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25.10.2024 | Emissionen | Interview | Online-Artikel

"OEMs können CO2-Emissionen und gleichzeitig Kosten senken"

verfasst von: Christiane Köllner

4:30 Min. Lesedauer

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Der CO2-Grenzausgleich Carbon Border Adjustment Mechanism greift in der EU schrittweise bis 2026. Über die Folgen von CBAM für die Autoindustrie spricht McKinsey-Experte Peter Spiller im Interview. 

Peter Spiller, Partner und Leiter der Sustainability in Operations Practice bei McKinsey & Company


springerprofessional.de: Industriekonzerne in der Europäischen Union (EU) müssen für ihren CO2-Ausstoß in Europa Zertifikate erwerben. Das kritisieren vor allem energieintensive Unternehmen, die dadurch Nachteile im Vergleich zu Unternehmen aus Ländern mit niedrigeren Klimastandards für sich sehen. Diesen Wettbewerbsnachteil will die EU mithilfe des "Carbon Border Adjustment Mechanism" (CBAM) ausgleichen. Wie funktioniert das CO2-Grenzausgleichsystem, für das seit dem 1. Oktober 2023 eine Übergangsphase läuft?

Spiller: CBAM macht in der Tat den bisherigen Wettbewerbsnachteil von EU-Unternehmen wieder wett. Die CO2-Emissionen energieintensiver Import-Produkte erhalten erstmals einen "Preis". In der ersten Phase geht es dabei um Strom, Zement, Stahl, Aluminium, Düngemittel und Wasserstoff. Der Zeitplan bis zur vollständigen Einführung erstreckt sich noch über rund zehn Jahre. Bis Ende 2025 gelten für Unternehmen vereinfachte Berichtspflichten. Ab 2026 müssen EU-Hersteller Zertifikate erwerben, die den Emissionen ihrer importierten Waren entsprechen. Der Preis basiert dann auf den durchschnittlichen Auktionspreisen im Europäischen Emissionshandel. 2034 wird CBAM schließlich für alle CO2-Emissionen bei Import-Produkten gelten.

Gibt es vergleichbare Systeme oder Mechanismen auch in anderen Ländern?

Zwischen 2012 und 2022 ist die Zahl der Umweltvorschriften weltweit um 164 % gestiegen. Mehr als 70 Länder haben Vorschriften und Besteuerungsmechanismen eingeführt. Sie verlangen beispielsweise von den Unternehmen, die Emissionen der Wertschöpfungskette auf Produkt- statt auf Organisationsebene zu melden. Der Trend geht also auch jenseits der EU eindeutig zu einer stärkeren Umweltregulierung. Auch in den USA deutet die derzeitige Entwicklung darauf hin, dass ähnliche grenzüberschreitende Vorschriften wie in der EU mit einer Verzögerung von drei bis fünf Jahren erlassen werden.

Welche Effekte hat der CBAM auf die Preisgestaltung von Produkten in der EU? 

CBAM kann sich erheblich auf die Kostenkalkulation für Unternehmen auswirken, die in Zukunft beispielsweise Stahl und Aluminium außerhalb Europas kaufen. Nehmen wir das Beispiel Aluminium. Der CO2-Preis liegt aktuell bei 70 Euro pro t gemäß dem European Trading Scheme (ETS). 2030 dürften Kosten von über 100 Euro zu erwarten sein, je nach Entwicklung auch deutlich mehr. Durchschnittlich erzeugt die Herstellung einer Tonne Aluminium 15 t CO2, die Tonne Aluminium könnte also bis zu 1.500 Euro teurer werden. Doch die OEMs haben Gestaltungsmöglichkeiten. Sie können Aluminium bereits heute in großen Mengen beispielsweise in Skandinavien beziehen, wo bei der Produktion Energie aus Wasserkraft eingesetzt wird. Dadurch fällt der CO2-Footprint deutlich geringer aus als beim Einkauf bei anderen Anbietern auf dem Weltmarkt. Wir gehen davon aus, dass es bei den wesentlichen Materialien zunächst einen Aufpreis geben wird. Mit der Zeit wird sich der Effekt aber wegen der Ausweitung der Kapazitäten wieder ausgleichen.

Wie stark sind die Auswirkungen des CBAM auf die globale Wertschöpfungskette der Automobilindustrie?

Am stärksten betroffen sind europäische Lieferanten, die CBAM-pflichtige Vorprodukte importieren und mit ihren eigenen Produkten auf dem Weltmarkt mit Wettbewerbern konkurrieren, die nicht unter ein ETS- oder CBAM-Schema fallen. Allerdings wissen betroffene Unternehmen seit Langem, dass sie graduell ihre CO2-Emissionen reduzieren müssen. OEMs und Lieferanten sind dabei, die Anteile an CO2-armem Aluminium und auch Stahl und Kunststoff zu erhöhen, um ihre Position zu verbessern. CBAM räumt relativ lange Übergangsfristen ein, um die Umstellung zu bewerkstelligen.

Wie groß ist die Gefahr eines Carbon Leakage, bei dem Unternehmen ihre Produktion in Länder mit weniger strengen Emissionsvorschriften verlagern?

Die Gefahr besteht, solange die Bepreisung von Emissionen sich nur auf die EU konzentrieren sollte. Der Export von Emissionen in Länder außerhalb der EU könnte dann wirtschaftliche Schäden verursachen und die Ziele von CBAM beeinträchtigen.

Wie beeinflusst der CBAM den Rohstoffeinsatz in der Elektromobilität?

Der wesentliche neue Rohstoffeinsatz in BEVs betrifft die Batterie und damit Materialien wie Nickel, Cobalt, Mangan und Lithium. Diese Materialien unterliegen Stand heute nicht dem CBAM-Mechanismus. Insofern ist zunächst nicht mit einem wesentlichen Einfluss von CBAM auf die Entwicklung der Elektromobilität zu rechnen.

Inwiefern könnte der CO2-Grenzausgleich langfristig zu Strategiewechseln in den Automobilunternehmen führen?

Ein typisches europäisches Automobilunternehmen, das jetzt nicht handelt, kann möglicherweise für den Rest des Jahrzehnts mit einem Minus von bis zu 20 bis 40 % seiner Gewinne rechnen. Die Industrie tut deshalb gut daran, aktiv zu werden. Wir haben gesehen, dass es möglich ist, die CO2-Emissionen um bis zu 60 % zu reduzieren, während gleichzeitig die Kosten um bis zu 15 % sinken. Der neue Rahmen gibt europäischen Firmen die Chance, die Innovationen und Anpassungen voranzutreiben, die notwendig sind. Sie werden nicht nur weniger für Emissionsgutschriften ausgeben, sondern könnten auch Marktanteile gewinnen. Zu den wesentlichen Hebeln, um gleichzeitig Kosten und Emissionen über alle Prozesse zu reduzieren, gehört es zum Beispiel Energie zu sparen, regenerative Energien zu nutzen, Abfall und Ausschuss zu reduzieren und weniger beziehungsweise neue Low-Carbon-Materialien einzusetzen.

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