Das Problem, dass Auszubildende und Unternehmen schwer zusammenfinden, hat sich in der Corona-Krise zugespitzt. Zur Fachkräftesicherung müssen sich Firmen allerdings vom ewigen Lamento um unbesetzte Ausbildungsplätze verabschieden und neue Wege im Recruiting gehen.
Alle Jahre wieder beklagen Mittelständler, dass es zwar Bewerber auf Ausbildungsplätze gebe, dass aber deren Qualität zu wünschen übrig ließe. Auf jeden Fall sei die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge seit Jahren rückläufig, schreiben Andreas Lagemann und Jan Wedemeier in dem Zeitschriftenartikel "Ausbildungsmarkt unter Druck: die aktuelle Entwicklung und deren Antworten darauf". Gleichzeitig stiegen die Anforderungen an die Auszubildenden und die Unternehmen. "Ein zunehmendes Mismatch ist zu beobachten", so die Experten.
Unbesetzte Ausbildungsplätze auf Rekordhoch
So stieg die Zahl der unbesetzten Stellen von 17.000 im Jahr 2009 auf über 63.000 im Corona-Jahr 2021. Probleme bereiten dabei vor allem regionale Unterschiede, das heißt, Kandidaten bewerben sich in einem Umkreis von 100 Kilometern oder bevorzugt in bestimmten Regionen, aber auch ein qualifikatorisches Mismatch. Denn viele Bewerbende haben einen Hauptschulabschluss, während die Betriebe mindestens eine Mittlere Reife fordern, so Lagemann und Wedemeier.
Neben politischen Rahmenbedingungen, die sich ändern müssen, etwa mehr Zuwanderer für eine duale Ausbildung EU-weit zuzulassen oder das Bildungssystem zu reformieren, können Unternehmen allerdings auch selbst ein paar Weichen neu stellen. Das zeigt der Azubi Report 2022, für den das Portal Ausbildung.de mehr als 1.900 junge Menschen online befragt hat.
Schnelligkeit im Azubi-Recruiting nötig
Da sich Bewerbende aktuell den Arbeitgeber aussuchen und nicht mehr umgekehrt, sind potenzielle Auszubildende schneller als je zuvor vom Markt, betonen die Studienautoren. Unternehmen, die zögern, oder schlichtweg über zu schleppende Prozesse verfügen, verlieren demnach geeignete Kandidaten in Windeseile. Denn 29 Prozent der Auszubis erhalten bereits eine Woche nach der Bewerbung eine Rückmeldung von ihrem heutigen Ausbildungsbetrieb, 31 Prozent bereits nach ein bis drei Tagen.
Wie dynamisch der Markt für Azubildende inzwischen ist, wird auch an der Zahl nötiger Bewerbungsanläufe deutlich. Über die Hälfte aller Berufseinsteiger müssen höchstens fünf Offerten verschicken, 17 Prozent lediglich eine, um erfolgreich zu sein.
Unternehmen sollten daher an ihrer Sichtbarkeit bei jungen Menschen arbeiten. Denn nur so gehen die nötigen Bewerbungen bei ihnen überhaupt ein. Ein wichtige Rolle spielt laut Studie dabei offenbar der direkte Kontakt, der bei rund einem Drittel der Schulabsolventen in eine Ausbildung mündet. Bei 19 Prozent ist es die persönliche Empfehlung, die den Einstieg in den Beruf ermöglicht, für weitere elf Prozent das Schülerpraktikum.
Online - Der Kanal für Azubis
Als Recruiting-Kanal empfehlen die Studienautoren auf jeden Fall das Web. Denn jeweils zwölf Prozent der Befragten finden ihren Ausbildungsplatz via Google oder über ein Online-Ausbildungsportal, elf Prozent über die Karriereseite des Unternehmens und sechs Prozent auf einer Online-Jobbörse.
Beim Einsatz von Social Media sollten allerdings Kosten und Nutzen genau abgewogen werden, da junge Menschen rund um Ausbildung und Beruf "eher passive Konsumenten als aktive Sucher in den sozialen Netzwerken" sind, heißt es im Azubi Report 2022.
Dennoch ist das A und O im Azubi-Recruiting, mit der eigenen Karriere-Website unter den Top Suchergebnissen bei Google vertreten zu sein, betont Henner Knabenreich im Buchkapitel "Ohne Auffindbarkeit keine Bewerber". Dafür müsse nicht nur der Karriere-Button in der Hauptnavigation der Corporate Website integriert sein. Auch entsprechende Teaser auf der Unternehmens-Homepage sind für mittelständische Unternehmen, deren Webauftritte in der Regel nicht so viel Traffic haben, eine sinnvolle Maßnahme.
Doch um SEO, Search Engine Optimization, oder SEA, Suchmaschinenwerbung, kommt kein Unternehmen im War for Talents mehr vorbei, um bei Google oder Google für Jobs von Kandidaten gefunden zu werden, betonen die Springer-Autoren.
Mitarbeiterbindung bei Auszubildenden
Ist der Auszubildende erst einmal gefunden, können sich Unternehmen allerdings nicht ausruhen. Wenn sie Azubis langfristig binden wollen, sollten sie deren sogenanntes Einbettungsnetz in den Blick nehmen, so Sascha Armutat in einem Buchkapitel zum Thema (Seite 455 f.). Das heißt unter anderem
- die richtigen und zu den Tätigkeiten passenden Azubis auszuwählen, um die Person-Job-Kompatibilität zu gewährleisten,
- an der sozialen Integration der Azubis im Unternehmen zu arbeiten, um die beruflichen und berufsbezogen private Kontakte zu fördern,
- Anreize anzubieten, die unverwechselbar sind und deren Verzicht zu Nachteilen bei den Azubis führt, dafür sorgen, dass der Azubi auch in seinem privaten Umfeld als Unternehmensangehöriger wahrgenommen wird.
Zudem gilt es, sich zu vergegenwärtigen, dass die neue Mitarbeitergeneration etwas Anderes von Unternehmen erwartet als vorherige Generationen, führt Armutat aus. Neben einem guten Arbeitsklima, ansprechenden Gehältern, interessanten Tätigkeiten und Wissensaustausch sind sichere Arbeitsplätze, fexible Arbeitszeitmodelle, Work-Life-Balance, Weiterbildung und Karrieremöglichkeiten sowie flache Hierarchien und mobiles Arbeiten Faktoren, mit denen Unternehmen als Arbeitgeber zusätzlich punkten können.