2.1 Embodiment
Auch wenn beim Coaching das Gespräch im Zentrum steht, fließen die Erkenntnisse aus der Forschung bezüglich Embodiment in den verbalen Austausch ein. Hier ist die Situation dieselbe wie in den verhaltenstherapeutischen und psychodynamischen Therapieschulen, die zwar gemäß ihrer Theorie den Fokus auf kognitive Prozesse legen, wobei aber die Empirie zeigt, dass die körpersprachliche Ebene in der konkreten Therapiesitzung bedeutsam ist. Körperorientierte Techniken sind dagegen traditionell Bestandteil humanistischer und systemischer Therapieschulen, etwa in Form der Stuhltechnik in der Gestalttherapie oder der Aufstellungsarbeit in der Familientherapie (Kleve
2011). Auf systemische Hintergrundtheorien bezieht sich insbesondere die lösungsorientierte Beratung (Bamberger
2010). Es wird als besonders wichtig angesehen, mit welcher Haltung der Coach seine Arbeit tut: Einerseits geht es dabei um die Haltung im Sinne innerer Grundeinstellung, andererseits aber auch um die Haltung als Körperhaltung. Somit ist ein Bewusstsein für und das Wissen über Embodiment für Coaches von besonderer Wichtigkeit.
Bewusstes Wahr- und Einnehmen der eigenen Körperhaltung des Coachs und derjenigen des Klienten können dazu beitragen, Veränderungsprozesse in Gang zu bringen. Wenn das Problem den Coach oder den Klienten „niederzuziehen“ droht oder wenn der Geist „festsitzt“, kann es hilfreich sein, die Körperhaltung zu variieren, sich z. B. anders, aufrechter hinzusetzen, den Körper zu dehnen, die Schultern zu entspannen, den Nacken zu strecken. Selbst in Belastungssituationen oder bei Blockaden ist eine Person nämlich immer noch in der Lage, die Körperhaltung und Muskelspannung zu verändern und damit aktiv Einfluss auf Stimmung und Gefühle zu nehmen. Der Coach kann seinen eigenen Körper als hilfreiches Instrument im Coaching-Gespräch einsetzen: Die Positur und Körperhaltung überträgt sich in der Regel unbewusst auf den Klienten, wie die Synchronieforschung zeigt (Wechselwirkung „Enactive“ in der
4E Cognition; s. Abb.
1). Dies kann sich wiederum positiv auf die affektive Befindlichkeit des Klienten und somit auf seine Bereitschaft und Fähigkeit, Lösungen für Probleme zu finden, auswirken.
Ziele spielen im Coaching eine besondere Rolle: Was möchte der Klient verändern und welche Schritte möchte er als nächstes in diese Richtung tun? Im Zürcher Ressourcenmodell (ZRM, Storch und Krause
2002) wird mit Motto-Zielen gearbeitet, also mit metaphorisch, symbolisch und ikonisch codierten Zielen, die aufgrund ihrer starken Bildhaftigkeit unbewusste und körpernahe Ebenen des psychischen Systems ansprechen (Tschacher et al.
2014). Entsprechend dem Embodiment-Ansatz unterstützt der Körper den Geist bei der Zielformulierung: Mit körperbasierten Interventionen können Ziele entwickelt, geschärft und verankert werden. Ein Beispiel hierfür sind die die Selbstwirksamkeit fördernden Körperposituren der „power poses“ (Carney et al.
2010). Bidirektional gewendet, geben Körperrückmeldungen und das Wahrnehmen von somatischen Markern Auskunft darüber, ob eine Lösungsperspektive aus Sicht des Klienten passend erscheint, was im ZRM-basierten Coaching ausführlich berücksichtigt wird. Diese Implikationen des Embodiment-Ansatzes betreffen also die Wechselwirkung „Embodied“ (s. Abb.
1).
Wenn der Coach den Körper des Klienten als Ressource erkennt, die Körpersprache bzw. die Körpersignale im Coaching-Gespräch beobachtet, erhält er wichtige Hinweise auf die Befindlichkeit des Klienten – es kann gemeinsam herausgearbeitet werden, welche Körperhaltungen mit negativen oder positiven Gefühlen verknüpft sind. Durch das Einnehmen einer Körperhaltung, die mit positivem Affekt gekoppelt ist, kann bereits ein erster Schritt hin zu einer Veränderung Richtung Ziel ausgelöst werden. Der Klient lernt, Signale seines Körpers achtsam wahrzunehmen und umgekehrt seinen Körper als unmittelbare Kraftquelle zu erleben. Auf die gleiche Weise kann es dem Coach gelingen, Selbstsorge auszuüben: Er kann eigene Stimmungen und Gefühle in eine positive Richtung bewegen und gleichzeitig den Klienten damit „anstecken“. Interessant ist auch, dass besonders wirksames Coaching oft nicht am Tisch oder im Sessel, sondern unterwegs, beim gemeinsamen Tun, also in Bewegung, stattfindet. In festgefahrenen Situationen kann sich ein Coaching-Gespräch beim gemeinsamen Spaziergang entlang des Flusses als förderlich erweisen (situierte Kognition: „Extended“; s. Abb.
1).
Im pädagogischen Kontext geht es wie beim Coaching gleichermaßen um Lehr-Lern-Prozesse, und hier wird der Embodiment-Ansatz zunehmend als bedeutsam erkannt. Eine Pionierrolle hatte diesbezüglich das Projekt „Lernen in Bewegung“ des Schweizer Lehrers Eduard Buser (
https://lerneninbewegung.ch/home). Bewegung und rhythmisierte Bewegung der Schüler in der Unterrichtsstunde werden beim Lernen in Bewegung nicht mehr als störend sanktioniert, sondern zum Instrument der Stoffvermittlung. Ganz im Sinne des Embodiment-Ansatzes wird das Bildungspotenzial von Bewegung genutzt (Zimmer
2020).
Wenn man berücksichtigt, dass nicht nur der Geist den Körper, sondern auch der Körper den Geist und die Emotion beeinflusst, ist der Einstieg in den Unterricht mit einer Form von Körperarbeit naheliegend. Auch ohne formale Anleitung oder Übungen überträgt sich die Körperhaltung der Lehrperson auf die Lernenden. Das aufrechte Stehen mit geradem Rückgrat wirkt sich unmittelbar positiv auf das Selbstbild aus, man fühlt sich stärker, kompetenter, mutiger. Anschließende Streck- und Dehnübungen lassen den ganzen Körper spüren, erlauben es, Gleichgewicht und Stabilität zu finden und durch An- und Entspannung in einen angenehmen Tonus zu kommen. Es bestehen positive Erfahrungen in der Erwachsenenpädagogik mit vor den Unterricht eingefügten TaiChi-Sequenzen. Die langsamen und fließenden Bewegungen begünstigen die Synchronisation der Gruppe. Lernende wie Lehrpersonen fühlen sich nach einer Anfangssequenz mit einfachen Übungen aus TaiChi und QiGong erfrischt und leistungsbereiter. Körperübungen haben offensichtlich einen spür- und sichtbaren Effekt auf die Stimmung. Wenn man zudem beachtet, dass positive Emotionen wesentlich sind für Intelligenz und Kreativität und eine direkte Wirkung auf die Lernbereitschaft und -fähigkeit haben, erscheint der Einbezug des Körpers doppelt sinnvoll.
2.2 Wirkfaktoren im Coaching
Ein wichtiger theoretischer Ansatz in Coaching und Beratung ist die Lösungsorientierung nach Steve de Shazer und Insoo Kim Berg (de Shazer
1992; de Jong und Berg
2008). Der lösungsorientierte Ansatz legt in Beratung und Coaching den Fokus nicht auf das Problem und die Problemursachen, sondern im Sinne einer salutogenetischen Haltung auf die Entwicklung einer möglichen Lösung. Hier bestehen große Parallelen zu Grawes (
1998) Ressourcenaktivierung als allgemeinem Wirkfaktor der Psychotherapie (s. Abb.
3). Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass es immer eine Lösung (manchmal auch mehrere) für ein Problem gibt und dass der Klient, als der alleinige Experte für sein Leben, fähig ist, eigene Lösungsideen zu entwickeln.
Die Lösungsorientierung basiert auf konstruktivistischen und sozialkonstruktivistischen Ansichten, wie sie in systemischen Therapierichtungen vorherrschen (Schweitzer und v. Schlippe
2007). Die konstruktivistische Orientierung besagt in der Anwendung, dass jeder in seiner eigenen, nur ihm zugänglichen Lebenswelt lebt und dass eine objektive Wahrnehmung dieser Lebenswelt von außen, also durch einen Therapeuten oder Coach, nicht möglich ist. Zielgerichtete, unmandatierte Beeinflussungen der Konstruktionen des Gegenübers werden demzufolge a priori ausgeschlossen (Pfister-Wiederkehr
2019). Daraus folgt, dass ein lösungsorientierter Coach eine achtsame Grundeinstellung mit nicht-wertender Aufmerksamkeit einnimmt. Sein Ziel ist, dass der Klient seine eigene Lösungsvision (er)findet. Der Coach ist lediglich Experte für den Prozess der Lösungskonstruktion, bleibt aber in einer klaren Distanz zur inhaltlichen Ebene des Problems. Er ist dem Klienten durch geschicktes und achtsames Befragen behilflich, seine eigenen Ziele präzise zu formulieren, seine Ressourcen und Kompetenzen zu entdecken und zu aktivieren und kleine erste Veränderungen (die zu großen führen können) zu lancieren. Die Interventionstechnik ist damit eine Form von nichtwertender Abstinenz, wodurch beim Klienten allgemeine Wirkfaktoren wie Ressourcenaktivierung und erhöhte Selbstwirksamkeit (der Klient als aktiver Gestalter seines Lebens) angestoßen werden sollen.
Hier zeigt sich ein Bezug auch zu den theoretisch entwickelten Therapeuteneigenschaften (Tschacher und Haken
2019). Der lösungsorientierte Coach arbeitet langsam, er will nicht zu schnell verstehen – und gibt stattdessen dem Klienten Zeit und Raum, seine Gedanken in Ruhe zu sortieren und sein Ziel selbst zu entwickeln. Dazu gehört auch eine Haltung des achtsamen Nichtsofortreagierens des Coachs, da die Lösungsorientierung keine Bewertung der durch den Klienten erzeugten Lösungen durch den Coach vorsieht.