Eine Bestandsaufnahme zum Jahresstart: Stefan Randak von der Managementberatung Atreus analysiert den Status quo der deutschen Autoindustrie. Was muss 2024 besser laufen?
Die deutsche Automobilindustrie dürfte das Jahr 2023 mit gemischten Gefühlen hinter sich lassen. Die Ursache hierfür liegt in den Zulassungszahlen, die weltweit eine klare Sprache sprechen. Im Detail: Die Zulassungszahlen für Neufahrzeuge gingen im Vergleich zum Vorjahr weltweit in allen wichtigen Märkten (China, USA, Europa) zurück (Stand: 3. Quartal 2023), während der Anteil an E-Fahrzeugen deutlich zunahm.
Wer also am Erfolg der E-Fahrzeuge nicht oder nur teilweise partizipieren konnte, war somit doppeltem Leid ausgesetzt. Insofern sieht die Branche – laut jüngster Meldung des Ifo-Institutes vom Dezember 2023 – auch den kommenden Monaten pessimistisch entgegen. Doch was sind die genauen Ursachen für diese Entwicklung, was erwartet die Branche in 2024 und was muss besser werden?
Weltweite Krisen setzen der Automobilwirtschaft zu
Die Welt und damit auch die Industrie sieht sich immer mehr Krisen ausgesetzt. Neben dem Krieg in der Ukraine, der erhebliche Geld-Ressourcen verschlingt und uns eine hohe Inflation sowie steigende Energiekosten bescherte, ist der Krieg im Nahen Osten hinzugekommen und gefährdet erneut den gesamten arabischen Raum mit seinen benötigten Ressourcen und wichtigen Wassertransportwegen. Die Kauflaune hält sich weltweit in Grenzen. Nachfragerückgänge treffen daher schnell und unverhohlen insbesondere eine Industrie, die von der Herstellung von teuren Luxusgütern wie Pkw lebt.
Jede Krise spiegelt wider, was die deutsche Automobilindustrie aus der Corona-Krise eigentlich gelernt haben sollte: Wie sicher sind meine Lieferanten und Lieferwege? Wie flexibel kann ich mit einer temporären Unterauslastung umgehen? Themen wie Risk-Management, langfristige Lieferverträge, Lieferantenbewertung und Sicherung der Transportwege, Nearshoring-Überlegungen, aber auch flexible Betriebsvereinbarungen müssen zum Standardprogramm eines jeden Unternehmens gehören.
Gefährdete Marktentwicklung in China
Die entscheidende Absatzschlacht wird nicht in Deutschland geschlagen. Die größten Fahrzeugmärkte sind China, die USA und dann erst Europa. Bis dato wurde circa 40 %, also fast jedes zweite Fahrzeug der deutschen Hersteller, in China abgesetzt. 2022 waren bereits 27,7 Millionen Elektrofahrzeuge weltweit unterwegs, davon die Hälfte in China. Tendenz stark steigend. Doch die Absätze der deutschen Hersteller lassen dort zu wünschen übrig. Bereits im Jahr 2022 konnten die Platzhirsche (Audi, BMW, Mercedes-Benz) nur 3,5 % Anteil am E-Automarkt für sich gewinnen. 2023 dürfte es nicht besser aussehen. Die Wettbewerber BYD und Tesla haben die Nase deutlich vorn. Insbesondere die Asiaten überzeugen mit günstigeren Preisen (wenngleich staatlich subventioniert), einer funktionierenden Software und der besseren Befriedigung individueller Kundenwünsche. Unter den zehn meistverkaufen Elektrofahrzeugen tauchen die deutschen Modelle derzeit nicht auf.
China ist der Absatz der Zukunft. Es wird erwartet, dass dort spätestens ab 2030 so viele Fahrzeuge abgesetzt werden wie heute in den USA und Europa zusammen. Insofern muss dieser Markt von der deutschen Automobilindustrie mit größtem Augenmerk verfolgt werden. Aber auch andere asiatische Märkte und Länder sollten nicht unbeachtet bleiben. Hierzu gehören insbesondere die Aufsteiger Indien und Vietnam.
Standort Deutschland unattraktiv
Der deutsche Standort wird zunehmend unattraktiver. Neben dem Kräfte- und Fachkräftemangel sind noch weitere Aspekte wie hoher administrativer Aufwand, hohe Energiekosten, marode Infrastruktur sowie eine unkalkulierbare, bisweilen nicht vorhandene Strategie der Bundesregierung hinzugekommen. Letztere strich zuletzt abrupt die E-Fahrzeugförderung in Deutschland, was – nach Auffassung von Experten – circa 200.000 E-Fahrzeuge weniger im Absatz bedeuten wird. Geplante Investitionen der Branche werden bereits für deutsche Standorte gestrichen, außer es liegt ein klarer strategischer Vorteil im Raum (etwa das geplante BMW-Batteriemontagewerk in Ostbayern, das zur Versorgung der naheliegenden Montagewerke München, Landshut, Dingolfing und Regensburg dienen soll).
Die Automobilindustrie benötigt klare und verlässliche Rahmenbedingungen. Wenn diese in Deutschland nicht mehr umfassend vorhanden sind, wird es vermehrt zur Abwanderung von Arbeitsplätzen in osteuropäische und asiatische Länder beziehungsweise Amerika kommen. Dabei sprechen wir nicht mehr nur über Arbeitsplätze in der Produktion, sondern vielmehr auch im Bereich der Entwicklung. Für BMW ist China bereits der zweitgrößte Entwicklungsstandort und Volkswagen plant rund eine Milliarde Euro in ein neues Entwicklungs-, Innovations- und Beschaffungszentrum in der Stadt Hefei (China) zu investieren.
Diverse Fehleinschätzungen
Im Bereich der Software haben die Chinesen bereits die Nase vorn. Ralf Kranz, ehemaliger CEO von Nio Deutschland, spricht in einem Interview sogar von einem eindeutigen Softwarevorteil. Selbst Ferdinand Dudenhöfer sieht gegenüber der Presse die neue Heimat der Software in China. Jahrelang hatte man diesem Thema hierzulande zu wenig Bedeutung zugeordnet und sich auf die "Technikaffinität" verlassen.
Im Bereich der Batterieentwicklung und -fertigung verlässt man sich noch heute überwiegend auf asiatische Batterie- und Zellfertiger. Erst in jüngster Zeit lässt eine positive Nachricht aufhorchen: Volkswagen kooperiert über seine Tochter PowerCo mit QuantumScape und entwickelt in Deutschland eine neue Feststoffzelle mit spannenden Reichweiten. PowerCo soll am deutschen Standort Salzgitter Zellen entwickeln und Batterien für den gesamten Konzern bauen.
Hiesige Hersteller sind vielfach noch in alten Produktionssystemen verhaftet. Neue asiatische Hersteller oder Tesla bauen große Fabriken mit schlanken Produktionslinien. Tesla nutzt zum Beispiel ein neues Aluminiumdruckgussverfahren (Gigapress-Programm) und spart damit viele einzelne Produktionsschritte. Es entsteht ein riesiger Kostenvorteil, der gerade bei geringerer Auslastung der Werke von Nöten ist.
Der Mangel an Softwareentwicklern ist wahrscheinlich nicht mehr aufzuhalten (laut Information der Bitkom fehlen in Deutschland 137.000 IT-Spezialisten, vor allem Softwareentwickler). Die Anstrengungen von Volkswagen im Bereich der Zellentwicklung und -fertigung geben Hoffnung. Der Umbau der Fabriken in Deutschland müsste stringenter nach neuen Produktionskenntnissen vorangetrieben werden, um den Vorteil der "Newcomer" auszugleichen.
Fragwürdige Strategien
Aber auch in der Strategie ist sich die Branche nicht einig. Während BMW weiter auf klassischen Antrieb und E-Antrieb setzt, haben sich Volkswagen und Mercedes auf die baldige Fertigung von E-Fahrzeugen zu 100 % eingeschossen, wenngleich die Entscheidung zum Aus des Verbrenners in 2035 bereits gekippt wurde.
Ola Källenius verkündete für Mercedes on top die "Luxus-Strategie" und strich im unteren Fahrzeugsegment die Produkte A- und B-Klasse. Laut Medieninformationen schlagen die Vertriebspartner jedoch schon Alarm und sprechen von einem Imageschaden. Die übrigen Hersteller folgten nur teilweise. Audi strich ebenfalls A1 und Q2.
Der Weggang vom unteren Fahrzeugsegment öffnet die Türen für neue Anbieter aus Fernost. Es droht eine Wiederkehr der 1970er Jahre: Die Hersteller aus Japan und Korea traten damals als Newcomer in den europäischen Markt ein. Burkhard Weller (Betreiber von 35 Autohäusern) rechnet bald mit 10 bis 15 % Marktanteil der Chinesen. Ob die "Luxus-Strategie" aufgeht, bleibt ebenfalls abzuwarten. Bislang punktete Mercedes hier in erster Linie mit klassischem Antrieb in den Segmenten AMG, Maybach und G-Klasse, also nicht im zukunftsträchtigen E-Fahrzeug-Segment.
Zulieferer unter Druck
Der zunehmende Kostendruck war 2023 für viele Zulieferer nicht mehr zu ertragen. Neben Kapital fehlten oftmals auch die dringend notwendigen Abrufe, insbesondere für E-Fahrzeug-Teile. Bei manchen Zulieferern wurde bis zu 1/3 der angeforderten Produktionsmenge nicht abgerufen. Teilweise waren aber auch Verfehlungen der Vorjahre die Ursache. Insofern kam es zu Insolvenzen und Übernahmen (zum Beispiel Borgers, Dr. Schneider, BIA) und einer ersten Welle des allgemeinen Personalabbaus.
Insolvenzen und Übernahmen beziehungsweise Konzentrationen werden sich in der Branche fortsetzen. Continental will beispielsweise und nach letzten Meldungen tausende Stellen abbauen. Insgesamt ist – nach Meinung vieler Experten – über die nächsten 5 Jahre mit einem Abbau von einem Fünftel der rund 800.000 Arbeitsplätze bei Autobauern und Zuliefern in Deutschland zu rechnen.
Fazit
Die deutschen Hersteller müssen bei der Batteriezelltechnologie und der Software konkurrenzfähiger und unabhängiger werden. Insgesamt muss die Industrie innovativer und die Produktion schlanker werden, um gegen die wachsende Konkurrenz bestehen zu können. Der Personalabbau ist vorgezeichnet und als Konsequenz der Umstellung auf die E-Mobilität zu verstehen beziehungsweise ist der Verschlankung und Digitalisierung aller Prozesse in Produktion und Administration geschuldet.