Schutz des Mittelmeeres (Seite 1010) des Buchs Das Mittelmeer. Eine der Hauptaufgaben der IMO ist heute die Verringerung der Meeresverschmutzung durch Schiffe. So wurden insbesondere die Richtlinien zum Schwefelgehalt verschärft und damit der Druck erhöht: "Bis 2012 lag der Grenzwert noch bei 4,5 Prozent, ab 2020 werden nur noch 0,5 Prozent erlaubt sein."
2015 startet die erste vollelektrische Fähre
Seitdem 2015 die erste vollelektrische Fähre in der Küstenschifffahrt ihren Betrieb aufnahm, gilt auch in der Schifffahrt der Elektroantrieb als Problemlöser. Besonderes Augenmerk richten die Ingenieure auf den Fährverkehr; die kurzen Fahrstrecken kommen den begrenzten Kapazitäten der Batteriemodule entgegen und die feste Anbindung an Häfen minimiert organisatorische Probleme sowie die Investitionskosten für die Lade-Infrastruktur. Maciej Tarkowski von der Fakultät für Ozeanographie und Geographie der Universität Gdańsk hat in den Jahren 2015 bis 2018 die Möglichkeiten der Elektrifizierung des Fährverkehrs anhand von vier Fallstudien untersucht und berichtet über die Ergebnisse im Kapitel Towards a More Sustainable Transport Future – The Cases of Ferry Shipping Electrification in Denmark, Netherland, Norah and Sweden des Buchs Innovations and Traditions for Sustainable Development. Tarkowski fand heraus, dass die Elektrifizierung der Fährschiffe das Ergebnis von Wechselwirkungen zwischen technischen und betrieblichen Merkmalen sowie geografischen und wirtschaftlichen Bedingungen ist. Die vier untersuchten Fälle – Stadtfähre Amsterdam, Fjordfähre-Sognefjord (MS Ampere), Küstenfähre - Søby-Fynshav und Søby-Faaborg (EF Ellen) und Küstenfähre-Helsingor-Helsingborg (MF Tycho Brache und MF Aurora Af Helsingborg) – belegen, "dass beim derzeitigen Stand der technologischen Entwicklung Elektrofähren sowohl in Hafengewässern, Buchten und Fjorden als auch in Schärengewässern erfolgreich eingesetzt werden können" (Seite 189), allerdings, so Tarkowski, seien weitere Studien erforderlich.
Unter der Überschrift "Decarbonizing maritime transport: A study on the electrification of the European Ferry Fleet" schätzen die Autoren der Siemens-Energy/Bellona-Studie, dass fast 50 % der Emissionen von Fähren durch Investitionen in heutige Standardtechnologien reduziert werden können. Diese Emissionen entstünden in der Regel im Hafen und innerhalb der ersten Stunde der Reise. Die andere Hälfte der Emissionen, die mit längeren Fahrten verbunden sind, könne durch die Substitution mit emissionsarmen oder emissionsfreien Kraftstoffen wie Wasserstoff, Ammoniak, Biokraftstoffen oder Kohlenstoffabscheidung in Angriff genommen werden. Zu den vier in der Studie untersuchten Ländern gehören Deutschland, Griechenland, Italien und das Vereinigte Königreich, die alle einen umfangreichen Fährbetrieb haben und für 35 % der europäischen Fährenemissionen verantwortlich sind. Norwegen, das größte Fährenland Europas, steuert weitere 17 % bei, obwohl es mit mehr als 70 emissionsfreien Fähren, die derzeit in Betrieb oder im Bau sind, bereits auf dem Weg zur Elektrifizierung ist.
Ärgerliche Emissionen in den Häfen
In dem Bericht wird auch die Rolle der Landstromversorgung als wichtigste Einzelmaßnahme hervorgehoben, die umgesetzt werden muss. Im Allgemeinen müssen Schiffe im Hafen Motoren laufen lassen, um die notwendigen Systeme in Betrieb zu halten. In Deutschland und im Vereinigten Königreich machen die Emissionen im Hafen bis zu 20 % der Gesamtemissionen des Sektors aus, während der Anteil in Griechenland bei unglaublichen 37 % liegt. Die durchschnittlichen Emissionen in den Häfen der vier Länder betragen 26 % – gleichbedeutend mit der Emission von 440.000 Tonnen CO2. Kombiniert man den Ausbau der Landstromversorgung, die vollständige Elektrifizierung kürzerer Strecken und die Hybridisierung aller Strecken, schätzen die Autoren von Siemens Energy und Bellona das Potenzial zur Emissionsreduzierung für die vier untersuchten Länder auf rund 800.000 Tonnen CO2.
Um das Elektrifizierungspotenzial voll auszuschöpfen, sollten Anreize für vollelektrische Schiffe geschaffen werden, um ältere Schiffe auf allen Strecken mit einer Länge von bis zu einer Stunde zu ersetzen, empfehlen die Studien-Autoren. Dafür stehen die Zeichen gut: Die Fährenflotte in Europa ist im Durchschnitt 35 Jahre alt, wobei 65 % der Schiffe älter als 20 Jahre sind. Das bedeutet, dass in diesem Jahrzehnt mehr als die Hälfte der Flotte ersetzt werden muss.