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1999 | OriginalPaper | Chapter

Analysefeld 2: Kontextgestaltung von TA

Authors : Prof. Dr. Jürgen Weber, Dr. Utz Schäffer, Dirk Hoffmann, Titus Kehrmann

Published in: Technology Assessment

Publisher: Gabler Verlag

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In diesem Kapitel befassen wir uns mit der Kontextgestaltung von TA (Analysefeld 2) und bewerten vor diesem Hintergrund die deutsche TA-Szene, wie sie sich aus der Bestandsaufnahme heraus darstellt. Eine individuelle Beurteilung einzelner Institute ist nicht Ziel dieser Studie. Um die Frage nach der Kontextgestaltung von TA beantworten zu können, muß vorab geklärt sein, wie gegenwärtig die Koordination von TA-Nachfrage und Angebot erfolgt: selbststeuernd auf einem freien Markt oder, als anderes Extrem eines Kontinuums, durch zentrale Lenkung einer übergeordneten Instanz.Von einem TA-Markt kann in Deutschland nicht gesprochen werden: Die Nachfragestruktur nach TA weist ausgeprägt monopsonistische Züge auf. TA findet im wesentlichen als Politikberatung staatlicher Organe statt. An dieser Nachfragestruktur spiegelt sich eine fragmentierte TA-Anbieterlandschaft, die im Regelfall durch öffentliche Fördermittel alimentiert wird. Neben einigen größeren spezialisierten TA-Einrichtungen gibt es eine Vielzahl kleinerer Akteure mit einem breiten Forschungsspektrum außerhalb von TA (Zurechnungsproblem). Die Industrie als zentraler Träger der technologischen Innovationstätigkeit und “Wissensspeicher” ist nur marginal involviert; Kooperationen zwischen (TA-)Forschung und Praxis sind bisher eher Einzelfälle.Der Staat findet sich in der deutschen TA-Landschaft also in einer Doppelrolle wieder: als Hauptnachfrager und Kontextgestalter. Aufgrund der Charakteristika des Produkts TA hat er auch ein hohes Eigeninteresse, den Erstellungsprozeß maßgeblich mitzugestalten. Seine Kontextgestaltungsaufgabe läßt sich — analog zur Koordination im Unternehmen — in fünf Dimensionen abbilden. Die Ergebnisse unserer Analyse zeigen deutlich, daß in einer statischen Betrachtung auf allen Ebenen erhebliche Koordinationsdefizite vorliegen: Unklare Zielfunktion und mangelnde Transparenz werden neben unsystematischer Organisation, sporadischer Kontrolle und ungenügenden Anreizsystemen als wesentliche Ursachen für den unbefriedigenden Zustand identifiziert. Einige der Mängel sind dabei, wie ein Blick in die TA-Literatur zeigt, der TA- Szene selbst offensichtlich schon lange bekannt, wurden jedoch bisher keiner strukturierten und “über den Tellerrand” blickenden Analyse zugeführt. Dies kann, überleitend zur dynamischen Analyse, auch als Indiz mangelnder Lernfähigkeit der Szene interpretiert werden. Die Untersuchung der Wirkung dieser Koordinationsdefizite über den Zeitverlauf offenbart einen “Teufelskreislauf” aus sinkender Qualität von TA-Forschungsergebnissen, mangelndem Einfluß auf Entscheidungsprozesse, sinkender Attraktivität für Akteure und nachlassender Reputation, in dem sich die weitgehend abgeschottete deutsche TA- Szene (“closed Shop”) heute befindet. Die Abwesenheit von Markt- und Wettbewerbsmechanismen und die konstante Alimentierung der Szene durch die öffentliche Hand konnten bislang einen Zusammenbruch dieses selbstverstärkenden Kreislaufs verhindern. Zaghafte Reformversuche setzen an einzelnen Schwachpunkten an; ein schlüssiges Gesamtkonzept fehlt bisher.Die supranationale europäische TA hat, in der Ergebnisbeurteilung, weitgehend Symbolcharakter. Konstatierte Koordinationsdefizite weisen deutliche Parallelen zu denen auf nationaler Ebene auf: Keine abgestimmte Themenplanung, unklare Aufgabenverteilung bei Abwesenheit von selbstregulierenden Marktmechanismen, mangelhafte Transparenz und schlecht organisierter Wissenstransfer, fehlende endogene bzw. exogene Qualitätskontrolle und schließlich keine wirksamen Anreizmechanismen, um die besten Akteure für TA gewinnen zu können.Aus der kurzen europäischen Analyse lassen sich damit keine direkten übertragbaren “Best Practices” ableiten; im Gegenteil, gegenwärtig wird die deutsche Abschottung durch den schlechten europäischen Zustand eher noch genährt.Aus der kritischen Würdigung ergibt sich umfassender Handlungsbedarf:Naheliegende Konsequenz des dauerhaft schlechten Zustandes der deutschen TA-Szene ist aus ökonomischer Perspektive die mittelfristige Rückführung der (quasi-) institutionellen Förderung und gleichzeitig das “Aufbrechen” der TA-Szene. Dazu gehört erstens, einen übergreifenden Diskussionsprozeß und Informationsaustausch zwischen der etablierten TA-Community und übrigen Stakeholdern zu init?eren. Zweitens müssen in der TA-Szene selbst gezielt Wettbewerbselemente eingeführt werden, um mittelfristig zu einer selbständig tragfähigen Struktur in der deutschen TA zu gelangen. Zu diesem Zweck ist es vorrangige Aufgabe, die beschriebenen Koordinationsdefizite abzubauen. Über die erzwungene Öffnung der Szene und die damit verbundene Erweiterung der Anbieter-/Nachfragerlandschaft könnte auch die Politikberatung qualitativ gestärkt werden.

Metadata
Title
Analysefeld 2: Kontextgestaltung von TA
Authors
Prof. Dr. Jürgen Weber
Dr. Utz Schäffer
Dirk Hoffmann
Titus Kehrmann
Copyright Year
1999
Publisher
Gabler Verlag
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-82286-4_5