Viel wird derzeit über digitale Identitäten diskutiert, die unter anderem die Abwicklung von Finanzdienstleistungen vereinfachen und beschleunigen sollen. Entsprechende Vorhaben in Deutschland und Europa können aber nur gelingen, wenn Staat und Wirtschaft Hand in Hand arbeiten.
Viele Dinge des täglichen Lebens erledigen Verbraucher heute vom heimischen Computer aus. Auch die Finanzbranche muss ihre Kunden dort abholen. Identity Wallets sollen die hierfür nötigen Prozesse erleichern.
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Privatwirtschaft, Bund, Länder und Kommunen arbeiten seit Jahren an der Digitalisierung von alltäglichen Vorgängen. Im August 2022 hat die Bundesregierung ihre Digitalstrategie vorgestellt. Ein Kernanliegen: Die digitale Identität. Durch sie soll ein "Möglichkeitsraum" für digitale Dienstleistungen entstehen. Bereits im Jahr zuvor präsentierte die Europäische Kommission eine Zielvorstellung für den digitalen Wandel bis 2030. Auch hier soll die digitale Identität der EU-Bürgerinnen und Bürger ein Pfeiler der digitalen Dekade sein. Die überarbeitete eIDAS-Gesetzgebung (Electronic IDentification, Authentication and Trust Services 2.0) für einen einheitlichen Identitätsnachweis sieht dafür eine Identity Wallet vor.
Viele Kunden für digitale Dienste offen
Diese Identity Wallet wird auch die Finanzbranche aufrütteln und digitale Prozesse zwischen Finanzinstitut und Nutzer revolutionieren, indem sie beispielsweise die Kontoeröffnung durch Wiederverwendung bestehender verifizierter Identitäten beschleunigt. Zudem wird die Sicherheit erhöht, da sie für die tägliche Authentifizierung, anstelle der bisherigen Login-Verfahren, eingesetzt werden kann.
Aktuell nutzen 30 Prozent der Deutschen digitale Dienste, um Bankkonten zu eröffnen oder zu wechseln. Weitere 30 Prozent würden diese verwenden. Nur ein Viertel (25 Prozent) möchte gerne bei analogen Vorgängen bleiben. Die Zahlen entstammen einer repräsentativen Yougov-Umfrage unter 2.040 Deutschen, die kürzlich im Auftrag von IDnow durchgeführt wurde. Ähnliches zeigt sich im Bereich Versicherungen. Auch hier nutzen 34 Prozent bereits digitale Dienste, um Versicherungen abzuschließen. 28 Prozent wären offen dafür, dies digital zu tun. 55 Prozent gaben zudem an, dass sie zwischen ein- und fünfmal pro Jahr Versicherungen digital abschließen würden.
Derzeit empfinden 18 Prozent der Deutschen einen Versicherungsabschluss, sowie 27 Prozent eine Bankkontoeröffnung beziehungsweise einen Wechsel, als aufwendig. Das liegt unter anderem an einigen Störfaktoren, die sich durch nicht digitale Prozesse ergeben. Dazu gehören lange Wartezeiten bei der Bearbeitung (59 Prozent), unflexible Termine und beschränkte Öffnungszeiten (58 Prozent) sowie das Ausdrucken von Dokumenten (26 Prozent) und der damit einhergehende hohe Papierverbrauch (20 Prozent).
Nutzer sorgen sich um die Datensicherheit
An all diesen Stellen kann die Identity Wallet ansetzen. Viele Bürgerinnen und Bürger sind laut Umfrage allerdings skeptisch, ob persönliche Daten in einer Identity Wallet auch wirklich sicher auf ihrem Smartphone gespeichert werden können. Ungefähr vier von zehn Personen sorgen sich um die generelle Sicherheit der Daten vor Identitätsmissbrauch oder Fälschungen (44 Prozent). Ähnlich viele sehen gezielte Hackerangriffe als mögliches Problem (43 Prozent), auch der Verlust beziehungsweise Defekt des Smartphones spricht für 41 Prozent der Bevölkerung gegen die Nutzung einer Identity Wallet.
Gerade für diesen Fall arbeiten Anbieter von Wallet-Lösungen bereits an Recovery-Optionen. Aber auch fehlende Anwendungsmöglichkeiten auf staatlicher Seite, wie es beispielsweise seit Jahren bei der eID der Fall ist, sprechen für 22 Prozent gegen eine Nutzung.
Die Bedenken schlagen sich auch in den Auswahlkriterien für eine Identity Wallet nieder: Den Deutschen ist Sicherheit (55 Prozent) und Datenschutz (46 Prozent) am wichtigsten. Die Nutzerfreundlichkeit, also die intuitive und einfache Bedienung der Wallet-Lösung, ist für über ein Drittel (36 Prozent) ein zentrales Auswahlkriterium.
Skepsis gegenüber Nicht-EU-Unternehmen
Die Bevölkerung ist zudem gegenüber Unternehmen außerhalb der EU skeptisch. Nur vier Prozent trauen ihnen eine gleichzeitig sichere Verarbeitung ihrer Daten aus der Identity Wallet sowie eine nutzerfreundliche Erfahrung zu. Stattdessen bevorzugen die Deutschen Unternehmen aus dem eigenen Land. Über ein Viertel (28 Prozent) ist überzeugt, dass nur sie eine sichere Verarbeitung und Speicherung ihrer Daten bei hoher Nutzerfreundlichkeit gewährleisten können. Weitere 26 Prozent glauben, dass rein staatliche Institutionen oder Stellen aus Deutschland dies ebenfalls leisten könnten.
Ausblick
Staat und Unternehmen müssen umfassend informieren
Gerade für den Finanz- und Fintech-Sektor bedeutet dies mittelfristig eine enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft. Will die EU ihr Ziel von 80 Prozent Nutzungsdurchdringung der digitalen Identität bis 2023 erreichen, braucht es in diesem Bereich noch sehr viel Aufklärungsarbeit von beiden Seiten.
Insbesondere die eIDAS 2.0-Verordnung wird weitreichende Auswirkungen auf die Digitalisierung im Alltag aller EU-Bürgerinnen und Bürger haben.
Es liegt an Privatwirtschaft und Staat, die Menschen zu informieren, damit es der Identity Wallet langfristig nicht wie der deutschen eID ergeht und sie ein Schattendasein im Bewusstsein der Bevölkerung fristet. Nur wenn die Menschen informiert sind, kann ein zukunftsfähiges System für digitale Identitäten entstehen, das eine breite Nutzung mit vielen Anwendungsfällen ermöglicht - sei es die Bankkontoeröffnung, der Vertragsabschluss mit elektronischer Unterschrift oder eine Depoteröffnung.