In einer vom Umbruch und den Corona-Auswirkungen bereits extrem gezeichneten Industrie hätte sich wohl niemand träumen lassen, dass es 2022 noch schlimmer kommen könnte. Ein Gastbeitrag von Stefan Randak.
Der deutschen Automobilindustrie stehen schwere Zeiten bevor.
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Wenngleich in diesem Jahr die strategisch-technischen Umschwünge (etwa die Abkehr vom Verbrenner und die Hinwendung zu alternativen Antrieben) oder pandemiebedingte Einschränkungen (beispielsweise der Lockdown von automotiven Produktionseinheiten) in den Hintergrund traten, so waren es jetzt viel mehr Auswirkungen, die durch politische Ereignisse und deren negativen wirtschaftlichen Folgen bedingt waren.
Lieferengpässe
Unbestritten verlagerte sich zu Beginn des Jahres das bereits bekannte Problem der Lieferengpässe an Mikrochips, Stahl, Aluminium, Kupfer und sogar Holz, ausgelöst durch Unterkapazitäten und Lockdowns, auch in 2022 hinein. Wenngleich in Europa und Nordamerika der Weg aus der Pandemie weitgehend gefunden wurde, sorgte das Festhalten an der "Null-Covid-Strategie" in China weiterhin für komplette Lockdowns in wichtigen Industrieregionen, die das Thema "Lieferengpass" weiter befeuerten.
Ukraine-Krieg
Der im Februar 2022 erfolgte militärische Überfall Russlands auf die Ukraine zeigte der Automobilindustrie relativ schnell neue Abhängigkeiten und damit zusätzliche Herausforderungen auf. Hierzu gehören der schlagartige Wegfall von Produktionskapazitäten (zum Beispiel Leoni mit 7.000 Mitarbeitern in der Ukraine und unmittelbaren negativen Auswirkungen für die Hersteller Volkswagen und BMW), die Abhängigkeit von Titan, Eisenerz und seltenen Erden, die aus der Ukraine stammen und nicht zuletzt die damit ausgelöste größte Energiekrise, bedingt durch die Abhängigkeit Deutschlands und Europas vom Gas der Russen.
Taiwan-Krise
Während die Russen in die Ukraine einfielen, begann fast gleichzeitig das Säbelrasseln vor den Küsten Taiwans. Auch hier wurde der Automobilindustrie relativ schnell vor Augen geführt, dass Monoabhängigkeiten im schlimmsten Fall zum "Blackout" in der Fertigung führen können. Taiwan produziert ca. zwei Drittel der am Weltmarkt nachgefragten Mikrochips (Halbleiter). Eine Blockade der Insel hätte katastrophale Auswirkungen, nicht nur auf die Automobil-, sondern auf alle elektronikverarbeitenden Branchen.
Hersteller mit hohen Gewinnen
Eines der krassesten Phänomen dieser Krise ist jedoch die auseinanderfallende Schere zwischen Herstellern und Zulieferern – das heißt, die Hersteller fuhren im Jahr 2022 den Zulieferern in den erzielten Ebit-Margen (Gewinn vor Zinsen und Steuern) buchstäblich davon. Während etwa BMW seine Ebit-Marge im dritten Quartal 2022 im Bereich Auto um 63,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern konnte, sinkt die Ebit-Marge der Zulieferer weiter unter 5 Prozent. Einige schreiben mittlerweile sogar rote Zahlen.
Ursache hierfür ist die Konzentration der Hersteller, bedingt durch Lieferknappheiten, auf hochpreisige und margenträchtige Modelle. Darüber hinaus werden Versuche der Zulieferindustrie, die Mehrkosten aus Logistik und Energie weiterzureichen, vehement und vielfach erfolgreich abgeblockt.
Zulieferer in Not
Die Covid-Pandemie, die nachfolgenden Krisen, die schwerer kalkulierbaren bzw. niedrigeren Produktions- und Absatzmengen der Hersteller, sowie das Unvermögen, Mehrkosten an die Hersteller weiterzugeben, haben die Zulieferindustrie weiter an den Abgrund getrieben. Laut einer Aussage der Global Automotive Supplier Study 2022, in der die Leistungsindikatoren von ca. 600 Zulieferern analysiert wurden, stehen weiterhin harte Zeiten ins Land. Die Profitabilität der Automobilzulieferer ist deutlich niedriger als vor Beginn des Zeitraums 2019/2020 und es wird erwartet, dass der Margendruck weiter anhalten wird. Der globale Umsatz wird laut der Studie inflationsbedingt in den nächsten 12 Monaten erneut unter dem Niveau von 2019 liegen. Hinzu kommt, dass das steigende Zinsumfeld notwendige Investitionen erschwert. Erste Insolvenzen ließen bereits aufhorchen: Schneider Automotive, Borgers, etc.
Verbrenner-Ausstieg
Angesichts der verschärften Klimakrise und der Grenzwertdiskussion für den Verkehr beschloss die EU, ab 2035 keine Neufahrzeuge mit Verbrenner mehr zuzulassen. Für die Autohersteller ist dies keine große Überraschung, da sie sich bereits im Vorfeld auf eine Umkehr zum Strom- und ggf. Wasserstoffantrieb entschieden hatten.
Viel weniger diskutiert wurde dagegen die Frage, woher der Strom für all diese elektrifizierten Fahrzeuge in Zukunft kommen soll. Bis 2030 sollen in Deutschland 10 bis 11 Millionen E-Fahrzeuge rollen. Gleichzeitig fehlt es an grünem Strom, Ladeinfrastruktur, Speicherkapazitäten und Überlandleitungen. Der Ausbau der alternativen Stromerzeugung (zum Beispiel Windkraft) stockt.
Hegemonie der USA
Für große Aufregung sorgte zuletzt ein neues US-Gesetz. Durch den "Inflation Reduction Act" der US-Regierung, der eine Förderung von Elektrofahrzeugen nur bei einem hohen Anteil der Wertschöpfung und einer Endfertigung in Nordamerika vorsieht, ändern sich auch hier die Marktvoraussetzungen für europäische Hersteller komplett.
Um den Neuwagenkunden in den USA einen Steuervorteil von bis zu 7500 Dollar zu ermöglichen, müssen die Hersteller vor Ort Fahrzeuge produzieren oder Endmontage betreiben. Ab 2023 müssen 40 Prozent der kritischen Rohstoffe (etwa Lithium, Nickel, Grafit) in den USA oder einem Land, mit dem die USA ein Freihandelsabkommen haben, abgebaut oder verarbeitet werden. 2026 sind es dann 80 Prozent. Noch gravierender ist es bei den Batteriepacks: 50 Prozent müssen in den USA montiert werden, bis 2028 sind es dann 100 Prozent.
Europa: Sinkende Verkäufe und Autoimporteur
Im November meldete Audi erste Zeichen für einen Rückgang der Bestellungen in Europa. Vorstandschef Markus Duesmann erklärte gegenüber der Presse: "Da kommt was auf uns zu, wir können nichts ausschließen."
Gleichzeitig wächst laut einer Studie von PwC das Risiko, dass Europa ab 2025 zum Autoimportland wird, während sich China zum E-Auto-Exportland wandelt. Während die Europäer auf teure BEV-Modelle setzen, bringen die Chinesen günstige E-Autos mit neuer Technik und neuen Konzepten auf den Markt. In den Top 5 der meistverkauften E-Autos gibt es bereits keine Europäer mehr.
Was bringt die Zukunft?
Die nächsten fünf Jahre werden für die heimischen Hersteller und Zulieferer entscheidend. Folgende Fragen müssen dabei nachhaltig geklärt werden:
- Gelingt es durch De-Globalisierung, verstärktes Risikomanagement und wirtschaftlich vertretbare Lieferverträge, den Lieferengpässen in politisch unsicherem Umfeld zu entgehen?
- Können die Produktionskapazitäten und Marktentwicklungen in den größten Märkten China, Nordamerika und Europa trotz Hegemoniebestrebungen austariert werden?
- Wird es gelingen, den Energiebedarf der Zukunft (in erster Linie Strom und Wasserstoff) klimafreundlich zu generieren und auf Industrien und Abnehmer preislich vertretbar und strukturell zugänglich zu verteilen, um den Industriestandort Deutschland bzw. Europa zu sichern?
- Gelingt es, genügend Fach- und Führungskräfte zu finden und einen technischen und innovativen Vorsprung zu vertretbaren Kosten zu realisieren?
- Wird es möglich sein, die sich mit Sicherheit verkleinernde Zulieferindustrie in ein nachhaltigeres partnerschaftliches Verhältnis zu den Herstellern zu führen, um die wirtschaftlichen Lasten besser zu verteilen und damit auch Arbeitsplätze in der Branche nachhaltiger zu sichern?
Gelingt es uns in den nächsten fünf Jahren, diese Fragen positiv zu beantworten, wird die Automobilindustrie weiterhin ein wesentlicher Erfolgsgarant für Deutschland und Europa bleiben. Falls nicht, droht der Abstieg in die zweite oder sogar dritte Liga.