Modulare und offene Systemarchitekturen unterstützen maßgeblich die Entwicklung zukünftiger disziplinübergreifender Systeme.
Virtual Vehicle
Mithilfe des EU-Projekts Acosar soll ein weltweiter Standard für die Echtzeit-Co-Simulation erreicht werden. Das Projekt wird vom Virtual Vehicle geleitet. Ziel des Projekts sind kostengünstigere Entwicklungsprozesse sowie Möglichkeiten auf neue Geschäftsmodelle.
Das EU-Projekt Acosar (Advanced Co-Simulation Open System Architecture) ist kürzlich in Graz gestartet. Das Projektkonsortium besteht aus führenden europäischen Fahrzeugherstellern, Zulieferern und Forschungseinrichtungen, die gemeinsam an der notwendigen Standardisierung für modulare, verteilte und offene Systementwicklung arbeiten. Das Ziel des Projekts ist die Entwicklung einer Systemschnittstelle, mit der sich Echtzeitsysteme auch über größere Entfernungen hinweg verbinden und zu einem gemischt virtuell, realen und funktionalen Prototypen zusammenführen lassen. Das Projekt wird vom Grazer Forschungszentrum Virtual Vehicle geleitet. Als Ergebnis erwartet man sich kostengünstigere Entwicklungsprozesse sowie Möglichkeiten auf neue Geschäftsmodelle.
Echtzeit-Co-Simulation
Frühzeitige Vorhersagen und entsprechend frühe Konzeptentscheidungen sind wesentliche Erfolgsfaktoren in modernen Entwicklungsprozessen. Mithilfe von Co-Simulation können unter-schiedliche Simulationsmodelle gekoppelt werden und eine gesamtheitliche Systemanalyse wird in sehr frühen Phasen der Entwicklung (Frontloading) möglich.
In der Fahrzeugentwicklung bezeichnet der Begriff Co-Simulation den Ansatz, bei dem die Komplexität des gesamten mechatronischen Produkts „Fahrzeug“ mit seiner Umwelt virtuell in einer Entwicklungsumgebung abgebildet wird. Dabei werden eine oder mehrere domänen- oder fachabteilungsspezifischen Komponenten zu einem interaktiven Simulationsmodell verbunden.
Eine naheliegende Erweiterung des (nicht-echtzeitfähigen, offline) Co-Simulationsansatzes stellt die Einbindung von Echtzeitsystemen dar, erläutert Virtual Vehicle. Eine oder mehrere Komponenten, die als echte Hardware auf entsprechenden automatisierten Prüfständen verfügbar sind (zum Beispiel der Motor), werden dabei direkt in das bestehende Systemmodell eingebunden. Im Rahmen des Projekts Acorta am Grazer Forschungszentrum Virtual Vehicle wurde etwa - gemeinsam mit den Partnern AVL List, Porsche und der TU Graz - eine neue Methode entwickelt, die diese Hardware/Software-Co-Simulation in Echtzeit ermöglichen soll.
Verschmelzung von numerischer Simulation und realen Tests standardisieren
Durch die Erweiterung der Co-Simulation in die Echtzeitwelt sei es möglich, den Co-Simulationsansatz während des gesamten Produktentwicklungsprozesses durchgängig anzuwenden, so Virtual Vehicle. Um einen breiten Einsatz gewährleisten zu können, sei aber ein weltweiter Industriestandard notwendig. Genau hier kommt das neue EU-Projekt namens Acosar ins Spiel.
Für die rein virtuelle Welt gibt es bereits einen weitverbreiteten Standard - das Functional Mock-up Interface (FMI). Dieses ermöglicht die Kopplung beliebiger Simulationsmodelle in einer Simulationsumgebung. Ein entsprechender Standard für Echtzeitsysteme, der die Netzwerkkommunikation miteinbezieht, ist jedoch laut Virtual Vehicle noch ausständig, aber notwendig - denn Simulationen in Echtzeit seien unerlässlich, sobald reale Komponenten in einer ansonsten virtuellen Umgebung betrieben werden.
"Mit der Etablierung des FMI for Model Exchange und Co-Simulation als Standard hat sich der Austausch von Simulationsmodellen über Toolgrenzen hinweg stark vereinfacht. Anwender profitieren von effizienteren Prozessen und vollkommen neuen Simulationsmethoden. Toolhersteller sparen Entwicklungs- und Testaufwand, da sie nur noch eine Tool-zu-Tool-Schnittstelle unterstützen müssen, die von zahlreichen Programmen verstanden wird. FMI ist eine direkte Antwort auf die Anforderungen des kollaborativen Entwicklungsprozesses im Bereich des Virtual Engineering und hat sich mit einer Geschwindigkeit verbreitet, die wir so nicht erwartet haben. Wir rechnen mit einem ähnlichen Erfolg der Standardisierungsbemühungen im Bereich der Echtzeit- und Testsysteme innerhalb Acosar", so Torsten Blochwitz, R&D Manager bei der ITI GmbH und FMI-Projektleiter in der Modelica Association.
Neue Lösung für die verteilte Fahrzeugentwicklung in allen Phasen
Im Projekt soll eine Schnittstelle, das sogenannte Advanced Co-Simulation Interface (ACI), entwickelt werden, mit der sich Echtzeitsysteme, auch von verschiedenen Herstellern, über topologische Distanzen hinweg verbinden und zu einem virtuellen, simulierten Gesamtsystem zusammenführen lassen. Durch die angestrebte Standardisierung soll insbesondere der dafür erforderliche Konfigurationsaufwand deutlich reduziert und damit die Effizienz von Tests und Simulationen erhöht werden.
ACI soll Automobilherstellern und ihren Zulieferern ermöglichen, gemeinsam komplexe Systeme effizient zu entwickeln und frühzeitig zu testen (Frontloading). Ein Beispiel für diese Systeme sind Entwicklungen im Bereich des automatisierten Fahrens, wo die einzelnen Komponenten von verschiedenen Herstellern (Kameras, Sensoren, Analyse- und Steuerungssysteme) stammen. Bei der Umfeld-Erkennung für automatisierte Fahrfunktionen etwa können Entwickler mithilfe des ACI reale Sensoren unterschiedlicher Hersteller einfach in Gesamtsysteme zur Systemauslegung integrieren und damit reale Effekte von Sensoren sehr früh im Design berücksichtigen.
Auch für die Hersteller von Simulationstools und Echtzeit-Simulationssystemen sollen sich durch Acosar neue Anwendungsgebiete und Umsatzperspektiven erschließen, da ihre Systeme im Verbund mit anderen Komponenten auch für komplexere Aufgaben einsetzbar seien.
Das Projekt im Überblick
Acosar wird von Virtual Vehicle koordiniert. Insgesamt arbeiten 15 Partner aus drei Ländern in diesem Projekt zusammen - darunter drei große Fahrzeughersteller (Volkswagen, Porsche und Renault) sowie zahlreiche prominente Zulieferer (AVL, Bosch, dSPACE, ETAS oder Siemens) und renommierte Forschungseinrichtungen. Im Rahmen von Acosar soll eine Spezifikation für die methodische und nahtlose Integration von virtuellen und realen Komponenten definiert werden.
Vertreter aus relevanten Standardisierungsgremien (FMI, ASAM) werden ebenfalls einbezogen, um gemeinsam Lösungen und Erweiterungen bestehender Standards zu erarbeiten. Um die Lücke zwischen dem Automobilbereich und anderen Branchen weiter zu überbrücken, werden außerdem führende Vertreter, zum Beispiel aus der Luftfahrt und dem Schienenfahrzeugbereich, als assoziierte Mitglieder von Acosar das Projekt unterstützen. Während des dreijährigen Projekts (Start am 1. September 2015) kann sich das Konsortium noch um zusätzliche Partner erweitern.
Das Projekt Acosar verfügt über ein Gesamtbudget von 7,9 Millionen Euro.