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26-11-2021 | Bankenregulierung | Interview | Article

"Banken benötigen ein Betriebsmodell für Nachhaltigkeit"

Author: Angelika Breinich-Schilly

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Interviewee:
Friederike Stradtmann

ist Geschäftsführerin und zuständig für die Entwicklung nachhaltiger Strategien und grüner Geschäftsmodelle für Banken beim Beratungsunternehmen Accenture.

Die Entwicklung nachhaltiger Strategien beschäftigt die Bankenbranche schon lange. Doch die Ansätze müssen umfassender gedacht werden - von den Prozessen über ein ESG-orientiertes Datenmanagement bis hin zu den Beschäftigten, sagt Nachhaltigkeitsexpertin Friederike Stradtmann.

Springer Professional: Bitte erläutern Sie uns kurz, was ein Target Operating Modell ist und wie es in der Bankenpraxis für mehr Nachhaltigkeit sorgen kann.

Friederike Stradtmann: Grundsätzlich ist Nachhaltigkeit für Banken nicht neu. Sie hat sich inzwischen von der nach innen gerichteten Corporate Sustainability und einer oftmals im Marketing beziehungsweise der Konzernentwicklung angesiedelten Stabstelle zu einem bankweiten Thema entwickelt - inklusive dem nach außen gerichteten Kredit- und Anlageportfolio. Während Geschäftsstrategie und -modell das 'Was' definieren, orchestriert ein Target Operating Model die Umsetzung, also das 'Wie' in Prozessen und Technologien, aber auch in der Governance und bei Mitarbeitenden.

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Nachhaltigkeit in der Gesamtbanksteuerung

Mit dem europäischen Green Deal stellt die EU-Kommission eine Antwort auf die vom Klimawandel ausgehende Gefahr für die Menschheit und die Ökosysteme der Erde vor. Es handelt sich um eine neue Wachstumsstrategie, die zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen sowie des Pariser Klimaschutzabkommens beiträgt. Vor diesem Hintergrund ist es für Kreditinstitute erforderlich, Klimarisiken auf geeignete Art und Weise in der Gesamtbanksteuerung zu berücksichtigen.

Was bedeutet das für die Bank-IT in der Praxis?

Neben notwendigen Anpassungen in den Prozessen, dahinterliegenden IT-Systemen und Workflows spielen Daten eine besondere Rolle. Diese sind in der Vergangenheit aufgrund vieler Einzelinitiativen in dezentrale Datentöpfe eingeflossen, wodurch Silos entstanden sind. Nicht nur die Daten wurden dezentral gesammelt, auch die Unternehmen selbst haben aufgrund diverser Aufgaben, wie zum Beispiel die Vorbereitungen zum Klima-Stresstest, MiFID2 oder SDG-Mappings an verschiedenen Stellen der Organisation neue Datentöpfe entstehen lassen. Für die zunehmende Verankerung von Nachhaltigkeit im Kerngeschäft benötigt man aber eine zentrale Datenversorgung, eingebettet in ein Betriebsmodell, das sich horizontal durch alle Geschäftsbereiche der Bank zieht - und so die vorhandenen Informationen mit den nicht-finanziellen Informationen anreichert. Daraus werden alle Anforderungen bedient: die der Kunden, der Regulatorik und der Investoren.

Welche Tools kommen dabei zum Einsatz?

Ohne den Einsatz digitaler Lösungen ist die Beschaffung der Daten kaum denkbar. Schließlich gilt es künftig schnell diverse ESG-Aspekte abzufragen, um die Nachhaltigkeit einzelner Produkte sowie der wirtschaftlichen Aktivität von Kunden zu beurteilen. Sinnvoll ist der Aufbau einer horizontalen Plattform, die die Datenanforderungen verschiedenster Use Cases bündelt. Zur Datenbeschaffung nutzt man das automatische Auslesen öffentlicher Informationen mittels Web-Crawlern ebenso wie die Auswertung strukturierter Geschäftsberichte mit Machine Learning. Externe ESG-Scores oder die dahinterliegenden Rohdaten werden über digitale Schnittstellen und APIs eingespielt. Kundenspezifische Informationen werden digital über die Kundenportale angefragt und eingesammelt. Künstliche Intelligenz wird dann genutzt, um Daten abzugleichen und auszuwerten, sowie für Visualisierungstools für die Berichterstattung und Auswertung.

Welche Vorteile bietet diese Strategie?

Durch gezielte Nutzung dieser Quellen und Technologien könnten Finanzinstitute ihre Datenbank umfassend mit aktuellen Informationen füllen. Wichtig ist, dass über die Plattform laufend aktuelle Zahlen für rasche Neubewertungen verfügbar sind: Wenn sich etwa ein Unternehmen von Geschäftsbereichen trennt oder Aktivitäten zukauft, könnte dies die Beurteilung verändern. Denn Nachhaltigkeit muss kontinuierlich bewertet werden können, es ist keine einmalige Aufgabe.

Das Target Operating Modell soll nicht nur bankinterne ESG-Daten zusammenzuführen und zentralisieren, sondern auch mit externen Daten anreichern. Welche wären das?

Vorstellbar wäre beispielsweise die Anreicherung der internen Daten mit ESG-Ratings externer Datenanbieter oder mit öffentlich verfügbaren Berichten der zu finanzierenden Kunden, Industrieberichten und Benchmarks. Aber auch die Einbeziehung von publizierten Inhalten aus der Presse oder Social Media Posts wäre hier durchaus denkbar.

Wie kann das Modell helfen, sogenanntes Greenwashing innerhalb der Bankprozesse und -produkte zu enttarnen oder besser zu vermeiden?

Greenwashing impliziert, dass etwas als grün bezeichnet wird, es nach formeller Prüfung aber nicht ist. Um Greenwashing zu erkennen, muss man in der Lage sein, diese Lücke nachzuvollziehen. Ein Datenmodell arbeitet zunächst nach innen gerichtet. Es kann Banken auf Abweichungen von Industrie- oder Peer-Vergleichen hinweisen beziehungsweise aufzeigen, wo qualitativ ausgewertet wurde oder wo quantitative Fakten vorliegen. Zudem kann es Checks gegenüber den eigenen Standards, Richtlinien und unterzeichneten Agreements beinhalten. Kommt es zu Greenwashing-Vorwürfen, muss das Datenmodell dabei unterstützen, die Daten zu jedem Zeitpunkt replizierbar zu machen, so dass historische Einschätzungen und Entscheidungen lückenlos und logisch stringent nachvollzogen werden können.

Was passiert, wenn ein solcher Fall tatsächlich eintritt? Welche Prozesse treten dann in Kraft?

Interne Kontrollmechanismen sind hier ebenso wichtig wie die Einhaltung von Abnahmeprozessen zum Beispiel in Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden. Werden Greenwashing-Vorwürfe nach der Veröffentlichung erhoben, sind es meist externe Gremien, die Untersuchungen anstreben. Hierfür müssen die entscheidenden Daten so aufbereitet sein, dass sie schnell verfügbar sind.

Wie sieht es mit den Zuständigkeiten innerhalb der Institute, dem Richtlinienrahmen sowie einer entsprechenden Governance-Struktur aus? Was bedeutet das für die Mitarbeiter?

Nur mit einer digitalen Lösung zum Suchen und Zusammenführen von Daten würde eine Bank der Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit nicht gerecht. Zu einem durchdachten Target Operating Model gehört der richtige organisatorische Aufbau, klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, ein Richtlinienrahmen und die entsprechende Governance-Struktur. Vor allem muss klar sein, welche Ambitionen die Bank verfolgt und was dies operativ und strategisch bedeutet. Mithilfe künstlicher Intelligenz lassen sich Daten nicht nur besser auslesen, sondern auch Auswertungen erstellen, die Erkenntnisse zur Weiterentwicklung des Geschäftsmodells entlang der ESG-Faktoren liefern. Analytics-Berechnungen liefern der Bank neben den Nachhaltigkeits-Scores für einzelne Kunden oder Produkte auch Hinweise auf einen besseren Portfolio-Mix: Wer sollte mehr Kredit erhalten, wer weniger, wie verändert sich so die Green Asset Ratio?

Ein weiteres wichtiges Thema bei der Umsetzung des Betriebsmodells ist das Personal. Wer soll die neuen Lösungen einsetzen? 

Um aus dem Datenpool Informationen abzuleiten, wird es ESG-Analysten brauchen, die ermittelte Werte im Kontext analysieren und Handlungsempfehlungen im Sinne der Geschäftsstrategie ableiten können. Entsprechend müssen Banken Spezialisten rekrutieren oder ihre Mitarbeitenden entsprechend qualifizieren. Ohne konsequentes Change-Management mit Transparenz bei Zielen und Maßnahmen sowie entsprechenden Schulungsangeboten an die Mitarbeitenden wird sich die Nachhaltigkeitsagenda eines Finanzinstituts kaum erfolgreich umsetzen lassen.

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