1 Einleitung
Die thematische Welle der Corporate Governance, die ihren Ursprung in angelsächsischen Ländern hatte, hat längst Kontinentaleuropa erreicht und ist zum intensiven Diskussionsgegenstand in den Unternehmen und v. a. in den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften geworden. Corporate Governance – hier verstanden als (guter) Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung von Unternehmen – fand als Themenbereich zuerst Aufnahme in den Managementebenen der börsennotierten Aktiengesellschaften, zumal auch der Kapitalmarkt höchstes Interesse hatte; ging und geht es doch letztlich darum, Unternehmen mit einer guten Corporate Governance zu identifizieren und dann dies als Ausgangspunkt zu nehmen, Unternehmen mit höherer Profitabilität bzw. Performance ausfindig zu machen. Corporate Governance ist damit kein Selbstzweck, sondern zielt darauf ab, dass Unternehmen, wo dieser Ordnungsrahmen „besser und effizienter“ funktioniert, letztlich profitabler, stärker mit ihren Eigenkapitaltiteln nachgefragt sind und damit höhere Bewertungen der gehandelten Anteile (Aktien) aufweisen.
Das Themenfeld Corporate Governance ist jedoch breit und uneinheitlich. Die Uneinheitlichkeit lässt sich an den primär länderweise organisierten Corporate Governance Codices ablesen, wo Unterschiede zwischen dem stärker Shareholder Value-orientierten angelsächsischen Regelungsrahmen und den auch andere Stakeholder im Blickfeld habenden primär kontinentaleuropäischen Kodifikationen erkennbar sind. Die Breite wiederum lässt sich an den Organen wie Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung (in der Diktion der Aktiengesellschaft) sowie Abschlussprüfer und Revision erkennen.
Dieser Beitrag hat den Aufsichtsrat im Visier. Dieser ist ein ganz überwiegend von den Herkünften der Mitglieder heterogenes Organ, das seinen Namen entsprechend primär Überwachungsaufgaben zu bewältigen hat, aber auch durch den Einfluss auf die operative Leitungsebene (v. a. Bestellung des Vorstands) bekanntermaßen zentral für das Unternehmen ist.
Selbstverständlich hat man sich schon früher – natürlich auch schon vor der angelsächsisch motivierten Corporate Governance Diskussion – den Kopf darüber zerbrochen, wie durch Unabhängigkeit, fachliche Qualität der Mitglieder und durch organisatorische Maßnahmen (z. B. Sitzungszahlen) die Wirkung und Effizienz dieses Organs verbessert werden kann.
1 Auch das Aktienrecht hat sich verändert und diesem Trend Rechnung getragen. Es liegt folglich die Frage nicht weit entfernt, wieweit Maßnahmen zur Verbesserung der Unabhängigkeit und Qualität des Aufsichtsrats die Profitabilität bzw. Performance tatsächlich verbessert haben. Dies ist in dieser Breite wohl schwierig zu messen, bei einzelnen Aspekten wird hier der Versuch unternommen Einflüsse auf die Profitabilität festzustellen oder zu verneinen.
In diesem Beitrag werden die
Aspekte Größe des Aufsichtsrats (Zahl der Mitglieder), Diversity (hier dabei insbesondere das Geschlecht) im Aufsichtsrat, Sitzungsanzahl, Entlohnung der Mitglieder des Aufsichtsrats und die Kapitalmarktorientierung für Eigenkapital (Börsennotiz) einer Prüfung unterzogen. Selbstverständlich müssen bei einer quantitativen
empirischen Untersuchung Fokussierungen erfolgen: Dies geschieht einmal mit der Ausrichtung auf
Versicherungsunternehmen auf eine klar definierte Branche, für die spezifische Governance-Untersuchungen – trotz der ökonomischen Bedeutung – spärlich sind; ferner auf Versicherungsunternehmen, die ihren Sitz in
Deutschland und
Österreich haben (aufgrund des in der Schweiz gültigen Board Systems wurde die Schweiz in diese vergleichende Diskussion deutschsprachiger Staaten nicht einbezogen); damit erfolgt ein Vergleich zwischen zwei Ländern mit relativ ähnlicher rechtlicher Grundlage, aber mit unterschiedlichen Größenordnungen und ggf. differierenden Landeskulturen. Für das Jahr 2013 können in Österreich 100 Versicherungsunternehmen (davon 41 Aktiengesellschaften), in Deutschland 363 Versicherungsunternehmen (davon 259 Aktiengesellschaften) festgestellt werden (vgl. Tab.
1 für Deutschland). Dies alleine ist schon ein Indiz für unterschiedliche Größenordnungen.
Tab. 1
Rechtsformen der Versicherungsunternehmen in D 2009–2013
VVaG (ausgenommen kleine VVaG) | 79 | 78 | 78 | 77 | 77 |
Kleine VVaG | 23 | 23 | 23 | 23 | 23 |
AG | 278 | 274 | 276 | 267 | 259 |
SE | – | – | – | – | 4 |
Gesamt | 380 | 375 | 377 | 367 | 363 |
Die Aufarbeitung des skizzierten Themenbereiches gestaltet sich wie folgt: Im nächsten Kapitel wird Corporate Governance einer Analyse unterzogen, dann erfolgt der Bezug auf Versicherungsunternehmen. Nach dieser Diskussion werden die angesprochenen Aspekte des Aufsichtsrats diskutiert, um im Kap. 5 die empirische Erhebung zu zeigen. Anschließend erfolgt eine Analyse der Ergebnisse und der Abschluss als Fazit mit einem Ausblick.
2 Corporate Governance und Aufsichtsrat
Basis des hier vertretenen Verständnisses von
Corporate Governance ist die Sichtweise als „Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens“. Als theoretische Basis für Corporate Governance fungieren die Property-Rights‑, Transaktionskosten-,
Prinzipal-Agenten-Theorie und die
Stewardshiptheorie.
2 Die letzteren beiden sind aufgrund der Ausrichtung auf den Aufsichtsrat von besonderer Bedeutung, da der Aufsichtsrat überwiegend (s. Arbeitnehmermitbestimmung) als Agent der die Eigentümerschaft verkörpernden Hauptversammlung tätig wird und sich damit die Eigeninteressen der Aufsichtsratsmitglieder negativ auf die Performance, die im zentralen Interesse der Eigentümer steht, auswirken können, weil z. B. Aufsichtsratsmitglieder nicht unabhängig gegenüber dem Vorstand sind oder ihre Aufgaben mit mangelndem Engagement wahrnehmen. Entgegen kann die Stewardship-Theorie zeigen, wo gerade diese Aufsichtsratsmitglieder z. B. aufgrund ihres hohen Interesses ihre Aufgabe mit höchstem Einsatz durchführen. Die Ambivalenz kann am Beispiel des langjährigen Vorstandsvorsitzenden, der aufgrund seiner Erfahrungen, Kontakte und seines Wissens in den Aufsichtsrat gewählt wird (vielleicht sogar zum Vorsitzenden), gezeigt werden. Seine Verbundenheit mit dem Unternehmen und sein hohes Engagement soll sich positiv auswirken (Stewardship-Überlegung). Dagegen kann jedoch vorgebracht werden, dass er die Überwachungsaufgabe aufgrund seiner früheren Entscheidungen und Maßnahmen nur eingeschränkt wahrnehmen kann, da eine massive Kritik an diesen hochwahrscheinlich ausgeschlossen werden kann (Prinzipal-Agenten-Theorie). Die Gesetzgeber und die Codices haben wohl letzteres Argument als schwerwiegender empfunden, sind also nach agententheoretischen Überlegungen vorgegangen.
Sowohl das Aktiengesetz (AktG) als auch der Corporate Governance Kodex (CGK) haben durchaus eine
Stärkung des Aufsichtsrats im Auge (gehabt), indem die fachliche Qualität der Aufsichtsratsmitglieder, eine ausgewogene Zusammensetzung des Organs, ein ausreichendes zeitliches Engagement (z. B. über die Begrenzung der Mandate) und die Unabhängigkeit und Freiheit von Interessenskonflikten direkt bzw. indirekt thematisiert wird.
3
Durchgerungen hat man sich zu einem Druck zur intensiveren thematischen Auseinandersetzung über eine verstärkte Ausschussarbeit, zur Thematisierung der Vergütungsfrage ohne konkrete Vorgaben, zur Verschärfung der Unabhängigkeitsbestimmungen und zur verstärkten Transparenz des Wahlprocederes.
4 Schwierig bis unmöglich ist natürlich eine konkrete Präzisierung von Qualifikationsanforderungen, da eine Festlegung von formalen Qualifikationsanforderungen (z. B. akademische Studien) erfolgreiche und damit qualifizierte Unternehmerpersönlichkeiten ausschließen könnte, womit man dem Organ Aufsichtsrat keinen Dienst erweisen würde. Kalss und Schimka weisen jedoch darauf hin, dass Grundkenntnisse der gesetzlichen Rahmenbedingungen und Kenntnisse in betriebswirtschaftlichen Grundfragen und über das Funktionieren von Marktmechanismen vorhanden sein müssen, ferner das Lesen von Jahresabschlüssen und ihre Analyse und die kritische Hinterfragung von Berichten des Vorstands möglich sein sollten.
5 Allerdings tauchen konkreter die Argumente Diversität (auf das Geschlecht bezogen), Altersstruktur und Internationalität auf. Bei der Problematik einer oftmaligen Wiederwahl eines Aufsichtsratsmitglieds ist man jedoch hinsichtlich einer Regelung zurückhaltend, obwohl dies im internationalen Umfeld durchaus vorkommt.
6 Manchmal wird aber eine kürzere Bestelldauer als die im Aktienrecht mögliche vorgeschlagen.
7 Hier ist eine ähnliche Ambivalenz wie beim obigen Beispiel des Vorstandsvorsitzenden, der zum Aufsichtsrat(spräsidenten) gewählt wird, feststellbar: Für eine langjährige Aufsichtsratstätigkeit (mit entsprechenden Wiederwahlen) spricht die zunehmende Erfahrung und die anzunehmende wachsende (auch emotionale) Verbundenheit mit dem Unternehmen, was auf die Stewardshiptheorie verweist, dagegen die Betriebsblindheit, eine das Engagement zunehmend behindernde persönliche Verflechtung mit möglichem Blick auf Eigeninteressen; letzteres kann agententheoretisch begründet werden. Im Gegensatz zum obigen Fall des Vorstandsvorsitzenden wird dies nicht thematisiert, lediglich indirekt über die Altersstruktur, wo eine Ausgewogenheit im Aufsichtsrat anzustreben ist.
Damit wird ersichtlich, dass Corporate Governance-Themen im Organ Aufsichtsrat angekommen sind, die zu Änderungen der Vorgaben und damit auch der realen Situation geführt haben.
Etwas anders verhält es sich mit der Frage nach der Diversität. Die Diskussion nahm ihre Entwicklung nicht aus der Corporate Governance-Debatte, sondern aus dem allgemeinen gesellschaftlich-politischen Diskurs und fand u. a. auch Eingang in das Organ Aufsichtsrat, wo – wie in vielen Führungsgremien der Wirtschaft – eine Männerdominanz zu konstatieren war und ist.
Diversität kann am besten mit den Begriffen Heterogenität bzw. Vielfalt umschrieben werden.
8 Als Kerndimensionen haben sich das Alter, das Geschlecht, die Herkunft, die sexuelle Orientierung, Behinderungen, Religion und Rasse herauskristallisiert.
9 In Zusammenhang mit der Analyse des Aufsichtsrats wird primär das Thema Geschlecht (männlich/weiblich) verfolgt, ggf. wäre auch das Alter der Mitglieder des Aufsichtsrats interessant. Es – das Geschlecht – handelt sich damit um die wahrnehmbaren Faktoren von Diversität
10 und gehört nach Gardenswartz und Rowe (
2003) zum innersten Kern ihres Klassifizierungsmodells („Persönlichkeit des Menschen“).
11 Die Bedeutung des Geschlechts im Feld Diversität ist damit unstrittig. Ferner wird Diversität als Ressource für den Unternehmenserfolg angesehen.
12 Der Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten ist Untersuchungen nach gering.
13 Die auch sonst angeführten Gründe der schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die geringere Präsenz in für eine Aufsichtsratstätigkeit bedeutsamen Netzwerken können als Gründe genannt werden.
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Allgemein kann festgehalten werden, dass Untersuchungen und Überlegungen hinsichtlich der Aspekte des Aufsichtsrats und der Profitabilität der Unternehmen den Vergleich unterschiedlicher (Sitz‑)Staaten im Blickpunkt haben bzw. – alleine aufgrund der Datenverfügbarkeit – auf börsennotierte und/oder große Unternehmen ausgerichtet sind. Branchenaspekte treten nicht so stark hervor. In diesem Beitrag erfolgt eine Fokussierung auf Versicherungsunternehmen. Für diese liegen – nach Kenntnis der Autoren – im deutschsprachigen Raum keine diesbezüglichen Untersuchungen vor.
3 Corporate Governance und Aufsichtsrat von Versicherungsunternehmen
Bislang lag der Diskussion stillschweigend als „Musterrechtsform“ die Aktiengesellschaft zugrunde, die zweifellos in der Versicherungsbranche eine große Rolle spielt. Bekanntermaßen sind auch die Europäische Gesellschaft (SE) und der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) mögliche Rechtsformen.
Im sog. großen
VVaG (nur dieser ist aufgrund des Samples für die empirische Erhebung interessant) ist ebenfalls ein Aufsichtsrat notwendig. Wird eine (Versicherungs‑)SE als Rechtsform gewählt, so kann zwischen dem in Deutschland und Österreich gültigen dualistischen System, wo sich die Struktur wie bei der Aktiengesellschaft darstellt, und dem angelsächsischen monistischen System gewählt werden. Zur Übersicht siehe Tab.
2.
Tab. 2
Übersicht über die Rechtsformunterschiede
Abgrenzungsmerkmale | Kapitalhingabe (Kapitalverein) | Personale Elemente (Personenverein) |
Ziel/e | Gewinnerzielung | Bedarfsdeckung |
Unternehmenswertsteigerungen |
Organe (zwingend) | Vorstand | Monistisches System | Vorstand |
Aufsichtsrat | Verwaltungsrat | Aufsichtsrat |
Hauptversammlung | Geschäftsführende Direktoren | Oberstes Organ (Mitgliederversammlung, -vertretung) |
Dualistisches System |
Vorstand |
Aufsichtsrat |
Für beide |
Hauptversammlung |
Corporate Governance-Kodex | Zwingend für börsennotierte AG und SE | Freiwillig |
Freiwillig für alle anderen |
Der besonderen Situation von Versicherungsunternehmen wird dann noch durch einige Sondernormen Rechnung getragen. So wird eine
fachliche Qualifikation (ausreichende Berufsqualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen) und eine
persönliche Zuverlässigkeit von den Mitgliedern des Aufsichtsrats gefordert.
15 In Deutschland kann die Aufsichtsbehörde BaFin eine Verwarnung bei Nichteinhaltung der erforderlichen Qualifikation für Aufsichtsratsmitglieder aussprechen, zudem die Abberufung verlangen und eine Tätigkeitsuntersagung aussprechen.
16
Die
Entlohnung muss das Erfordernis erfüllen, angemessen, transparent und nachhaltig zu sein, wobei die Vergütung nicht mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen zusammenhängen darf.
17
Durchaus immer wieder im Blickpunkt ist die Frage der Unabhängigkeit der Mitglieder – trotz der Problematik der Definition. Hier erfolgen Regelungen über die Corporate Governance Codices.
Ein Zusammenhang mit der Qualität der Überwachung könnte sowohl mit der Größe des Aufsichtsorgans (Anzahl der Mitglieder) als auch mit der Anzahl der Sitzungen des Aufsichtsrats hergestellt werden. Hier wird in Deutschland für die Größe des Aufsichtsrats eine Bandbreite von 3–21 natürlichen Personen, in Österreich eine solche von 3–20 (zuzüglich der Arbeitnehmervertreter) normiert. Diese Regelungen sind nicht versicherungstypisch.
4 Untersuchungsaspekte des Aufsichtsrats
Ein Schwerpunkt der Untersuchung wird in
der Größe des Aufsichtsrats (Mitgliederzahl) liegen. Wie eben erwähnt ist diese – nicht versicherungstypisch – begrenzt, wobei hier nur die Begrenzung nach oben interessant ist. Das Argument für eine Höchstbegrenzung liegt in einer befürchteten Schwerfälligkeit, was eine langsame Entscheidungsfindung bedeuten kann.
18 Besonders hinsichtlich der zustimmungspflichtigen Geschäfte könnte eine langsame Entscheidungsfindung nachteilig sein; insgesamt wäre argumentativ zumindest plausibel, dass große Aufsichtsräte mit mangelnder Profitabilität einhergehen. Beispielhaft erklärt die Allianz SE
2007: „Ein bedeutender Fortschritt ist außerdem die deutliche Verkleinerung des Aufsichtsrates von 20 auf zwölf Mitglieder. Die arbeitsfähige Größe ist die Herausforderung des deutschen Aufsichtsratssystems – zu große Gremien gehen zu Lasten von Effizienz und Vertraulichkeit.“
19
Empirische (nicht versicherungsspezifische) Untersuchungen zeigen jedoch ein nicht so eindeutiges Bild: Zur Aussage, dass eher kleinere Boards – fast alle Studien basieren auf dem angelsächsischen Board-Modell – zu einem höheren Unternehmenswert und damit zu einer höheren Unternehmensperformance führen teilen Yermack (
1996), Eisenberg et al. (
1998) und Cheng (
2008), während Bhagat und Black (
2002) und Bermig und Frick (
2011) – letztere für deutsche Unternehmen – einen signifikanten Einfluss nicht nachweisen konnten.
20 Dalton et al. (
1998) können in ihrer umfangreichen Metastudie – allerdings eben schon etwas älter – keinen Zusammenhang zwischen der Unternehmensperformance und der Board-Zusammensetzung erkennen. Problematisch in diesem Zusammenhang ist, dass die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder i. d. R. mit der Unternehmensgröße zusammenhängt.
21
Die
Diversität des Aufsichtsrats stellt ein ebenso spannendes Untersuchungsfeld dar, zumal besonders der Frauenanteil im politischen und gesellschaftlichen Diskurs steht und ebenso wie die Internationalität teilweise in den gesetzlichen Grundlagen, vor allem jedoch in den Corporate Governance Codices vorkommen. Die Norm des § 96 Abs 2 und 3 AktG sieht für Neuwahlen und Entsendungen ab 01.01.2016 vor, dass v. a. für börsennotierte Aktiengesellschaften ein
Frauenanteil von mind. 30 % sukzessive zu erfüllen ist.
22 Das österreichische Recht kennt eine solche Norm nicht, es wird in § 87 Abs. 2a öAktG lediglich auf die Diversität und Internationalität verwiesen.
23 Relevant ist für börsennotierte Versicherer auch der Corporate Governance Kodex; in Deutschland empfiehlt der DCGK seit 2010,
konkrete Ziele für die angemessene Beteiligung von Frauen in den Aufsichtsräten zu formulieren (DCGK
2010). In Österreich sieht der Kodex seit 2012 verpflichtend vor, dass Aspekte der Diversität des Aufsichtsrats (auch) im Hinblick auf die Vertretung beider Geschlechter angemessen zu berücksichtigen sind. Zusätzlich ist gem. § 243c Abs. 2 Z 2 UGB ist ab dem Geschäftsjahr 2010 verpflichtend im Corporate Governance Bericht anzuführen: „… welche Maßnahmen zur Förderung von Frauen im Vorstand, im Aufsichtsrat und in leitenden Stellungen (§ 80 AktG) der Gesellschaft gesetzt wurden.“
Auf eine Qualifikationsanforderung wird grundsätzlich verzichtet, lediglich nach § 100 Abs 5 AktG muss mind. ein Aufsichtsratsmitglied sachverständig auf den Gebieten Rechnungslegung und Abschlussprüfung sein.
Frauen kommen in Deutschland und Österreich in den Aufsichtsräten in geringem Ausmaß vor; es gibt eine erhebliche Zahl von börsennotierten Unternehmen, die überhaupt keine Frau in diesem Gremium aufweisen.
24 Da sich die empirische Analyse auf einen Zeitraum bis einschließlich 2013 bezieht, ist die oben genannte gesetzliche Vorgabe noch nicht relevant, zeigt aber möglicherweise den Handlungsbedarf auf und kann ggf. nachträglich zur Diskussion der Vorteilhaftigkeit dieser Aufgabenstellung herangezogen werden.
Ähnlich verhält es sich mit der Internationalität, wobei hier bereits die Definition des internationalen Aufsichtsratsmitglieds unklar ist und primär auf das Gebiet der hauptberuflichen Tätigkeit abgestellt werden sollte. Diese Thematik genießt in angelsächsisch ausgerichteten Unternehmen höhere Priorität und wird wahrscheinlich einen Bezug zur geografischen Geschäftstätigkeit, Größe und Eigentümerschaft des Unternehmens aufweisen.
Neben der gesellschaftspolitischen Bedeutung interessiert Diversität auch in ökonomischer Perspektive, also ob Diversität zum Unternehmenserfolg beiträgt.
Argumentiert wird hier primär damit, dass Frauen einen anderen Führungsstil pflegen, eine größere Perspektivenvielfalt einbringen und in der Folge Kreativität, Ideen, Innovationskraft – insgesamt das Humankapital – gesteigert und Wettbewerbsvorteile generiert werden können.
25 Diversität kann auch zu einem besseren Image und höherer Reputation des Unternehmens führen, was sich positiv auf das Verhalten der Kunden auswirkt.
26 Insgesamt führt „Diversity-Leadership“ somit in dieser Argumentation zu höherer Performance. Argumente, die gegen die Unternehmenswertsteigerung sprechen sind etwa, dass heterogene(re) Boards weniger effizient bei der Kommunikation und im Entscheidungsfindungsprozess sind.
27
Insbesondere im angloamerikanischen Raum wurde zum Thema Diversität und Unternehmenswert bzw. Performance eine Vielzahl von Studien publiziert, welche insgesamt gemischte Evidenz liefern. In einer Studie aus 2014 kommen McKinsey & Company hinsichtlich Diversity-Management in Industrieunternehmen zum Ergebnis, dass bei hoher Gender Diversity in der Führung der Unternehmen mit einer um 15 % höheren Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden kann, dass die Profitabilität über dem nationalen Durchschnitt liegt (McKinsey & Company
2014). Zu den meistzitierten wissenschaftlichen Arbeiten zählt die Studien von Adams und Ferreira (
2009).
28 Sie finden in ihrer großangelegten Untersuchung für die USA (Zeitraum 1996 bis 2003), dass die Präsenz weiblicher Board-Mitglieder positive Governance-Effekte, wie bspw. Unabhängigkeit, verbesserte Monitoring-Tätigkeit, höhere Anwesenheit bei Sitzungen hat und mit spezifischen Entlohnungscharakteristika einhergeht (bspw. höhere aktienbasierte Vergütung). Jedoch liefert die Untersuchung keine Hinweise darauf, dass ein höherer Frauenanteil
kausal zu besserer Performance führt.
Als beeinflussende Faktoren für die Präsenz von Frauen bzw. den Frauenanteil in Boards konnte in der Literatur vor allem die Unternehmensgröße und die Größe des Boards identifiziert werden.
29 Auch die Branche spielt eine Rolle.
30 Es kann argumentiert werden, dass gerade in Dienstleistungsbranchen, in denen der Anteil der weiblichen Belegschaft hoch ist, Frauen entsprechend stärker im Board repräsentiert sind.
31 Bezogen auf die Versicherungswirtschaft sind nach Kenntnis der Autoren keine Studien verarbeitet. Häufig wird in der Empirie sogar der gesamte Finanzsektor exkludiert.
32
Wie bereits erwähnt, soll durch die ständige Auseinandersetzung des Aufsichtsrats mit den unternehmerischen Themen die Qualität der Überwachung verbessert werden. Die Festlegung einer
Mindestsitzungszahl soll dem Rechnung tragen: in der Schweiz etwa wird dies nicht reguliert.
33 Bei börsennotierten Gesellschaften muss der Aufsichtsrat zwei Sitzungen im Halbjahr abhalten, bei nicht börsennotierten Gesellschaften kann er sich auf eine im Halbjahr einigen.
34 Dies soll die Kontrollfunktion des Aufsichtsrats besser ermöglichen.
35 Ähnlich gelagert ist § 94 Abs 3 öAktG, der mindestens eine vierteljährliche Sitzungsfrequenz für alle Aktiengesellschaften vorschreibt. Kalss (
2012) betont den Charakter einer Mindestzahl, wo – wenn notwendig – die Zahl der Sitzungen zu erhöhen ist.
36 Koeberle-Schmid (
2012) empfiehlt dabei eine Sitzungsdauer von vier Stunden.
37
Interessanterweise zeigen empirische Studien diesbezüglich eher in das Gegenteil. Vafeas (
1999) kommt zum eher logischen Schluss, dass die Sitzungszahl positiv mit der Board-Größe korreliert ist. Die Board-Größe wird wohl einen positiven Zusammenhang mit der Unternehmensgröße aufweisen. Er kommt jedoch zum Ergebnis, dass eine negative Beziehung zwischen Aufsichtsratssitzungen und dem Unternehmenswert besteht.
38 Horváth und Spirollari (
2012) stellen fest, dass zwischen der Zahl der Aufsichtsratssitzungen und der Performance kein Zusammenhang besteht.
39
Empirische Studien sind sehr stark auf börsennotierte Unternehmen (primär im angelsächsischen Raum) ausgerichtet. Dies entspricht nicht völlig der mitteleuropäischen Struktur, da zum einen die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit durchaus präsent sind, zum anderen Eigentümerschaften (Konzerneinbau und genossenschaftsähnliche Strukturen) vorliegen, die nicht zu einer Börsennotiz passen. Diese Eigentümerschaften werden ggf. zu einer anderen Struktur des Aufsichtsrats führen. Dies kann sowohl die personelle Zusammensetzung als auch die inhaltliche Aufgabenwahrnehmung betreffen. Auf die intensivere, verpflichtende und freiwillige Informationsabgabe dieser kapitalmarktorientierten Unternehmen sei verwiesen. Somit ist es von Interesse, auch Merkmale von börsennotierten Versicherungsgesellschaften zu untersuchen.
Schließlich soll noch die
Entlohnung der Aufsichtsratsmitglieder untersucht werden. Das AktG ermöglicht die Vergütung für Aufsichtsratsmitglieder, die allerdings angemessen sein soll.
40 Damit sind feste und/oder variable Vergütungen möglich. Die österreichische Regelung in § 98 öAktG ist ähnlich.
41 Selbstverständlich bestehen hinsichtlich der Höhe durchaus Unterschiede, wobei insbesondere ein Zusammenhang zur Größe des Unternehmens belegt ist.
42 Bei Versicherungsunternehmen wird nach § 64 b Abs 1 VAG neben der Angemessenheit auch die Transparenz und die Ausrichtung auf eine nachhaltige Entwicklung gefordert; dies ergibt sich aus der langfristigen Ausrichtung der Versicherungswirtschaft.
6 Zusammenfassung
Der Beitrag geht auf Aspekte der Corporate Governance und des Aufsichtsrats von deutschen und österreichischen Versicherungen ein. Dazu wurden im empirischen Teil ausgewählte Merkmale der größten deutschen und österreichischen Versicherungsgesellschaften im Zeitraum 2009 bis 2013 näher untersucht.
Österreichische Versicherer haben größere Gremien (eine höhere Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern) als die deutschen. Der Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ist in Deutschland merklich höher.
Es zeigt sich, dass in den untersuchten Versicherungen Frauen im Aufsichtsrat klar unterrepräsentiert waren. Rd. ein Viertel der Gesellschaften hatte keine Frau im Aufsichtsrat. Im Zeitablauf erhöhte sich nicht nur die Berichterstattung über Diversität, sondern auch der Frauenanteil merklich; dieser beträgt zum Ende der Erhebung für deutsche Assekuranzen 21 %. Die börsennotierten deutschen Versicherungsgesellschaften haben 2013 einen höheren Anteil weiblicher Vertreter von durchschnittlich rd. 30 %, womit die Frauenquote hier schon 2013 erfüllt war. Dazu könnte auch bereits die Diskussion um Einführung gesetzlicher Frauenquoten im Vorfeld geführt haben. In Österreich ist der Frauenanteil in den letzten Jahren ebenfalls angestiegen, beträgt zuletzt aber nur rd. 11 %. Österreich hat diesbezüglich starken Aufholbedarf. In beiden Ländern trägt die Arbeitnehmerseite maßgeblich zur Gender-Diversität bei und entsendet sehr viel häufiger weibliche Vertreter in den Aufsichtsrat als die Kapitalgeberseite.
Die Vergütung der Kontrollorgane ist in Deutschland signifikant höher als in Österreich, wobei dies vor allem auf die Größe der Versicherer zurückgeführt werden kann. Im Vergleich zu anderen Studien ist die Vergütung der Gremienmitglieder in der Versicherungsbranche als moderat einzustufen.
Die Rentabilität der deutschen Gesellschaften ist höher als jene der österreichischen Versicherer, unterscheidet sich jedoch vor allem nach Sparten. In der Untersuchung zeigt sich kein Zusammenhang von Diversitätsaspekten mit der Performance. Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass in der Versicherungsbranche vor allem die Unternehmensgröße und die Kapitalmarktpräsenz Faktoren für Diversity-Management sind.