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11-05-2022 | Automobilelektronik + Software | Schwerpunkt | Article

So weit sind Linux-Betriebssysteme im Fahrzeug

Author: Christiane Köllner

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Open Source im Fahrzeug: Automotive Grade Linux etabliert sich als Google-Alternative. Wo steht die Entwicklung des Linux-Betriebssystems für den Automotive-Bereich? Ein Überblick. 

Open-Source-Software und Linux-Plattformen werden im Auto an Bedeutung gewinnen. "Ein zentrales Linux-Betriebssystem, das über alle erforderlichen sicherheitsrelevanten Zertifizierungen verfügt, kann dabei eine zentrale Komponente des modernen Fahrzeugs sein", erklärt Harald Ruckriegel, Chief Technologist and Strategic Business Development Automotive beim US-amerikanischen Softwarehersteller Red Hat. 

Die Digitalisierung transformiert neben anderen Branchen auch den Automobilsektor. Im Zuge dessen werden die traditionell diskreten Rechnersysteme in Fahrzeugen immer stärker integriert. "Das heißt, die unterschiedlichen Workloads werden konsolidiert, indem Edge-Systeme die 'Embedded Systems' ablösen. Die Ideen, die diesen Wandel vorantreiben, stammen aus dem Open-Source-Bereich", so Ruckriegel. Für ihn stellt sich die Frage, ob auch Linux-basierte Betriebssysteme Teil dieser Zukunft sein werden, gerade hinsichtlich der bestehenden Standards für funktionale Sicherheit. Seine Antwort lautet eindeutig ja, da viele Initiativen und Entwicklungen bereits in diese Richtung gehen würden. 

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Mit neuen E/E-Fahrzeugarchitekturen und einer funktionsorientierten Softwareentwicklung verschmelzen die Arbeitsumfänge der einzelnen Bereiche und Abteilungen bei Pkw- und Nutzfahrzeugherstellern, Zulieferern und Dienstleistern. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die traditionell gewachsenen Unternehmensstrukturen.

Wettbewerb um das künftige Betriebssystem

Entsprechend hat der Wettbewerb im Automobilbereich um das zukünftige Betriebssystem längst begonnen. Google versucht sich hier zu positionieren, doch große Hersteller wie Mercedes-Benz oder Toyota wollen hier von der Datenkrake Google nicht abhängig werden und setzen stattdessen auf Automotive Grade Linux (AGL). AGL wurde bereits 2012 ins Leben gerufen, wie Paul Hansen im Artikel AGL Will Be Overtaken by Android Automotive aus dem The Hansen Report On Automotive Electronics 3-2019 erklärt. Ziel des Open-Source-Projekts ist die Entwicklung und Einführung einer vollständig offenen, gemeinsam genutzten Softwareplattform für alle Technologien im Fahrzeug: vom Infotainment bis zum autonomen Fahren. Das soll Fragmentierung verringern und die Markteinführung beschleunigen.

AGL wird inzwischen von über 160 Mitglieder unterstützt, zu denen auch OEMs wie Volkswagen, Ford und Nissan gehören, aber auch Zulieferer wie Continental, Bosch und Nvidia umfasst. Der Toyota Camry in den USA war 2018 das erste Auto, das AGL im Infotainment-System einsetzte.

Autonomes Fahren: die besondere Rolle des Betriebssystems

Künftig wird die Entwicklung aber über Fahrerassistenz- und Infotainment-Systeme hinausgehen. Gerade bei hochautomatisiertem und autonomen Fahren spielt das zugrundeliegende Betriebssystem eine maßgebliche Rolle im entstehenden Software-Stack. "Die derzeitige Automobilsoftware basiert auf proprietären, funktional eingeschränkten und eher 'langsamen' Komponenten, die mögliche Risiken und Fehler minimieren", erklärt Ruckriegel. Diese Lösungsansätze würden den neuen Anforderungen nicht mehr gerecht. Dazu gehörten Fahrzeugsysteme, die Realtime-Datenverarbeitung und hohe Rechenleistung bieten. Nur so könnten OEMs die neuen Herausforderungen hinsichtlich Konnektivität, Mobilität als Dienstleistung oder automatisiertes und autonomes Fahren bewältigen.

Die Alternative zu den bisherigen Konzepten wäre Ruckriegel zufolge ein auf funktionale Sicherheit zertifiziertes und speziell für den Automotive-Bereich ausgelegtes Linux-Betriebssystem. "Es bringt mehr Flexibilität in das Software-Ökosystem der Automobilindustrie und ermöglicht es den Fahrzeugherstellern und ihren Partnern, sich auf innovative Anwendungen, Services und Funktionalitäten rund um das Auto der Zukunft zu fokussieren", betont Ruckriegel die Vorteile. Das hieße, ein standardisiertes Linux-Betriebssystem kann als eine leistungsfähige Basis für alle darüber liegenden spezifischen Softwareplattformen der OEMs fungieren, mit denen sie sich differenzieren können: vom Hersteller-Betriebssystem über die Middleware und Applikationen bis hin zu den Services. 

Anforderungen an ein Linux-basiertes Betriebssystem

Red Hat zufolge muss ein Linux-basiertes Betriebssystem im Fahrzeug vor allem folgende Anforderungen erfüllen: eine Workload-Orchestrierung, eine sichere Prozessisolierung, eine regelmäßige Aktualisierung und eine Zertifizierung für funktionale Sicherheit. 

Mit den Herausforderungen rund um die Entwicklung und Zertifizierung sicherheitskritischer Applikationen und Systeme befasst sich das ELISA (Enabling Linux in Safety Applications)-Projekt. "Dabei geht es um die Definition von Prozessen, Tools und Komponenten, die in Linux-basierte, sicherheitskritische Systeme integriert werden können, um eine Safety-Zertifizierung zu erhalten", erläutert Ruckriegel. Ein zentraler Schwerpunkt seien dabei auch die Softwarelösungen für den Einsatz im Kraftfahrzeugbereich.

Update-Prozess der ISO 26262

Dazu kommt, dass komplexe Systeme wie Linux bislang von der Norm ISO 26262, die sich auf die funktionale Sicherheit eines Systems mit elektrischen und elektronischen Komponenten in Kraftfahrzeugen bezieht, nicht abgedeckt werden. Die Norm soll nun in einem laufenden Projekt, an dem auch Red Hat teilnimmt, aktualisiert (ISO PAS 8926) werden. Es habe zum Ziel, ein Framework für die Qualifizierung und Zertifizierung von Softwareprodukten für sicherheitsrelevante Applikationen im Fahrzeugbereich zu konzipieren. Darunter fielen auch Open-Source-Anwendungen wie ein Linux-Betriebssystem. 

Zudem arbeite die Automotive Special Interest Group (SIG) an einem Referenz-Automobilbetriebssystem auf der Grundlage der Entwicklungsplattform CentOS Stream. Kürzlich habe, so Red Hat, die CentOS Automotive SIG die Automotive Stream Distribution vorgestellt. Dabei handele es sich um eine binäre Distribution, die innerhalb der SIG entwickelt wurde und die als öffentliches, in Entwicklung befindliches Preview des künftigen Fahrzeug-Betriebssystems von Red Hat dienen soll.

Google-Alternative?

Trotz aller Fortschritte und Vorzüge ist schwer vorherzusagen, wie groß die Bedeutung von AGL im Autobereich werden wird. Die große Konkurrenz kommt aus Kalifornien: Googles Infotainment-Betriebssystem Android Automotive OS gibt es seit Kurzem in Serienfahrzeugen von Geely, Volvo und Polestar. Auch die Allianzpartner Nissan-Renault-Mitsubishi planen Berichten zufolge, Android Automotive in zukünftige Fahrzeuge zu implementieren. Der Vorteil: im Vergleich minimale Entwicklungskosten und Services, die den Verbrauchern vom Smartphone bekannt sind. 

Viele Automobilhersteller entwickeln zudem ihre eigenen Betriebssysteme/Middleware-Schichten, wie zum Beispiel VW.OS, MB.OS von Mercedes-Benz, BMW.OS, VolvoCars.OS und Toyota Arene. Sowohl Mercedes-Benz als auch BMW setzen sie dabei im Kern wohl auf das Betriebssystem Linux. Auch Teslas Auto-System liegt Linux zugrunde. Volkswagen hat sich noch nicht final entschieden, wie Paul Hansen im The Hansen Report On Automotive Electronics aus der ATZelektronik 4-2020 schreibt. Die Wolfsburger wollen möglicherweise auch Android und andere, auf Linux basierende Open-Source-Betriebssysteme einsetzen.

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