Verkehrslärm nervt nicht nur, er ist auch gesundheitsschädlich für Mensch und Tier. An vielen Stellen gelingt der Kampf gegen Lärmbelastungen – aber es fehlt eine ganzheitliche Herangehensweise.
Vibroakustische Metamaterialien können für mehr Ruhe in der Umgebung von Autobahnen sorgen.
Fraunhofer LBF
Der "ökologische Fußabdruck" verschiedener Verkehrssysteme wird zumeist reduziert auf Angaben zum CO2- und NOX-Ausstoß, die im Zusammenhang mit den Antrieben entstehen. Im Kapitel Ökologische Betrachtung von Verkehrssystemen – Ein ganzheitlicher Systemvergleich des Buchs Transforming Mobility – What Next? plädiert Klaus Radermacher dafür, dass die Emissionen des Verkehrssektors ganzheitlich, inklusive aller notwendigen Infrastrukturkomponenten betrachtet werden sollten. Es reiche nicht aus, "nur die Abgase am Auspuff zu messen, um dem Umweltaspekt angemessen Rechnung zu tragen" (Seite 764).
Wenn er sich in seinem Buchbeitrag auch schwerpunktmäßig mit den Treibhausgasen bei der Nutzung unterschiedlicher Verkehrssysteme auseinandersetzt, so lässt sich sein Ansatz auch auf die Lärmemissionen der vier großen Verkehrssysteme Straße, Schiene, Luft und Wasser anwenden: Radermacher geht es um die Erfassung ganzheitlicher Ursache-Wirkungs-Mechanismen und somit sei beim Verkehrslärm unter anderem zu berücksichtigen, "dass die terrestrischen Verkehrssysteme auf der gesamten Strecke lärmverursachend sind, wohingegen Fluglärm nur im direkten Umfeld der Flughäfen entlang der An- und Abflugrouten entsteht" (Seite 774). Auch merkt der Springer-Autor an: "Eine systematische und umfassende Analyse, wie viele Personen wie stark tatsächlich von Verkehrslärm betroffen sind, steht noch aus."
Tatsächlich gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass sich Verkehrslärm nicht nur auf uns Menschen negativ auswirkt, sondern auch auf die Tierwelt. So machte etwa unlängst das Max-Plank-Institut für Ornithologie publik, dass Verkehrslärm das Gesangslernen von Vögeln beeinträchtigt. Eine Forschergruppe um Henrik Brumm hat herausgefunden, dass juvenile Zebrafinken, die städtischen Lärmpegeln ausgesetzt waren, schwächere Immunreaktionen aufwiesen als Küken aus ruhigen Nestern. Lärm scheint also eine Quelle für chronischen Stress bei diesen Jungvögeln gewesen zu sein, schlussfolgerten die Wissenschaftler. Außerdem war die stimmliche Entwicklung der Vögel aus den lauten Nestern stark verzögert: Sie kristallisierten ihre Gesänge mehr als 30 % später als die Kontrollgruppe und hatten eine wesentlich geringere Genauigkeit beim Gesangslernen, wie die Wissenschaftler in Science berichteten.
Einer fehlenden ganzheitlichen Perspektive auf die Auswirkungen von Verkehrslärm entspricht eine vielfältige, allerdings eher punktuelle und zusammenhanglose Herangehensweise bei dessen Bekämpfung. Dabei ist offenkundig, dass Hightech-Methoden faszinierende Lösungen hervorbringen – denen es allerdings im Sinne des Ansatzes von Klaus Radermacher an einem mangelt: einer Metaebene, auf der die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur Bewältigung der Verkehrslärmprobleme koordiniert werden könnten. Drei aktuelle Beispiele aus Forschung und Entwicklung illustrieren gerade aufgrund ihrer Exzellenz stellvertretend diese systemische Verlegenheit: "Lärmschutzwände aus vibroakustischen Metamaterialen", "Leise Geleise" und "Künstliche Intelligenz für Ampelanlagen".
Lärmschutzwände aus vibroakustischen Metamaterialen
Der Traum von mehr Ruhe für Mensch und Natur im Umfeld von Autobahnen könnte zukünftig dank einer gemeinsamen Entwicklung aus dem Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit (LBF) in Darmstadt und der österreichischen Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG) Realität werden. Die Forscher haben eine mit vibroakustischen Metamaterialien (VAMM) ausgestattete Glas-Lärmschutzwand entwickelt, mit der sie im Labor eine Lärm-Übertragungsreduktion von bis zu 20 dB im Vergleich zu einer konventionell absorbierenden Lärmschutzwand erzielen konnten. Zum Vergleich: Eine Reduktion des Schalldruckpegels um 6 dB bedeutet bereits eine Halbierung der wahrgenommenen Lautstärke. "Wir sehen in VAMM ein großes Potenzial in der effektiven Reduktion von Vibrationen und Lärm bei gleichzeitig geringerem Ressourceneinsatz", sagt Projektleiter Sebastien Rieß vom LBF.
Vibroakustische Metamaterialien bewirken in unterschiedlichen Formen und mit individuell anpassbaren Funktionen ein deutlich verbessertes Schwingungsverhalten von Bauteilen.
Ursula Raapke / LBF
Mit Metamaterialien wird ein in der Natur nicht vorkommendes Verhalten erzeugt. Neben optischen und elektromagnetischen Metamaterialien werden spezielle Formen von Metamaterialien auch zur Lärm- und Schwingungsminderung eingesetzt. Vibroakustische Metamaterialien werden aus mehreren periodisch angeordneten Einheitszellen gebildet – dem kleinsten identischen Teil der Grundstruktur, auf dem ein Resonator (Feder-Masse System) sitzt, erklären die LBF-Wissenschaftler. Diese lokalen Resonatoren sind gezielt auf der Subwellenlängenskala der einfallenden Welle platziert: Sie sind auf eine Resonanzfrequenz abgestimmt, bei der eine Schwingungsreduktion erforderlich ist. Die Wechselwirkung zwischen den lokalen Resonatoren und der einfallenden Welle führt zu einem Stoppband - einem Frequenzbereich mit hoher Schwingungsreduktion.
VAMM ermöglichen es auf diese Weise, das Schwingungsverhalten von Strukturen zu beeinflussen. "Vereinfacht gesagt wird eintreffender Luftschall in Körperschall gewandelt. Dieser wird durch die Schallschutzwand nicht weiter- oder abgeleitet, sondern absorbiert", sagt Peter Rath, Experte für Video- und Akustikdetektion in der ASFINAG Maut Service GmbH. Jetzt geht es den Projektpartnern darum, den Prototypen aus dem Labor zur Bewährung in die Praxis an Autobahnstrecken und Schnellstraßen zu bringen.
Leise Gleise
Um Bahnlärm für Anwohner zu reduzieren, eignen sich Lärmschutzwände oder leisere Radsysteme und Bremsen. Aber nicht nur das: Ein Forscherteam der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und der Hochschule für Wirtschaft und Ingenieurwissenschaften des Kantons Waadt unter Federführung der ETH Lausanne setzt auf einen unauffälligen Bestandteil des Schienensystems, und zwar die Rail Pads aus elastischem Kunststoff, die zwischen Schienen und Betonschwellen stecken. Sie dienen dazu, den Fahrweg aus verdichtetem Schotter und Betonschwellen zu schonen, indem sie den Schienen minimale Bewegungen erlauben – wie bei einer Gitarrensaite, die an mehreren Stellen zugleich auf das Griffbrett gedrückt wird, erklären die Forscher. Doch gerade diese Schwingungsfreiheit lasse die Schiene stärker "klingen" – und das sei bei Geschwindigkeiten zwischen 60 und 160 km/h die entscheidende Lärmkomponente.
Rail Pads bestehen in der Schweiz meist aus dem harten Kunststoff Ethylenvinylacetat (EVA). Zwar würde ein weicheres Material den Fahrweg noch besser schonen – aber zum Preis einer höheren Lärmbelastung. Eine Zwickmühle also, die das Team mit einem Verbundmaterial lösen will. Die Idee: harte Schale, weicher Kern. Eine Hülle also aus EVA und ein Kern aus dem weichen Werkstoff Polyisobutylen (PIB), dessen Dämpfung präzise auf den Frequenzbereich von etwa 200 bis 2.000 Hz abgestimmt ist, in dem die Schwingungen besonders geräuschintensiv sind.
Die Simulation zeigt die hochskalierte Verformung der Schiene auf den Betonschwellen.
HEIG-VD
Die Wissenschaftler entwarfen dafür Dutzende Varianten: Sandwich-Strukturen aus flachen Schichten – mit und ohne Deckel aus EVA. Zick-zack-geformte PIB-Füllungen, Oberflächen mit Einschnitten und viele weitere. Das komplexe Zusammenspiel zwischen Schienen, Schwellen und Schotter simulierten sie im Labor mit einem Stückchen Fahrweg, der sogenannten Drei-Schwellen-Einheitszelle: knapp zwei Meter lang, versehen mit einem Shaker, der definierte Frequenzen erzeugt, und einer Sonde, die die Schallintensität misst. Zugleich entwickelte ein Team um Bart van Damme von der Empa-Abteilung Akustik / Lärmminderung eine Simulation des Systems mittels Finite-Elemente-Methoden, die mit den Resultaten der Experimente gut übereinstimmte.
Damit hatten die Forscher eine Basis, um das Verhalten auf eine längere Bahnstrecke hochzurechnen. Ein PIB-Anteil von über 50 %, eingelegt in eine Schale aus einem harten EVA-Kunststoff, erwies sich letztlich als beste Lösung, um das Gleisbett zu schonen und zugleich Lärm zu mindern. Empa-Abteilungsleiter Jean-Marc Wunderli: "Da für die Herstellung der Zwischenlagen keine nennenswerten Mehrkosten erwartet werden, erhoffe ich mir einen großflächigen Einsatz und damit einen bedeutenden Beitrag zur Reduktion des Bahnlärms."
Künstliche Intelligenz für Ampelanlagen
Am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), Institutsteil für industrielle Automation (INA) in Lemgo realisierten Forscher um Holger Flatt und Andreas Bunte im soeben abgeschlossenen Projekt KI4LSA eine intelligente Ampelsteuerung mithilfe künstlicher Intelligenz. Ihr Ziel war es, die Verkehrsbelastung und damit auch den vom Verkehr ausgehenden Lärm zu reduzieren. Selbstlernende Algorithmen sollen in Kombination mit neuer Sensorik künftig für einen besseren Verkehrsfluss sowie kürzere Wartezeiten sorgen.
Aktuelle Ampelsteuerungen sind regelbasiert, und starre Regeln passen nun einmal nicht auf alle Verkehrssituationen. Zudem bilden die vorhandenen Sensoren – in den Asphalt eingelassene Induktionsschleifen – die Verkehrssituation nur grob ab. Anstelle der herkömmlichen Sensoren implementierten die Wissenschaftler am Fraunhofer IOSB-INA hochauflösende Kamera- und Radarsensorik, die das Verkehrsgeschehen präziser erfasst. Die Anzahl der wartenden Fahrzeuge an der Kreuzung kann so spurgetreu in Echtzeit aufgenommen werden. Auch die durchschnittliche Geschwindigkeit der Autos und die Wartezeit werden detektiert. Die Echtzeit-Sensorik wird mit künstlicher Intelligenz kombiniert, die die starren Steuerungsregeln ersetzt. Dafür nutzt die KI Algorithmen des Deep Reinforcement Learning (DRL).
Künstliche Intelligenz ermöglicht eine vorausschauende Ampelschaltung, die Lärmemissionen im Kreuzungsbereich um 15 bis 20 % reduziert.
Fraunhofer IOSB-INA
Diese Methode des maschinellen Lernens konzentriert sich darauf, intelligente Lösungen für komplexe Steuerungsprobleme zu finden. "Wir haben von der Lemgoer Kreuzung, an der unsere Tests stattfinden, ein realitätsgetreues Simulationsmodell gebaut und die KI in diesem Modell unzählige von Iterationen trainieren lassen. Zuvor haben wir das gemessene Verkehrsaufkommen zur Rushhour in das Simulationsmodell übertragen, sodass die KI mit realen Daten arbeiten kann. Das Ergebnis ist ein per Deep Reinforcement Learning trainierter Agent, ein Neuronales Netz, das die Ampelsteuerung darstellt", erläutert Projektleiter Arthur Müller. Die so trainierten Algorithmen ermitteln das beste Ampel-Schaltverhalten und die beste Phasenfolge, um die Wartezeiten an der Kreuzung zu verkürzen, Fahrzeiten zu senken und den durch Staus entstehenden Lärm und die CO2-Belastung zu senken.
Im Realbetrieb konnte so die durchschnittliche Reisezeit von Fahrzeugen um rund 10 % reduziert werden. Des Weiteren konnte in der Simulation eine Reduktion der Lärmemission von 15 bis 20 % nachgewiesen werden. Und nicht zuletzt, so ein Fazit des Projekts, bietet die von den Lemgoer Forschern untersuchte Lösung den Vorteil, dass sie sich im Unterschied zu bisherigen Ampelsteuerungen aufwandsarm integrieren lässt.