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14-09-2021 | Arbeitsrecht | Schwerpunkt | Article

Dax-Aufsichtsräte zwischen Fort- und Rückschritt

Author: Annette Speck

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Im Leitindex Dax tut sich einiges: Mit der Erweiterung zum Dax 40 sind in einem Viertel der Dax-Aufsichtsräte keine Arbeitnehmenden mehr vertreten. Und auch die Frauenquote sinkt. Sieht so der Fortschritt aus?

Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands wird zuweilen gefürchtet und geneidet, oft auch bewundert. Ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor ist dabei das im internationalen Vergleich einmalige Mitbestimmungsgesetz. Es sieht die paritätische Mitbestimmung der Beschäftigten in den Aufsichtsräten großer Unternehmen vor. Häufig trägt es dazu bei, den Betriebsfrieden zu sichern, gerade auch in schwierigen Zeiten wie etwa der Finanzkrise 2009 oder aktuell der Corona-Pandemie.

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Untersuchungsgegenstand: Der Aufsichtsrat im Unternehmen

Zur Annäherung an den Untersuchungsgegenstand Aufsichtsrat sollen zunächst die Besonderheiten des deutschen Aufsichtsrats dargelegt werden (Kapitel 2.1), bevor ein kurzer Überblick über die Wahl des Überwachungsgremiums gegeben werden kann …

Der Einfluss der Arbeitnehmenden sinkt

Doch der Einfluss der Arbeitnehmenden in den Aufsichtsräten der größten deutschen börsennotierten Unternehmen nimmt ab, wie die Dax 30 Aufsichtsratsanalyse 2021 von Russel Reynolds Associates belegt. Während im Jahr 2015 in allen Aufsichtsräten der Dax- 30-Unternehmen noch Arbeitnehmervertreter saßen, traf dies im Juli 2021 nur noch für 26 von ihnen zu. Seit nun der Leitindex Dax von 30 auf 40 Unternehmen aufgestockt wurde, sinkt der Anteil paritätisch mitbestimmter Dax-Unternehmen von 87 auf 70 Prozent. Und für den M-Dax, der gleichzeitig von derzeit 60 auf 50 Unternehmen verkleinert wird, zeichnet die Analyse ein noch düsteres Bild: Seit 2016, als es bei 50 Mitgliedern im M-Dax zwölf Unternehmen ohne Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gab (24 Prozent), hat sich deren Zahl bis 2021 auf 26 von inzwischen 60 Mitgliedern erhöht (43 Prozent).

Der Ausweg aus der Mitbestimmung heißt SE

Einen Grund für den Schwund der Arbeitnehmervertreter in den Dax-Aufsichtsräten sehen die Autoren der Analyse in der zunehmenden Internationalisierung des Dax. Weil Kapitalgesellschaften sich heute vielfach für die europäische Rechtsform Societas Europaea (SE) entscheiden, unterliegen sie nicht dem deutschen Drittelbeteiligungs- oder Mitbestimmungsgesetz, wie etwa das schon bisherige Dax-Unternehmen Vonovia SE und der Dax-40-Neuling Hello Fresh SE. Auch für Konzerne, die ihren Sitz im Ausland haben, gelten die Regeln nicht; beispielsweise für den in den Niederlanden beheimateten Dax-40-Einsteiger Airbus.

Thomas Tomkos, Leiter der Deutschen Board Practice von Russell Reynolds Associates sieht zwar die wirtschaftliche Notwendigkeit der Internationalisierung, gibt jedoch zu bedenken: “Es muss hinterfragt werden, ob damit das durchaus erfolgreiche deutsche Modell der Mitbestimmung schleichend ausgehebelt wird.“

Mitbestimmung nicht der Modernisierung opfern

Umfassendere Bedenken im Hinblick auf die Auswirkungen von Globalisierung, Digitalisierung sowie der örtlichen und zeitlichen Entgrenzung der Arbeit äußert der Rechtswissenschaftler Joachim Heilmann. In dem Beitrag “Änderungsbedarf im Arbeitsrecht“ in der “Zeitschrift für Arbeitswissenschaft“ weist er darauf hin, dass es schließlich darum gehe, “die menschengerechte Gestaltung der Arbeit zu garantieren oder wenigstens weitestmöglich anzustreben.“ (Seite 150)

Traditionell schlägt hier die Stunde der Beschäftigtenvertretungen, also der Betriebsräte und Gewerkschaften. Doch angesichts weltweit verzweigter Unternehmen und der Flexibilisierung der Arbeit mit Mitarbeitenden in Homeoffice und Co-Working-Büroplätzen, Gig-Workern, Leiharbeitern und (Schein-)Selbständigen fehlt Beschäftigten zunehmend die Möglichkeit, sich zu organisieren.

Für Heilmann ist daher klar: “Im Zuge fortschreitender Überwälzung wirtschaftlicher Risiken auf Beschäftigte ergibt sich als konsequente Folge die Forderung nach stärkeren wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechten der Interessenvertretungen. Nur so ist zu verhindern, dass wesentliche Arbeitsbedingungen auf diesem Wege aus dem betrieblich mitbestimmten Umfeld tendenziell verschwinden.“ Reformbedarf besteht ihm zufolge im Betriebsverfassungsgesetz. Zahlreiche “Baustellen“ sprächen zudem für ein neues Mitbestimmungsrecht, in welches das Mitbestimmungsgesetz von 1976 einzubeziehen sei. (Seite 180)

Frauen oft ohne einflussreiche Posten

Darüber hinaus sind – trotz Frauenquote – auch die Erkenntnisse der Aufsichtsratsanalyse zur Genderzusammensetzung der Aufsichtsräte nicht ermutigend: Obwohl 27 neue Frauen gewählt wurden (neun im Dax 30, 18 im M-Dax) stieg der Frauenanteil im Dax 30 demnach nur unwesentlich und sank im M-Dax sogar. Mit den neuen Mitgliedern im Dax 40 sinkt der Frauenanteil erstmals seit über zehn Jahren.

Beim Anteil der Frauen als Vorsitzende des Aufsichtsrats oder von Ausschüssen sind ebenfalls keine Fortschritte zu bemerken: So gab es im Dax 30 lediglich eine Aufsichtsratsvorsitzende, im Dax 40 sind es nun drei.

Die positive Entwicklung der letzten Jahre zu mehr Frauen im Top-Management und in den Aufsichtsräten bekommt durch die Erweiterung einen deutlichen Dämpfer. Der M-Dax, aus dem sich die Aufsteiger rekrutieren, hinkt bei der Beteiligung von Frauen an Top-Positionen schon länger der ersten Liga der Börsenunternehmen hinterher." Jens-Thomas Pietralla, Leiter der Europäischen Board Practice von Russell Reynolds Associates.

Gender-Diversität erhöht die Überwachungseffektivität

Indessen liefert eine Forschungsarbeit Hinweise auf einen  Zusammenhang zwischen der Gender-Diversity im Aufsichtsrat und seiner Überwachungseffektivität, wie Franziska Handschumacher und Willi Ceschinski im Schmalenbach Journal of Business Research berichten. Demnach ergibt die Auswertung von Paneldaten von rund 1.500 Aufsichtsratsmitgliedern aus 132 Unternehmen, dass ein höherer Frauenanteil im Aufsichtsrat mit einer geringeren übermäßigen Vergütung und folglich einer besseren Überwachungseffektivität einhergeht. Eine höhere Gender-Heterogenität führe durch die Erweiterung des Kompetenzspektrums des Aufsichtsrats in der Folge auch zu einer höheren Corporate Governance-Qualität, so die Forschenden. (Seite 247)

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