Eine agile Organisation arbeitet kundenzentrierter und sorgt so für bessere Produkte und Services. Daher steht das Thema auch bei vielen Banken auf der Agenda. In Deutschland zeigen vor allem kleinere Häuser, welche Maßnahmen Erfolg versprechen und wie deren Umsetzung in der Praxis gelingt.
Die Finanzbranche steht unter großem Innovationsdruck durch den wachsenden Wettbewerb. Deshalb wollen viele Unternehmen ihre Agilität verbessern.
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"Aufgrund der veränderten Kundenerwartungen, des zunehmenden Wettbewerbs und der technologischen Veränderungen ist das Thema Agilität bei Banken angekommen", erklärt Axel Steudle mit Blick mit Blick auf das Kundenbeziehungsmanagement in Banken (Seite 57 f.). "Das Festhalten der etablierten Banken an bestehenden Prozessen und Abläufen hat neue agile Wettbewerber […] entstehen lassen", so der Springer-Autor weiter. Der Nachholbedarf sei bei den traditionellen Instituten besonders groß, da in den vergangenen Jahren nur wenige Veränderungen, ungeachtet des erkennbaren Paradigmenwechsels hin zu einer zentrierten Kundenfokussierung, stattgefunden haben.
In einer sich rasch verändernden Welt sichert aber Anpassungsfähigkeit das Überleben, bringt es Stefan Terliesner in seinem Bankmagazin-Titelbeitrag (Ausgabe 10 | 2022) auf den Punkt. "Der Schlüssel, um in einem solchen Marktumfeld Erfolg zu haben, heißt Agilität." Doch oft sei unklar, was genau damit gemeint ist. "Für Robert Seibert ist es 'die Fähigkeit von Individuen, Teams und Organisationen, kundenzentriert, schnell und flexibel agieren zu können'", zitiert Terliesner den Manager der Strategie-, IT- und Managementberatung Zeb.
Banken arbeiten weltweit an agilen Organisationen
Und offenbar sind sich auch viele Banken dieser Notwendigkeit bewusst. Das belegt eine internationale Umfrage des Beratungshauses Publicis Sapient, für die im Frühjahr 2022 mehr als 1.000 leitende Bankmanager und Führungskräfte Rede und Antwort standen. Der Studie zufolge verfügen 20 Prozent der teilnehmenden Banken aus insgesamt 14 Ländern über ein vollständig agiles Organisationsmodell inklusive bereichsübergreifender Zusammenarbeit, dezentralen Strukturen, Echtzeit-Datenzugängen sowie einer adaptiven Unternehmenskultur. 37 Prozent der Institute haben bereits partiell die Umsetzung vorangetrieben.
Für Tracy Kerrins, CIO Consumer Technologies Wells Fargo, liegt der Vorteil klar auf der Hand: "Mit Agilität skaliert man schnell und liefert letztendlich bessere Produkte für Kunden", betont sie in der Studie. Dennoch wurde in 41 Prozent der befragten Geldhäuser bislang erst in einzelnen Bereichen mit der Umsetzung entsprechender Strukturen begonnen. Bei wenigen Unternehmen (zwei Prozent) liegen derzeit sogar nur Pläne vor.
"Agil im Sinne von flexibel, variabel, lebhaft, beweglich und initiativ bedarf einer Konzeption auf höchster Führungsebene. Das heißt, die Strategien der Banken müssen überdacht und neu formuliert werden", postuliert Springer-Autor Steudle. Und das immer mit Blick auf den Kunden.
Wandel gelingt kleineren Banken schneller
Als Beispiele für Geldhäuser mit vergleichsweise hoher agiler Reife führt Terliesner im Bankmagazin die Sparkasse Bremen, die Weser-Elbe Sparkasse, die Volksbank Mittelhessen sowie die ING Deutschland an. Dass eher kleinere Institute an der Spitze der Bewegung stehen, sei laut Julia von Spreckelsen und Andreas Mittel, beide Partner bei der Beratungsgesellschaft Bearing Point, liegt an "der begrenzten menschlichen Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit vielen Individuen", so der Autor.
Laut Agile Consultant Eliza Manolagas von der ING Deutschland gehe es darum, den Mitarbeitern mehr Eigenverantwortung zu übertragen und ein Führungsverständnis zu etablieren, das auf Vertrauen und Transparenz, aber auch dem richtigen Maß an Linienführung besteht. Damit Arbeitsmethoden wie Scrum und Kanban bestmöglich greifen, habe die Bank die gesamte Organisation neu strukturiert und insbesondere die Fachbereiche mit der IT enger verzahnt, schildert Terliesner das Konzept.
Vorstand setzt Rahmen, Mitarbeiter liefern Ideen
Seit 2019 befindet sich auch die Weser-Elbe Sparkasse in der agilen Transformation. "Wir haben im Vorstand gespürt, dass wir mit den etablierten Methoden 'Ziele rauf, Kosten runter' nicht mehr weiterkommen", erläuterte ihm Vorstandschef Peter Klett. "Zunächst hat der Vorstand Leitgedanken zu Führung, Teamarbeit, Innovation, Kommunikation und Fehlerkultur entwickelt. Sie bilden gewissermaßen das Feld, das dann von den Mitarbeitenden selbst bespielt werden konnte. Dann haben wir diese aufgerufen, an Zukunftswerkstätten und Design Thinkings teilzunehmen."
Bei der Sparkasse sei der Vorstand überrascht gewesen, welche kreativen Ideen entstehen, "wenn den Mitarbeitenden Freiräume und Vertrauen geschenkt werden und diese dann mutig und eigenverantwortlich agieren". Diese hinterfragten Prozesse, nahmen die Sichtweise von Kunden ein und durchbrachen so gewachsene Strukturen. Schließlich folgten Prozessverbesserungen im Sinne des Kunden. Statt der bisher notwendigen 14 Unterschriften bei einer Namensänderung nach der Heirat ist nun nur noch eine Signatur des Kunden nötig.
Allerdings stehe das Institut laut Klett mit seinen Bemühungen trotz der bereits erzielten Erfolge erst am Anfang eines "tiefgreifenden Wandels". "Seit Januar 2020 unterstützen vier ausgebildete Coaches die Mitarbeitenden auf dem Weg in eine agile Welt. Und seit Anfang 2022 begleitet eine neu etablierte Einheit, das Change Team, die Transformation der Sparkasse und sorgt für Transparenz und Priorisierung der bearbeiteten Themen", beschreibt Terliesner die Entwicklungen in der Bank.
Lösungsentwicklung liegt in Projektgruppen
Für Philipp Stein, Generalbevollmächtigter bei der Volksbank Mittelhessen, ist Selbstorganisation in Teams unabdingbar, um beim Kundenerlebnis schneller voranzukommen. Gestartet sei die Bank vor vier Jahren mit einem Change-Portfolio. Weitgehend nach dem Bottom-up-Prinzip in insgesamt 45 Handlungsfeldern identifiziert worden, an welcher Stelle ein Kundenerlebnis verbessert werden muss und wo sich Kosten senken lassen.
Dabei sei die Verantwortung für die Ideenfindung, Lösungsentwicklung und Umsetzung vollständig an die Mitarbeitenden abgegeben worden. Die 45 Projektgruppen seien fachbereichsübergreifend mit Teammitgliedern besetzt worden. War eine Projektgruppe von einer Lösung überzeugt, wurde das Konzept dem Vorstand vorgestellt und bei Zustimmung sofort umgesetzt.
"Solche Beispiele belegen, dass auch etablierte Geldhäuser in kurzer Zeit brachliegenden Mehrwert für ihre Kundinnen und Kunden aufspüren und mit einem Produkt adressieren können, eben mithilfe agiler Teams. Ohne Struktur oder gar chaotisch geht es dabei keineswegs zu", betont Terliesner.