9.3.2 Ergebnisse der unternehmensexternen Experteninterviews
Arbeitsmarktfähigkeit im Wandel
In Verbindung mit der Wichtigkeit des Themas Arbeitsmarktfähigkeit wird angemerkt, dass diese und die damit verbundene Arbeitsmarktmobilität gemäß Studien der große Treiber in der Zukunft sein werde. Arbeitnehmende hätten sich jedoch schon immer mit ihrer Arbeitsmarktfähigkeit auseinandersetzen müssen: „Also, als Individuum, in meinen Augen, hat sich nichts geändert. Das Individuum muss sich verstärkt, vielleicht immer wieder und zwar regelmäßig die Frage stellen, was kann ich, wo will ich hin, bin ich hier am richtigen Ort, was habe ich für andere Möglichkeiten, eine Standortbestimmung […]“ (Experte 3). Dies sei notwendig, weil die Megatrends in der Arbeitswelt es erschweren würden, die eigene Arbeitsmarktfähigkeit aufrechtzuerhalten: „Man muss sich wirklich bewusst sein, dass man dran bleiben muss, und es ist nicht so wie früher, wo es war, als man nach der Lehre sagte, ja gut, jetzt ist die Ausbildungsphase vorbei, jetzt geht es einfach noch 20, 30 Jahre im Job, und ich werde vielleicht im Unternehmen einmal befördert, wenn ich Glück habe […]“ (Experte 1). Die Arbeitnehmenden müssten erkennen, dass sie die Selbstverantwortung für ihre Arbeitsmarktfähigkeit tragen und offen sein für Neues, auch für Unangenehmes. Dazu gehöre, dass sie sich stetig weiterbilden müssten, auch weil die Halbwertszeit von Wissen schneller abnehme als in der Vergangenheit. Dies könne auch dazu führen, dass Arbeitnehmende nicht mehr die Stellen besetzen können, die sie vielleicht gerne besetzen würden. Arbeitsmarktfähigkeit führe neben erweiterten beruflichen Perspektiven auch zu Sicherheit und Ruhe. Ferner werde die Motivation der Mitarbeitenden gefördert, da diese zu Partnern auf Augenhöhe würden, die mitreden, mitbestimmen und sich kritisch einbringen könnten. Um dies zu erreichen, müsse ein Unternehmen sich aber Mühe geben und ein spannendes Arbeitsumfeld bieten, was dann wiederum einen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Mitarbeitenden habe. Diese kann, einhergehend mit den unsicheren Veränderungen in der Arbeitswelt, auch als gefährdet betrachtet werden: „Es ist dieses Unstabile, das Überfordernde, das stetig sich Verändernde, wo die Leute dann nicht damit umgehen können. Was oft die Leute eben auch krank macht“ (Experte 4). Mit diesem Druck, nicht zu wissen, was morgen ist, müssten die Mitarbeitenden in Zukunft jedoch lernen, umzugehen.
Neben den Arbeitnehmenden selbst trage auch die Geschäftsleitung Verantwortung für die Employability der Mitarbeitenden. Diese müsse realisieren, dass etwa im Zuge der Digitalisierung, in der die Prozesse immer schneller werden, auch die Mitarbeitenden agiler werden müssen. Dabei nehme der Personalbereich sicher eine wichtige Rolle ein, trage aber nicht die Hauptverantwortung. Die Unterstützung von Geschäftsleitung und HR-Bereich sei sicherlich wichtig, aber letzten Endes müssten die Arbeitnehmenden selbst erkennen, dass heute bei den gegebenen Entwicklungen ein lebenslanges Lernen nötig und wichtig ist. Es wird außerdem noch darauf hingewiesen, dass auch in Bezug auf eine ganze Branche arbeitsmarktfähige Personen von Bedeutung seien und für alle Unternehmen der Branche eine Win-win-Situation resultieren könne, wenn jedes Unternehmen arbeitsmarktfähige Arbeitnehmende hervorbringe.
Die zukünftigen Kompetenzen, welche für die Erhaltung der Arbeitsmarktfähigkeit notwendig sein werden, konnten von den Befragten nicht genau benannt werden. Diese seien in jeder Branche unterschiedlich und daher müsse dies jeweils situativ betrachtet werden: „Es ist sehr schwierig, festzulegen, mit welchen Kompetenzen halte ich mich jetzt quasi permanent im Markt drin“ (Experte 3). Dies gelte insbesondere bezüglich der fachlichen Kompetenzen. Es zeichne sich aber deutlich ab, dass einige persönliche Kompetenzen wie Anpassungsfähigkeit oder Belastbarkeit an Bedeutung gewinnen würden. Vor dem Hintergrund der Veränderungen in der Arbeitswelt sei besonders die Fähigkeit zur raschen Wissensaufnahme von besonderer Wichtigkeit.
In Bezug auf die Arbeitsmarktfähigkeit werden jüngere Arbeitnehmende im Vorteil gesehen, da sie durch ihre Ausbildung bereits über aktuelles und relevantes Wissen verfügten und gewohnt seien, sich zu verändern. Ein Defizit bei der jüngeren Generation wird bei deren Kenntnisstand in Bezug auf Weiterbildungsmöglichkeiten ausgemacht. Bei den älteren Arbeitnehmenden, die sich vielleicht schon länger nicht mehr weitergebildet hätten, sei es wichtig, dass man diese frühzeitig auf ein erforderliches Qualifikationsniveau bringe, bevor es zu spät und der Job gefährdet sei. Dazu brauche es mehrmals pro Jahr Standortbestimmungen, in denen das Thema Weiterbildung adressiert werde. Ältere und jüngere Arbeitnehmende müssten aber gleichermaßen, wenn auch zielgruppenkonform, durch Förderung ihrer Arbeitsmarktfähigkeit begleitet werden, da deren Erhalt für alle von Bedeutung sei.
Arbeitsmarktbefähigung durch das Human Resource Management
Von großer Bedeutung für die Arbeitsmarktbefähigung der Arbeitnehmenden sei, dass diese informiert und sensibilisiert würden, was heute eher noch vernachlässigt werde: „Ich glaube, die Sensibilisierung und die Information, die ist heute noch nicht gegeben. Und es klingt jetzt vielleicht einfach, aber ich glaube, es wird noch eine Herkulesaufgabe, die Unternehmen dorthin zu bringen“ (Experte 1). Dazu sei das einfachste Mittel, mit den Mitarbeitenden den Dialog zu suchen und sie darüber aufzuklären, was zukünftige Entwicklungen sind und wie sie sich im Unternehmen in der Zukunft am besten positionieren können. Die Arbeitnehmenden sollten auf allen Stufen befähigt werden, sich mit der Employability auseinandersetzen zu können: „Ich glaube, so ein Employability Coaching einzuführen, als wirkliche Kulturmaßnahme in einer Firma, ist das stärkste, was man bislang gesehen hat. Das würde ich jedem empfehlen, dass sie da diesen Einstieg wählen […]. Was dann einmal passiert hinten, wissen wir nicht, auf jeden Fall passieren sehr viele spannende und energetisch positive Geschichten danach“ (Experte 2). Eine Sensibilisierung der Mitarbeitenden sei notwendig, um aufzuzeigen, „[…] dass sich eine Gesellschaft so entwickelt. Dass ich das weiß, dass dies ein Teil, ja, auch von meiner Existenz ist, dass ich mich darum auch kümmere und dass das eben nicht das Unternehmen macht und auch nicht HR“ (Experte 3). Dies gelte vor allem auch für ältere Mitarbeitende, die eine andere kulturelle Prägung erfahren hätten als jüngere. Außerdem seien dabei auch Personen mit einem niedrigeren Qualifikationsniveau besonders zu betrachten: „Es ist die Frage, wie dies bei den tieferen Qualifikationssegmenten ist. Dort wird es natürlich auch mehr an Anstrengungen brauchen, damit man diese Leute irgendwo noch stärker darauf aufmerksam macht“.
Neben der Sensibilisierung und der Information der Mitarbeitenden wird die Aus- und Weiterbildung als wesentlicher Faktor zur Förderung der Arbeitsmarktfähigkeit betrachtet. Unternehmen müssten sicherstellen, dass entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Dies sei im Digitalisierungszeitalter einfacher, da mit deren Unterstützung maßgeschneiderte Angebote für die Arbeitnehmenden erstellt werden könnten. Der Bedarf an Onlinekursen und kleineren, modulartigen Einheiten steige, da mit ihnen die Mitarbeitenden selbstständig entscheiden könnten, was wann absolviert wird. Derzeit gebe es zu wenige Aus- und Weiterbildungsangebote für ältere Mitarbeitende und deren Potenzial in Verbindung mit den Megatrends würde noch zu wenig gesehen werden. Bei der Festlegung des Weiterbildungsangebots müssten zielgruppenbezogene Aspekte wie das Qualifikationsniveau berücksichtigt werden. Einiges dürfte aber für viele Mitarbeitende gleichermaßen zum Tragen kommen. Die Bereitstellung entsprechender Qualifizierungsangebote könne auch im Wettbewerb um Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt einen Vorteil darstellen. Unternehmen, die arbeitsmarktfähige Mitarbeitende hervorbrächten, seien für Stellensuchende attraktiver. Außerdem steigere dies auch die Resilienzfähigkeit eines Unternehmens. Gegebenenfalls könnten sogar Lohnkosten gesenkt werden, wenn Mitarbeitende den Gegenwert der Weiterbildungen einfakturieren.
Bevor Unternehmen operative Maßnahmen bezüglich Employability beschließen, sollten sie sich aus Sicht der Befragten zunächst die Frage stellen, was das Thema Employability eigentlich für sie genau heiße und ob und in welchem Ausmaß das Unternehmen an einer organisationsweiten Arbeitsmarktfähigkeit der Mitarbeitenden interessiert sei und bereit ist, hierfür nachhaltige Investitionen zu tätigen. Die strategische Verankerung von Employability wird als wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Maßnahmenumsetzung gesehen. Dazu gehöre auch, dass sich die Führung die Frage stelle, welche Qualifikationen in Zukunft überhaupt in welcher Quantität gebraucht werden, und dass sie sich der Sinnhaftigkeit von Employability bewusst sei. Eine weitere wichtige Rahmenbedingung ist eine breite Öffnung des Weiterbildungsangebots und ein hoher Stellenwert von Weiterbildung im Unternehmen, der sich zudem in den Werten der Unternehmenskultur niederschlagen sollte. Dazu gehöre auch Ehrlichkeit und Offenheit, was die persönlichen Entwicklungsziele von Mitarbeitenden angehe. Nicht jede und jeder strebe hier einen idealtypischen Entwicklungsverlauf an. Die Expertinnen und Experten verweisen in diesem Zusammenhang erneut darauf, dass im Falle des Nichtvorliegens einer Zweisamkeit der Employability-Förderung durch Unternehmen und Mitarbeitende diese nicht gelingen kann: „Von dem her kann es dann nicht sein, dass der Arbeitgeber die Mitarbeitenden faktisch zwingen muss, sondern es muss dann wirklich ein Geben und ein Nehmen sein“ (Experte 1).
9.3.3 Ergebnisse der unternehmensinternen Analyse
Arbeitsmarktfähigkeit im Wandel
Vor dem Hintergrund der Megatrends sehen die Befragten eine große Relevanz der Arbeitsmarktfähigkeit der Mitarbeitenden: „Am Ende des Tages, wenn sie wettbewerbsfähige Produkte und Dienstleistungen hervorbringen wollen, geht dies nur mit Menschen, die dies möglich machen, die innovativ sind, die kreativ sind, die Qualität liefern, bei aller Offenheit, und das wird sozusagen sehr viel stärker als heute zum bestimmenden Kriterium“ (Experte 2). Im Rahmen der Veränderungen in der Arbeitswelt ergäben sich ferner Implikationen für die Berufe und Aufgaben der Mitarbeitenden: „Die Aufgaben werden sich in Zukunft immer schneller ändern, sodass es vermutlich nicht mehr so sein wird, dass ich, wenn ich in einem Bereich tätig bin, […] dort auch den Rest meines Lebens verbringen kann“ (Experte 1). Für das Unternehmen stelle sich dabei die Frage, ob die Mitarbeitenden die Anforderungen, welche durch die zukünftigen Herausforderungen an das Unternehmen herangetragen werden, erfüllen können. Zukünftig würden Mitarbeitende im Vorteil sein, die eine hohe Lernbereitschaft aufweisen, flexibel und fähig sind, kooperativ bereichsübergreifend Probleme zu lösen.
Im Hinblick auf die Wichtigkeit der Förderung von Employability werden besonders Personen hervorgehoben, die derzeit ein tiefes Ausbildungsniveau haben oder in der Produktion arbeiten, da durch die Automatisierung deren Berufe mit großer Wahrscheinlichkeit verschwinden oder sich verändern werden und eine Umqualifizierung der betroffenen Arbeitnehmenden sich schwierig gestalten könnte. Außerdem werden als wichtige Zielgruppe für eine Verbesserung der Arbeitsmarktfähigkeit auch ältere Mitarbeitende gesehen, welche mit dem Thema Digitalisierung bisher nicht oder kaum in Berührung gekommen sind. Bei diesen müsse berücksichtigt werden, dass sie nicht mit der gleichen Geschwindigkeit neue Inhalte erfassen können, wie ihre jüngeren Teammitglieder. Auch würden sie über eine größere Erfahrung verfügen, die sich positiv auswirken, aber auch dazu führen könne, dass eine Veränderung abgelehnt wird. Letztlich seien aber alle Mitarbeitenden von technologiebedingten Veränderungen betroffen und müssten in Bezug auf ihre Arbeitsmarktfähigkeit gefördert werden, auch wenn jüngere, ausbildungsnahe Mitarbeitende und Mitarbeitende mit Hochschulabschluss Vorteile hätten.
Die trendbedingten Entwicklungen führen gemäß den internen Expertinnen und Experten bereits heute bei den Mitarbeitenden in gewissen Bereichen zu Unsicherheiten darüber, wie sicher ihr Arbeitsplatz in der Zukunft ist, unter anderem auch deshalb, da nicht bei allen Mitarbeitenden die notwendige Veränderungsbereitschaft vorhanden sei, weil Menschen „[…] auch angewiesen sind, neben allen Anforderungen an Flexibilität und Mobilität, doch Familien vor Ort zu gründen, an einem Fleck zu wohnen, eine Heimat zu empfinden“ (Experte 2), und dies zu einem Zwiespalt führen kann, der Konflikte hervorruft. In diesem Kontext sei es „[…] unsere Pflicht als Arbeitgeber, halt auch da Unterstützungsmaßnahmen zu erarbeiten. Sei es durch Coachings, sei es durch Sozialberatung, beispielsweise. Aber halt auch unsere Fürsorgepflicht, zu überlegen, haben wir alternative Jobs. Und was können wir tun als Arbeitgeber, um sie weiterhin arbeitsfähig oder auf dem Arbeitsmarkt nutzen zu können?“ (Experte 3).
Befähigung durch das Human Resource Management
Damit die Förderung der Employability gelingen kann, seien Anpassungen in der Aufbauorganisation des HR-Bereichs notwendig. So müsse die Rolle des Businesspartners mehr eine beratende Funktion der operativen Einheiten einnehmen. Zudem müsse der Personalbereich mehr auf die Themen „Recruiting“ und „Learning and Development“ fokussieren können. In Bezug auf Letzteres müsse der Businesspartner als Coach und als Navigator in der Lernlandschaft auftreten. Dabei sei es wichtig, dass die Businesspartner eine stärkere Verbindung zum Erfolg der Mitarbeitenden aufbauen. Um dies zu gewährleisten, müssten Reporting- und Controllingaufgaben in datenbasierte, digitale Lösungen übergehen. Die Arbeitsmarktbefähigung der Mitarbeitenden ist wesentlich abhängig vom Learning-and-Development-Programm. Der HR-Bereich sollte regelmäßig GAP-Analysen und Standortbestimmungen mit den Mitarbeitenden durchführen und darauf aufbauend Entwicklungsmaßnahmen definieren. Jedoch bedürfe es hier in der Unternehmensgruppe bei der Umsetzung Anpassungen, weil „[…] wenn ich jetzt schaue, sind wir sehr stark funktionsbezogen. Es gibt Trainings im Controlling, Trainings spezifisch für Projektmanagement. Aber ehrlich, gibt es Trainings für lebenslanges Arbeiten, wie behalte ich die Flexibilität, wie lerne ich kontinuierlich, welche Lernformen gibt es? Dies wird noch relativ wenig angeboten und steht nicht im Fokus“ (Experte 3). Im Hinblick auf die zukünftigen Herausforderungen müsse das HRM ferner auch neue Ansätze wie die generationenübergreifende Zusammenarbeit berücksichtigen.
Die Befragten sind sich einig, dass eine wichtige Voraussetzung der Arbeitsmarktbefähigung ist, dass die Mitarbeitenden verstehen, dass sich die Welt und das Unternehmen in einem starken und rasanten Wandel befinden. Wenn Arbeitnehmende daran teilnehmen und den Wandel mitgestalten wollten, müssten sie selbst wandlungsfähig sein und die Bereitschaft haben, sich jederzeit selbstständig neues Wissen anzueignen. Dazu gehöre, dass sich die Arbeitnehmenden genau darüber informieren, was im Unternehmen bezüglich Weiterbildung angeboten wird. Vorher sollten sie aber für sich definieren, wo ihre eigenen Fähigkeiten angewandt werden können und sie sich zutrauen, zu wachsen. Arbeitnehmende müssten Employability für sich entdecken und lebenslanges Lernen als Teil von sich erkennen. Aufgabe vom Unternehmen sei es, dies kommunikativ aufzuzeigen: „Was jetzt kommen wird, ist, dass das ganze Thema Learning auch noch einmal […] kommuniziert wird. […] Um einfach da auch den Fokus darauf zu geben, zu sagen, da geht die Reise hin, da sehen wir die Herausforderungen und das ist auch unser Angebot“ (Experte 1).
Die Befragten verweisen darauf, dass das Team, die Führungskräfte und das oberste Management gemeinsam die Verantwortung für die Employability der Mitarbeitenden zu tragen hätten und der HR-Bereich hierbei als Consultant, Supporter oder Dienstleister unterstützen muss. Durch regelmäßige Thematisierung sollte ein Bewusstsein für Arbeitsmarktfähigkeit im Unternehmen entwickelt werden. Diese Notwendigkeit wird auch außerhalb der Unternehmensgrenzen gesehen: „Aber halt auch durch die Gesellschaft, also auch über das Unternehmen hinaus, muss das Thema Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, mehr und mehr gepusht werden“ (Experte 3). In Bezug auf die Verantwortung der Führungskräfte ist es gemäß den befragten Expertinnen und Experten wichtig, dass diese den Wandel unterstützen, als Vorbilder auftreten und ihre Mitarbeitenden motivieren. Daneben stellten die Gestaltung der Entlohnung, die Freiheitsgrade und die Kriterien für die Beförderung weitere wichtige Elemente zur Arbeitsmarktbefähigung dar. Die Themen „Veränderungsbereitschaft“ und „Flexibilität“ sollten auch im Kompetenzmodell des Unternehmens aufgenommen werden. Dazu gehöre, dass die Thematik „Arbeitsmarktfähigkeit“ in die typischen HR-Instrumente integriert und dadurch regelmäßig angesprochen werde. Es sei aber auch wichtig, dass das Unternehmen das starre Funktionsstellendenken aufhebe und den Mitarbeitenden Querwechsel ermögliche, um so verschiedene Funktionen kennenzulernen.
In Bezug auf die Rolle des Human Resource Managements bei der Förderung der Employability von Mitarbeitenden haben die Befragten auf den ersten Blick unterschiedliche Ansichten. Hinsichtlich der hohen Relevanz des HRM für eine Arbeitsmarktbefähigung der Mitarbeitenden sind sie sich aber einig. So wird etwa prognostiziert, dass die Wichtigkeit der Rolle des HRM durch automatisierte Systeme, die den Anteil des standardisierten administrativen Geschäfts verringern, abnehmen wird. Gleichzeitig bestünde der Bedarf, mehr in neue Strukturen im HR zu investieren und HR als wichtigeren Bestandteil bei der Erfüllung der Strategie anzuerkennen, da „Köpfe“ in der Zukunft noch viel entscheidender sein würden als Maschinen oder Anlagen. Eine andere Perspektive sieht das HRM auch in seiner bisherigen Form als das Herz, respektive den Antreiber des Themas „Employability“ und als wichtigsten Befähiger und Informant für Führungskräfte und Mitarbeitende.
Herausforderungen bei der Förderung von Employability im Unternehmen resultieren laut der Befragten, wenn die erforderliche Motivation und Grundhaltung von Arbeitnehmenden nicht gegeben ist. Dann sollten Investitionen in die Arbeitsmarktfähigkeit situativ hinterfragt werden. Außerdem beschäftige sich das Unternehmen momentan noch zu stark mit dem Heute und zu wenig mit der Zukunft. Ein kommunizierbares Zukunftsbild sei noch gar nicht richtig bekannt, was eine zukunftsgerichtete Befähigung der Mitarbeitenden erschwere. Das Unternehmen agiere vorsichtig und sei auch etwas überfordert, weil nur wenige (digitalisierungs-)trendbasierte Erfahrungswerte vorhanden seien. Aber auch, weil die Zeit fehle und der Alltagsstress es nicht zulasse, sich mit dem Thema mit der nötigen Konsequenz auseinanderzusetzen.
Implikationen für das Human Resources Management
Für das HRM der Zukunft wird seitens der Expertinnen und Experten der Bedarf erkannt, dass der HR-Bereich das Kerngeschäft noch besser versteht und weiß, welche Kompetenzen und Fähigkeiten hierfür erforderlich sind. Auch in Bezug auf die Rollen innerhalb des HRM müsse Klarheit darüber bestehen, welche Kompetenzen und Fähigkeiten benötigt werden, um die Navigationsrolle im Bereich Learning and Development wahrzunehmen. Voraussetzung hierfür sei eine entsprechende technische Unterstützung.
Vor dem Hintergrund der rasanten Veränderungen in der Arbeitswelt scheint aus Expertensicht auch eine systematische, strategische Priorisierung erforderlich, welche es ermöglicht, schneller auf neue Umstände zu reagieren. Dies sei insofern wichtig, weil „[…] das Budget nicht wachsen wird“ (Experte 1). Voraussetzung für diese Priorisierung sei eine gute Strategie und eine entsprechende Unternehmens- und Führungskultur, die eine klare Fokussierung auf den Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit der Mitarbeitenden in der Zukunft ermöglicht. Ein weiterer Ansatzpunkt, frühzeitig auf Anpassungserfordernisse durch die Megatrends zu reagieren, ist die Motivation und Förderung der älteren Mitarbeitenden, da deren Bedeutung in Verbindung mit dem zunehmenden Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt steigt. Damit einher geht generell eine höhere Relevanz von Diversity im Sinne einer Kombination von Fähigkeiten, Altersgruppen, Geschlechtern und Kulturhintergründen zur gemeinsamen Entwicklungsbewältigung.
Mit Blick nach außen werden seitens der Befragten auch bei der Rekrutierung wichtige Ansatzpunkte für die Arbeitsmarktfähigkeit der zukünftigen Belegschaft gesehen. Bereits hier sollte verstärkt darauf geachtet werden, dass Grundfähigkeiten wie Veränderungsbereitschaft und Lernwilligkeit bei Bewerbenden vorhanden sind und diese Personen auch bereit sind, diese Fähigkeiten im Unternehmen weiterzuentwickeln. Auch müsse mehr darauf geachtet werden, dass die Verbindung der Menschen mit der Strategie stimme: „Wenn ich nicht verstehe, wo das Unternehmen hinläuft, auch wenn es vielleicht nicht explizit formuliert ist, wo bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten sich hin entwickeln, kann ich auch nicht die Menschen anziehen, beschäftigen, einstellen, die es braucht, um diese Pläne umzusetzen“ (Experte 2). Damit einher gehe die große Relevanz der Pflege des Kontakts zu potenziellen Mitarbeitenden und zu solchen, die über erfolgskritisches Wissen verfügen, aber das Unternehmen verlassen haben. Auch die außen- und innenrelevanten Kriterien für Beförderung und Entlohnung müssten überdacht werden. Diese sollten zukünftig stärker berücksichtigen, in welchem Umfang jemand Veränderung forciert hat, Risiken eingegangen ist und Fehler gemacht hat, mit dem Ziel, zu innovieren.
9.3.4 Gruppenverfahren
Die drei Personalprozessverantwortlichen der Schweizer Unternehmensgruppe bewerten die Resultate der Experteninterviews grundsätzlich als relevant und hilfreich für die Tochterunternehmen. Sie betonen in dem Zusammenhang die besonders große Bedeutung der Digitalisierung als Megatrend, da in einigen Werken der Tochterunternehmen der Automatisierungsgrad, der technisch möglich wäre, noch nicht realisiert wurde. Hierfür müsse auch ein grundsätzliches Mindset entwickelt werden, das eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Arbeitswelt ermögliche und die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden betone. Dies sei einer der ersten wichtigen Schritte, die auch im Bewusstsein unternommen werden müssten, dass nicht alle Menschen gleichermaßen eigeninitiativ und selbstverantwortlich an ihrer Kompetenzentwicklung arbeiten können und wollen. Einige müssten hierfür erst befähigt werden. Dabei gelte es vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen abzuwägen, wo eine Entwicklungsförderung am wertvollsten sei. Hinsichtlich der zukünftig erforderlichen Kompetenzen werde das vernetzte Denken eine bedeutende Rolle einnehmen, um sich mit den komplexen Gegebenheiten der Zukunft auseinandersetzen zu können. Gerade im Hinblick auf diese Fähigkeit sieht die Diskussionsgruppe bei den jüngeren Arbeitnehmenden noch Entwicklungsbedarf, da vernetztes Denken im heutigen Bildungssystem nicht genügend gefördert werde. Ein zweiter besonders wichtiger Aspekt für die Zukunft sei menschliche Empathie und Emotion, die von Maschinen nicht imitiert werden könnten. Im Konzern selbst sei ein sehr breites Aus- und Weiterbildungsangebot verfügbar, das von der Schweizer Unternehmensgruppe genutzt werden könne, aber auf die Eignung für die Mitarbeitendengruppen vor Ort hin überprüft werden müsse. Vor dem Hintergrund der externen Befragungen sehen die internen Expertinnen und Experten der Triangulationsgruppe verschiedene zusätzliche Hürden für eine Arbeitsmarktbefähigung. Die Führungskräfte müssten sich mehr mit dem Thema Mindsetchange ihrer Mitarbeitenden auseinandersetzen. Auch hätten die Mitarbeitenden einen hohen Leistungs- und Kostendruck, was im Hinblick auf die Teilnahme an Weiterbildungsanlässen zu gewissen Hemmschwellen führen könne. Ein Unternehmen müsse sich diesbezüglich unbedingt die Frage stellen, was Employability für Arbeitszeit und Arbeits- und Kostendruck bedeute. Auch im Recruiting gäbe es aktuell einen großen Widerspruch, den es zu lösen gelte. So sei eigentlich bekannt, dass Mitarbeitende benötigt werden, die flexibel, kreativ und anpassungsfähig sind und sich schnell auf neue Situationen einstellen können. Aber die aktuelle Rekrutierungspraxis sei nach wie vor dominiert von der Suche nach Personen mit Fachexpertise, die es so vielleicht in ein paar Jahren gar nicht mehr brauche.