Eine Nachhaltigkeitsstrategie ist für einige Zulieferer immer noch unnötiger Aufwand. Gleichzeitig machen Unternehmen zunehmend aus der Not eine Tugend und stärken so Geschäftsmodell und Unternehmenswert.
ESG-Programme werden auch im Bereich Automobilzulieferung wichtiger.
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Der klassische Automobilzulieferer des internationalen Mittelstands entwickelt Produkttechnologien, welche an mehr als einem Produktionsstandort unter Serienbedingungen gefertigt und an unterschiedliche Kunden (direkt an OEM oder Systemlieferant) geliefert werden. Das Gremium eines Aufsichtsrats, die Geschäftsführung, sowie das Management einer globalen Organisation zeichnen dabei dafür verantwortlich, dass Unternehmensstrategie und operatives Tagesgeschäft in einen mittel- und langfristig profitablen Geschäftsplan münden und die Kundenzufriedenheit die Erwartungen von morgen trifft.
1. Die CSRD-Strategie muss mit der Unternehmensstrategie vereint sein
So weit, so gut. Doch wie wird in die "DNA" eines Automobilzulieferers zusätzlich eine ESG-Strategie implementiert, die zunehmend von zahlreichen Instanzen nicht nur gefordert, sondern auch geprüft wird? Wie kann sich der Aufwand einer solchen lohnen und dabei die Unternehmenskultur auf operativer Ebene gewinnbringend transformiert werden? Diese heute unerlässliche Management-Disziplin stellt sich für viele Hersteller und Zulieferer immer noch als eine große Herausforderung dar, da "Wissen" und "Können" nicht in dem Maßstab vorhanden sind, um eine ganzheitliche Implementierung vorzunehmen. Zudem wächst die Komplexität der Materie, was die Erfüllung externer Anforderungen anbetrifft, um für das jeweilige Unternehmen einen positiven und erfolgreichen Business Case in dem Spannungsfeld zwischen "Klima, Ökologie und Soziales" zu gewährleisten. Das folgende Praxisbeispiel zeigt, dass der Erfolg dieses komplexen Transformationsprozesses maßgeblich davon abhängt, dass alle Unternehmensdimensionen (Portfolio, Prozesse, Hierarchie) einbezogen werden und eine lernende Organisation Teilerfolge feiert.
Umsetzungskompetenz ist mehr gefragt denn je
Beispielhafter Automobilzulieferer
Atreus
(1) Bei einem komplex organisierten, international agierenden Zulieferer wie in dem hier vorliegenden Fall (siehe Darstellung) müssen zunächst eine unternehmensweit verzahnte Projektorganisation sowie die Verantwortlichkeiten klar geregelt werden. Da sich Umsetzungskompetenzen des Vorhabens maßgeblich überschneiden (Lieferanten-Management, Produktionsprozesse im weltweiten Fabrikverbund, Investitionscontrolling und weitere), muss klar sein, dass eine rein methodische Projektmanagement-Kompetenz nicht ausreichen wird, um erfolgreich zu sein.
Daher hat es sich für das Unternehmen bewährt, innerhalb der "Sustainability Organisation" einen sehr erfahrenen Technologie-Experten und Fachmann aus Industrie und Forschung zu installieren, um den komplexen Transformationsprozess mit praktischen Erfahrungen und Leitlinien "von außen" anzureichern.
(2) Ein weiterer wesentlicher Erfolgsfaktor besteht darin, das ESG-Programm als Top-Thema unternehmensweit zu kommunizieren und dabei die Relevanz für den zukünftigen Erfolg zu betonen. Geschickt kann in diesem Zusammenhang auch sein, allen Mitarbeitern zu verdeutlichen, dass jeder nicht nur betroffen, sondern auch aktiv an der Umsetzung beteiligt sein wird.
(3) Eine der großen Herausforderungen zu Beginn einer ESG-Mission ist die Reduzierung der Komplexität und dabei die Priorisierung von Schwerpunkt-Maßnahmen. Hierbei empfiehlt sich die Erstellung einer Agenda, welche im Einklang mit der Unternehmens- bzw. den jeweiligen Segmentstrategien erarbeitet werden muss. Die folgende Übersicht verdeutlicht die Fokusthemen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmenssteuerung. Diese Übersicht dient nicht nur der internen Kommunikation einer globalen Organisation, sondern wurde auch Kunden, Lieferanten und Geschäftspartnern der internationalen Zulieferindustrie in den jeweiligen Strategiegesprächen zur operativen Geschäftsentwicklung bereitgestellt.
Beispielhafte ESG-Agenda eines Automobilzulieferers.
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2. Vom "Großen Ganzen" in die operative Umsetzung
Um CSRD-Konformität zu erlangen, werden Unternehmen aus der Automobilindustrie mit viel Bürokratie und zahlreicher in sich greifender komplexer Vorgaben konfrontiert. Neben der umfangreichen Konzeptarbeit werden unterschiedliche operative Umsetzungsherausforderungen im Tagesgeschäft umzusetzen sein. Folgende Beispiele verdeutlichen Bausteine einer iterativen Vorgehensweise der Nachhaltigkeitstransformation.
(1) Unter anderem wurde mit der Durchführung einer Wesentlichkeitsanalyse zur Identifikation der wesentlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen eine der zentralen Anforderungen der CSRD umgesetzt. Die Kerntätigkeit des hier beschriebenen Unternehmens besteht in der energieintensiven Verarbeitung und dem Verkauf diverser Stahldrahtsysteme im Fahrzeug. Diese ziehen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt nach sich und tragen grundsätzlich zum Klimawandel bei. Aus Perspektive der finanziellen Wesentlichkeit kann sich zum Beispiel das Thema Klimawandel auf die Fähigkeit des Unternehmens auswirken, kurz-, mittel- und langfristig Einnahmen und Rentabilität zu erzielen. Aufgrund regulatorischer und rechtlicher Vorgaben zur Reduktion von CO2-Emissionen können für das Unternehmen finanzielle Risiken entstehen, die mit Geldstrafen oder erhöhten Produktionskosten einhergehen.
(2) Der kurzfristige Gesamterfolg einer CSRD-Strategie wird nahezu nicht messbar sein – Teilerfolge sehr wohl. Entscheidend ist es, anspruchsvolle Teilziele zu setzen, die quantitativ messbar sind. Um den zunächst nicht transparenten Energieverbrauch (primär elektrischer Strom und Gas) in den zahlreichen Produktionsstandorten zu bemessen, wurden beispielhaft eine Vielzahl an Sensoren und digitalen Detektoren an Maschinen und Produktionsanlagen angebracht. Hier wurde im ersten Schritt ein Pilotwerk ausgewählt, an dem Erfahrungen gesammelt werden konnten, welche im weiteren Roll-Out des globalen Werkverbundes eingebracht werden konnten. Diese Investition wurde bewusst entschieden, um aus den gesammelten Daten Maßnahmen abzuleiten, um den erheblichen Energieverbrauch zu optimieren. Ebenso konnte nach ca. 18-monatiger Erfahrungszeit das ganzheitliche Energiekonzept bewertet werden. Mittlerweile fließen die gewonnenen Daten ebenso in die Produkt- und Produktionsstrategie ein, was zudem die Betrachtung der Lieferkette einbezieht (Verpackungs- und Logistikkonzepte). Diese schrittweise Digitalisierung der Wertschöpfungskette ist der Grundstein für eine bewusste Steuerung entscheidender Nachhaltigkeitsmaßnahmen.
(3) Als produzierender Automobilzulieferer ist es unerlässlich, einen quantifizierbaren Zukunftsplan zu entwickeln, den eigenen CO2-Ausstoß zu senken bzw. diesen mit spezifischen Maßnahmen zu minimieren. Die folgende Darstellung zeigt auf, wie dieses Vorhaben verwirklicht werden kann und stellt – aus heutiger Sicht – den Ausgangspunkt (Jahr 2021) dem Zwischenziel (Jahr 2030) gegenüber. Bei den zugrunde gelegten Maßnahmen wird vorausgesetzt, dass der jeweilige CO2-Verbrauch gemäß Scoping gemessen werden kann. Hierbei ist erwähnenswert, dass sich im Zeitverlauf der Betrachtung Randbedingungen verändern können, was als völlig normal zu bewerten ist. Wichtig dabei ist, ein solches Szenario zu erarbeiten und damit zu beginnen, optimierte Zukunftsszenarien zu erarbeiten.
Der Weg zur Klimaneutralität am Beispiel eines Automotive-Zulieferers.
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Fazit
Das skizzierte Beispiel verdeutlicht, dass die Transformation eines Automobilzulieferers in Richtung Nachhaltigkeit einerseits ein großer Kraftakt ist, für den zahlreiche Ressourcen (Projektbudget, Investments, FTE, etc.) erforderlich sind. Andererseits wird bewiesen, wie elementar eine solche ESG-Agenda ist, um das Unternehmen in einem intensiven Wettbewerbsumfeld weiterzuentwickeln und mit einem erhöhten Kundennutzen zu positionieren. Nach einem ca. vierjährigen Prozess, der weiter andauern wird, ist das Unternehmen anerkannter Marktführer im Bereich Nachhaltigkeit in den entsprechenden Branchensegmenten. Die kürzlich erfolgreiche Akkreditierung gemäß SBTi (Science Based Targets Initiative) setzt den eingeschlagenen Kurs zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele 2030 im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel weiter fort. Die Umsetzung weiterer Teilprojekte wird derzeit diskutiert, wie beispielsweise die Entwicklung eines Nachhaltigkeitslabels gemäß der EU-Green Claims Directive.