Eine Studie von Dekra und TU Dresden zeigt, dass es bei der Übergabe der Fahrzeugkontrolle von Mensch an Maschine beim automatisierten Fahren noch erheblichen Forschungsbedarf gibt.
Automatisiertes Fahren: Welche Faktoren führen zu schlechten oder ausbleibenden Übernahmen?
Dekra
Das hochautomatisierte Fahren auf Level 3 basiert auf der Vernetzung verschiedener Informationssysteme, die ein sicheres Fahren in Echtzeit ermöglichen sollen. Dabei spielt eine Art digitale "Schwarmintelligenz" eine zentrale Rolle. Sie hilft, Gefahren frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.
Doch was passiert, wenn diese Informationskette fehleranfällig ist? Welche Auswirkungen haben ungenaue oder fehlerhafte Systeminformationen auf das Fahrverhalten und die Reaktionszeit des Menschen? Genau diesen Fragen widmete sich eine gemeinsame Studie von Dekra und der TU Dresden, die auf dem Dekra-Lausitzring durchgeführt wurde.
In der Studie wurde untersucht, wie sich fehlerhafte oder unverständliche Übernahmeaufforderungen auf die Wahrnehmung, das Vertrauen in die Technik und die Reaktionszeit auswirken. Dazu wurden 49 Testpersonen – 19 Frauen und 30 Männer im Alter von 18 bis 56 Jahren – auf eine 40-minütige Testfahrt geschickt. Keiner der Teilnehmenden hatte Vorerfahrung mit hochautomatisierten Fahrzeugen.
Im Fokus der Untersuchung stand insbesondere die Übernahmeaufforderung durch das System – also der Moment, in dem das automatisierte Fahrzeug den Menschen auffordert, das Steuer wieder zu übernehmen. Untersucht wurde, wie sich verschiedene Arten dieser Aufforderung auf das Verhalten der Fahrerinnen und Fahrer auswirken, insbesondere in Situationen, in denen entweder eine falsche Warnung ausgegeben wird oder ein Fehler still und ohne sichtbare Warnung auftritt.
Vertrauen in die Automation
Bereits heute sind Fahrzeugmodelle auf den Straßen unterwegs, die im Level-3-Modus hochautomatisiert fahren können. In diesem Modus muss der Fahrer oder die Fahrerin das Fahrzeug nicht ständig überwachen, sondern kann sich in bestimmten Situationen anderen Tätigkeiten widmen – zum Beispiel lesen oder E-Mails bearbeiten. Erst wenn eine Gefahr erkannt wird, fordert das System zur Übernahme auf.
"Für die Akzeptanz und das Vertrauen in die Automatisierung ist die zuverlässige Funktionalität der Technik eine entscheidende Voraussetzung", erklärt Dr. Thomas Wagner, Verkehrspsychologe bei Dekra. Das Besondere: Die Testpersonen glaubten, das Fahrzeug fahre völlig autonom, während ein geschulter Sicherheitsfahrer auf dem Beifahrersitz das Auto tatsächlich mit einem Joystick steuerte. Eine halbhohe Trennwand verhinderte, dass die Probanden dies bemerkten.
Schwierige Reaktionen auf Warnungen
Während der Testfahrt fuhren die Teilnehmenden zunächst einige Runden ohne Auffälligkeiten. Danach wurden verschiedene Testszenarien durchgespielt:
- Ein "falscher Alarm" – hier fordert das System zur Übernahme auf, obwohl keine Gefahr besteht.
- Eine berechtigte Warnung – auf dem Display erscheint die Meldung "Sensorfehler", die eine Übernahme der Steuerung erforderlich macht.
- Ein "stiller Fehler" – das Fahrzeug driftet langsam auf die Gegenfahrbahn, ohne dass das System eine Warnung ausgibt.
Parallel dazu beschäftigten sich die Probanden mit Nebenaufgaben, wie sie im Level-3-Modus erlaubt sind. Sie lasen zum Beispiel ein Buch oder schrieben E-Mails.
Die Analyse mit der Eye-Tracking-Brille zeigte, dass die Fahrerinnen und Fahrer in beiden Warnszenarien ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf das Verkehrsgeschehen richteten. Bei fehlerfreier Fahrt investierten sie rund 35 % ihrer Blickzeit in die Verkehrsbeobachtung. Bei einem "Fehlalarm" stieg dieser Wert auf 44 % und bei einem "stillen Fehler" sogar auf 54 %.
"Das Erleben einer Übernahmeaufforderung reduziert also den Fahrkomfort, da die Aufmerksamkeit für eine Nebentätigkeit abnimmt und sich der Fahrer wieder verstärkt der Verkehrsbeobachtung widmet", erklärt Wagner.
Auswirkungen auf Übernahmefähigkeit
Besonders auffällig war, dass die Reaktionszeit der Probanden je nach Situation stark variierte. Bei einer klaren, verständlichen Warnung übernahmen die Testpersonen im Durchschnitt nach 5,1 Sekunden die Kontrolle und griffen zum Lenkrad. Diese Latenzzeit deutet laut Wagner darauf hin, dass sich die Fahrerinnen und Fahrer erst mental auf die neue Situation einstellen müssen, wenn sie nicht aktiv am Fahrgeschehen beteiligt sind.
Das kritischste Szenario war der "stille Fehler" – also das langsame Abdriften des Fahrzeugs auf die Gegenfahrbahn ohne vorherige Warnung. Hier zeigten sich gravierende Probleme in der Reaktionsfähigkeit der Probanden:
- Keiner der Probanden konnte das Fahrzeug rechtzeitig und sicher unter Kontrolle bringen.
- Nur sechs von 49 Teilnehmenden schafften es, den Wagen zwar verspätet, aber erfolgreich wieder in die richtige Spur zu lenken. 40 Probanden reagierten zu spät oder gar nicht auf das unbemerkte Ausbrechen des Fahrzeugs.
- Vier Probanden versuchten gar nicht erst, das Steuer zu übernehmen.
"Alles in allem sollten diese Ergebnisse in jeder Hinsicht nachdenklich stimmen und deutlich machen, dass auf dem Weg zum hoch- und vollautomatisierten Fahren noch viele Hürden zu überwinden sind – nicht nur in der Fahrzeugtechnik", betont Wagner.
Kritisch: Systemversagen ohne Vorwarnung
Besonders kritisch ist, dass die meisten Fahrer im Falle eines "stillen Fehlers" – also eines Systemversagens ohne Vorwarnung – die Gefahr nicht rechtzeitig erkennen und angemessen reagieren können.
Vor diesem Hintergrund besteht dringender Forschungsbedarf. Gerade in Deutschland, wo die aktuelle Gesetzgebung eine Übernahme bei bestimmten verkehrsgefährdenden Umständen vorschreibt, ist es wichtig zu verstehen, welche Faktoren zu falschen oder gar ausbleibenden Reaktionen führen. Auch müsse, so die Forscher, die Zahl der Testfahrten unter realistischen Bedingungen deutlich erhöht werden, um das Verhalten von Fahrerinnen und Fahrern in hochautomatisierten Fahrzeugen besser zu verstehen.